Mit dem Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) gegen die Neonazis von „Knockout 51“ wurden selbst die pessimistischen Erwartungen vieler Beobachter*innen des Verfahrens unterboten. Nach zehn Monaten Verhandlung und über 50 Verhandlungstagen folgte ein milder Schuldspruch. Rädelsführer Leon R. erhielt mit drei Jahren und zehn Monaten noch
die höchste Haftstrafe und wurde zugleich, als letzter der vier Angeklagten, aus der
Untersuchungshaft entlassen und ist bis zum offiziellen Haftantritt nun ebenso auf
freiem Fuß. Die übrigen drei Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und
sechs Monaten.
Das Narrativ
Schon nach der Anklageerhebung durch die Bundesanwaltschaft im Mai 2023 hatte
das Oberlandesgericht in Jena den Hauptvorwurf der terroristischen Vereinigung
nicht für die Hauptverhandlung zugelassen. Bis zum Schluss attestierte die Bundesanwaltschaft der Gruppe um Leon R. eine Bereitschaft zu tödlicher Gewalt und forderte folgerichtig ihre Verurteilung als terroristische Vereinigung. Die Tötungsabsichten erklärte die Anklagebehörde mit der Befürchtung der Gruppe vor weiteren Überfällen aus der linksextremen Szene. Entsprechend sei „Knockout 51“ erst nach den medienwirksamen Aktionen gegen
rechte Akteure in Eisenach zu einer terroristischen Vereinigung „transformiert”.
Die Konstruktion eines Kampfes beider „extremistischer” Lager um die Vormachtstellung in Westthüringen entspricht der logischen Arbeitshypothese einer Behörde, die nach der Hufeisentheorie aufgebaut ist und genauso die konsequente Verfolgung von Linksterrorismus als einen ihrer Schwerpunkte begreift.
Es wurde spürbar, welche Folgen das Fehlen einer Nebenklage mit sich bringt. So wurden im Gerichtssaal Narrative ausschließlich von der Bundesanwaltschaft, dem Gericht oder gar der Verteidigung der Neonazis gesetzt. Der Verzicht auf eine Nebenklage und das Zurückschrecken vor belastenden Zeugenaussagen von Seiten der Geschädigten offenbarte zugleich das Ausmaß der rechten Hegemonie in Eisenach.
Die Version des Gerichts
Während die Bundesanwaltschaft in ihren Einordnungen immerhin klarstellte, dass eine vermeintliche Notwehrlage durch linke Angriffe nur als Deckmantel für tödliche Gewalt der Neonazis dienen sollte, stellte das Gericht sich hinter die Aussagen der Neonazis. Nach dessen Auffassung stünde die zunehmende Radikalisierung und militärische Aufrüstung der Gruppe nicht nur im Zusammenhang mit einer gegen sie gerichteten linken Bedrohungslage, sondern werde durch Letztere zugleich (rechtlich) legitimiert.
Zur näheren Begründung machte der Senat lange Ausführungen zum Terrorismusbegriff und dessen Verwendung im Kontext des Paragrafen 129a StGB. Nach dem gesunden Menschenverstand sei das Perfide an Terrorismus, dass jeder Mensch zu jeder Zeit Opfer werden kann, etwa bei dem Abschuss eines Flugzeugs. Entsprechend handle es sich bei „Knockout 51“ offensichtlich nicht um eine terroristische Vereinigung. Eine geradezu absurdes Verständnis von Terrorismus, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich insbesondere
rechter Terror in der Regel dadurch auszeichnet, dass er bestimmte, durch eine extrem rechte Ideologie konstruierte und abgewertete Gruppen zum Ziel hat.
Der Richter offenbarte mit dieser Argumentation seine Überzeugung, dass potenzielle Opfer von „Knockout 51“ (vornehmlich waren im Prozess hier nur linke Personen gemeint) gar nicht erst mit tödlicher Gewalt rechnen müssten, wenn sie die Kampfsportgruppe selbst nicht angreifen würden. Dieser Gedanke läuft vollkommen fehl, wenn man berücksichtigt, dass diverse Personengruppen allein aufgrund ihrer Identität zum Feindbild von „Knockout 51“ gehören und somit selbstverständlich ohne eigene Handlungen zum Opfer werden können.
Faschismus, ja und?
Es sorgt für Verwunderung, dass sich der Richter bei der mündlichen Urteilsbegründung nur äußerst oberflächlich zu der nationalsozialistischen Gesinnung der Gruppe äußerte. Erwartbar wäre gewesen, die Ideologie der Gruppe anhand diverser menschenverachtender Aussagen in den Telekommunikationsaufnahmen einzuordnen und zumindest festzustellen, dass jede Person mit Angriffen rechnen muss, die in dasFeindbild von „Knockout 51“ passt. Das umfasst offensichtlich nicht nur Menschen mit linken politischen Einstellungen Wenn das Gericht mehr Ausführungen zum rechten Gedankengut und dessen Gefährlichkeit getroffen hätte, wäre ein solcher Urteilsspruch wesentlich schwerer zu rechtfertigen gewesen – oder vielleicht kaum möglich geworden. Zudem ist die Gesinnung und das Tatmotiv der Angeklagten für die Strafzumessung, wie eben erläutert auch hinsichtlich potentieller
zukünftiger Angriffe (Stichwort Terrorgefahr), und damit für den Schuldspruch insgesamt relevant. Durch die mündliche Urteilsbegründung des Senats drängt sich der Gedanke auf, dass dieser die Gefahr von Neonazis massiv unterschätzt.
Nur ein Ausrutscher?
Durch das Agieren des Gerichts wurde vom üblichen Ablauf vergleichbarer Verfahren abgewichen. Selten wird der Bundesanwaltschaft von den Staatsschutzsenaten grundlegend widersprochen. Meist hatte es die Verteidigung in Verfahren gegen politische Vereinigungen in anderen Bundesländern schwer, überhaupt ansatzweise gegen das Bollwerk aus
Gericht und Bundesanwaltschaft mit Argumenten durchzudringen (bspw. im „Antifa
Ost-Verfahren“). In Jena zeigten sich die bundesweit bekannten Szene-Anwälte dagegen mit dem Gericht äußerst zufrieden und mussten gar nicht konfrontativ agieren, da ihrem Narrativ vom Gericht ohnehin entsprochen wurde.
Die Bundesanwaltschaft rügte dagegen mehrfach die fehlende Professionalität des Gerichts und nannte dessen Agieren „einzigartig” für einen Staatsschutzsenat. Nun hat die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt, sodass der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil auf rechtliche Fehler überprüfen muss.
Für eine Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des OLG spricht zumindest ein wenige Tage vor dem Urteil ergangener BGH-Beschluss. Der auch für die Revision des Verfahrens zuständige Senat am BGH musste sich zu seiner vorläufigen rechtlichen Bewertung von „Knockout 51“ äußern, da der gesondert verfolgte Kevin N. Haftbeschwerde eingelegt hatte. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den Tötungsabsichten des Angeklagten, die vom Jenaer Gericht unterlassen wurde, betitelte der BGH als „naheliegend”. Gleichzeitig hätte es das Gericht in Jena unterlassen, die Herstellung von Schusswaffen, etliche gewaltaffine Äußerungen sowie verschiedene Ertüchtigungsformen der Angeklagten zusammenfassend in den Blick zu nehmen. Aus Sicht des BGH handle es sich bei „Knockout 51“ mit hoher Wahr-
scheinlichkeit um eine terroristische Vereinigung.
Strukturelles Faschismusproblem
Doch selbst wenn das Urteil später aufgehoben wird und die Angeklagten höhere Haftstrafen erhalten würden, könnte kaum ein Gefühl von Gerechtigkeit hergestellt oder den Betroffenen Angst genommen werden. In Eisenach bleibt auch dann die Gefahr von rechts bestehen. Die Männer kehrten bereits nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft in ihre bekannten Strukturen zurück, thüringen- und bundesweit. Auch hat sich bereits während
des Prozesses gezeigt, dass noch jüngere Neonazis in Eisenach bereit sind, die Plätze der Angeklagten einzunehmen, um die rechte Hegemonie in der Stadt aufrecht zu erhalten. Antifaschist*innen in Thüringen sind und bleiben bedroht.
Die niedrigen Haftstrafen sind in vielerlei Hinsicht eine Genugtuung für die Angeklagten.
Und völlig egal, was das OLG Jena oder der BGH zu entscheiden meint: man kann sich im Kampf gegen den Faschismus nicht auf den Staat verlassen.
Dieser Artikel stammt vom Antifaschistischen Info-Blatt. Schaut gerne mal dort vorbei! Dort gibt es immer wieder gute Rechercheartikel über die rechte Szene, aber auch politische Analysen und Berichte rund um das Thema Anitfa und darüber hinaus.