Volksfest für die AfD

„Compact“ und die Partei

„Compact“ organisiert „Volksfeste“ unter dem Motto „Die blaue Welle rollt“. Das rechtsextreme Magazin behauptet, das habe nichts mit der AfD zu tun. Doch eine Recherche in Wertheim zeigt, wie stark die AfD in das dortige Fest eingebunden war und dass es sich um verdeckte Parteienfinanzierung handeln könnte.

Auf dem Wertheimer Marktplatz am 18. Mai 2024. Foto: Andreas Tischler

Es ist ein gemütlicher Samstagmittag in Wertheim. Die Stadt mit knapp 25.000 Einwohner:innen liegt in Tauberfranken im Nordosten Baden-Württembergs an der bayrischen Grenze. Ein älterer Mann führt Tourist:innen durch die Altstadt, zeigt Fachwerkhäuser und enge Gassen. Ein Country-Duo spielt auf dem Marktplatz. Die Menschen lauschen Kaffee trinkend Johnny Cashs „Ring of Fire“.

Am frühen Nachmittag beendet das Duo seinen Auftritt. Inzwischen steht die Polizei am Rande des Marktplatzes. Die Polizist:innen erwarten einen Transporter mit einer Bühne. Das vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte „Compact“-Magazin will auf dem Marktplatz ein sogenanntes „Volksfest“ veranstalten. Die Stadt Wertheim hatte im Vorfeld versucht, das Event von der Altstadt an den Stadtrand zu verlagern, unterlag aber vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart.

„Compact“ führte in den vergangenen Wochen bereits mehrere „Volksfeste“ in Ostdeutschland durch. Nun folgt mit Wertheim die erste Kundgebung im Westen der Republik. Das Motto der rechtsextremen Tour lautet „Die blaue Welle rollt“. Zur Finanzierung der Tour bittet Chefredakteur Jürgen Elsässer um Spenden. Ende 2023 sagte er in einem Video: „Wenn Sie uns unter die Arme greifen wollen, damit wir der AfD unter die Arme greifen können und dieses blaue Wunder 2024 möglich machen, dann zögen Sie nicht, uns zu helfen.“ Elsässer machte die Intention der Tour deutlich: Das Magazin wolle „der AfD unter die Arme greifen“. Er gab preis, man wolle die Bühne verleihen. „Natürlich auch an die AfD“, betonte er.

Im Frühjahr 2024 äußerte die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner gegenüber dem ARD-Politikmagazin „Kontraste“: „Hier wird Wahlkampfunterstützung für die AfD gemacht. Und wenn man einer Partei Geld zukommen lässt, aber auch geldwerte Leistungen – hier eine Bühne, Programm, Technik, Werbung –, dann ist das Geld, das der Partei zukommt. Und wenn das sozusagen verdeckt läuft, und es läuft ja verdeckt, das ist ja formal eine Veranstaltung von Compact, dann ist es möglicherweise auch verschleierte Parteienfinanzierung. Und das ist illegal.“ Renner bat die Bundestagsverwaltung, den Verdacht auf illegale Parteienfinanzierung zu prüfen. Um neuerlichen Ärger wegen unrechtmäßiger Spenden zu vermeiden, mahnte die AfD das rechtsextreme Magazin mit einer Unterlassungsklage ab. Die Abmahnung hatte Erfolg – und Elsässer musste klarstellen, „dass es sich […] nicht um Wahlwerbung für die AfD handelt“.

Die Veranstaltung in Wertheim lässt daran Zweifel aufkommen.

„Auf Anregung“ einer AfD-Politikerin

Um 13:30 Uhr trifft der Transporter auf dem Marktplatz ein. Mehrere Männer und eine Frau bauen die Bühne auf. Pünktlich um 17 Uhr beginnt vor etwa 150 Zuschauer:innen das „Volksfest“ mit einigen Coversongs des Elvis-Presley-Imitators Olav Mischulke aus Main-Tauber. „Ich liebe Viktor Orban“, bekennt der selbsternannte „Halb-Ungar“ zwischen seinen Songs. Dann tritt Elsässer ans Mikrofon. Nicht nur im Netz, auch in Wertheim betont er: „Wir machen keine Parteiwerbung, sondern wir machen Werbung für Deutschland und für die Freundschaft mit Russland.“ Das sei ein Anliegen der AfD, aber auch anderer Parteien wie dieBasis und Bündnis Sahra Wagenknecht. Später wird André Poggenburg – einst AfD-Politiker in Sachsen-Anhalt, heute regelmäßiger Gast in Compact TV – einstimmen: „Das ist eine Wahlkampfveranstaltung, aber nicht für eine einzelne Partei.“

Auf dem Wertheimer Marktplatz wird Gegenteiliges deutlich: Nach Elsässer betritt Christina Baum die Bühne. Die Kundgebung soll, so teilte das Magazin auf seiner Website mit, „auf Anregung“ der AfD-Bundestagsabgeordneten stattfinden. Wertheim liegt in ihrem Wahlkreis. Baum ist seit Längerem eine beliebte Gesprächspartnerin des Magazins, im vergangenen Jahr widmete „Compact“ der engen Vertrauten Björn Höckes ein Porträt, besser ein Loblied auf die AfD-Politikerin. Baum wird zur „Ikone des außerparlamentarischen Widerstands“ erklärt. Sie werde „von den Eliten gehasst“ und „vom Volk geliebt“, schreibt das Magazin überschwänglich. In Wertheim schwärmt der Moderator, sie sei „im Bundestag eine sehr, sehr standhafte Frau“, und fügt hinzu: „Wir brauchen eine starke, eine reibungsfähige, eine kritikfähige Partei und die ist und bleibt die AfD.“

AfD sorgt für Reden und Ordnung

Baum nutzt ihre Rede, um die AfD zu bewerben. Sie sagt, es gebe „nur eine Partei, die konsequent sich für Frieden einsetzt“, und wird deutlich: „Wenn ihr an der Wahlurne steht, habt auch das im Hinterkopf, welche Partei tatsächlich für Frieden einsteht.“ Am Ende ihrer Rede kündigt sie einen „ganz tapferen Unternehmer aus dem Kreis“ an. Dass Hans-Dieter Utke ein AfD-Kreistagskandidat und Beisitzer im Vorstand der AfD Main-Tauber ist, bleibt unerwähnt. Anfangs beklagt der Spediteur die Maut, später das Urteil gegen Höcke. Weil der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende eine illegale SA-Parole benutzt hatte, erhielt er eine Geldstrafe. Utke verteidigt Höcke: „Dieser Mann“ sei „einer der fähigsten Leute, den die AfD jemals zustande gebracht hat“. Fotos, die Kontext vorliegen, belegen: Nicht nur mit Redner:innen ist die AfD in die Durchführung des Events eingebunden.

Stefan Hartmann, Vorsitzender der AfD Main-Tauber, und mehrere seiner Parteikollegen fungieren als Ordner. Foto: privat

Gleich mehrere AfD-Kreistagskandidat:innen sind Ordner:innen der Veranstaltung. So trägt Stefan Hartmann, der Vorsitzende der AfD Main-Tauber, eine Ordnerbinde. Auch Lorenzo Pianka und Roman Dupke, die im Vorstand der AfD Main-Tauber tätig sind, tragen Ordnerbinden. Nach Angaben der Partei ist Dupke ein aktiver Soldat. Auf dem Marktplatz lässt er ein Erinnerungsfoto mit dem Rechtsextremen Elsässer schießen. Vor Ort hat die AfD einen Infostand, um Wahlkampfmaterial zu verteilen. Auch an einem Büchertisch von „Compact“ wird die AfD angepriesen und verkauft das Buch „Politik von rechts“ von Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, der derzeit auf Ansage des Parteivorstands nicht auftreten darf. Krah soll Geld aus Russland angenommen und sein Mitarbeiter Jian G. soll für China spioniert haben. „Compact“ sieht in den Vorwürfen gegen Krah eine „Inszenierung“. In seiner Rede beschwört Elsässer die Einigkeit der Partei. Er fordert, man müsse „gegen die schmutzigen Lügen des Gegners“ zusammenstehen.

AfD Main-Tauber als „Gastgeber“

Unter Anhänger:innen gab die AfD Main-Tauber das „Volksfest“ als eigenes Wahlkampfevent aus. Das geht aus E-Mails, die Kontext vorliegen, hervor. Am 1. Mai 2024 kündigte Hartmann an: „Liebe Mitglieder und Parteifreunde, im Mai haben wir mehrere Wahlkampfveranstaltungen geplant“ und nannte als erste die „blaue Welle“ in Wertheim. Auch auf Facebook kündigte die AfD Main-Tauber die „blaue Welle“ an und bezeichnete sie explizit als „Wahlkampfveranstaltung“. Am 19. Mai 2024, einen Tag nach der Kundgebung in Wertheim, schrieb Hartmann eine weitere E-Mail an „Mitglieder und Parteifreunde“ und befand, „unsere gestrige Veranstaltung mit Compact ist gut verlaufen“. „Mit“, nicht „von“ – das klingt, als hätte nicht „Compact“, sondern die AfD das Event veranstaltet.

Sowohl die AfD Main-Tauber als auch „Compact“ ließen Presseanfragen zur AfD-Einbindung in die Kundgebung unbeantwortet. Die Linken-MdB Martina Renner hingegen antwortete. Sie sieht mit den Erkenntnissen aus Wertheim eine Reihe weiterer Indizien, dass „Compact“ eine „geldwerte Unterstützung“ erbracht haben könnte. Auf Anfrage erklärte sie, zwar sei im Rahmen mehrerer „Volksfeste“ versucht worden, „diesen Anschein zu vermeiden“. Jedoch zeige der Fall Wertheim die „teils sogar organisatorische Einbindung von AfD-Funktionären und -Mitgliedern“. Das sei ein „deutliches Zeichen für die Exklusivität der Wahlunterstützung der AfD“. Kontext konfrontierte auch die Bundestagsverwaltung mit den Erkenntnissen aus Wertheim. Die teilte mit, aktuell werde eine „Sachverhaltsklärung“ durchgeführt. Solange die Klärung laufe, gebe sie „keine Auskünfte“.