Skandalöse Geschichtsrelativierung am KZ-Gedenkort Kemna: Inhaftierte seien sowohl Opfer als auch Täter
In Wuppertal-Kemna soll ein Gedenkort an das Konzentrationslager erinnern. Studierende des Fachs Geschichte der Uni Wuppertal haben dazu einen Plan entworfen. In einem Gespräch mit der Westdeutschen Zeitung offenbaren sie ihr Geschichtsverständnis – und stellen die inhaftierten Kommunist:innen mit ihren Mördern gleich. Ein Kommentar von Enver Liria
In Kemna entstand eines der ersten Konzentrationslager in Deutschland. Kurz nach der Machtübertragung an die NSDAP wurde die ehemalige Fabrik im Juli 1933 in ein KZ umgewandelt. Ein halbes Jahr lang wurde hier gequält, gefoltert, geprügelt und gepeinigt. Das KZ richtete sich im Besonderen gegen die politischen Gegner:innen der faschistischen Diktatur: also Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen, Gewerkschafter:innen und ehrliche Demokrat:innen. Es wird geschätzt, dass bis Januar 1934 etwa 4500 Menschen hinter den Mauern der Fabrik gefoltert wurden.
Die Fabrik lag in der Nähe der Stadt. Eine weitere Besonderheit war, dass die Wächter ihre Opfer von der Straße her kannten. Sie waren Nachbarn, standen sich bei antifaschistischen Demonstrationen gegenüber, arbeiteten vielleicht im selben Betrieb. Im Lager Kemna konnten die SA-Schläger nun ungehindert über ihre Gegner herfallen.
Waren die KZ-Insassen Täter oder Helden?
Für Dr. Ulrike Schrader stellt sich diese Frage nicht. Sie ist Leiterin der Fachgruppe, die den Entwurf für den neuen Gedenkort betreut. Darüber hinaus ist sie Leiterin der Wuppertaler Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ und “Beisitzerin im Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V”. All diese Ämter und Leitungspositionen sind wichtig und erfordern ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein. Sie setzen auch eine ernsthafte antifaschistische Grundhaltung voraus, die im Widerspruch zu den Äußerungen in dem kürzlich erschienenen WZ-Artikel steht.
Ein Auszug aus dem Artikel wird besonders kritisiert. Dort äußert einer ihrer Zöglinge, dass es Schwierigkeiten gab, „einen passenden Ort für Opfer und Täter zu finden“, da die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen würden. Eine Studentin äußert: „Natürlich hat niemand dieses Leid verdient“, jedoch seien auch Täter zu Opfern geworden und umgekehrt. Dem Anflug von Geschichtsverdrehung setzt Dr. Schrader noch die Krone auf: „Rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie“. Im Artikel heißt es weiter: „Eine weiße Weste habe deshalb keiner, man wolle niemand zum Helden machen oder eine Vorbildfunktion geben, die er nicht hat.“
Nach solchen Aussagen muss an der antifaschistischen Haltung Ulrike Schraders gezweifelt werden. Sie führt genau jene Täter-Opfer-Umkehr ins Feld, die einer der zentralen Mythen ist, mit dem die Verbrechen der Faschist:innen reingewaschen werden sollen. Dabei scheint sie keine Sympathie für den antifaschistischen Widerstand zu haben, mehr noch: Sie verurteilt die ehemaligen KZ-Häftlinge für ihren Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse. Mit dieser geschichtsrevisionistischen Ideologie bildet sie nun die Studierendenschaft aus, leitet die Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ und arbeitet im Arbeitskreis NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V.
All diese Institutionen sind nun an der Reihe, ihre antifaschistische Grundhaltung zu zeigen und Konsequenzen zu ziehen! Die Universität Wuppertal sah sich bereits gezwungen, eine Presseerklärung herauszugeben, in der sie von „irritierenden Formulierungen“ spricht. Diese Erklärung erweckt allerdings eher den Eindruck, dass die Universität um Schadensbegrenzung bemüht ist, nachdem bereits eine Welle der Empörung durch das Netz geschwappt ist.
Es gibt viele andere, die den Widerstand in Wuppertal erforschen und die Verbrechen der Faschist:innen in der Region aufzeigen, u.a. der „Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.“. Klar ist, dass die Kommunist:innen, die ehrlichen Christ:innen, die Anarchist:innen und viele weitere, die sich der Schreckensherrschaft in den Weg gestellt haben, große Held:innen sind. Dazu gehören die Kommunist:innen, die sich den SA-Banden in den Weg gestellt haben und auf den Straßen gekämpft haben und nach 1945 wieder in die Gefängnisse gesteckt wurden.
Dazu gehören auch die Arbeiter:innen, die ihr Leben riskierten, indem sie in den Munitionsfabriken Sprengstoff durch Sand ersetzten oder andere Formen der Sabotage betrieben. Der Widerstand gegen den deutschen Faschismus umfasste Zehntausende, die mit der Waffe oder mit dem Kugelschreiber in der Hand kämpften.
Hier nur drei kurze Berichte über drei Menschen, die wegen ihrer politischen Haltung und ihres Widerstands in das KZ Kempa verschleppt und dort schwer gefoltert wurden.
Otto Böhne
Otto Böhne(1897 – 1934) war gelernter Schlosser. Er war 35 Jahre alt, als er Organisationsleiter und Stadtrat der KPD in Wuppertal wurde. Im Juli 1933 wurde er in seiner Wohnung in der Wirkerstraße 37 verhaftet, weil man ihm einen Überfall auf einen SA-Zug durch das Arbeiterviertel Elberfelder Nordstadt vorwarf. Er wurde vor den Augen seiner 13-jährigen Tochter misshandelt und in das KZ Kemna verfrachtet. Dort wurde er als Kommunist heftigster Folter unterzogen und schwer misshandelt. Mit lebensgefährlichen Verletzungen und letzten Kräften überstand er nach der Auflösung des KZs Kemna den Transport ins KZ Börgermoor. Am 25. Februar 1934 erlag er im Krankenhaus von Papenburg seinen Schändungen.
Theo Deis
Theo Deis(1899 – 1969) war in Solingen politisch aktiv. Er war der lokale Anführer des Kampfbunds gegen den Faschismus und wurde bereits in der Nacht des Reichstagsbrands 1933 verhaftet und im Solinger Polizeigefängnis inhaftiert. Im September wurde er ins KZ-Kemna verlegt.
Nach den Misshandlungen sperrte die Wachmannschaft Deis in den Verschlag unter der Treppe. Sechs Nächte lang folterte ihn die Wachmannschaft unter der Leitung von Kriminal-Assistent Pedrotti, um die Standorte der angeblichen Waffenverstecke des Kampfbunds zu erfahren. Tagsüber musste er sich im Verschlag aufhalten und bekam während dieser Zeit weder medizinische Hilfe noch Verpflegung.
Dass Deis keinerlei Aussagen machte, stachelte die Folterer zu immer grausameren Methoden an. Mit einer Schere wurden ihm tiefe Wunden am Gesäß zugefügt, seine Kleidung war auf dem Körper in Fetzen geschlagen und mit den Wunden verbacken, seine Zähne ausgeschlagen, der Kopf blutverkrustet und beinahe unkenntlich.
Mit seinen Kräften am Ende, versuchte er sich selbst umzubringen, was ihm missglückte. Nach seiner Entlassung floh er über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Spanien. Dort kämpfte er als Freiwilliger der XI. Internationalen Brigade im antifaschistischen Widerstand auf Seiten der Spanischen Republik gegen Francos Truppen. Deis war Kompaniechef und stieg schließlich in den Stab der XI. Brigade auf. An seine Frau soll er geschrieben haben: „Bevor sie mich noch einmal foltern, werde ich, und wenn es mich das Leben kosten sollte, bis zum Letzten kämpfen.“
Nach der Niederlage der republikanischen Streitkräfte floh er nach Frankreich und kämpfte dort gegen die deutschen Besatzertruppen. Im Jahr 1945 kehrte der von seinem Leben gezeichnete Deis nach Solingen zurück.
Fritz Braß
Fritz Braß(1889 – 1944) war langjähriger Sozialdemokrat und lebte im Arbeiterquartier in der Elberfelder Nordstadt. Der Malermeister war sehr belesen und dichtete. Im Oktober 1933 veröffentlichte er ein Gedicht gegen die Naziherrschaft und die Steigbügelhalter der Diktatur, das er an verschiedene Häuserwände klebte. Daraufhin kam er ins KZ Kemna.
Nachdem er frei kam, blieb er Antifaschist. Während einer Versammlung der Kreishandwerkerschaft 1936 verweigerte Braß am Ende der Veranstaltung die „Hitlerehrung“ durch den Hitlergruß. Als man ihn zur Rede stellt, sagte er klar, dass er mit dem Dritten Reich nichts zu tun haben wolle. Daraufhin verschleppte ihn die Gestapo in das KZ Lichtenburg, dann ins KZ Buchenwald. Nach seiner Freilassung war er verarmt und arbeitete als Geselle. Er blieb regelmäßig der Arbeit fern, als seine Form des individuellen Streiks. Darauf inhaftierte ihn die Wuppertaler Gestapo erneut und brachte ihn ins KZ Mauthausen, wo er verstarb.
Der vollständige Text seines Gedichts lautet:
Einstens war Marxiste Müller uns ein rechter Beutelfüller.
Als dann Brüning kam herbei, ändert sich schon mancherlei.
Kam alsdann der Herr von Papen, tät er uns die Wohlfahrt knapen.
Als dann kam der Herr von Schleicher, konnt uns auch nicht machen reicher.
Aber jetzt der Kanzler Hitler ist ein Sklavendienst-Vermittler.
Es lebe der Widerstand!
Auch wenn es die bürgerlichen Pseudo-Antifaschist:innen nicht erkennen wollen: Der wahre Widerstand wurde von Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen, Anarchist:innen und vielen anderen geführt. Sie widersetzten sich dem Unrecht, kämpften mit Waffen und mit Worten und viele von ihnen starben als Held:innen in den Konzentrationslagern.