Veranstaltungsraum für Nazis und Völkische

In Herboldshausen finden regelmäßig Veranstaltungen des neonazistischen und völkischen Milieus statt

Herboldshausen – so heißt ein Weiler im Nordosten Baden-Württembergs. Der Weiler, ein Ortsteil von Kirchberg/Jagst im Landkreis Schwäbisch Hall, besteht im Wesentlichen aus drei Bauernhöfen. Auf einem der Höfe steht ein altes Bauernhaus, das seit über 50 Jahren im Besitz des völkischen »Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff)« (BfG) ist. Der BfG pflegt die Ideologie Mathilde Ludendorffs (1877–1966). In den 1920er-Jahren hatte die Antisemitin die religiös-völkische »Deutsche Gotterkenntnis« begründet. Die »Gotterkenntnis« unterschied zwischen »Lichtrassen« und »Schattenrassen« und behauptete, einzig »Lichtrassen« besäßen die Fähigkeit zur Gotterkenntnis. Die »Schattenrassen« – vor allem: das jüdische Volk – strebten nach der »Rassemischung« und wollten die »Lichtrassen« vernichten.

Das alte Bauernhaus trägt seit Jahrzehnten den Namen »Jugendheim Hohenlohe«. Der Name täuscht: Natürlich finden im »Jugendheim« nicht nur Treffen mit Beteiligung junger, sondern auch Treffen mit Beteiligung älterer Menschen statt. Nichtsdestotrotz gilt: Wer wissen will, wie die Kinder- und Jugendarbeit der extremen Rechten aussieht, sollte nach Herboldshausen schauen. Denn in der jüngsten Vergangenheit haben zahlreiche Gruppierungen aus dem neonazistischen und völkischen Milieu das »Jugendheim Hohenlohe« bezogen, um Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Was die Gruppierungen im Rahmen der Veranstaltungen gemacht haben, zeigen vier Beispiele. Zwei aus dem völkischen, zwei aus dem neonazistischen Milieu.

»Jugendtreffen« mit Geige und Harmonika

Das völkische Milieu:

Im völkischen Ludendorff-Netzwerk haben Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen eine jahrzehntelange Tradition. Schon in den 1970er- und 80er-Jahren gehörten die Veranstaltungen zum festen Programm des Netzwerks. Damals wurden die »Jugendtreffen« in der Ludendorff-Zeitschrift Mensch & Maß angekündigt. Derartige Treffen finden bis heute statt. Vom 26. bis 29. Mai 2022 lud das Ludendorff-Netzwerk zum internen Treffen. Mehr als 70 Menschen nahmen teil. Die meisten Autos kamen aus Baden-Württemberg, die übrigen aus Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Die meisten Teilnehmer trugen Lederhosen und kurze Haare mit Scheitel, die meisten Teilnehmerinnen Trachten und lange Haare mit geflochtenen Zöpfen.

Die Ludendorff-Netzwerk. Foto: Timo Büchner

Unter den Teilnehmer:innen waren zwei Dutzend Kinder und Jugendliche. Selbst die Jungen und Mädchen trugen die alte Kluft. Die Kinder der völkischen »Sippen« wachsen mit der Ideologie und den Traditionen des Ludendorff-Netzwerks auf. Die Geschlechterrollen, die in völkischen Kreisen gelebt werden, werden nicht zuletzt im äußeren Erscheinungsbild deutlich. Die »Jugendtreffen« sind eine Art Heiratsmarkt: Die Jungen und Mädchen der völkischen »Sippen« sollen zueinander finden. Denn sie sollen die Reinheit der »Lichtrassen« bewahren. Begegnungen zwischen Jungen und Mädchen werden beispielsweise durch das gemeinsame Singen und Tanzen geschaffen. So versammelten sich die Teilnehmer:innen auf der Wiese am Bauernhaus, um zur Musik einer Geige und einer Harmonika zu singen und zu tanzen.

Wettkampf zwischen Schwimmbad und Survival

Im völkischen Milieu ist das Ludendorff-Netzwerk bestens vernetzt. So bestehen familiäre Verbindungen zwischen dem BfG und dem »Sturmvogel – Deutscher Jugendbund«. Der Sturmvogel, eine Abspaltung der verbotenen »Wiking-Jugend«, führt Lager mit Kindern und Jugendlichen durch. Vom 27. Dezember 2022 bis 1. Januar 2023 veranstaltete die völkische Kinder- und Jugendorganisation ein »Winterlager« in Herboldshausen. Die meisten Autos kamen aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Knapp 50 Menschen nahmen teil. Sämtliche Teilnehmer:innen trugen Uniformen. Die Teilnehmer: dunkelgrüne Hemden und schwarze Zimmermannshosen. Die Teilnehmerinnen: dunkelgrüne Blusen und schwarze Röcke. Am Ärmel hatten sie ein rot-weißes Abzeichen mit schwarzem Vogel.

Ein Lagertag begann frühmorgens: Zahlreiche Kinder und Jugendliche, darunter Acht- und Neunjährige, strömten aus dem Haus. Viele trugen Shirts und kurze Hosen. Die Temperatur lag knapp oberhalb des Gefrierpunkts. Dann joggten sie los. Nach einer Runde in der Dunkelheit kehrten sie erschöpft zurück. Pünktlich um acht Uhr fand auf einer Wiese der Morgenappell mit Fackeln, einem Dutzend Fahnen und Liedern statt. Derartige Lager haben das Ziel, das »deutsche Volkstum« zu bewahren und das »arische« Erbe weiterzutragen. Einmal fuhren die Teilnehmer:innen ins Schwimmbad, an einem anderen Tag zum Fußballspielen. Einmal soll im Wald ein Survivaltraining stattgefunden haben. Im Mittelpunkt stand der harte Wettkampf. Das Motto lautete: »Survival of the fittest« (deutsch: das Überleben des Stärkeren).

Das neonazistische Milieu:

Die »Wackren Schwaben«, der aktuelle Name der »Identitären Bewegung Schwaben«, veranstalten »Aktivistenwochenenden«. So fand ein »Aktivistenwochenende« vom 9. bis 11. April 2022 in Herboldshausen statt. Die meisten Autos kamen aus Baden-Württemberg und Bayern, einzelne Autos aus Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und der Schweiz. Etwa 30 Männer zwischen (schätzungsweise) 18 und 30 Jahren nahmen teil. Die meisten wirkten muskulös. Es schien, sie betrieben Kampfsport. Undercut mit Seitenscheitel und Schuhe der Marke »New Balance« gehörten zum Outfit. Unter Neonazis ist die Marke seit Jahren beliebt. Das »N«, das an die Seiten der Schuhe gestickt ist, soll »Nationalist« heißen. Neben den Männern nahmen nur ein paar Frauen teil.

Das »Jugendheim Hohenlohe« in Herboldshausen ist eine Immobilie des extrem rechten »Bundes für Gotterkenntnis«. Der rassistische und antisemitische Verein hält das Haus seit 1972. Foto: Timo Büchner

Das Programm bot eine Mischung aus Ideologie, Musik sowie Ausdauer- und Kampfsport. Die Mischung wurde bereits im Logo des aktuellen »Aktivistenwochenendes« deutlich, das sowohl in der Ankündigung als auch auf den offiziellen »T-Hemden« einiger Männer zu sehen war. Das Logo zeigte ein Buch, eine Gitarre, ein Lagerfeuer und ein Paar Boxhandschuhe. So machten die Teilnehmer:innen tagsüber, wie ein junger Mann nach der Veranstaltung in den sozialen Netzwerken kommentierte, »Kraft-, Kampf- und Ausdauereinheiten«. Zudem thematisierten die Teilnehmer:innen die »Grundlagen der Kulturrevolution von rechts«. So referierte der Bundesvorsitzende der »Identitären Bewegung« über »Metapolitik«. Abends folgte ein Liederabend unter anderem mit Lagerfeuer.

Schlossführung und Zimmermannsklatschen

Die Ludendorff-Zeitschrift Mensch & Maß
Foto: psiram

Die »Jungen Nationalisten«, die NPD-Jugendorganisation, führte vom 14. bis 16. Oktober 2022 einen »Gemeinschaftstag Süd« in Herboldshausen durch. Wie im Falle des »Aktivistenwochenendes« der »Wackren Schwaben« nahmen rund 30 Männer zwischen (schätzungsweise) 18 und 30 Jahren teil. Wenige Frauen waren dabei. Die Autos trugen Kennzeichen aus Baden-Württemberg im Süden, Niedersachsen im Westen, Sachsen im Osten bis hin zu Mecklenburg-Vorpommern im Norden. Ein Bericht, der nach der Veranstaltung veröffentlicht wurde, gab Einblicke in das Programm. So begann der Morgen mit Frühsport. Es folgten Vorträge zur Bedeutung und Pflege von Brauchtum sowie zur Funktion und Rolle von Musik. Gemeinsames Musizieren und Zimmermannsklatschen knüpften an die Vortragsthemen an.

Nachmittags besuchten die Neonazis ein Schloss in der Region. Im Bericht hieß es, man habe »an einer Führung durch ein über 500 Jahre altes Schloss teilgenommen, in welchem uns der geschichtliche Hintergrund erklärt und gezeigt wurde«. Nach der Schlossführung folgte die »Feierstunde«. Nun wurden die Anwärter:innen, die eine halbjährige Probezeit überstanden hatten, vereidigt. Sie wurden Vollmitglieder. Die Teilnehmer:innen standen mit Fackeln in einem Halbkreis. Die Männer trugen weiße Hemden und schwarze Hosen, die Frauen rote Röcke. Es hieß: »Im Kreis schworen sie den Eid auf Deutschland, auf die Bewegung und dass sie niemals ihre Kameraden verraten werden!« Im Neonazimilieu wird unter »Deutschland« das Deutsche Reich und unter der »Bewegung« die nationalsozialistische Bewegung verstanden.

»Deutschland, Deutschland über alles«

Die Kinder- und Jugendarbeit in der extremen Rechten verknüpft Ideologisches mit Kulturellem und Sportlichem. Die Veranstaltungen sind eine Art Kaderschmiede; Neonazis und Völkische wollen das elitäre »Ariertum« schmieden. Oftmals werden Parallelen zur »Wiking-Jugend« und »Heimattreuen Deutschen Jugend« – aber auch zum »Bund Deutscher Mädel« und zur »Hitlerjugend« aus dem Nationalsozialismus deutlich. Das »Jugendheim Hohenlohe« in Herboldshausen ist ein Hotspot der extremen Rechten im Südwesten Deutschlands. Das alte Bauernhaus bietet der extremen Rechten, in all ihren Facetten, eine abgeschottete Räumlichkeit. Schließlich fällt im Weiler kaum auf, wenn Neonazis und Völkische im »Jugendheim« verkehren. Meist deuten lediglich Autos an, dass eine Veranstaltung stattfindet.

Sowohl im völkischen als auch im neonazistischen Milieu wird die Nähe zum Deutschen Reich deutlich. Ein Beispiel: Das »Winterlager« des »Sturmvogels« gipfelte in einem Neujahrsfeuer. Die Teilnehmer:innen entzündeten ein großes Feuer, bildeten einen Kreis und sangen das Deutschlandlied. Nicht nur die dritte, sondern auch die erste und zweite Strophe. In der ersten heißt es: »Deutschland, Deutschland über alles / Über alles in der Welt / Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält / Von der Maas bis an die Memel / Von der Etsch bis an den Belt«. Die vier Flüsse liegen außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland. In jener Nacht machte der »Sturmvogel« aus seiner Verherrlichung des Deutschen Reiches kein Geheimnis.


Die „antifa“ ist ein Magazin der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten). Darin gibt es alle zwei Monate von Analysen zum politischen Zeitgeschehen, über Recherche-Artikel zu rechten Gruppierungen und Aktivitäten, bis hin zum am Leben erhalten der Geschichte unserer Bewegung von allem etwas, um als Antifaschist:in auf dem Laufenden zu bleiben und sich politisch weiterzubilden.