Burschenschaft Normannia: “Der antisemitische Angriff war nur die Spitze des Eisbergs”
Berufungsverhandlung im Normannia-Prozess steht bevor.
Ein Interview mit Clara Grube von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg.
Vor rund vier Jahren, am 28. August 2020, kam es auf dem Haus der Heidelberger Burschenschaft Normannia zu einem antisemitischen Angriff. Was genau passierte damals?
In der Nacht auf den 29. August 2020 fand das Stiftungsfest in der Villa Stückgarten, dem Haus der Normannen, statt. Dort war auch ein Verbindungsstudent der Landsmannschaft Afrania zu Gast. Er wurde gefragt, ob er jüdische Vorfahren habe. Als er bejahte, denn er habe eine jüdische Großmutter, wurde er mit Gürteln geschlagen, mit Münzen beworfen und antisemitisch beleidigt. Er stellte infolgedessen Anzeige.
Der Vorfall wurde öffentlich und sorgte für einen bundesweiten Aufschrei. Was waren die Folgen?
Dass der Vorfall öffentlich verhandelt wurde, macht ihn tatsächlich zu etwas Besonderem. Antisemitische Vorfälle gab es bei den Normannen viele, aber weitreichende Aufmerksamkeit wie bei diesem Fall blieb hingegen meistens aus. Die große mediale Aufmerksamkeit und der daraus resultierende Druck haben die Auflösung der Aktivitas (also die derzeitigen Studenten, die auch auf dem Haus wohnen) bewirkt.
Eine weitere Folge sind die zahlreichen Austritte seitens der Alten Herren, welche die Burschenschaft zu großen Teilen finanzieren. Wobei diese Austritte nicht nur als Sieg zu verbuchen sind: Zumeist geht es den Alten Herren um ihren eigenen Ruf. Andere lassen dagegen ganz klar verlauten, dass der Kurs, den Ruf der Normannia wiederherzustellen und das faschistische Image zu entkräften, zu wenig nationalsozialistisch sei. Es verbleiben etwa 50 Alte Herren. Die Burschenschaft verfolgt wie alle Studentenverbindungen das Lebensbundprinzip, sie lebt also von ihren Mitgliedern, welche sich nun deutlich reduziert haben. Das bedeutet aber nicht, dass die Normannia endgültig in die Knie gezwungen ist und auch dort bleibt, wo sie hingehört: am Boden.
Ihr beobachtet rechte Umtriebe der Heidelberger Verbindungen seit vielen Jahren. Gerade die Normannia war schon lange einschlägig bekannt. Kannst du dafür ein paar Beispiele geben?
Die Normannia ist Heidelbergs bekannteste Nazi-Struktur und dient damit auch als Vernetzungsort für andere rechte Strukturen, von der AfD über die „Identitäre Bewegung“ (IB) bis hin zur „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“.
Die Normannia verbuchte regelmäßig kleinere Skandale, ob durch den so genannten Arierparagraphen im Dachverband Deutsche Burschenschaft oder durch einschlägige Fotos, auf denen der Hitlergruß auf ihrem Haus gezeigt wird. Wir wissen darüber hinaus, dass das Zeigen des Hitlergrußes alles andere als eine Seltenheit in der Villa Stückgarten war. Sie verwenden z. B. auch die verbotene Grußformel „Heil Hitler“. Das ganze „Rumgehitlere“, wie es in der Verbindungsszene bezeichnet wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die braune Geschichte der Normannia.
Der vergangene Prozess 2022 war auch keineswegs der erste Prozess gegen Burschen der Normannia. Im Juni 2020 wurde ein zu diesem Zeitpunkt bereits ehemaliger Normanne, der wegen seiner Vorliebe für Nazi-Marken den Spitznamen „Thor-Steinar-Fux“ trug, wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. In dem Prozess kam auch zur Sprache, dass die Burschenschafter der Normannia nicht nur körperlich gewalttätig wurden, sondern dass auch antisemitische Beschimpfungen fielen und ein Hitlergruß gezeigt wurde.
Ende 2022 standen schließlich vier beschuldigte Burschenschafter vor Gericht. Ihr habt damals den Prozess beobachtet. Wie lief die Verhandlung ab?
Der so genannte Normannia-Prozess lief gegen je zwei Mitglieder der ebenfalls als rechtsaußen bekannten Burschenschaft Germania Köln sowie der Burschenschaft Normannia. Die beiden Germanen und ein Normanne wurden wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu je 8 Monaten Haft verurteilt, die auf 2 Jahre zur Bewährung ausgesetzt sind. Das andere Normannia-Mitglied wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Wie gut die Normannia ins rechte Milieu vernetzt ist, war an der Wahl ihrer Verteidiger zu sehen: Alle vier Angeklagten wurden von bekannten rechten Szeneanwälten verteidigt.
Insgesamt war der Prozess geprägt von angeblichen Gedächtnislücken und Falschaussagen, die teils durch den extremen Alkoholkonsum, der auf Verbindungshäusern zum Alltag gehört, zu begründen versucht wurden. Es schien so, als stehe das Ziel, das Ansehen der Burschenschaft zu bewahren, stets an höchster Stelle.
Im Laufe des Prozesses wurden mehrere Ermittlungsverfahren gegen Zeug:innen wegen uneidlicher Falschaussage und diverse Ordnungsgelder wegen Nichterscheinens angekündigt. Ständig konnten Zeug:innen sich nicht mehr an das Tatgeschehen erinnern oder hatten rein zufällig ganz genau dann das Haus verlassen. Die Verhandlung war geprägt von Täterschutz, Lügen und erschreckend braunen Chatverläufen.
Im Sommer 2023 wurde bekannt, dass die Burschenschaft Normannia sich in „Cimbria“ umbenennen und neu konstituieren will. Was genau war geplant?
Aus veröffentlichten E-Mails geht hervor, dass am 29. April 2023 auf dem Generalconvent beschlossen wurde, dass sich die Normannia von nun an in Cimbria umbenennen will; ebenso will sie aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft austreten. Das hat zum Ziel, den Namen durch eine simple Änderung reinzuwaschen und einen Neubeginn zu wagen. Durch kleinere klägliche Versuche wie die Aktualisierung ihrer Website geben sie gelegentlich Lebenszeichen von sich. Natürlich blieb das alles nicht unkommentiert.
Gegen diese Pläne gab es eine starke antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit und Proteste. War das erfolgreich?
Von antifaschistischer Seite wird die Normannia, ebenso wie andere Burschenschaften und rechte Netzwerke, seit langer Zeit beobachtet und bekämpft.
Es wurden mehrere antifaschistische Spaziergänge zum Verbindungshaus unternommen, das übrigens regelmäßig neuen Anstrich erhält, um die von der Burschenschaft ungeplanten Farbtupfer zu übertünchen.
Zum 1. Mai wurde eine antifaschistische Vorabenddemo veranstaltet, nachdem dieser Termin schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Korporationen verknüpft ist: Bis in die 1990er-Jahre veranstalteten die Studentenverbindungen alljährlich am 30. April einen Fackelmarsch samt „Maiansingen“, bei dem sie – oft unterstützt aus Neonazi-Kreisen – offen rechtes Liedgut zum Besten gaben und auch immer wieder Migrantisierte oder politisch Andersdenkende bedrohten. Erst Ende der 1990er-Jahre konnten antifaschistische Proteste das braune Treiben aus der Stadt verbannen, und nun ist der Vorabend des 1. Mai jedes Jahr geprägt von antifaschistischen Demonstrationen und Straßenfesten.
Wir als Antifaschistische Initiative Heidelberg beobachten die Umtriebe der Verbindungen und insbesondere der Burschenschaft Normannia schon seit Jahrzehnten und organisieren regelmäßig Proteste. So organisieren wir jetzt im Vorfeld des Berufungsprozesses am 6. September eine Kundgebung unter dem Motto „Rechte Verbindungen kappen – Nie wieder Normannia“, die um 18.30 Uhr auf dem Heidelberger Kornmarkt stattfindet. Außerdem versuchen wir, in den Medien Öffentlichkeit zu schaffen.
Auch andere antifaschistische Strukturen und Aktivist:innen engagieren sich dazu, vor allem seit dem antisemitischen Angriff 2020. Die Kampagne „Kein neues Kapitel“ zum Beispiel hat sich eigens gegen den Wiederaufbau der Naziburschenschaft Normannia/Cimbria gegründet.
Am 16. September 2024 startet die Berufungsverhandlung im Normannia-Prozess. Was erwartet ihr dabei, und wie reagiert ihr darauf?
Wir erwarten dabei nichts Gutes. Die drei zu Bewährungsstrafen Verurteilten sind gegen das Urteil vom 8. Dezember 2022 in Berufung gegangen. Da nicht die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, gilt im neuen Prozess das so genannte Verbot der Verschlechterung, was zur Folge hat, dass keine höhere Strafe verhängt werden darf.
Zu solchen Prozessen erscheinen auch immer mal wieder andere Korporierte und weitere Menschen aus anderen rechten Netzwerken, z. B. von der IB. Umso wichtiger ist es, Präsenz zu zeigen und den Prozess nicht im stillen Kämmerlein vonstatten gehen zu lassen. Wir wünschen uns, dass das Publikum im Gerichtssaal wieder von Antifaschist:innen dominiert ist.
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