Ungarns rechtsdrall

Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg bis 1945

Mit dem Ende des ersten Weltkriegs brachen monarchistische Imperien in Europa zusammen. Das Deutsche Kaiser­reich, das russische Zarenreich und die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hörten auf zu existieren und eine Vielzahl von Nachfolgerstaaten entstanden.

In der ungarischen „Astern-Revolution“ wurde Mihály Károlyi am 31. Oktober 1918 neuer Ministerpräsident. Redefreiheit und Wahlrecht für Männer und Frauen wurden eingeführt. Doch als Verlierer des Ersten Weltkriegs musste Ungarn laut dem Vertrag von Trianon, der Teil der Versailler-Friedensverträge war, Reparationszahlungen leisten, die Größe der Armee wurde beschränkt und circa 60 Prozent der Gebiete des historischen Königreichs Ungarns fielen an Nachbarländer. Ähnlich wie in Deutschland, sorgten diese Bestimmungen für Wut unter den ungarischen Nationalisten und führten dazu, dass die Demokratie nie wirklich Fuß fassen konnte.

Die ersten Versuche eine demokratische Republik zu errichten, scheiterten schnell – eine kurzlebige Räterepublik im Jahr 1919 wurde blutig niedergeschlagen und es kam ein rechts-konservatives Präsidialsystem an die Macht, das bis 1944 herrschte. Von Beginn an waren also in Ungarn rechts-konservative Kräfte die stärkste Fraktion, während eine linke Arbeiterbewegung, anders als z.B. in Deutschland oder Österreich, schwach blieb.

Monarchie reloaded

Während in Deutschland, Russland und Österreich die Monarchien beendet wurden, erstand sie in Ungarn paradoxer Weise schnell wieder auf. Bei den ersten Parlamentswahlen 1920 kamen mit überwältigender Mehrheit monarchistische und rechts-christliche Parteien an die Macht. Diese führten die Monarchie wieder ein, aber eine Rückkehr des Königs Karl IV wurde von der Entente – den ehemaligen Verbündeten gegen Deutschland und Österreich – abgelehnt.

Stattdessen kam Miklós Horthy als „Reichsverweser“ an die Macht und behielt diese bis 1944. Ungarn war damit quasi eine Monarchie ohne König. Wahlen fanden zwar statt, aber faktisch regierte nur eine Partei. Besonders die Wahlmöglichkeit für Frauen und untere Schichten wurden stark eingeschränkt, der Zugang zu höherer Bildung für Juden stark beschnitten und Ungarn arbeite daran, die Gebiete, die nach dem Ersten Weltkrieg an umliegende Staaten gefallen waren, wieder für Ungarn einzunehmen.

Während der 1930er Jahre hoffte Ungarn durch eine enge Anbindung an NS-Deutschland wieder zu alter Geltung zurückkehren zu können. Verschie­dene Abkommen zwischen Ungarn, NS-­Deutschland und Italien machten Ungarn zu einem festen Bündnispartner der faschistischen Achsenmächte.

Ähnlich wie das faschistische Italien führte auch Ungarn nach dem deutschen Vorbild antisemitische Gesetze ein – weigerte sich aber die ungarischen Juden an Deutschland auszuliefern. Die enge Anbindung an das „Dritte Reich“ zahlte sich für Ungarn aus: In den „Wiener Schiedssprüchen“, Vereinbarungen aus den Jahren 1938 und 1940 unter Regie von NS-Deutschland und des faschistischen Italiens, wurden Gebiete der Slowakei, der Ukraine und Rumäniens wieder Ungarn zugeschlagen und von ungarischen Truppen besetzt. Damit war die „Schmach von Trianon“ zu einem Teil getilgt.

Mit drei Divisionen beteiligte sich Ungarn am Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 und eroberte so umfangreiche Gebiete im Süden der Ukraine. Hinter der Front führten ungarische Divisionen „Partisaneneinsätze“ durch – was meistens die Vernichtung ganzer Dörfer bedeutete.

Der Beginn des Holocaust

Die Landgewinne und den Krieg nutzte Ungarn, um unerwünschte jüdische Bevölkerungsgruppen in den Süden der Ukraine abzuschieben. Hierbei traf es zuerst Juden, die vor der Verfolgung nach Ungarn geflohen waren – z.B. aus Polen und Russland, aber auch Juden, die schon länger in Ungarn gelebt hatten und Roma. Circa 26.000 Menschen wurden so bis August 1941 in den Süden der Ukraine bei Kamenez-Podolsk vertrieben.

Der SS- und Polizeiführer Friedrich Jeckeln, der für dieses Gebiet innerhalb des „Reichskommissariats Ukraine“ verantwortlich war, setzte daraufhin einen Massenmord an den vertrieben ungarischen Juden um. Die Opfer wurden in Gräben durch Einheiten von Polizei und SS erschossen. Nur von einem einzigen Polizisten ist bekannt, dass dieser sich den Befehlen verweigerte. Das Massaker war der bis dahin größte Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Osteruropas. Es bildete für die deutschen Besatzer damit auch ein Lehrstück, wie mit anderen Juden in anderen Gebieten umgegangen werden konnte – ausgelöst durch die ungarischen Deportationen über die Landesgrenze hinweg. Zwar stoppte Ungarn vorerst weitere Deportationen – versuchte diese aber später wiederaufzunehmen.

Kriegswende

Als sich die Niederlage Deutschlands im Krieg nach der Schlacht von Stalingrad abzeichnete, schwenkte Ungarn um und versuchte mit der Sowjetunion einen Waffenstillstand zu vereinbaren und damit das Kriegsgeschehen wieder zu verlassen. Das Deutsche Reich marschierte daraufhin im März 1944 in Ungarn ein – Horthy blieb dennoch vorerst an der Macht.

Mit der Wehrmacht kam Adolf Eichmann. Innerhalb weniger Wochen wurden die Juden Ungarns nun vollständig entrechtet, enteignet und in Ghettos gesperrt. Im Sommer 1944 deportierten die Deutschen über 400.000 ungarische Juden nach Auschwitz. Unterstützt wurde das Eichmann-Kommando, das nur aus 150 Personen bestand, von der ungarischen Verwaltung und Polizei, ohne die eine solche Maßnahme nicht durchführbar gewesen wäre.

Von den circa 1500 Deportations­zügen die Auschwitz insgesamt während der Shoah erreichten, existieren kaum Fotos. Die Ausnahme sind Bilder ungarischer Jüdinnen und Juden die am 26. Mai 1944 in Auschwitz ankamen. Fast alle wurden direkt nach der Ankunft ermordet.

Pfeilkreuzler

Neben der ohnehin schon rechten Regierung seit 1920 existierten in Ungarn weitere völkische und faschistische Gruppierungen, die in ihrer Politik noch antisemitischer und nationalistischer agierten. Zwar wurden diese Gruppen regelmäßig verboten – sie konnten sich aber immer wieder neu gründen. Wichtigste und stärkste dieser faschistischen Bewegungen ab 1935 waren die sogenannten „Pfeilkreuzler“ unter ihrem Führer Ferenc Szálasi, die unter verschiedenen Partei-Namen agierten. Der Name leitet sich von ihrem Symbol ab, da die Verwendung des Hakenkreuzes seit 1933 in Ungarn verboten war. Bei den Parlamentswahlen 1939 erhielten diese 25 Prozent der Stimmen und orientierten sich ideologisch stark am deutschen Nationalsozialismus.

Gegen das autoritäre und oligarchische Regime Horthys versuchten sie mit Aktivismus und Gewalt zu punkten und die Unterschichten und unteren Mittelschichten zu mobilisieren. Für das Deutsche Reich blieben die „Pfeilkreuzler“ aber lange Zeit als Bündnispartner irrelevant. Die Abstimmung mit Horthy, die politische und militärische Einbindung Ungarns in das neue faschistische Europa und auch die Durchführung der Shoah ab 1944 funktionierten reibungslos – auch ohne Unterstützung der „Pfeilkreuzler“.

Nachdem aber Ungarn versucht hatte einen Separatfrieden mit der UdSSR auszuhandeln, nutzte das NS-Regime die „Pfeilkreuzler“ in Ungarn, um dieses weiterhin an der deutschen Seite zu behalten. Miklós Horthy wurde im Oktober 1944 verhaftet und die „Pfeilkreuzler“ als neues Marionetten-Regime an die Macht gebracht. Diese begannen schnell damit, die noch verbliebene jüdische Bevölkerung über die Grenze nach Österreich zu treiben. In Pogromen, bei denen tausende Juden an der Donau erschossen und hineingeworfen wurden, und unmenschlichen Zuständen im Ghetto von Budapest starben über 3000 Menschen. Erst der Einmarsch der „Roten Armee“ und die Niederlage Deutschlands beendete das Grauen.

Ferenc Szálasi wurde nach dem Krieg zum Tode verurteilt und in Budapest öffentlich gehängt. Miklós Horthy blieb im Exil da Ungarn durch die „Rote Armee“ besetzt wurde. Er starb 1957 in Portugal – das zu dieser Zeit ebenfalls ein autoritäres Regime war.

Parallelen im Heute

Antikommunist, Antisemit, Nationalist, Konservativer und Demokratiefeind – kein Wunder, dass Viktor Orbán, der seit 2010 in Ungarn amtierende Ministerpräsident, in Miklós Horthy ein Vorbild sieht. Statt Abgrenzung und Aufarbeitung ist Miklós Horthy im heutigen Ungarn ein Nationalheld.

Und auch die parallel existierende Neonaziszene in Ungarn und Großaufmärsche europäischer Neofaschisten in Budapest wecken Erinnerungen an die „Pfeilkreuzler“ als (neo)faschistische Opposition zur ohnehin rechten Regierung.

Dieser Artikel stammt vom Antifaschistischen Info-Blatt. Schaut gerne mal dort vorbei! Dort gibt es immer wieder gute Rechercheartikel über die rechte Szene, aber auch politische Analysen und Berichte rund um das Thema Anitfa und darüber hinaus.