Handlungsvorschläge für den „heißen Herbst“

Die Lebensmittel kosten bald das Doppelte, Heizen scheint auf kurz oder lang unbezahlbar zu werden und über die Sprit-Preise müssen wir gar nicht erst anfangen zu reden… Das Leben wird nicht nur ein „bisschen teurer“, für viele Menschen stellen sich schon jetzt existenzielle Fragen: Reicht das Gehalt für Miete, Einkauf und Heizung? Und wenn ich wählen muss, was ist das Wichtigste?
Der Grund für Teuerungen und Inflation ist die Krise des herrschenden Wirtschaftssystems, des Kapitalismus. Es ist nicht die erste kapitalistische Krise im neuen Jahrtausend, es wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach die tiefgreifendste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Heißt: Die Phase der relativen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilität ist auf absehbare Zeit vorbei. Vor uns liegen turbulente, womöglich brandgefährliche, aber ebenso spannende Zeiten – auch wenn davon momentan auf den Straßen praktisch nichts zu spüren ist. Das kann und wird sich hoffentlich bald ändern. Denn die Krise sorgt nicht nur für berechtigte und nachvollziehbare Existenzängste, sie ist auch für eine hoch-politisierte Zeit und Gesellschaft verantwortlich. Wann haben zuletzt so viele Menschen über die Tagespolitik der Regierung diskutiert? Wann war der Unmut über diese Politik das letzte Mal so groß? Und wann waren zuletzt so viele aufgrund ihrer unmittelbaren Erfahrung empfänglich für gesellschaftliche Ideen jenseits kapitalistischer Profitlogik?

Momentan ist von dem viel beschworenen „heißen Herbst“ des Widerstands gegen die herrschenden Zustände noch nicht viel zu sehen oder zu spüren. Und trotzdem: Alle gehen davon aus, da kommt (früher oder später) der große Knall. Nur: Er ist eben noch nicht da. Wir befinden uns einen Schritt davon entfernt, in einer Art Vor-Phase, die geprägt ist von Mobilisierungen klar zuordenbarer politischer Kräfte. Progressiver wie reaktionärer.
Mit diesem Kommentar wollen wir versuchen, uns in die Debatte zum Umgang mit diesem „Gap“ einzumischen. Wir haben uns bewusst gegen ein langes, analytisches Papier entschieden. Vielmehr wollen wir das einbringen, was in vielen Diskussionsbeiträgen aus der linken Bewegung bisher fehlt: konkrete Ideen und Vorschläge zum Umgang mit der Situation. In unserem Fall, insbesondere für die antifaschistische Bewegung.

Es ist unklar, ob, wenn ja wann, von wem und in welcher Form sich die Existenzängste und der gesellschaftliche Unmut tatsächlich niederschlägt. Eine Möglichkeit sind größere soziale Widerstandsbewegungen auf der Straße, so wie wir sie gerade in anderen europäischen Ländern beobachten: Demos, bei denen Zehntausende die Absetzung der bürgerlichen Regierung fordern wie in Belgien oder konfrontative Streiks gegen das bürgerliche Krisenmanagement wie in England. Auf solche Momente hoffen viele, vorprogrammiert sind sie keinesfalls.
Dass wir beim Spaziergang durch unsere Innenstädte aktuell nur den shoppenden und nicht den wütenden Massen begegnen, hat nämlich durchaus seine Gründe. Jahrzehntelange Sozialpartnerschaft, eine fehlende widerständige Tradition und eine marginalisierte, revolutionäre Linke sind nur drei davon. Hinzu kommen momentan die „Rettungspakete“ der Regierung, welche die Auswirkungen der Krise kurzfristig abfedern und als Beruhigungspille dienen sollen. Das funktioniert (noch). Und natürlich trägt der nationale Burgfrieden, ausgerufen zum Beginn der russischen Offensive am 24. Februar, seinen Teil dazu bei. Auch wenn hier langsam die Front bröckelt.

Hierzulande sind deswegen mehrere Szenarien denkbar: Das schrittweise Anwachsen der laufenden Mobilisierungen (progressiver wie reaktionärer) zu großen Protesten, das Entstehen einer eigenständigen sozialen Widerstandsbewegung, um deren politische Stoßrichtung gekämpft werden muss oder eben das Ausbleiben von breitem gesellschaftlichen Protest.
Es sind drei eher wahrscheinliche, von vielen unterschiedlichen Möglichkeiten. Wir können die Zukunft nicht voraussagen, tun aber gut daran, uns mit möglichen Entwicklungen zu beschäftigen, um schnell und tatkräftig handlungsfähig zu sein. Und auch wenn der große Protest dieses Mal ausbleiben sollte: Angesichts sich weiter zuspitzender kapitalistischen Zustände werden wir ähnliche Bedingungen immer häufiger vorfinden und die hier formulierten Ideen können deswegen auch Impulse für andere Krisensituationen sein.

Genug in die Glaskugel geschaut, zurück zum hier und jetzt. Es gibt momentan in der BRD keine große Bewegung auf der Straße, wohl aber Versuche von Linken dort Präsenz zu zeigen. Diese Ansätze sind richtig und wichtig. Breiter Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse mit progressiver Ausrichtung entsteht schließlich nicht von alleine. Dennoch sollten wir realistisch bleiben und erkennen, dass die antikapitalistische Linke aktuell nicht so stark und organisiert ist, als dass sie flächendeckend eine Widerstandsbewegung aufbauen könnte.
Als Antifaschist:innen mit Klassenstandpunkt gilt es Teil dieser Versuche von links zu sein, antikapitalistische Positionen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und uns, wo möglich, aktiv einzubringen. Damit meinen wir aber ganz bewusst nicht, dass die organisierte antifaschistische Arbeit in der kapitalistischen Krise an Bedeutung verliert und wir dieses Arbeitsfeld deshalb zugunsten von linken Mobilisierungen aufgeben sollten. Im Gegenteil. Ein Schwerpunkt unserer Beteiligung bei diesen Versammlungen liegt für uns Antifaschist:innen auf unserem Kernthema: Dem Schutz von linkem Protest vor Faschist:innen oder dem organisierten Auftreten von anderen Rechten. Inhaltlich wie praktisch. Vonseiten der „AfD“ und anderen Reaktionär:innen gibt es gezielte Versuche mittels Querfront-Veranstaltungen, die eigene Position zu stärken. Aber auch Teile der „Querdenken-Bewegung“ liebäugeln mit der Präsenz auf linken „Montagsdemos“.

Generell bringt sich der Feind bereits in Stellung. Sowohl die „AfD“ als relevanteste rechte Kraft als auch die „Freien Sachsen“, die Reste der „IB“ und die Clique rund um Kubitschek und das „IfS“ bereiten sich auf die kommenden Proteste vor. Die „AfD“ versucht sich mit der Kampagne „Unser Land zuerst“ strategisch in Stellung zu bringen und Inhalte und Argumentationslinien zu besetzen, verzichtet aber momentan wohl bewusst auf breite Straßenmobilisierungen in der gesamten Republik. Zielgruppe dieser Kampagne ist das ganz unmittelbar vom Abrutschen bedrohte Kleinbürgertum. Während der Corona-Pandemie haben Teile der Rechten Erfahrungen in der Vereinnahmung von kleinbürgerlich-geprägten Massenprotesten gesammelt, die inneren und inhaltlichen Spaltungen jedoch, hat eine führende Rolle dort verhindert. Nicht nur die aktuelle „AfD“-Kampagne zeigt, dass diese Phase überwunden ist und die Rechten inhaltlich geeint auftreten und in der Konsequenz erfolgreich agieren könnten.
Wenn „AfD“ und Co ihre Sache gut machen, werden sie, zumindest teilweise, auch im Süden erfolgreich sein. Momentan ist die antifaschistische Bewegung im Gesamten zu schwach, um den Rechten auf breiterer Front etwas entgegenzusetzen. Das bedeutet aber nicht, dass wir machtlos sind und dem Treiben der Reaktionär:innen tatenlos zuschauen müssen. Im Gegenteil. Es gibt zwar nicht die eine Antwort, wohl aber unterschiedliche Ansatzpunkte, die zusammengenommen zu einer antifaschistischen Strategie im Kontext antikapitalistischer Krisenantworten werden können.

Ein Baustein im Kampf gegen die Rechten in der Krise ist die Demaskierung ihrer „Krisenantworten“. Wenn wir wollen, dass die Menschen nicht zu den Rechten gehen, dann müssen wir ihnen nicht nur andere Angebote machen, sondern die vermeintlichen Antworten der Rechten entlarven. Es ist deswegen die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung, sich schon jetzt mit den rechten Kampagnen und Argumentationsmustern zu beschäftigen und sie zu zerlegen. Schließlich ist es doch beim genauen Hinschauen offensichtlich: Die „AfD“ ist und bleibt eine Freundin der Besitzenden, lehnt z.B. eine Übergewinnsteuer ab, stimmt gegen den Erhalt oder Ausbau sozialer Leistungen, kreiert Sündenböcke und spaltet an Merkmalen wie Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung.
Ganz generell sollte die antifaschistische Bewegung den Druck auf die Rechten aufrechterhalten und gleichzeitig deren Versuche, mit eigenen Kundgebungen oder Demos Fuß zu fassen, von vornherein bestenfalls unterbinden. Kein „Kampagnen-Infotisch“ ohne unseren Widerstand, keine rechte Kundgebung ohne Protest dagegen, keine „IB“-Beteiligung bei „Querdenken“-Demos ohne antifaschistische Intervention. Das alles ist hier im Süden der Republik sicherlich aktuell einfacher zu bewerkstelligen als anderswo. Dabei sollten wir nicht vergessen, auch hier auf Aufklärung zu setzen. Nicht bei den Funktionär:innen und den Überzeugten, sondern bei denen, die auf der Suche nach Antworten auf ihre Probleme sind und mangels greifbarer Alternativen bei den Rechten landen.
Die Rechten, auch unabhängig ihrer unmittelbaren Straßenpräsenz, zurückzudrängen bleibt eine weitere essenzielle Aufgabe unserer Bewegung und gerade jetzt notwendig. So können wir der teilweisen Übermacht des Gegners, im Hinblick auf mediale Reichweite und Ressourcen, etwas entgegensetzen. Denn, wer Probleme auf der Arbeit oder Zuhause hat, dem/der fehlt Zeit und Energie für die eigentlichen Aufgaben dieser Zeit…
Und schließlich sollten wir die Erfahrungen aus vergangenen Phasen, wie z. B. dem ersten Corona-Jahr oder der Hochzeit der Geflüchteten-Bewegung 2015-2017 nicht vergessen: Wenn sich hoch-politisierte Zeiten auf der Straße niederschlagen, dann erhöht sich auch das Niveau der Auseinandersetzung dort. Qualitativ wie quantitativ. Wir als antifaschistische Bewegung tun gut daran, uns genau darauf auch einzustellen und in Anbetracht der erhöhten Gefahr, auf rechte Angriffe vorbereitet zu sein.

Und was, wenn der große Knall tatsächlich kommt und die Menschen zuhauf auf die Straße gehen? Dann steht der Kampf um die Hegemonie in diesen Protesten auf der Tagesordnung. Dann verändert sich auch unsere Praxis. Denn: Der Kampf um die Ausrichtung von Protesten kann nur in und mit diesen Bewegungen gewonnen werden, nicht von außen. Um das zu erreichen, muss jedoch der Reflex der antifaschistischen Linken in Deutschland, bei Beteiligung von Rechten in Protesten sofort die ganze Bewegung zu boykottieren oder zu bekämpfen, abgelegt werden. Nicht falsch verstehen, wir meinen damit nicht klar von rechten Organisationen oder Einzelpersonen angemeldete oder organisierte Versammlungen. Wir meinen Orte und Zusammenkünfte, deren Ausrichtung nicht von vornherein glasklar ist, bei denen aber auch die Reaktionär:innen versuchen Fuß zu fassen. Ihnen dort den Raum streitig zu machen, sie inhaltlich und praktisch ins Aus zu schieben und dazu beizutragen, einer Bewegung einen antifaschistischen Grundkonsens zu geben, bedeutet dann konkret eben nicht von außen gegen Nazis zu protestieren, sondern sie zu demaskieren und von innen heraus zu vertreiben. Einfach geschrieben, schwierig verwirklicht …

Ganz generell kann der antifaschistische Kampf nur langfristig gegen eine wachsende rechte Bedrohung erfolgreich sein, wenn er den Bezug zur Klasse als einen Schwerpunkt begreift. Der Widerstand gegen Teuerungen und die bürgerliche Krisenpolitik ist links, es ist unsere Aufgabe einer Vereinnahmung von rechts entschieden zu begegnen. Packen wir’s an!