Die Frankfurter Rundschau hat durch eine Recherche einen Nazimordversuch am 15. Februar „im Vereinsheim einer Studentenverbindung“ aufgedeckt. Laut dpa stach der Täter vier Mal zu:
„Im rheinland-pfälzischen Bingen ist ein 20-jähriger Mann durch Messerstiche im Oberkörper verletzt worden, nachdem er sich über das Abspielen rechtsextremer Musik beschwert hatte. Der mutmaßliche Täter ist ein 23-Jähriger aus Hessen.“
In Bingen wohnen weniger als 25.000 Menschen, aber es gibt sechs Studentenverbindungen.
Der SWR schreibt: „Das 20-jährige Opfer ist nach Angaben der Ermittler Mitglied der Studentenverbindung, in deren Vereinsheim in Bingen sich die Tat ereignet hat. Der mutmaßliche Täter soll einer anderen Studentenverbindung angehören und am Abend der Tat als Gast bei der Binger Verbindung übernachtet und dort die rechtsextreme Musik abgespielt haben.“
Die FR hingegen schreibt: „Der mutmaßliche Täter soll im Vereinsheim einer anderen Studentenverbindung in Bingen übernachtet haben.“
Es ist bisher nicht bekannt, welcher Bingener Studentenverbindung das Opfer und welcher Studentenverbindung der Täter angehört, nur, dass er aus Hessen stammt.
Wir berichteten über Bingen zuletzt im November 2019 anlässlich des Landesparteitags der AfD Rheinland-Pfalz. Der damalige stellvertretende Landesvorsitzende Joachim Paul war „Alter Herr“ der „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“ in der „Deutschen Burschenschaft“.
Im Folgenden noch der Artikel der Frankfurter Rundschau:
Polizei verschweigt Messerstiche: „Ausmaß sollte offenbar verschleiert werden“
Ein lebensgefährlicher rechtsextremer Angriff in Bingen wurde zunächst nicht gemeldet. Statistiken erfassen oft nicht alle Gewalttaten.
Bingen/Frankfurt – Im rheinland-pfälzischen Bingen ist ein 20-jähriger Mann durch Messerstiche im Oberkörper verletzt worden, nachdem er sich über das Abspielen rechtsextremer Musik beschwert hatte. Der mutmaßliche Täter ist ein 23-Jähriger aus Hessen. Das hat die Staatsanwaltschaft Mainz der Frankfurter Rundschau auf Anfrage mitgeteilt.
Rechtsextremer Bezug: Messerangriff in Studentenverbindung
Der Vorfall ereignete sich bereits am 15. Februar, wurde seinerzeit aber von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht öffentlich gemacht. Die FR stieß auf ihn, weil die Bundesregierung in einer Statistik einen Fall der versuchten Tötung, der mutmaßlich rechtsextrem motiviert sei, für den Februar gemeldet hatte. Ursprünglich wollte die Regierung das Bundesland, in dem er stattgefunden hatte, nicht benennen verwies dann aber auf Nachfrage doch auf Rheinland-Pfalz.
Nach den Aussagen der Ermittlungsbehörde waren die beiden jungen Männer im Vereinsheim einer Studentenverbindung aneinander geraten. Dort soll der 23-Jährige rechtsextreme Musik abgespielt haben, worüber es zunächst eine „verbale Auseinandersetzung“ gegeben habe. „Im weiteren Verlauf des Geschehens soll der Beschuldigte den Geschädigten mit einem Messer angriffen und ihm Stichverletzungen im Bereich des Oberkörpers zugefügt haben“, teilte die Behörde mit. Die genauen Hintergründe sowie das Motiv des Beschuldigten seien Gegenstand der Ermittlungen.
Das Opfer gehörte den Angaben zufolge der Studentenverbindung an, in deren Vereinsheim die Tat geschah. Der mutmaßliche Täter soll im Vereinsheim einer anderen Studentenverbindung in Bingen übernachtet haben.
„Offensichtlich soll bewusst das Ausmaß rechter und rassistischer Gewalt verschleiert werden“
Das Polizeipräsidium Mainz hat im Februar keine Pressemeldung zu der Tat herausgegeben. Der Sprecher des Präsidiums, Rinaldo Roberto, sagte der Frankfurter Rundschau: „Wir melden nicht alle Fälle.“ Das gelte insbesondere, „wenn die Sachverhaltsaufnahme noch nicht abgeschlossen“ oder „ein Delikt noch nicht klar einzuordnen“ sei“.
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) zeigte sich entsetzt, dass der Fall von den Behörden nicht veröffentlicht wurde, sondern erst durch die FR-Recherche bekannt wird. „Offensichtlich soll hier bewusst das alltägliche Ausmaß rechter und rassistischer Gewalt verschleiert werden“, kommentierte VBRG-Geschäftsführerin Heike Kleffner. Das sei „ein Rückfall in die Verschleierungs- und Verharmlosungspolitik“ der Zeit vor der Selbstenttarnung der rechtsextremen Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im Jahr 2011.
Kein rassistisches Motiv? Versuchte Tötungsdelikte aus dem rechten Milieu
Aus Kleffners Sicht zeigt sich das auch beim Umgang der Behörden mit einem mutmaßlich vorsätzlich gelegten Feuer in einem von geflüchteten Familien bewohnten Haus in Berlin-Pankow. Im Februar war eine 43-jährige Syrerin an den Folgen der Verletzungen gestorben, die sie sich bei dem Brand am 25. Januar zugezogen hatte. Sie hinterlässt ihren Mann und sechs Kinder. Polizei und Staatsanwaltschaft sahen in dem Fall keine Hinweise auf ein rassistisches Motiv.
Im November ging ein 39-Jähriger im saarländischen Neunkirchen mutmaßlich aus rassistischen Gründen mit einem Messer auf einen 23-Jährigen aus Syrien los und verletzte ihn erheblich.
Außerdem wurden 2022 zwei Fälle versuchter Tötungsdelikte durch so genannte „Reichsbürger“ bekannt: Im Februar in Efringen-Kirchen und im April in Boxberg (beide Baden-Württemberg). Sie wurden vom Bundeskriminalamt aber nicht als rechtsextreme Straftaten verzeichnet, sondern wurden als politisch motivierte Kriminalität geführt, deren Charakter „nicht zuzuordnen“ sei.
Auch im vergangenen Jahr gab es in Deutschland versuchte Tötungsdelikte mit mutmaßlich rechter oder rassistischer Motivation. In den monatlichen Statistiken tauchten sie allerdings nicht auf, sondern erst als Nachmeldungen in der Bilanz des Bundeskriminalamts.
So soll ein 32-Jähriger im August 2022 im bayerisch-schwäbischen Krumbach aus rassistischen Motiven versucht haben, einen 33-jährigen Eritreer zu ermorden. Dieser Fall war erst durch Recherchen des Portals „Allgäu rechtsaußen“ öffentlich gemacht und von der Staatsanwaltschaft bestätigt worden.
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