Gedenkkultur in Deutschland

Verpasste Chance

Am Montag wurde in der Gedenkstätte Sachsenhausen in Erinnerung an den Sozialisten Francisco Largo Caballero eine Stele eingeweiht. Von deutscher Seite war man an Aufklärung weiterhin desinteressiert

In der Hektik des Alltags vergisst man manche wichtige Sache. Am Montag zeigte sich, dass es möglich ist, einen ganzen Tag in Berlin und Oranienburg über historische Erinnerung zu sprechen und Francisco Largo Caballero (1869–1946), Ministerpräsident in der Zeit der Zweiten Spanischen Republik, zu ehren, ohne die deutsche Verantwortung im Spanienkrieg auch nur beiläufig zu erwähnen. In Gedenken an Largo Caballero, 1918 zum Vorsitzenden der Gewerkschaft UGT gewählt und ab 1925 an der Spitze des sozialdemokratischen PSOE, gibt es seit Montag eine vom Künstler Serge Castillo geschaffene Stele, aufgestellt in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Im Konzentrationslager Sachsenhausen war Largo Caballero zwischen 1943 und 1945 interniert.

Bis in die 2000er Jahre war nicht genau bekannt, wie viele Spanier dort überhaupt eingesperrt waren. Heute geht man von etwa 600 Gefangenen aus. 2006 ließ die spanische Botschaft an der Gedenkstätte eine Plakette der spanischen Republikaner anbringen, die im Bürgerkrieg und später auch in der französischen Résistance gekämpft hatten.

Zur Feier der Einweihung der Stele kamen am früheren »Museum des antifaschistischen Freiheitskampfes der europäischen Völker« vor Walter Womackas imposantem Glastriptychon zusammen: Sebastian Pacheco, Vorsitzender der Stiftung Largo Caballero, der spanische Staatssekretär für demokratisches Andenken, Fernando Martínez López, der neue spanische Botschafter Pascual Navarro, die Abgesandte der spanischen Filiale der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Luise Rürup, der Generalsekretär der UGT, Pepe Álvarez, und die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi. Veranstaltung und Gedenkzeichen gehen auf eine spanische Initiative zurück. Ein Mitglied des SPD-Vorstands war anwesend, sprach aber nicht. Man gedachte Largo Caballeros und trug Berichte von Lagerinsassen vor, die ihn kennengelernt hatten.

Auf Nachfrage von junge Welt, warum kein deutsches Regierungsmitglied bei der Einweihung zugegen war, sagte Álvarez: »Mir ist nicht bekannt, dass wir die deutsche Regierung eingeladen haben, aber die Deutschen, die mich interessieren, waren anwesend, nämlich vom DGB.« Er bedankte sich dafür, dass die DGB-Vorsitzende Fahimi gekommen war und eine Rede hielt. »Die deutsche Verantwortung betrifft einige Deutsche, denn die DGB-Mitglieder waren ebenfalls in diesem Lager inhaftiert, und auch ihrer wird hier gedacht«, sagte Álvarez. Er fügte hinzu, dass man »die gleiche Verantwortung auch von den Italienern einfordern müsste«, denn »tatsächlich hätte der Faschismus in Spanien ohne Hitler oder Mussolini nicht gesiegt«.

Deutsches Desinteresse

Für den Nachmittag dann hatte die spanische Botschaft, ansässig übrigens in einem Gebäude im Tiergarten, das Hitler im Rahmen seines megalomanen Projekts Welthauptstadt Germania für Francisco Franco bauen ließ, zu einer Diskussion unter dem Titel »Erinnerungskulturen. Spanien–Deutschland. Ein Vergleich« geladen. Und wenn hier die Rede von Deutschland war, dann ging es wie selbstverständlich um die Bundesrepublik – die DDR, immerhin ein Land, das Kämpfern für die Republik und deren Nachkommen (von denen einige im Publikum saßen) während der Franco-Diktatur politisches Asyl gewährt hatte, spielte keine Rolle.

Der spanische Botschafter sagte: »Wir wollen den Dialog fördern, indem wir die Erinnerungspolitik vergleichen.« Verglichen wurde allerdings wenig. Luise Rürup sagte so etwas wie: »1970 haben wir den Übergang zur Demokratie mit der Eröffnung eines FES-Büros begleitet.« Von offizieller Seite war niemand zugegen, die SPD entsandte den Hinterbänkler Helge Lindh, Mitglied der Arbeitsgruppe für Kultur und Medien im Bundestag, dessen Kenntnisse über die jüngere Geschichte Spaniens sein Geheimnis blieben. Lindh klärte auf über die deutsche Gedenkstättenkonzeption: Es gebe keinen zentralen Ort der Erinnerungskultur in Deutschland. Dann eine Binse: »Natürlich benutzen wir alle die Geschichte als Legitimation für die je eigene Politik«. Am Spanienkrieg oder an der Franco-Diktatur bestand kein Interesse weder bei Lindh noch bei Moderator Bernd Rother. Dabei hätte gerade Rother, Autor des Buchs »Franco und der Holocaust«, sicher einiges darüber erzählen können, wie der gegenwärtige deutsche Staat die Spanische Republik und den faschistischen Putsch dagegen historisch bewertet.

Aktive Erinnerung

Gleichwohl gab es Interessantes. Staatssekretär Fernando Martínez López, zugleich Professor für Geschichte an der Universität Almería, gilt als maßgeblicher Initiator des neuen Gesetzes für demokratisches Andenken. Er erinnerte daran, dass auch während der Diktatur Erinnerungspolitik betrieben wurde: »Es gab kaum Dörfer, in denen die Diktatur nicht verherrlicht wurde«. Ein riesiges Franco-Mausoleum steht südlich von Madrid, für die »für Gott und Spanien Gefallenen« gab es einen eigenen Feiertag. Die Opfer der Besiegten wurden dagegen stigmatisiert oder aus der öffentlichen Erinnerung ausgeschlossen.

1995, 20 Jahre nach Francos Tod sei eine reaktionäre Welle über das Land gerollt, »die Diktatur wurde verharmlost«. Die ein Jahr später gebildete rechte Regierung unter José María Aznar sprach davon, »die Wunden nicht wieder aufzureißen«, ein »neues Kapitel solle aufgeschlagen« werden. Gesprochen wurde von »gleicher Schuld« beider Seiten. Doch gegen diese Haltung regte sich Widerstand: Die Gegenbewegung schuf Erinnerungsvereinigungen, die wirtschaftliche Entschädigung forderten. 2002 wurden zum ersten Mal die während des Krieges und der Diktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Im Zuge des Gesetzes der historischen Erinnerung wurde eine Kommission unter dem Motto »Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantie der Nichtwiederholung« eingerichtet, die noch heute tätig ist. »Im Mittelpunkt unserer Tätigkeit steht die Exhumierung der Massengräber«, führte Martínez López aus. »75 Prozent unseres Budgets werden derzeit dafür verwendet. Es geht darum, die Opfer zu identifizieren, damit ihre Angehörigen ihnen eine würdige Bestattung geben können«.

Spanien erstellt derzeit ein offizielles Register der Opfer und entwickelt Maßnahmen zur Nichtwiederholung, indem die Erinnerung Teil der Lehrpläne ist. Ganze Alterskohorten zuvor wussten nicht, was die Spanische Republik war. Nun beginnt die Geschichte im Gymnasium mit den Cortes von Cádiz und reicht bis in die Gegenwart. Die Republik und der Bürgerkrieg wurden früher zusammen abgehandelt, jetzt einzeln.

»Im nächsten Jahr jährt sich zum 50. Mal der Tod des Diktators, und unsere Hauptaufgabe ist es, die Jugend mit neuen Formaten zu erreichen. Die Jugend interessiert sich dafür, dass Frauen keinen Pass oder kein Bankkonto ohne die Zustimmung ihrer Väter haben durften und dass Homosexuelle inhaftiert wurden«, sagte der Staatssekretär. Franco-Monumente werden neu interpretiert wie im Tal von Cuelgamuros. Die spanische Regierung will einige Denkmäler entfernen, andere mit neuen Informationen begleiten, wie die Pyramide der Italiener. Deren Erhalt sei wichtig, weil sie zeige, »dass viele Italiener nach Spanien kamen, um zu kämpfen«.

Im nächsten Jahr soll an jene Spanier erinnert werden, die vor 80 Jahren aus den deutschen KZ befreit wurden, sagte Martínez López. Es sei geplant, dass Hunderte spanische Jugendliche nach Deutschland kommen, um die Lager zu besuchen.

Nach der deutschen Haltung, nach Verantwortung konnte nicht mehr gefragt werden, SPD-Mann Lindh hatte sich da aus Termingründen bereits aus dem Staub gemacht. Der spanische Staatssekretär blieb versöhnlich, sagte, Deutschland habe sich ja wegen Gernika offiziell im Bundestag entschuldigt. Und dennoch sei es eine Genugtuung, wenn der Staat sich für seine Verbrechen entschuldigt.


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