In Schorndorf hat sich am vergangenen Mittwoch die AfD zum Neujahrs-Bürgerdialog getroffen. Die Partei bemühte sich nach den Recherchen zu Deportationplänen um Schadensbegrenzung. Neues gab es vom rechten Verein „Zentrum“, früher „Zentrum Automobil“.
Außen ist es laut und bunt, innen eher von gestern. Die Reihen beim Neujahrs-Bürgerdialog der AfD-Landesgruppe Baden-Württemberg sind auffällig licht besetzt. Die FAZ hatte jüngst berichtet, nach Angaben der Partei stapelten sich die Parteieintritte, in Schorndorf vergangene Woche sieht nichts danach aus. Die „Correctiv“-/Greenpeace-Recherche zum Treffen in Potsdam, bei dem AfDler mit anderen Rechtsextremen Massendeportationen besprachen, und die darauf folgenden riesigen Demonstrationen scheinen vielmehr eingeschlagen zu haben. Die Parteifunktionäre auf der Bühne mühen sich, geradezurücken, was nicht geradezurücken ist.
Marc Bernhard, Sprecher der Landesgruppe, läutet den Abend ein. Er spricht von „aggressiven Brüllaffen“, die draußen vor der Tür „Rabatz“ machten. Zwei der etwa 3.000 Anti-AfD-Demonstrierenden vor der Halle haben es durch die Türkontrolle geschafft und werden unter „Alerta“-Rufen wieder rausgeworfen. Da sehe man wieder, ruft Bernhard, wie tolerant „die“ seien! Sobald einer eine andere Meinung habe, werde er angegriffen. Im Grunde von allen, zeigt sich in den Reden an diesem Abend: von jungen Menschen, alten Menschen, Kirchen, Gewerkschaften, Verfassungsschutz, Medien, allen anderen Parteien.
Gegen die AfD herrsche „eine regelrechte Pogromstimmung“, ist sich auch Christina Baum sicher, ehemalige Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg und seit 2021 im Bundestag. Die Zahnärztin und Vertraute von Björn Höcke, Wahlkreis Odenwald-Tauber, hat es während Corona zu bundesweiter Bekanntheit gebracht, ihr Kampf gegen die „sogenannte Impfung“ war ihr Auftrieb. Zum Stichwort „Remigration“ sagt sie auf der Bühne der Barbara-Künkelin-Halle: Es brauche in einer Gesellschaft Menschen mit Idealen, die gegen den Strom schwimmen. Was vom Ansatz her gut zu diesem Veranstaltungsort passt.
Barbara Künkelin und die Weiber von Schorndorf
Namensgeberin Barbara Künkelin war auch eine, die gegen den Strom schwamm. Als sie 1688 hörte, dass dem französischen General Comte de Mélac im Pfälzischen Krieg die Festung in Schorndorf übergeben werden sollte, rief sie die Frauen im Ort zusammen, stürmte mit ihnen das Rathaus und verhinderte die Übergabe. Sie ging als Anführerin der „Weiber von Schorndorf“ in die Stadtgeschichte ein. Es gibt sogar einen Barbara-Künkelin-Preis, der seit 1983 an Frauen für Leistungen verliehen wird, „die gegen den Zeitgeist, jedoch sinnvoll, wichtig, innovativ und in die Zukunft gerichtet sind“.
Im vergangenen Jahr beispielsweise an die Tübinger Ärztin Lisa Federle für ihren Einsatz gegen Corona, für Test- und Impfstrategien. Oder an die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali: „Sie ist eine leidenschaftliche Streiterin für Weltoffenheit und Toleranz; ein Vorbild in Sachen Zivilcourage; eine prominente und geachtete Stimme im Kampf gegen den Rechtsextremismus“, hieß es 2021 in der Laudatio. Auch die Journalistin Anja Reschke stand schon auf dieser Schorndorfer Bühne. Für ihren vielbeachteten „Tagesthemen“-Kommentar im Januar 2015 über die Hetze gegen Geflüchtete und gegen das Vergessen der deutschen Schuld an der Shoah.
Nun steht da Jürgen Braun, menschenrechtspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Wahlkreis Waiblingen, und schimpft wie ein Rohrspatz. Erwartbar über Windräder im Schurwald, E-Autos und „diese linken Typen und die Medien“, sie seien die Verharmloser des Holocaust. Marc Jongen, Wahlkreis Neckar-Zaber und mit drei Staatsbürgerschaften einer, der sich aussuchen kann, wohin er im Falle des Falles remigriert wird, hat als Ober-Antisemitin Claudia Roth ausgemacht, auch das ein arg abgehangenes Feindbild. Jongen gilt als Partei-Philosoph und beklagt, dass sich Kinder zu Fasching nicht mehr als Indianer verkleiden dürften und es keine Mohren-Straßen mehr gebe. Gähn.
Malte Kaufmann, Wahlkreis Heidelberg, versteigt sich kurz darauf in eine persönliche Geschichte: Er spiele im FC Bundestag mit, auf „rechts außen“ – haha – und im Oktober, nach dem Hamas-Angriff, war Solidaritätsspiel gegen den jüdischen Verein TuS Makkabi Berlin. Nach dem Match hätten die Spieler gefragt, welcher Partei Kaufmann denn entsprungen sei. AfD, antwortete der. Und die Fußballer hätten „unisono“ gesagt, er sei der Richtige: „Sie sind der Politiker, der uns schützt.“ Eine Anfrage beim Berliner Fußballverein ergibt: glatt gelogen.
Die Verunsicherung scheint groß
Nahezu alle Redner versichern an diesem Abend inbrünstig: Niemals wolle die AfD alle Migrant:innen abschieben, schon gar nicht die mit deutschem Pass! Oder solche, die Steuern zahlen! Die sich an das Grundgesetz halten! Die Berichterstattung über die Potsdamer Pläne sei gelogen, erfunden, übertrieben, aus dem Zusammenhang gerissen, was alles ziemlich hilflos klingt. Einer der Redner beklagt sich, dass er mittlerweile ständig AfD-Wähler:innen am Telefon habe, die Sorge hätten, auch bald aus dem Land geworfen zu werden. Die Verunsicherung sei groß, sagt er.
Am Ende des Abends gibt’s schließlich persönliche Gespräche mit Politikern an Stehtischen. Und dann wird’s interessant.
Redner auf der Bühne war auch Dirk Spaniel, Wahlkreis Stuttgart I, verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und ständig als Botschafter des Verbrennermotors unterwegs („Mit uns behalten Sie ihr Auto!“). Wo Dirk Spaniel ist, ist grundsätzlich auch Oliver Hilburger, Chef und Gründer des rechten Vereins „Zentrum“, vormals „Zentrum Automobil“, der eine Gewerkschaft sein will und seit einigen Jahren versucht, in der Autoindustrie im Land und bundesweit Fuß zu fassen. Seit Corona auch in Pflegeberufen. Auch in Schorndorf sitzt Vereins-Chef Hilburger im Publikum. Der Mann ist Heilpraktiker, früher war er Rechtsrocker („Noie Werte“). Verbindungen und Freundschaften von Zentrums-Mitgliedern und -Vorstand bestehen unter anderem zur rechtsextremen Kleinpartei „Dritter Weg“, zum rechtsextremen Kampagnen-Verein „Ein Prozent“ und zur NPD, neuerdings „Die Heimat“.
AfD-Bundessprecherin Alice Weidel gefällt das nicht. Sie und der AfD-Vorstand hatten den Verein sogar mal auf die Unvereinbarkeitsliste der Partei gesetzt. Damals hieß es in einem Sitzungs-Protokoll: „Nahezu der komplette Vorstand des Zentrum Automobil e.V. (…) besteht aus Personen, die sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen.“ Der Verein sei „toxisch“. Dirk Spaniel allerdings, Weidels Erzfeind aus Baden-Württemberg, hat es mit Unterstützung des ehemaligen „Flügels“ wenig später geschafft, das Zentrum wieder von der Liste streichen zu lassen. Will heißen: Zentrum, der Arm der AfD in Betriebe, ist ein Zankapfel.
Wer hat Martin Sellner nach Potsdam gefahren?
Plötzlich entspinnt sich im Foyer der Künkelin-Halle ein bemerkenswerter Vorgang. Beim Get-Together steht ein Bürger an einem Tisch und trinkt ein Bier. Frage: „Was müssten denn andere Parteien anbieten, damit Sie nicht AfD wählen?“ Der Mann freut sich sichtlich, dass er gefragt wird. Er wünsche sich, dass Menschen in Rente ihren Lebensstandard halten können. Vor allem diejenigen, die produktiv arbeiten. Das Gespräch wendet sich dem Thema Presse zu, er ist medienskeptisch, auch die Vorgänge rund um das Treffen in Potsdam seien anders gewesen als dargestellt. Und dann erzählt er: Wie er „den Sellner“, Martin, führender Aktivist der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Österreich, nach Potsdam zu besagtem Treffen gefahren habe. Wie die Presse falsch berichten würde über das, was dort besprochen wurde und wie doch allen längst bekannt sein könnte, welche Pläne „der Sellner“ zum Thema „Remigration“ ausgearbeitet habe. Seit Jahren erzähle der schon von seinen Ideen!
Entschuldigung, nochmal nachgefragt: Sie haben Martin Sellner zur Potsdam-Konferenz gefahren? Ja, der sei ein Kumpel, sagt der Mann, und Kumpels fahre „der Jaus“ schon mal. Plötzlich steht Oliver Hilburger hinter ihm. Und damit die Erkenntnis: Der Bürger ist Hans Jaus, Zentrum-Verein. Ja, sagt Jaus, genau. Ob man sich kennen würde? Ein Kontext-Visitenkärtchen wandert über den Tisch, damit er weiß, mit wem er spricht.
Jaus redet viel, diskutiert engagiert. 2021 haben die „Freien Sachsen“ aus Chemnitz ihn als Vertreter der Stuttgarter Möchtegern-Gewerkschaft zum You-Tube-Interview eingeladen, eine Neonazi-Organisation, die vom Umsturzt, mindestens aber von einem „Säxit“ träumt. Früher war Jaus Kassierer bei der heute verbotenen „Wiking-Jugend“, einer neonazistischen Jugendorganisation. Bis 2023, so steht es im Vereinsregister, hatte er diese Funktion beim Zentrum-Verein.
Er habe Martin Sellner erst kürzlich in Nürtingen bei einer Lesung getroffen, plaudert Jaus, da hätten sie die Fahrt nach Potsdam zwei Wochen später ausgemacht. Auch, um sich im Auto unterhalten zu können. Und in der Tat war Sellner in Nürtingen, am 10. November 2023.
Zwei Tage später am Telefon bestätigt Jaus seine Geschichte noch einmal, und nein, er habe nicht nur angegeben. Man könne ihm Fotos vorlegen, er wissen genau, wer beim Treffen in Potsdam war und wer nicht, lacht er. Wichtig ist ihm, dass er die Sellner-Fahrt unentgeltlich unternommen habe, denn wenn in der Zeitung stünde, er habe Geld bekommen, was er nicht hat, käme gleich das Finanzamt. Also: unentgeltlich, ein Freundschaftsdienst, privat. Als die Sprache auf seine absolut offensichtliche Verbindung zu Zentrum kommt, wird er grantig. Das sei gemein, sagt er, man wolle nun Dritte mit reinziehen und solle dieses „Detail“ bitte weglassen.
Mail-Anfrage bei Martin Sellner: Hat Hans Jaus Sie nach Potsdam gefahren? Sellner schreibt: Er wolle „dazu nichts sagen, sondern verweise auf das was Hr. Jaus sagen und öffentlich machen wollte.“
Mail-Anfrage bei Zentrum: Hat Hans Jaus, Mitglied und ehemaliger Vereins-Vorstand, Martin Sellner nach Potsdam gefahren? Oliver Hilburger antwortet persönlich, schimpft auf die IG Metall und dass niemand über deren „Verstrickungen ins linksextremistische Milieu“ berichte. „Wenn aber diverse Schlagworte fallen, sorgt das mit an Sicherheit grenzender Berechenbarkeit für Ihr Interesse. So geschehen mit dem frei erfundenen Testballon ‚Fahrer für Martin Sellner‘. Dieser Vorgang belegt lehrbuchmäßig, wie einseitig und vor allem wie interessengesteuert ihre Berichterstattung vorgenommen wird.“
Auch Hans Jaus schreibt nochmal: Von einem „erkennbar konstruierten Detail, welches als Honigfalle offenkundig funktioniert hat.“ Und weiter: „Alles was sie zum Thema Potsdam gehört haben war, aus oben genanntem Grund, ausgedacht. Ich war im November 2023 nicht annähernd in der Nähe von Potsdam und habe auch keinen der Teilnehmer des Potsdamertreffens vom 25.11.2023 als Fahrer gedient.“
Wie gut, dass das geklärt ist. Denn hätte Hans Jaus von Zentrum, das sich so sehr einsetzt für die Kollegen bei Mercedes, „den Sellner“ wirklich nach Potsdam gefahren, hätte das Alice Weidel sicher nicht gefallen.