Statement zur Kundgebung des AK Synagogenplatz am 10. November 2024
Wir, das sind Aktive des Antifaschistischen Vernetzungstreffens Ludwigsburg, haben die Kundgebung vom 10. November auf dem Synagogenplatz frühzeitig geschlossen verlassen. Zu diesem Schritt sahen wir uns vor allem der Redebeiträge von Bürgermeisterin Renate Schmetz und von Prof. Barbara Traub wegen politisch wie moralisch gezwungen.
Laut Aufruf der Veranstalter sollte die Kundgebung im Zeichen der Demokratie und der Menschenrechte stehen. Beide Begriffe wurden im Rahmen der Kundgebung ausgehöhlt und umgedeutet. Damit meinen wir nicht nur die propagandistische Rechtfertigung des israelischen Vernichtungskriegs in Gaza und im Libanon, die wir bedauerlicherweise schon hätten erwarten müssen. Gleichermaßen empört hat uns die Instrumentalisierung der Reichspogromnacht zugunsten für uns nicht hinnehmbarer (lokal-)politischer Zwecke. Wenn eine Bürgermeisterin auf einer Gedenkkundgebung für im Nazismus ermordete oder vertriebene Jüd:innen die Bevölkerung auf den Sparkurs einer regierenden Minderheit einschwört, die weitere Aufrüstung der BRD bewirbt und die in Teilen faschistische AfD ausgerechnet aufgrund privater Bedenken um „die Volkswirtschaft“ tadelt, wird ein antifaschistischer Gedenktag entstellt. Auch die – nur wenige Sekunden anhaltende – Schweigeminute konnte dies nicht übertünchen. Jenes neoliberale Spardiktat und der kriegstreiberische Subtext wurden im Anschluss seitens der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs von journalistisch vielfach widerlegten Darstellungen flankiert, wobei namentlich die Hooligan-Krawalle von Amsterdam im Sinne einer radikalzionistischen Minderheit verdreht werden mussten. Die berüchtigten Ultras Maccabi Tel Avivs rangieren jedoch offensichtlich nicht grundlos in einem Negativ-Ranking gleich hinter denen des rechtsnationalistischen Vereins Beitar Jerusalem.
Trotz alledem haben wir die Kundgebung des AK Synagogenplatz aus Respekt nicht oder wenigstens nicht mutwillig gestört. Stattdessen haben wir einen vorbereiteten Kranz niedergelegt, um wenig später stillschweigend die Kundgebung zu verlassen.
Unser Verständnis von Antisemitismus ist nicht israelbezogen. Wir verstehen Antisemitismus als Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden, weil sie jüdisch sind, sowie eine Ideologie, die uns die Welt anhand einer fiktiven jüdischen Weltverschwörung zu erklären sucht. Die Hauptfunktion von Antisemitismus war und ist es, von der real existierenden Ungerechtigkeit im Kapitalismus und von deren Profiteuren abzulenken. Dass die Regierungen der BRD aktuell vor „linkem“ bzw. vor einem „antiimperialistischen Antisemitismus“ warnen und Geflüchteten fortwährend die Hauptschuld an antisemitischen Zuständen geben, verblüfft uns nicht. Statt deutsche Faschisten ernsthaft zu bekämpfen, wird versucht, legitime Kritik am israelischen Staat zu kriminalisieren und antimuslimischer Rassismus geschürt. In den vergangenen Jahren waren es deutsche Faschisten wie Stephan Balliet, die auf deutschem Boden Anschläge auf Leib und Leben jüdischer Menschen unternahmen, und es sind deutsche Faschisten wie sogenannte „Identitäre“, die antifaschistische Gedenkaktionen stören wollen.
Als Antifaschist:innen orientieren wir unsere Erinnerungskultur nicht an den Zielen der bundesdeutschen Bourgeoisie. Maßgebend ist für uns, dass wir den Kampf der entschiedensten Feinde des historischen Faschismus heute fortsetzen. Daher benannten wir am zehnten November die Ludwigsburger Hindenburgstraße selbstbestimmt in Anna-Pape-Straße um. Anna Pape war unter anderem in der Internationalen Arbeiterhilfe tätig und wurde von Hitlers Anhängern in mehrere Konzentrationslager verschleppt. Symbolische Aktionen wie diese müssen aber durch den alltäglichen und ganz konkreten Kampf gegen Faschisten und die AfD auf der Straße, in der Schule oder im Berufsleben ergänzt werden. Der Vielfachkrise der letzten Jahre begegnen wir nicht, indem wir sparen oder für Boris Pistorius in einen heißen Krieg ziehen, sondern, indem wir beides geschlossen ablehnen, solidarisch. Im Schwur von Buchenwald heißt es ganz ausdrücklich, dass Antifaschist:innen eine „neue Welt des Friedens und der Freiheit” erkämpfen müssen – und das nicht mit, sondern gegen die eigenen Ausbeuter. In Ludwigsburg aber hat man jüngst versucht, die antifaschistische Erinnerungsarbeit politisch einzuhegen und sie in ein Schaulaufen diverser Amtsträger:innen im Zeichen individueller Tugendsignalisierung zu verwandeln.
Weil die Kundgebung des AK Synagogenplatz am zehnten November 2024 die einzige in Ludwigsburg war, wurde ein würdiges Gedenken unseres Erachtens eher verunmöglicht als ermöglicht. Daher haben wir uns entschlossen, die entsprechende Gedenkkundgebung am zehnten November 2025 selbst anzumelden. Jeder Mensch, der an diesem Datum aufrichtig gedenken möchte, ist hierzu ganz herzlich eingeladen.