Diener ihrer Herren

Ultrarechte versuchen in Lateinamerika, Einflusssphären für die USA zu sichern. Putschversuch in Brasilien ist ein Beispiel dafür

In Brasilien zeigte sich am 8. Januar erneut, dass lateinamerikanische Rechte und ihre Unterstützer die Ergebnisse von Wahlen nur respektieren, wenn sie daraus als Sieger hervorgehen. Weitere Beispiele dafür sind die mit US-Unterstützung erfolgten Staatsstreiche in Guatemala (1954), Chile (1973), Honduras (2009), Paraguay (2012), Bolivien (2019) und Peru (2022). Auch die jüngsten Ereignisse in Brasilien »haben das Potential, sich in anderen lateinamerikanischen Ländern zu wiederholen, die die USA als ihre Einflusssphäre betrachten«, warnte die chinesische Tageszeitung Global Times am Dienstag vergangener Woche vor weiteren Putschversuchen.

Während es den nationalen Wirtschaftseliten und rechtskonservativen Politikern Lateinamerikas vor allem um den Erhalt eines Systems geht, das ihnen Macht, Einfluss und ungeschmälerte Profite garantiert, ist für die USA die Rückeroberung ihres »Hinterhofs« eine Überlebensfrage zur Sicherung ihrer globalen Wirtschaftsmacht. Der bekennende Faschist Jair Bolsonaro, der im Wahlkampf vor einer US-Fahne posierte, war Washingtons Wunschkandidat. Auch die Biden-Regierung hat mit dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten lange einen Machthaber unterstützt, der enge Verbindungen zu den Drahtziehern des Sturms auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 unterhält. Nach einem Bericht des US-Nachrichtensenders CNBC wird Bolsonaro von Stephen Bannon, dem ehemaligen Chefstrategen des Weißen Hauses, beraten. Der enge Vertraute Donald Trumps zweifelte nach dessen Wahlniederlage die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen 2020 an und verfolgt die gleiche Strategie jetzt auch in Brasilien. Während Bolsonaro nach den Attacken auf Regierungsgebäude in Brasilia erklärte, öffentliche Einrichtungen zu plündern, verstoße »gegen die Regeln für friedliche Demonstrationen«, feierte Bannon die Angreifer auf der rechten Plattform Gettr als »brasilianische Freiheitskämpfer«. Der von Trumps ehemaligem Sprecher Jason Miller gegründete Kurznachrichtendienst Gettr finanzierte bereits Veranstaltungen der »CPAC Brasil«, einem Ableger der US-amerikanischen Conservative Political Action Conference (CPAC).

Bolsonaristen bei der Erstürmung des Präsidialpalastes in Brasilia am 8. Januar

Die ultrarechte CPAC sei eine der Gruppen, die hinter den aktuellen Unruhen in Brasilien stecken, erklärte Zhou Zhiwei, ein Experte für Lateinamerikastudien an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, gegenüber der Global Times. Tatsache ist, dass diese »Verteidiger von Freiheit und Demokratie« den fortschrittlichen Regierungen in Lateinamerika den Kampf angesagt haben. Im Juni vergangenen Jahres begrüßte Bolsonaros Sohn Eduardo auf einer CPAC-Konferenz in Brasilia unter anderem den 2021 gegen den jetzigen Amtsinhaber Gabriel Boric unterlegenen ultrarechten chilenischen Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast und den argentinischen Politiker Javier Milei, der für 2023 eine Präsidentschaftskandidatur plant. Im November stimmte eine CPAC-Konferenz in Mexiko-Stadt die Teilnehmer dann auf »harte Kämpfe« ein. Zu den Einpeitschern gehörten Eduardo Bolsonaro, der dazu aufrief, »das Monopol der Linken auf den Straßen zu brechen«, und der aus Bolivien zugeschaltete Gouverneur des Departamentos Santa Cruz, Luis Fernando Camacho. Der rechte Oppositionspolitiker sitzt seit dem 28. Dezember wegen des Vorwurfs des Terrorismus, der Verschwörung und der Volksverhetzung im Zusammenhang mit dem Putsch gegen den gewählten Staatschef Evo Morales vor gut drei Jahren in Untersuchungshaft.

Mit der Unterstützung Bolsonaros und seiner Anhänger haben auch die US-Demokraten auf Kräfte gesetzt, die von Donald Trump gefördert werden. Allerdings enttäuschte Bolsonaro, der zwar wie gewünscht rund 8.200 kubanische Mediziner aus dem Land gejagt und den Austritt aus der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) vollzogen hatte, weitergehende Erwartungen der US-Regierungen. So scheiterten die Pläne zur Übernahme des nach wie vor halbstaatlichen Mineralölunternehmens »Petrobas« durch US-Firmen und das Land blieb Mitglied der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), in der die USA eine Bedrohung ihrer Interessen sehen. Da die »Bolsonaristen« wegen der enttäuschten Erwartungen und des Einflusses von Trump als unsichere Kandidaten gelten und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva durch deren jüngste Aktion, die Erstürmung des Obersten Gerichts, des Kongresses und des Präsidentenpalastes, – zumindest vorübergehend – sogar gestärkt wurde, dürfte Washington künftig versuchen, interne Konflikte zu schüren und Chaos zu erzeugen, um den Einfluss des Landes zu minimieren. Die US-Politik gegenüber Kuba, Venezuela und Nicaragua beweist, dass auch US-Präsident Joseph Biden und die Strategen der Demokratischen Partei für derartige Ziele den aggressiven Forderungen ultrarechter Hardliner folgen.

Ein Grund dafür ist der schwindende Einfluss der USA beim Übergang von einer unipolaren zur multipolaren Weltordnung. Die neue Ordnung wird nach Einschätzung des Credit-Suisse-Analysten Zoltan Pozsar vom 27. Dezember »nicht von den westlichen G7-Industrieländern, sondern von den aufstrebenden Ökonomien der BRICS-Staaten gestaltet werden«. Die von China und Russland vorangetriebene Erweiterung zu »BRICS plus« wird den Zugriff der US-Wirtschaft auf Rohstoffe in Eurasien, dem Nahen Osten und Afrika weiter erschweren. »Die Ukraine ist ein schwarzes Loch und eine schwache EU, die von Washington gezwungen wird, US-Flüssiggas (LNG) zu absurd hohen Preisen zu kaufen, hat keine wesentlichen Ressourcen, die das Imperium plündern könnte«, skizzierte der brasilianische Journalist Pepe Escobar im Onlinemagazin The Cradle ein für die USA düsteres Szenario. Der salvadorianischen Wissenschaftsjournalist Igor Iván Villalta Sorto schrieb dazu im Onlineportal Resumen Latinoamericano, dass »die Vereinigten Staaten, wenn sie ihre globale Vorherrschaft verlieren, aber Lateinamerika behalten, immer noch sehr stark sein könnten, da der Kontinent über einen Reichtum an Ressourcen verfügt«. US-freundliche Regimes in Ländern mit besonders großen Rohstoffreserven wie Argentinien, Bolivien und Chile (Lithium), Venezuela (Erdöl), Peru (Silber, Molybdän), Brasilien (Eisen, Zinn) und sogar Kuba (Kobalt) könnten daher für die US-Wirtschaft zu einer Überlebensfrage werden.

Hintergrund: »Brasilianischer Maidan«
Im ersten Anlauf ist es der rechten Opposition in Brasilien zwar nicht gelungen, die Regierung zu stürzen, doch der Sturm auf öffentliche Gebäude vom 8. Januar dürfte nur der Auftakt für weitere Versuche dazu gewesen sein. Im benachbarten Peru hatte es Monate gedauert, bis der am 6. Juni 2021 gewählte Präsident Pedro Castillo am 7. Dezember 2022 mit einem parlamentarischen Staatsstreich gestürzt wurde.

Nach und nach kommt ans Licht, dass der Putschversuch, den der investigative Journalist Pepe Escobar vor wenigen Tagen als einen von der CIA unterstützten »brasilianischen Maidan« bezeichnete, möglicherweise von Florida aus vorbereitet wurde und Unterstützer in Provinzregierungen, Polizei und Militär hatte. Am Sonnabend wurde der ehemalige Sicherheitschef der Hauptstadt, Bolsonaros früherer Justizminister Anderson Torres, nach Rückkehr aus den USA verhaftet. In seinem Haus war ein Dokument mit Plänen für eine »Korrektur des Wahlergebnisses« gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft ist das »ein Beweis dafür, dass der Putschversuch geplant war« und Torres die gewalttätigen Ausschreitungen unterstützt habe. Auch gegen den Gouverneur von Brasilia, den Bolsonaro-Vertrauten Ibaneis Rocha, der für 90 Tage seines Amtes enthoben wurde, ermitteln die Justizbehörden.

Am Wochenende genehmigte das Oberste Gericht schließlich einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auch den Expräsidenten in die Ermittlungen gegen die Drahtzieher der Terroranschläge in Brasilia einzubeziehen. Staatsanwalt Lucas Rocha Fortado forderte, seine Konten einzufrieren. Bolsonaro, der sich Ende Dezember nach Florida abgesetzt hatte, könnte wegen Aufwiegelung, Anstiftung und Unterstützung von Verwüstungen und Plünderungen angeklagt werden. Die Ermittler berufen sich auf ein mittlerweile von Bolsonaro wieder gelöschtes Video, das dieser am 10. Januar bei Facebook veröffentlicht hatte. Darin war die Rechtmäßigkeit der Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva erneut bestritten worden. (vh)


Um die Vorkommnisse am 8. Januar 2023 in Brasília besser zu fassen, haben wir hier eine kleine Videosammlung angelegt, die wir über den Twitter-Account von Niklas Franzen (Autor, Journalist & Brasilien-Experte) gefunden haben und eine kurze Einschätzung aus antifaschistischer Perspektive zur Situation in Brasilien als Redaktion verfasst:

Am 8. Januar haben Anhänger:innen des ehemaligen brasiliansichen Präsidenten Jair Bolsonaro das Kongressgebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Brasília gestürmt und überall in der Hauptstadt randaliert.

Bolsonaro betätigt sich sei 1988 in wechselnden politsichen Parteien, jedoch immer mit nationalistisch reaktionärer Gesellschafts- und neoliberaler Wirtschaftspolitik. Seine Politik, auch als Präsident von 2018 bis 2022, richtet sich gegen die Rechte von Frauen, Homosexuellen, Indigenen und Armen. Er vertritt einen harten „Law and Order“-Kurs, ist gegen die Sekularisierung und lobt immer wieder die Geschichte der brasilianischen Militärdiktatur, wie auch anderer rechter und faschistischer Diktatoren in Südamerika. Er leugnet die Corona-Pandemie, welche unter seiner Präsidentschaft etwa 600.000 Tote in Brasilien forderte. Während die Bevölkerung unter der Politik von Bolsonaro zu leiden hatte, profitierten große Teile des Kapitals davon. Bolsonaro erleichterte die verstärkte (Brand-)Rodung des Regenwaldes, was vor allem dazu führt, dass sich Konzerne bislang für Kapitalinteressen nicht verwertbares Land nutzbar machen können, die inigene Bevölkerung vertrieben wird und die Klimakrise weiter angeheizt wird. Auch gab es unter Bolsonaro eine Rentenreform, durch die das Renteneintrittsalter angehoben wurde und die Privatisierung vormals staatlicher Betriebe und Unternehmen wurde unter seiner rechten Regierung weiter vorangetrieben.

Die Wahl 2022 verlor er mit 43% der Stimmen im ersten Wahlgang und 49% der Stimmen in der Stichwahl. Das zeigt, wie groß seine Anhänger:innenschaft noch immer ist. Aber noch wichtiger als die Zahl derer die bereit sind, ihm ihre Stimme zu geben, ist die Zahl derer, die für seine Politik auf der Straße aktiv werden.

„Es ist noch nicht vorbei: Das Regierungsviertel in Brasília scheint weitestgehend geräumt zu sein, aber Bolsonaro-Anhänger*innen führen an mehreren Orten Straßenblockaden durch.“ Link

Von den Angreifer:innen des 8. Januar wurden allein etwa 1.500 festgenommen. Polizist:innen und Soldat:innen solidarisierten sich teilweise mit den rechten Putschist:innen. Kein Wunder, denn die Politik des Ex-Militärs Bolsonaro war immer zu Gunsten von Militär und Polizei. Hinter dem Reaktionär Bolsonaro steht also eine große, aktive und gefährliche Massenbewegung, die nicht unerhebliche Teile des staatlichen Gewaltaparates mit einschließt – auch wenn er sich selbst von den Ausschreitungen seiner Anhänger:innen distanziert.

„Es werden immer mehr Details über die Rolle von einigen Sicherheitskräften beim gestrigen Sturm auf das Regierungsviertel bekannt. Dieses Video zeigt einen Oberst der Armee, der versuchte, Polizisten davon abzuhalten, rechtsextreme Demonstrierende festzunehmen.“ Link

Offensichtlich sind Bolsonaro und seine Bewegung, ob sie sich nun gegen das Recht auf Abtreibung einsetzen, das Land an die USA oder andere imperialistische Mächte verkaufen, die Bauernbewegung verfolgen oder eine Pandemie die allein in Brasilien hundertausende Tote gefordert hat leugnen, ein Schaden für die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung. Noch war Bolsonaros Präsidentschaft keine faschistische Diktatur und es war möglich ihn abzuwählen.

Doch eine sozialdemokratische Regierung ist am Ende auch nicht im Stande, die Widersprüche der ausbeuterischen Klassengesellschaft Brasliens zu lösen, und somit auch nicht die faschistische Gefahr entgültig zu bannen. Denn der Faschismus wird immer eine Option zum Erhalt der Macht des Kapitals bleiben und die Unzufriedenheit der Menschen mit ihren Lebensbedingungen einfangen und in reaktionäre Bahnen lenken.

„“Keine Amnestie, keine Amnestie”: In Rio de Janeiro fordern tausende Demonstrant*innen, dass der Bolsonaro-Klan für den Angriff auf Brasiliens Demokratie zur Rechenschaft gezogen wird.“ Link

Sich im Kampf gegen den Faschismus auf eine sozialdemokratische Regierung, beziehungsweise den Staat zu verlassen, ist schon deshalb offensichtlich unzureichend, weil diese sozialdemokratische Regierung den bewaffeneten Arm des Staates offenbar nicht gänzlich unter Kontrolle hat. Stattdessen liegt es an den Brasilianer:innen, antifaschistischen Selbstschutz zu entwickeln und weiterhin, wie in den Tagen nach dem Putsch, auf die Straße zu gehen.

„Ultras gegen Bolsonaro: In São Paulo sind gerade Fans von Corinthians auf dem antifaschistischen Protest eingetroffen und demonstrieren gemeinsam mit Tausenden gegen den gestrigen Putschversuch in Brasília.“ Link

Auch wenn der Schutz des Liberalismus vor dem Faschismus keine befriedigende Perspektive ist, so ist er doch die Verantwortung aller Linken, um die schlimmste Offensive der Reaktion gegen die Werktätigen und Lohnabhängigen abzuwehren. Denn Rechte an der Macht bedeuten, wie sich in Brasilien unter Bolsonaro mehr als deutlich gezeigt hat, immer konkrete und direkt spürbare Verschlechterung der Lebensbedingungen unserer Klasse, insbesodere für marginalisierte Gruppen. Und immerhin bietet die liberale Demokratie doch bessere Bedingungen, um für wirkliche Alternativen zu kämpfen.

„Der Protest in Rio de Janeiro ist nun auf einige Tausend angewachsen. Viele Demonstrierende machen Ex-Präsident Jair Bolsonaro für die Gewalt am Sonntag mitverantwortlich und fordern von den USA seine Auslieferung nach Brasilien.“ Link