Rechtkonservative Partei PiS verliert bei Wahlen mit hoher Beteiligung ihre Mehrheit
Bei den Wahlen in Polen am Sonntag hat die seit acht Jahren regierende rechtskonservative Partei PiS offenbar ihre Mehrheit verloren. Unklar war aber am Montag mittag noch das Ausmaß der Niederlage. Nachwahlumfragen und offizielle Teilergebnisse ergaben ein widersprüchliches Bild.
Klar ist, dass die PiS stärkste Kraft geblieben ist. Ihre Werte lagen in der Nachwahlumfrage bei knapp 37 Prozent, stiegen in der Nacht bis auf etwa 42 Prozent und gingen im Laufe des Vormittags nach Auszählung von knapp 60 Prozent der Wahllokale auf 37,8 Prozent zurück. Die stärkste Kraft der Opposition, die »Bürgerkoalition« unter Donald Tusk, erhielt in der Nachwahlumfrage knapp 32 Prozent; nach einem Auszählungstief von 26 Prozent stieg der Wert wieder und lag am Mittag bei etwa 28 Prozent. Für die Linkspartei wurden acht bis neun Prozent veranschlagt.
Entscheidend für den sich abzeichnenden Mehrheitswechsel sind drei Dinge: erstens das gute Abschneiden der liberalkonservativen Bewegung »Dritter Weg«, die am Montag mittag 14,4 Prozent verbuchen konnte, zweitens das schwache Abschneiden der nationalistisch-marktradikalen »Konföderation« mit 7,3 Prozent und drittens der Umstand, dass keine angetretene Partei den Einzug ins Parlament verfehlte, wovon proportional die PiS als stärkste Kraft am meisten profitiert hätte. Die Wahlbeteiligung erreichte mit knapp 74 Prozent den höchsten Wert seit 1989.
Die Schwankungen bei den Zwischenergebnissen sind für Polen normal. Die Zentrale Wahlkommission gibt die Resultate stufenweise bekannt, die ihr aus den Wahllokalen vorliegen. Das sind zuerst die in kleinen Landgemeinden, in denen es nur wenige Wähler gibt. Je größer die Ortschaften, desto höher die Zahl der auszuzählenden Stimmen in den einzelnen Bezirken und desto länger die dafür benötigte Zeit. Vertreter aller Oppositionsparteien machten sich deshalb Hoffnungen, dass sich mit dem Eintreffen der Resultate aus den Großstädten die Zahlen noch zu ihren Gunsten verändern. Das Endergebnis wird am Dienstag oder Mittwoch erwartet.
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In der Schwebe – Wahl in Polen
Ob in Polen wirklich, wie am Montag früh Spiegel online jubelte, »die liberale Demokratie gesiegt« hat, muss sich erst noch herausstellen. Die Auszählung entwickelte sich im Laufe des Montags zum Krimi. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass Jarosław Kaczyński mit seiner raunenden Ankündigung vom Wahlabend, seine Partei habe die Wahl gewonnen, müsse nun aber sehen, wie sie weiterregieren könne, den Übergang zu nicht völlig rechtsstaatlichen Methoden andeuten wollte. Das Schlimme ist, dass man in einem Land wie Polen nach acht Jahren PiS-Regierung inzwischen nichts mehr ausschließen kann.
Großer Gewinner des Wahlabends ist nicht die »Bürgerkoalition« von Donald Tusk, sondern das erstmals gestartete liberalkonservative Bündnis »Dritter Weg« des ehemaligen TV-Moderators Szymon Hołownia und der auf eigene Rechnung nicht mehr lebensfähigen Bauernpartei PSL. Die Gruppierung schaffte es locker über die für Listenverbindungen geltende Achtprozenthürde und landete mit 13 bis 14 Prozent auf Platz drei. Hołownia nahm für seine Organisation in Anspruch, Stimmen von der PiS enttäuschter Konservativer eingesammelt zu haben. Da mag etwas dran sein. Die Folge ist, dass selbst dann, wenn es letztlich zu einer Regierung der bisherigen Opposition kommen sollte, progressive gesellschaftspolitische Veränderungen schwerfallen dürften, etwa in der Geschlechterpolitik, in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs oder bei der Auflösung der »Allianz von Thron und Altar«.
Wer einen solchen Bündnispartner hat, muss sich über den zu erwartenden hinhaltenden Widerstand des Staatspräsidenten und PiS-Politikers Andrzej Duda sowie des PiS-kontrollierten Verfassungsgerichts die geringeren Sorgen machen. Dass mit solchem Widerstand zu rechnen ist, machte Dudas Staatssekretär Andrzej Dera schon am Wahlabend klar, als er ankündigte, Duda wolle »gemäß guter parlamentarischer Sitte« zuerst die stärkste Partei – die PiS – mit der Regierungsbildung beauftragen. Obwohl die Kaczyński-Partei niemanden hat, mit dem sie koalieren könnte. Es geht hier offenkundig darum, Zeit zu gewinnen, um in den Ministerien die Festplatten zu putzen und die Reißwölfe in Gang zu setzen.
Enttäuschend ist das Abschneiden der polnischen Linkspartei. Der Jubel von Parteichef Włodzimierz Czarzasty vom Wahlabend, nun könne die Linke erstmals seit 30 Jahren wieder mitregieren, wird schal angesichts des Umstands, dass nach Auszählungsstand von Montag mittag nicht einmal klar ist, ob Czarzasty selbst ein Mandat erhalten hat. In seinem Wahlkreis in der Stadt Sosnowiec zog ein bisher völlig unbekannter Kandidat deutlich an ihm vorbei. Mitregieren wird die Linke sicherlich können, weil – und solange – sie von den Liberalen zur Mehrheitsbeschaffung – für deren Programm – gebraucht wird. Wie man sich darüber freuen kann, die eigene Fraktion von bisher 49 auf etwa 30 Abgeordnete reduziert zu sehen, bleibt dabei ein Rätsel.
Stratege des Tages: Jarosław Kaczyński
Wo Polen auf dem Weg von Warschau nach Kraków hügelig wird, liegt die Wojewodschaft Świętokrzyskie. Zu deutsch: Heiligkreuz, benannt nach einem bis auf 612 Meter aufsteigenden Mittelgebirge, auf dessen höchster Erhebung, dem »Kahlen Berg«, mitten in einem Naturschutzgebiet, ein katholischer Orden mit Sondergenehmigung ein Pilgerzentrum samt Busparkplatz in die zu schützende Natur betonieren durfte. Polen also, wie man es sich vorstellt.
Naheliegenderweise ist eine so aufgestellte Gegend eine Hochburg der PiS. Also müsste es doch ein Leichtes sein, über die zehn Mandate der letzten Wahl hinaus noch ein elftes herauszuholen, dachte sich Parteichef Jarosław Kaczyński und beschloss, im Wahlkreis Heiligkreuz zu kandidieren. Böse Zungen kolportierten alsbald, er scheue die direkte Auseinandersetzung mit dem in Warschau angetretenen Donald Tusk. Nicht ohne Grund: Tusks »Bürgerkoalition« holte im Warschauer Intelligenzlerviertel Żoliborz, wo Kaczyński seit Jahrzehnten lebt, am Sonntag 45 Prozent, die PiS 18.
Was aber erwies sich nach Schließung der Wahllokale? Anstatt das elfte Mandat für die PiS im Heiligkreuzer Gebiet zu holen, verlor die PiS zwei der Sitze, die sie 2019 noch errungen hatte. Spitzenkandidat Kaczyński kam zwar rein, aber der hintere Teil der Liste musste Federn lassen. Vor allem deshalb, weil Kaczyński offenbar so viele Anti-PiSler von den Sofas geholt hatte, dass ihm die hohe Wahlbeteiligung zum Verhängnis wurde. Selbst im Land des Heiligen Kreuzes.
Das sind Anzeichen dafür, dass sich jemand langsam wirklich vorwiegend um Enkel – die Dauersingle Kaczyński nicht hat – oder Haustiere – er teilt das Haus mit einer Katze – kümmern sollte. Denn Fehler zum Nachteil der eigenen Seite verzeiht gerade ein Führerkultverein wie die PiS auf Dauer nicht.