Am 12. Januar hatte die AfD zum ersten mal das Nachbarschaftshaus Rheinau für eine Veranstaltung angemietet. Martin Hess (MdB) referierte auf Einladung des AfD Kreisverband Mannheim zum Thema „Innere Sicherheit“.
Gegen die Veranstaltung organisierte sich Protest aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Rheinauer*innen protestierten gegen die Nutzung ihres Bürgerhauses durch die faschistische Partei, antifaschistische Initiativen organisierten eine Gegenkundgebung und die Stadt distanzierte sich deutlich von der AfD Veranstaltung in ihren Räumen.
Im Spießrutenlauf zur AfD
300 bis 400 Menschen dürften es gewesen sein, die sich vor Beginn der Veranstaltung am Rheinauer Ring versammelt hatten. Einige kamen als Demonstrationszug bei der Kundgebung an und brachten gute Stimmung mit. Eine Stunde lang, vor dem offiziellen Beginn der AfD Veranstaltung, wurde der Eingangsbereich vor dem Nachbarschaftshaus belagert – sehr zum Ärger der Rechten.
Die große Menge der Gegendemonstrant*innen, die sich mit ihren Bannern vor dem Eingang zum Nachbarschaftshaus aufstellten, hatte zur Folge, dass die einzeln ankommenden AfD-Anhänger*innen durch ein Spalier laufen mussten und ausgebuht wurden. „Nazis raus“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“ mussten sich die meist älteren Herren anhören. Manche versuchten stattdessen unauffällig durch die Büsche zu kommen, einer stolperte unter großen Gelächter über seine eigenen Füße.
Über die Straßenkreuzung hallten die Redebeiträge der teilnehmenden Organisationen, darunter das Offene Antifaschistische Treffen (OAT), die VVN-BdA, die Initiative Soziale Kämpfe, die Interventionistische Linke und der Aktivist Richard Brox.
„Man kann sich leicht vorstellen, was heute Abend unter dem Stichwort „Innere Sicherheit“ verhandelt wird. Rassismus gegenüber „Fremden“ und vor allem migrantischen Jugendlichen, Abscheu gegenüber Armen und Obdachlosen, Wegsperrbestrebungen gegenüber psychisch kranken Personen“ kommentierte das OAT die Veranstaltung mit dem Referenten Martin Hess, den die AfD als ehemaligen Polizeihauptkommisar präsentierte.
Nachbarschaftshaus Rheinau – Verwechslungen um den Veranstaltungsort
Verwirrung hab es um den Veranstaltungsort. Das Nachbarschaftshaus Rheinau ist ein städtisches Gebäude, in dem ein Jugendhaus und ein Elternkindzentrum untergebracht ist. Mitarbeiter*innen der Einrichtung und städtische Verantwortliche waren entsetzt über die Veranstaltung, richtet sich die AfD doch gegen die Bemühungen, die dort angestellt werden: die Integration der im Stadtteil lebenden Menschen, die Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Menschen aller Nationen und Kulturen und das Hochhalten gesellschaftlicher Diversität.
Der Versammlungssaal des Bürgerhauses ist unter dem selben Dach, hat formal aber nichts mit Jugendhaus und Elternkindzentrum zu tun. Die Vermietung des Versammlungssaals ist Aufgabe des Freien Trägers Verein Mannheim-Rheinau e.V.
So kam es, dass sich die Stadt mit einer Erklärung von der AfD Veranstaltung distanzierte und Kinder und Jugendliche aus dem Jugendhaus Bilder und Statements gegen Rassismus in die Fenster hängten. Direkt neben dem Eingang zur AfD Veranstaltung projizierten städtische Mitarbeiter*innen Botschaften an die Wand, die dem rassistischen Programm der AfD widersprachen: Die Erklärung des Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt, die UN Kinderrechtskonvention und Statements aus dem Jugendhaus, zum Beispiel „Diversität ist eine Bereicherung. Wir alle profitieren von unseren Unterschiedlichkeiten.“
Offenbar gute Zusammenarbeit zwischen AfD und neuem Trägervereinsvorstand
Rüdiger Ernst (AfD Stadtrat) bedankte sich zu Beginn der Veranstaltung ausdrücklich bei Elvira Winterkorn, die zusammen mit Heike Carlucci den Vorstand des Trägervereins des Bürgerhauses bildet, für deren Engagement und Unterstützung. Die beiden Frauen sind seit einiger Zeit die Vorsitzenden und damit verantwortlich für die Überlassung des Veranstaltungssaals.
Die Vermietung der städtischen Bürgerhäuser an die AfD ist nicht unumstritten. Die Stadt hat ihre Bürgerhäuser zur Verwaltung an Freie Träger abgegeben und ist damit aus der direkten Verantwortung heraus. Dennoch hat die Stadt bereits vor einigen Jahren die Trägervereine dazu aufgefordert, an „alle“ Parteien zu vermieten, die nicht verboten sind. Das ist bei den Trägervereinen umstritten. Einige weigern sich weiterhin, an die faschistische Partei zu vermieten.
Drinnen im Saal: Populismus und Rassismus
Die AfD Mannheim nutzte die Veranstaltung, um für die Kommunalwahl 2024 zu werben. Rüdiger Ernst, Kandidat auf Listenplatz 1, eröffnete die Veranstaltung und stellte sich und die weiteren Kandidat*innen bis Platz 10 vor, von denen bis auf zwei alle anwesend waren.
Mit vielen Zahlen, Statistiken und den bekannten populistischen Argumentationsmustern stellte Hauptreferent Martin Hess seine Sicht der politischen Lage dar. Migration wird als Ursache gesellschaftlicher Probleme angesehen. Politisch verantwortlich seien die „Altparteien“, aktuell die Ampel-Regierung. Sie wolle dem Volk mit Hilfe der von ihnen kontrollierten Medien ihre Ideologie verkaufen. Aber bei den „mündigen Bürgern“ (soll heißen den AfD Anhänger*innen) funktioniere das nicht mehr. Als Beleg bringt Hess die Bauernproteste und die Diskussion um die Personalie Aiwanger.
Zur aktuellen Diskussion um ein Treffen von hohen AfD Funktionären mit Vertreter*innen von „Identitären“, Werte Union und vermögenden rechtsextremen Unternehmern, bei dem es um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland aufgrund von rassistischen Kriterien ging, folgte Hess seiner Parteilinie. Es sei ein rein privates Treffen gewesen. Er ergänzte: Das Medium Correctiv berichte so, wie es die Bundesregierung erwarte, deshalb sei es eine „Lügengeschichte“.
Auch in Zukunft soll es weiter Proteste geben
Man weiß nie was passieren wird – und diesmal war der antifaschistische Protest gegen die AfD Veranstaltung wieder ein voller Erfolg. Viele der Rechten dürften das Nachbarschaftshaus nicht gerade in guter Erinnerung behalten und werden sich wahrscheinlich freuen, wenn die Sanierungen im Schützenhaus Feudenheim abgeschlossen sind.
Das OAT und weitere beteiligte Organisationen kündigten an, auch in Zukunft der rechten Partei keine ruhigen Rückzugsorte zu überlassen und immer wieder mit öffentlichem Protest auf die faschistisches Gefahr aufmerksam zu machen. Die Kommunalwahl im Juni wird dazu viele Gelegenheiten bieten.
Rede des OAT Mannheim:
Wir schreiben das Jahr 2024 und weltweit werden etwa 4 Milliarden Menschen zu Wahlen aufgerufen, also etwa die Hälfte der Weltbevölkerung. In vielen Ländern sind bewährte Kräfteverhältnisse am Schwanken oder reaktionäre, autoritäre und faschistoide Akteure drohen massiv an Einfluss zu gewinnen. Beispielhaft dafür zeigen aktuelle Umfragen im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Höchstwerte für die AfD.
Diese Werte kommen sicher nicht zu Stande, weil die AfD überzeugende Lösungen für die massiven gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit parat hält. Aber sie werden sicher dadurch befördert, dass wir ausgerechnet in Zeiten massiver sozialer, ökologischer und existenzieller Krisen und zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen, eine Bundesregierung haben, die nicht in der Lage ist, diesen Krisen nachhaltig zu begegnen. Statt diesen Umstand in eine starke Opposition ummünzen zu können, ist die parlamentarische Linke marginalisiert und Konservative bis Rechte feiern sich ausschließlich dafür, nicht die Ampel zu sein, ohne wirklich eigene Ideen einzubringen, wie die zunehmende ökonomische Ungerechtigkeit aufgehalten werden kann, der Verschleiß der Infrastruktur aufgehalten und damit der Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen abgewendet werden könne, oder wie die steigenden Kosten für Schäden durch den Klimawandel von allen getragen werden können.
Wäre es nicht so tragisch und würden nicht Millionen von Schicksalen davon betroffen sein, könnte man es fast für eine Komödie halten. Tatsächlich wenden sich zurecht immer mehr Bürger:innen von diesem Schauspiel ab und die AfD, bisher selbst nur im Zuschauerraum, profitiert allein durch ihre permanenten Buh-Rufe und reibt sich die Hände. Bessere Bedingungen für Rechtspopulist:innen und Faschist:innen, kann man sich kaum vorstellen. Vom Parlamentarismus geht zumindest in Deutschland gerade wenig Hoffnung aus.
Umso wichtiger ist daher das zivile Engagement zu stärken und sich den rechten in den Weg zu stellen, wo es nur geht. Deswegen sind auch wir heute Abend hier an diesem Ort, der im Namen „Nachbarschaftshaus“ irgendwie nach Zusammenhalt und Solidarität klingt, der das Jugendhaus Rheinau beherbergt, in dem sich Jugendliche aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen begegnen und engagieren, aber der heute Abend für die rechte Hetze der AfD herhalten muss.
Dass der Redner allein dadurch, dass er Polizeibeamter ist, hier als Autorität für Sicherheitsfragen dargestellt wird, wirkt besonders absurd, da wir vor drei Wochen erst wieder erleben mussten, dass die Polizei für viele Menschen eher das Gegenteil darstellt. Man kann sich leicht vorstellen, was hier heute Abend unter dem Stichwort „Innere Sicherheit“ verhandelt wird. Rassismus gegenüber „Fremden“ und vor allem migrantischen Jugendlichen, Abscheu gegenüber Armen und Obdachlosen, Wegsperrbestrebungen gegenüber psychisch kranken Personen.
Und wenn uns die Geschichte autoritärer Sicherheitsfantasien eines lehrt, dann dass sich die Liste der Menschen, die zu zum Ziel von Überwachung, Verfolgung und Repression oder Ausgrenzung werden immer mehr erweitert, bis kaum jemand mehr davor „sicher“ sein kann. Welche Gruppen dabei am ehesten in den Fokus geraten, lässt sich jedoch nicht nur aus Äußerungen von AfD-Politiker:innen und dem dahinter liegenden Menschenbild ableiten. Fragen zur „inneren Sicherheit“ sind seit je her mit der sozialen Frage verknüpft. Kriminalitätsdiskurse haben immer schon dazu gedient, die arbeitenden Massen zu disziplinieren und mit dem Fingerzeig auf bestimmte Gruppen diejenigen zu markieren, die als allgemeine Gefahr für die Gesellschaft gesetzt, oder als Schuldige für zunehmende Armut und Abstiegsängste verantwortlich gemacht werden sollen.
Es ist kein Zufall, dass unsere Gefängnisse voll sind mit Angehörigen der Unterschicht und lohnabhängigen Klasse, während Ausbeuter und Steuerbetrüger vor ihrem Kamin oder im Privatjet sitzen und überlegen, ob mal wieder vor den Paschas oder doch den Sozialbetrügern gewarnt werden müsste.
Und zur gleichen Zeit sitzen Faschisten und Menschenfeinde zusammen und überlegen bereits, wie man gegen möglichst viele Menschen vorgehen und sie beseitigen kann, weil sie entweder die falsche Herkunft oder die falsche Meinung haben. Man mag fast schon den Kopf schütteln darüber, dass es überhaupt noch solche Enthüllungen wie die des Geheimtreffens zwischen AfD und Identitärer Bewegung braucht, um davon zu überzeugen, dass die AfD eine Partei gegen die Demokratie, gegen die Mehrheit der Menschen und gegen die Lösung der Krisen unserer Zeit ist.
Fest steht aber leider auch, dass viele Menschen die AfD nicht trotz solcher menschenverachtenden Ideologie wählen, sondern genau deswegen. Weil die Zeiten für viele immer härter werden und sie sich von der Politik keine Lösungen mehr versprechen. Das ist auch nicht erst seit der Ampelkoalition so, sondern reicht zurück über die gesamte Merkel-Aera, die Agenda2010, die nie eingestandenen Fehler bei der Wiedervereinigung und generell die neoliberale Hegemonie seit den 1980er Jahren. Das zeigt uns, dass allein von der Politik nicht viel zu erwarten ist. Ob gegen die Härten der aktuellen Krisen oder das Erstarken rechter Kräfte- wir müssen uns organisieren und Solidarität wieder zu etwas Erlebbarem machen. Wir müssen uns organisieren, um uns selbst zu schützen, vor denen die es auf uns abgesehen haben. Wir müssen uns organisieren, um der Hoffnung wieder Kraft zu verleihen, dass bessere Verhältnisse möglich sind. Dafür kämpfen auch wir beim Offenen Antifaschistischen Treffen Mannheim und laden euch alle ein, ein Teil davon zu sein.