Nach zwei Jahren Corona-Pause und der kurzfristigen Absage im letzten Jahr, findet am Sonntag, den 21. Mai 2023 der alljährliche Burschenfrühschoppen der Tübinger Studentenverbindungen statt. Dieses Jahr aber nicht wie gewohnt vor der alten Burse, sondern am Rande der Stadt, in der in den Jahnallee. Dagegen organisieren wir Protest!
Mit dem Ziel, sich möglichst bürgernah zu geben, treffen sich dort elitäre, männliche Studentenzirkel zum gemeinsamen Bratwurstessen und öffentlichen Biertrinken. Dieser sogenannte „Bürgerfrühschoppen“ löste im Jahr 2008 das bis dahin stattfindende „Maisingen“ der Tübinger Verbindungen ab. Ein kluger Schachzug, die deutschtümlichen Lieder und Fackeln durch ein scheinbar öffentliches Fest an einem Sonntag Mittag einzutauschen und damit korporierte Tradition im Tübinger Stadtbild zu normalisieren.
Trotz neuem Image hin „zu den netten Jungs“ von nebenan, hat sich an der rückwärtsgewandten politischen Ausrichtung und Struktur der Verbindungen nichts verändert: Das Verbindungsmilieu bleibt elitär, rassistisch und patriarchal.
Mit einem sogenannten „Lebensbundprinzip“, also einer lebenslangen Mitgliedschaft, wird in allen Verbindungen sichergestellt, dass die „Alten Herren“ den jungen Studenten in hohe und einflussreiche Positionen der Politik und Wirtschaft verhelfen. Diese Karrierenetzwerke nennt man Seilschaften. Ein Interesse, daran etwas zu ändern und damit die Machtverhältnisse innerhalb unserer kapitalistischen Gesellschaft zu destabilisieren, hat hier keiner. Denn als Teil dieser Seilschaften sind Verbindungsstudenten Profiteure genau dieser Umstände, in denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Sexualität auf- und abgewertet werden. Damit erfüllen sie eine herrschaftsstabilisierende Aufgabe im Kapitalismus und tragen zum Erhalt sozialer Hierarchien bei.
Verbindungen sind „Transfereinrichtung“ reaktionären Gedankenguts: in allen Burschenschaften und in den meisten Verbindungen wird Frauen die Mitgliedschaft untersagt. Auch Verbindungen, die Frauen zulassen oder „Damenverbindungen“ reproduzieren die reaktionären Strukturen und Traditionen der Männerbünde und leben die gleichen patriarchalen elitären Rollenbilder. Frauen gelten als „schmückendes Beiwerk“ und „Quelle der Nation“, deren natürliche Berufung häusliche Reproduktionsarbeit sei. Männern hingegen wird zugesprochen, tapfer und tugendhaft den öffentlichen Raum dominieren zu müssen.
Obrigkeitstreues, autoritäres Denken und Handeln, Befehl und Gehorsam: In allen Verbindungen gibt es hierarchische Strukturen und abgestufte Mitgliedschaften. Neulinge, oft Füchse genannt, müssen ganz unten in der Hackordnung anfangen und sich durch schikanierende Aufnahmerituale beweisen und hoch arbeiten.
Offenkundige rassistische Regularien oder andere menschenfeindliche Aussagen in der Öffentlichkeit haben erst nach breiter medialer Berichterstattung nachgelassen. Vor wenigen Jahren noch verlangte der Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) eine Art „Ariernachweis“ von seinen Mitgliedern. Auch Tübinger Burschenschaften waren Teil der DB und haben diese erst wegen des schlechten Images verlassen. Trotzdem gibt es weiterhin freundschaftliche Verbindungen zu Burschenschaften des DB.
Auch „liberale“ oder „gemäßigte“ Bünde distanzieren sich in Tübingen nicht von ultrarechten Verbindungen mit direkter Nähe zur „AfD“ und der „Identitären Bewegung“, im Gegenteil: sie organisieren sich gemeinsam im „Arbeitskreis Tübinger Verbindungen“ (AKTV). Egal, wie vermeintlich „gemäßigt“ und „unpolitisch“ sich „liberale“ Verbindungen präsentieren, de facto sind auch sie elitär, rechtsoffen und dulden Nazis/Rechte in ihren eigenen Reihen. Rechte Parteien und Organisationen skizzieren ein Gesellschaftsentwurf, wie er im Verbindungsmilieu bereits täglich gelebt wird: Sexismus, reaktionäres Gedankengut, straffe Hierarchie und Begünstigung der Privilegierten. Es ist daher nicht überraschend, sondern politisch konsequent, dass viele Funktionsträger in der „AfD“, ihrer Jugendorganisation „JA“ und Akteure anderer Zusammenhänge der Neuen Rechten Verbindungs-Hintergrund haben.
Auch in den Tübinger Verbindungen geben sich Rechte die Klinke in die Hand und werden als Gäste empfangen. An Beispielen wie Dubravko Mandić (ehemals Teil des faschistischen „Flügels“ in der AfD), oder Jonathan Rudolph (ehemals Ortsgruppenleiter der „Identitären“), die sich beide im Verbindungsmilieu in Tübingen herumgetrieben haben, zeigt sich, dass Verbindungen einen fruchtbaren Nährboden für verschiedenste Rechte darstellen und hier ein Ort besteht, in dem reaktionäre Strukturen und Ideologien überleben und sich entwickeln können.
Wozu das führt, verdeutlichten unter anderem rechte Schmierereien in der Stadt und Angriffe auf Wohnprojekte und Antifaschist*innen. Rassistische und sexistische Übergriffe von Burschis sind keine Seltenheit.
Als Antifaschist*innen müssen wir hinter die Fassade von Verbindungen als studentische Männer-WGs mit Faible für lustige Kostüme und Vornehmtuerei gepaart mit Trinkspielen blicken. Und sie als das begreifen, was sie darstellen:
Als Gefahr für Emanzipation. Als Aufrechterhaltung elitärer Hierarchien. Als Nährboden für rechtes Gedankengut und als reaktionäre Infrastruktur.
Lasst uns den Burschis nach drei Jahren Pause endgültig die Lust an ihrer jährlichen Selbstinszenierung nehmen: Lasst uns rechten „Eliten“ keine Plattform bieten!
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