Der Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herschaftspraktiken und insbesondere ein sich immer weiter verschärfender Nationalismus sind überall auf der Welt in Besorgnis erregender Weise auf dem Vormarsch.
Saul Friedländer, israelischer Historiker & Autor
Am 27. Januar 1945, vor nunmehr 79 Jahren, befreite die Rote Armee das wohl bekannteste Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Monowitz. Was sie dort vorfanden, bezeichnen wir als eins der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Bis heute gilt Auschwitz als Symbol für die industrielle Ermordung von Menschen durch den Menschen. Inzwischen ist der 27. Januar ein internationaler Gedenktag für alle Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands.
Die nationalsozialistische Verfolgung begann in Stuttgart mit dem Tag der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, dem 30. Januar 1933. Die ersten Konzentrationslager wurden nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 für politische Gegner*innen errichtet. Darunter waren viele Menschen, die von den Nazis als Jüd*innen definiert wurden.
Dies war der Auftakt für die systematische Verdrängung der Jüd*innen durch die „Nürnberger Rassengesetzgebung“, die von den Nazis organisierten und der Mehrheitsgesellschaft getragenen Pogromen bis hin zu den Deportationen in Konzentrationslager, die schließlich ihre genozidale Zuspitzung in der politischen Entscheidung zum Massenmord fand. Über 6 Millionen Menschen wurden in den Todesfabriken Belzec, Treblinka, Sobibor, Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Chelmno, Maly Trostinez, Bronnja Gora oder im verbrecherischen Lagersystem der Nazis bürokratisch organisiert und industriell ermordet.
Deportationen aus Stuttgart
Am 01.12.1941 fuhr der erste Deportationszug vom Bahnhof im Stuttgarter Norden ab, dem Ort, an dem sich heute die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ befindet. Über 1000 Jüd*innen aus ganz Baden-Württemberg wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Riga verschleppt. Für die Mehrheit endete ihr beschwerlicher Weg im Wald von Bikerniek, wo sie von deutschen SS-, Gestapo- und Polizeieinheiten ermordet wurden.
Mindestens 15 weitere Transporte folgten. Über 5000 Menschen, die nicht in das menschenverachtende Weltbild der Nationalsozialisten passten, wurden über den Stuttgarter Nordbahnhof zu ihrer Ermordung geschleust. Somit war der Stuttgarter Nordbahnhof integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Mordmaschinerie.
Er war und ist ein Symbol für die politisch vorangetriebene Entmenschlichung. Er steht für den Weg, den der eliminatorische Antisemitismus, Antiziganismus und die Vorstellung einer „rassischen und nationalistischen Volksgemeinschaft“ einschlägt: Gewalt, Barbarei, Mord und Totschlag – eine antisoziale und entmenschlichte Gesellschaft.
Und heute? Erinnern.Gedenken.Kämpfen
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.
Primo Levi
Die Worte Primo Levis scheinen heute wieder greifbare Realität werden zu können und müssen uns mehr Mahnung sein denn je. Denn Muster der Entmenschlichung, der Verfolgung Andersdenkender, der Ignoranz gegenüber Marginalisierten sowie Muster menschenverachtender Politik werden heute in Deutschland (und weltweit) immer offensichtlicher und erfahren zunehmend die Zustimmung breiterer Teile der Bevölkerung.
Aus diesem Grund rufen wir auf, den 27. Januar mit uns gemeinsam zu begehen, an die Opfer der Verbrechen zu erinnern, ihrer zu gedenken und somit die Erinnerung an die Geschehnisse wieder ins kollektive Bewusstsein zu rufen. Dabei ist die Erinnerung und das Gedenken kein abgeschlossenes Ereignis, denn alles, was geschehen ist, kann auch wieder geschehen. Vielmehr muss Erinnern und Gedenken eingebettet sein,
- in eine antifaschistische Praxis, die sich jeglicher Form des Faschismus entgegenstellt
- in einen Kampf um eine solidarische Gesellschaft jenseits von Antisemitismus, Antiziganismus, Islamophobie, Rassismus, Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung.
Lasst uns daher gemeinsam den 27. Januar zu einem Tag des Erinnerns, des Gedenkens und des Kampfes machen, von dem das Signal ausgeht, dass es weiterhin heißt – NIE WIEDER
Eine Initiative der organisierten Autonomie Stuttgart
Wann? Am 28. Januar 2024 um 15:00 Uhr Wo? Nordbahnhof (Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“)