Wahlen in Italien – Meloni und die FdI

Nachdem im Juli Italiens Ministerpräsident Draghi zurücktrat und die Parlamentskammern aufgelöst wurden, wurde heute ein neues Parlament in Italien gewählt. Die Wahlbeteiligung war sehr niedrig und es sind noch nicht alle Stimmen ausgezählt, doch eines zeichnet sich bereits ab: Das Rechtsbündnis aus Melonis ultrarechten Partei Fratelli d’Italia (FdI), Salvinis rechtsnationaler Lega und Berlusconis Forza Italia liegen klar vorne. Wenn das so bleibt, wird Giorgia Meloni vermutlich die nächste Ministerpräsidentin. Wer sie ist und welche Politik die FdI verfolgt, behandelte die Tageszeitung junge Welt kürzlich in einem Beitrag:

Meloni vor Ernte

Geformt in der Jugendfront des faschistischen Movimento Sociale Italiano. Die Karriere der Chefin der extrem rechten Fratelli d’Italia

Wenn die Italiener am 25. September zur Neuwahl des Parlaments aufgerufen sind, darf inzwischen davon ausgegangen werden, dass die äußerste Rechte des Landes den Sieg davontragen wird. Gemäß Umfragen vorne liegt mit gut 24 Prozent Wählerzuspruch die Partei einer veritablen Faschistin: Georgia Melonis Fratelli d’Italia (FdI).

Italien droht die Regierung einer vorgeblichen Exfaschistin, die aber auf Mussolini immer noch nichts kommen lassen will (Georgia Meloni, Wahlkampf in Mailand, 11. September 2022) Foto: Matteo Gribaudi/Image nella/imago

Die am 15. Januar 1977 in Rom geborene Meloni stammt, wie sie gerne betont, aus den einfachen Verhältnissen einer Angestelltenfamilie. Was sie verschweigt: Ihre aus Sizilien stammende Mutter Anna Paratore gehörte dem faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) an. Ihr Vater Francesco Meloni war ein aus Sardinien stammender Steuerberater, den sie in einem Interview 2006 als überzeugten Kommunisten bezeichnete, der die Familie, als sie drei Jahre alt war, verließ.1Magazin des Corriere della Sera, Mailand, 7.12.2006 Als 15jährige Gymnasiastin trat sie 1992, dem Beispiel der Mutter folgend, in den Fronte della Gioventù (Jugendfront) des MSI ein, eine Kaderschmiede zur Heranbildung des Parteinachwuchses.

Im Geiste Mussolinis

Im Dezember 1946 gegründet, war der MSI de facto die Nachfolgepartei von Mussolinis Partito Nazionale Fascista. Daran ändert auch nichts, dass der MSI sich 1994/95 zur Vertuschung seiner Vergangenheit in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, die die linke Tageszeitung Il Manifesto eine »Nazi-onale Allianz« nannte. Die AN wurde mit dem Ziel gebildet, »eine viel breitere Front zu schaffen, die eine viel größere Gefolgschaft um sich schart als der MSI, jedoch ohne auch nur im geringsten die Vergangenheit zu leugnen; die auf nichts verzichtet, sondern die gemeinsamen Ziele weiterverfolgt.«2So die Einschätzung des Historikers Corrado De Cesare in »Il Fascista del Duemilla. Le Radici del Camarata Gianfranco Fini«, Mailand 1995, S. 93f. Während AN-Anführer Gianfranco Fini so das Bekenntnis zum faschistischen Erbe betonte, konnte er gleichzeitig »die Erneuerung des MSI behaupten, ohne dass sie stattgefunden hätte«, schätzte der Rechtswissenschaftler Mario Losano ein und fügte hinzu, dass auch »die Orientierung an der faschistischen Ideologie,(…) wenn auch mit verbalen Abänderungen und Abschwächungen, de facto eine Konstante dieser Partei geblieben« ist.3Mario G. Losano: Sonne in der Tasche. Italienische Politik seit 1992, München 1995, S. 92 u. 99

MSI-Gründer Giorgio Almirante war Staatssekretär des »Duce«, dessen führender Rassenideologe, unter anderem Mitherausgeber des rassistischen Hetzblattes Difesa della Razza, und hatte noch kurz vor Kriegsende einen »Genickschusserlass« gegen Partisanen unterzeichnet. Bei der MSI-Gründung zu dessen Vorsitzendem gewählt, bekannte er sich mit der Würdigung des faschistischen Parteiprogramms von 1919 und der Festlegung im MSI-Programm, »die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen«, zur Wahrung des Mussolini-Erbes, hielt an dieser Position bis zu seinem Tod 1988 fest und gab sie an seine Nachfolger weiter. Der Parteiname »Movimento Sociale Italiano« sollte eine Beziehung zur Repubblica Sociale Italiano⁴ und – durch die Abkürzung MSI – zum Namen Mussolinis herstellen. Als Parteisymbol wählte der MSI einen schwarzen Sarg, über dem eine Flamme in den Farben der italienischen Trikolore lodert. Es sollte, wie die Partei offen propagierte, darstellen, dass »Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen«. Zum Ehrenvorsitzenden wurde der Kriegsverbrecher Junio Valerio Borghese gewählt.

Er war unter Mussolini Kommandeur der berüchtigten Decima Flottiglia MAS, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. Torpedobootflottille, gewesen. Wegen wenigstens 800fachen Mordes wurde er 1950 als Kriegsverbrecher verurteilt, auf Betreiben der USA aber nach kurzer Zeit begnadigt. Im Dezember 1970 scheiterte er bei dem Versuch, in einem von italienischen und NATO-Militärs unterstützten Putsch die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und sich als Präsidenten auszurufen.4I Giorni della Storia d’ Italia. Cronaca quotidiana dal 1815, Novara 1991, S. 669

Der MSI wurde so, wie die Nummer zwei der Bewegung, der faschistische Veteran Pino Rauti, einschätzte, dank derer gegründet, »die weiter glaubten« und »unbeugsam Rache« forderten.5MSI-Zeitung Secolo d’Italia, 23.1.1972 Mit der »Sozialbewegung« entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolini-Partei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassunggebenden Versammlung verstieß, die lautete: »Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wiedergründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft.«6Zit. n. Daniel Barbieri: Agenda néra, Rom 1976, S. 24 f.

Unbeschwertes Verhältnis

Nicht zufällig trat Meloni 1992 in die Jugendfront des MSI ein. Der Beitritt erfolgte am 28. Oktober, dem 70. Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom, dem faschistischen Putsch zur Machtergreifung. In Rom marschierten an diesem Tag 10.000 Faschisten, darunter zahlreiche Jugendliche in T-Shirts mit dem Bild Mussolinis, durch die Straßen, erhoben die Arme zum Führergruß, schrien »Duce, Duce« und »Viva il fascismo«. Die junge Faschistin Meloni dürfte dabeigewesen sein.

Im Parteiblatt Secolo d’Italia war am nächsten Tag zu lesen, dass sich am Abend zu einem Bankett mit dem »neuen Duce« 1.200 verdiente Parteikameraden und Veteranen der Bewegung versammelt hatten, unter ihnen die Witwe von Giorgio Almirante, Finis verstorbenem Vorgänger. Unter einem gigantischen Foto Mussolinis stand die aufschlussreiche Losung: »70 Jahre Geschichte, Kampf, Träume. Es lebe der 28. Oktober, es lebe die faschistische Revolution.« Fini rief aus: »Wir schauen in die Zukunft, aber wir halten an unseren Wurzeln fest.« Zur Bekräftigung war selbst die riesige Festtagstorte in der Form der Flamme gestaltet, die den Geist des »Duce« verkörpern soll. Im Zeichen der Flamme stimmten die Gäste den alten Choral der Sturmabteilungen an: »Zu den Waffen, wir sind Faschisten«.7Goffredo Locatelli/Daniele Martini: Duce addio. La Biografia di Gianfranco Fini, Mailand 1964, S. 116f. Danach fand in Mailand eine neue Demonstration faschistischer Stärke statt. 5.000 Faschisten in Schwarzhemden, Jugendliche in Kampfanzügen und mit Hakenkreuzen, Sieg-Heil-Rufe schreiend, zogen durch die Straßen. Am Abend sprach Fini im Teatro Lirico, brachte Lobeshymnen auf den Faschismus aus und sagte, es sei »notwendig, es auszusprechen: Nur dank Mussolini ist Italien 1922 nicht kommunistisch geworden«.8Ebd., S. 93f. u. S. 117.

Dreißig Jahre später demonstrierte Meloni ihr Festhalten am unverfälschten Erbe des Mussolini-Faschismus, als Assunta Almirante, die eben erwähnte Witwe des MSI-Gründers, am 26. April verstarb. Der Corriere della Sera erinnerte daran, dass Almirante seit dem Tod ihres Ehemanns als »respektierte Königinmutter und Gralshüterin des Erbes Mussolinis in der Bewegung« galt. Meloni nahm teil an der Beerdigung in der Basilika Santa Maria in Montesanto auf der Piazza del Popolo in Rom mit zahlreichen führenden Faschisten ihrer FdI, die am Sarg »den römischen Gruß« zeigten. Laut dem Corriere würdigte die FdI-Führerin die Frau des MSI-Gründers als »eine Säule des historischen Gedächtnisses der italienischen Rechten« und fügte hinzu: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus.«

Bei ihrer Ankündigung, für das Amt der Ministerpräsidentin zu kandidieren, erklärte Meloni, dass »die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts bekannt sind, und es darum geht, sie zu wiederholen«. Damit sind jene zwölf Jahre gemeint, in denen Italien mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011 von Silvio Berlusconi regiert wurde. Die erste im Mai 1994 von Berlusconi mit dem MSI und der Lega gebildete Regierung charakterisierte Il Manifesto am 15. Mai 1994 als eine »schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest«.9Fininvest ist das Firmen- und Medienimperium Berlusconis MSI-Führer Fini wurde Vizepremier und bekräftigte seine vorausgegangenen Treuebekundungen zu Mussolini sowie die Aktualität von dessen Erbe und feierte den »Duce« als den »größten Staatsmann des Jahrhunderts«. Altfaschist Pino Rauti, die in den Senat gewählte Nummer zwei der Bewegung, sekundierte: »Wir sollten uns daran erinnern, dass hinter uns der Marsch auf Rom liegt, der Korporativismus, der Zweite Weltkrieg gegen die Plutokratien, die Repubblica Sociale«. Rauti nannte das »bleibende Werte, (…) ein kulturelles und programmatisches Vorratslager, aus dem wir schöpfen«.10Unità (Zeitung des PCI, ab 1991 des PDS), 18.5.1994 Fini beantragte, das in der Verfassung verankerte Verbot der Mussolini-Partei aufzuheben, um damit deren faschistische Herrschaft zu rehabilitieren.

Angriffe auf die Verfassung

Die Angriffe auf die Verfassung kommen regelmäßig von rechts. So hat Meloni angekündigt, dass sie Berlusconis Pläne zur Errichtung eines Präsidialregimes aufgreifen wolle. Der Medientycoon wollte schon während seiner Regierungszeit die Direktwahl des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten einführen und den Senat als zweite Kammer abschaffen. Aus der Verfassung sollten 84 der 184 Artikel gestrichen oder abgeändert werden. Der damalige Präsident des Verfassungsgerichts, Ettore Gallo, nannte das einen »Staatsstreichversuch«. Meloni will nun erst einmal mit der Direktwahl des Staatspräsidenten beginnen. Expremier Berlusconi begrüßt das nicht nur als Verwirklichung seiner damals gescheiterten Pläne, sondern verlangte obendrein, dass dann sofort der nach den bisherigen Grundsätzen der Verfassung, das heißt von beiden Kammern des Parlaments 2021 gewählte Präsident Sergio Mattarella zurücktreten müsse. Insofern gehe es bei der kommenden Wahl um »die Verteidigung der Verfassung oder um ihren Sturz«, stellte der Sekretär des linksliberal-sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Enrico Letta, klar.

Anlässlich des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua demonstrierte Berlusconi, der auf einem Gipfel der EU in Göteborg vor den mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs provokatorisch erklärt hatte, Italien von Kommunisten und Exkommunisten (den sozialdemokratischen Linken) »zu befreien«, wie er gedachte, in Italien »Ordnung zu schaffen« und mit der »Hinterlassenschaft der Linken« aufzuräumen. Während des Gipfels wurden mehr als 600 Demonstranten festgenommen und in »Gefangenensammelstellen« gepfercht. Ein Beamter der Carabinieri tötete den Studenten Carlo Giuliani von einem Jeep heraus mit einem gezielten Schuss. Mehr als 300 Personen wurden blutig zusammengeschlagen, 54 von ihnen in einer Carabinieri-Kaserne unter Hitler- und Mussolini-Bildern gefoltert, während sie »Viva il Duce« rufen mussten. Der Arzt und Präsident der italienischen Liga zur AIDS-Bekämpfung, Vittorio Agnoletto, erklärte, in Genua habe eine Operation wie in Chile unter Pinochet stattgefunden. Bodo Zeuner von der Freien Universität Berlin warnte, »wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt. Wer den Überfall auf die Armando-Diaz-Schule in Genua als irgendwie entschuldbar durchgehen lässt, leistet Beihilfe zu einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft.« Das war, wie Fausto Bertinotti, Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC),11Nach der Umwandlung der Kommunistischen Partei (PCI) 1990/91 in den sozialdemokratischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) gegründete Nachfolgepartei. einschätzte, Berlusconis Ziel: »Systematisch jeden Widerstand zu zerschlagen und sein Wachstum unmöglich zu machen«, um »einer politischen Wende in Richtung eines faschistischen oder autoritären Regimes« den Weg freizumachen.12PRC-Zeitung Liberazione, 24.6.2001

Gegen diesen Kurs formierte sich ein von Arbeitern getragener Widerstand, mit dem sich Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen, Juristen, Schriftsteller und Künstler, Schüler und Studenten, Lehrer der allgemeinbildenden und Hochschulen solidarisierten. Literaturnobelpreisträger Dario Fo warnte im Januar 2002 in einem Vortrag vor dem Collège international de philosophie in Paris vor einer »Etablierung des Faschismus«. Umberto Eco sah im Regierungskurs Berlusconis ein Erbe des »übelsten Faschismus« des »Duce«. Antonio Tabucchi verglich Berlusconi in einem kurzen Text mit dem Titel »Im Reich des Heliogabal«13Elagabal, Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218 bis 222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von meuternden Soldaten erschlagen. mit eben jenem römischen Kaiser und charakterisierte seine Herrschaft als »eine orientalische Form der Despotie nach jener Art, die Heliogabal über Rom errichtet hatte«. Schriftsteller und Kulturschaffende wie Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti und Stefano Benni unterschrieben mit rund 200 bekannten Intellektuellen einen von Gian Mario Anselmi und Alberto Asor Rosa initiierten Appell, die grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens zu verteidigen.14Vgl. Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi, Berlin 2003 Der für seine mutigen Untersuchungen faschistischer Attentate bekannte Mailänder Generalstaatsanwalt Gerardo D’Ambrosio mahnte öffentlich, den verfassungsfeindlichen Machenschaften Berlusconis entgegenzutreten, sonst werde »die Demokratie im Dunkel der Nacht versinken«.15In Liberazione, 13.4.2002

Bestechung und Korruption

Von 2006 bis 2008 wurde Berlusconis Herrschaft von einer Mitte-links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi unterbrochen. Im Januar 2008 erlitt Prodi im Senat eine Abstimmungsniederlage und musste zurücktreten. Berlusconi wurde beschuldigt, für den Sturz Prodis einen Senator der Mitte-links-Koalition mit drei Millionen Euro zum Wechsel auf seine Seite bestochen zu haben. 2015 wurde er deswegen von einem Gericht in Neapel in erster Instanz zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 1. August 2013 war er bereits wegen Steuerbetrugs während seiner Amtszeit in letzter Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Die auf ein Jahr reduzierte Strafe konnte der 77jährige 2014 altersbedingt im Sozialdienst ableisten. Noch vor seinem Rücktritt war sein engster Vertrauter, Senator Marcello Dell’Utri, wegen Komplizenschaft mit der Mafia in zweiter Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Dabei kam auch ans Licht, dass Berlusconi in den 70er Jahren den Mafiaboss Vittorio Mangano als Hausmeister in seiner Villa San Martino in Arcore in der Lombardei beschäftigt hatte.

Georgia Meloni trat als 31jährige im Mai 2008 in die von Berlusconi mit der AN und der Lega gebildete vierte Regierung als Ministerin für Jugend und Sport ein und diente Berlusconi bis zu dessen Fall im November 2011. Die FdI-Führerin, die heute ihr soziales Engagement und ihr Eintreten für Gerechtigkeit betont, machte widerspruchslos die Politik ihres Kabinettschefs Berlusconi mit, der laut dem Mailänder Espresso »die persönlichen Interessen über die des Staates« stellte, eine »ineffiziente und unverantwortliche Regierungsführung« praktizierte und laut dem FIAT-Präsidenten und Agnelli-Erben Luca Cordero di Montezemolo Schuld am Bankrott des Landes und »der beispiellosen Staatskrise« trug.16Vgl.: »Berlusconis Exfreunde basteln Gegenbündnis«, Financial Times Deutschland, 6.4.2010; Corriere della Sera, 18.8.2010 Meloni hatte auch nichts dagegen, dass 2012 für Mussolinis Kriegsminister Marschall Rodolfo Graziani, im Oktober 1922 Teilnehmer am »Marsch auf Rom«, in dessen Geburtsort in der Gemeinde Affile im Latium am Rande der Hauptstadt eine Gedenkstätte errichtet wurde.

Heute stellt sich Meloni im Wahlkampf auch als Verfechterin der Würde der Frauen dar, während sie als Ministerin tatenlos zuschaute, wie ihr Regierungschef auf Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Prostituierten Sexorgien feierte, die das Ansehen jeder Frau in den Schmutz zerrten. Bleibt anzumerken, dass dieser Berlusconi bei einem Sieg der von Giorgia Meloni angeführten Koalition Senatspräsident werden soll.

Bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai 2011 erlitt Berlusconi schwere Niederlagen. Seine Partei Forza Italia, die er in Popolo della Libertà umgetauft hatte, sackte von 47 Prozent bei der Parlamentswahl 2008 auf 30 Prozent ab. Dann stimmten bei einem Referendum mehr als 90 Prozent für die Aufhebung der »Lex Berlusconi«, die ihn als Ministerpräsidenten vor strafrechtlichen Ermittlungen und gerichtlichen Anklagen schützte. Es folgten ein Generalstreik im September und danach anhaltende Massendemonstrationen mit nicht mehr zu überhörenden Rufen nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank die Zustimmung für den Medientycoon, der immer prahlte, vom Volk gewählt und geliebt worden zu sein, auf 22 Prozent. Schließlich trat Berlusconi am 12. November 2011 zurück.

AN-Führer Fini hatte mit Berlusconi gebrochen und wollte, gedeckt von FIAT-Chef und Confindustria-Präsident Montezemolo, zur Zusammenarbeit mit dem Partito Democratico übergehen. Die AN geriet in eine Krise, und für Meloni kam die Stunde der Bewährung. Um zu verhindern, dass die Mitglieder Fini folgten, gründete sie 2012 gemeinsam mit dem MSI/AN-Aktivisten Ignazio La Russa, in der letzten Regierung Berlusconi Verteidigungsminister, und einer Mehrheit der AN-Mitglieder die Partei Fratelli d’Italia. 2014 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Ihr strategisches Werk war der Erhalt einer faschistischen Bewegung als das, was sie für den reaktionärsten Teil des Kapitals immer war: eine Eingreifreserve in Krisenzeiten, wenn die Sozialdemokratie nicht mehr als zuverlässig erachtet wird. Diese Situation ist jetzt eingetreten, und Meloni hat klargemacht, dass der Hauptfeind der PD ist.

Den harten Kern der Faschisten um sich zu scharen gelang Meloni nur mit Bezug auf Mussolini, deshalb kann sie auch nicht die Flamme aus ihrem Parteilogo streichen, denn dann würde sie einen Teil ihrer Wähler an die Lega verlieren. Innerhalb des »Mitte-rechts-Bündnisses« war und ist Meloni eine ausgesprochene Hardlinerin, die – im Gegensatz zu Berlusconi und Lega-Chef Matteo Salvini – Kompromisse mit dem PD oder der Fünf-Sterne-Bewegung samt und sonders ablehnte. Demgemäß trat sie auch nicht in Mario Draghis »Regierung der nationalen Einheit« ein. Ihre Nähe zum Mussolini-Faschismus stellte sie erneut unter Beweis, als sie zu den EU-Wahlen 2019 den Urenkel des »Duce«, Caio Giulio Cesare Mussolini, aufstellen ließ. Dessen Aussage, er sei »stolz« auf seinen Urgroßvater, nahm Meloni zum Anlass, ihn eine »Bereicherung« der Wahlliste zu nennen.

Illusion der Machtteilung

Mit dem jüngsten Manöver des noch amtierenden Premiers, des früheren EZB-Bankers ­Draghi, nach einem Wahlsieg Melonis einer von ihr geführten Regierung zuzustimmen, setzt auch Brüssel ganz offensichtlich auf die faschistische Alternative. Mit der dann beabsichtigten Installierung Draghis im Präsidentenamt meint man, die Faschisten, wie es in Il Manifesto hieß, »domestizieren« zu können. Diese Mär ist nicht neu. Schon zu Mussolinis 1922 gebildeter erster Regierung, der sieben Minister bürgerlicher Parteien angehörten, wurde verbreitet, der »Duce« müsse die Macht mit ihnen teilen und könne so unter Kontrolle gehalten werden. Das hat sich bekanntlich als eine Illusion erwiesen.


Die junge Welt

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  • 1
    Magazin des Corriere della Sera, Mailand, 7.12.2006
  • 2
    So die Einschätzung des Historikers Corrado De Cesare in »Il Fascista del Duemilla. Le Radici del Camarata Gianfranco Fini«, Mailand 1995, S. 93f.
  • 3
    Mario G. Losano: Sonne in der Tasche. Italienische Politik seit 1992, München 1995, S. 92 u. 99
  • 4
    I Giorni della Storia d’ Italia. Cronaca quotidiana dal 1815, Novara 1991, S. 669
  • 5
    MSI-Zeitung Secolo d’Italia, 23.1.1972
  • 6
    Zit. n. Daniel Barbieri: Agenda néra, Rom 1976, S. 24 f.
  • 7
    Goffredo Locatelli/Daniele Martini: Duce addio. La Biografia di Gianfranco Fini, Mailand 1964, S. 116f.
  • 8
    Ebd., S. 93f. u. S. 117.
  • 9
    Fininvest ist das Firmen- und Medienimperium Berlusconis
  • 10
    Unità (Zeitung des PCI, ab 1991 des PDS), 18.5.1994
  • 11
    Nach der Umwandlung der Kommunistischen Partei (PCI) 1990/91 in den sozialdemokratischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) gegründete Nachfolgepartei.
  • 12
    PRC-Zeitung Liberazione, 24.6.2001
  • 13
    Elagabal, Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218 bis 222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von meuternden Soldaten erschlagen.
  • 14
    Vgl. Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi, Berlin 2003
  • 15
    In Liberazione, 13.4.2002
  • 16
    Vgl.: »Berlusconis Exfreunde basteln Gegenbündnis«, Financial Times Deutschland, 6.4.2010; Corriere della Sera, 18.8.2010