Überlegungen zur vorzeitigen Haftentlassung von Findus
Im Oktober 2020 wurde Findus zu einer 2 ½jährigen Haftstrafe verurteilt. Diese hat er zum größten Teil in der JVA Heimsheim abgesessen. Erst kürzlich lehnte die zuständige Strafvollstreckungskammer Pforzheim eine vorzeitige Haftentlassung ab. Am 9. August wurde diese Ablehnung vom OLG Karlsruhe kassiert. Nun wurde Findus aus dem Knast entlassen.
Gerade weil der Genosse nun „früher rauskam“, finden wir als Solikreis es wichtig, das Thema vorzeitige Haftentlassung intensiv zu diskutieren. Auch, weil die Frage, welche Zugeständnisse wir machen, um Hafterleichterungen zu bekommen, ein durchaus „heißes Eisen“ ist.
In der Diskussion um Hafturteile wird das verhängte Strafmaß oft relativiert, da die Option, irgendwie früher rauskommen zu können, eingerechnet wird. Grundlage dieser Überlegungen ist §57 Strafgesetzbuch, der die Möglichkeit vorsieht, die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe auf Bewährung auszusetzen. In allen Fällen nach 2/3 der zu verbüßenden Haftzeit, in bestimmten Fällen bereits nach der Hälfte.
Wenig diskutiert werden die rechtlich vorgegebenen Rahmenbedingungen für eine Aussetzung der Haft: „Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.“ (§57 StGB). Die vorzeitige Entlassung aus dem Knast ist, wie sich bereits aus dem Gesetzestext ergibt, nicht voraussetzungslos. Letztlich muss das Gericht feststellen, dass „die mit dem Strafvollzug bei dem Verurteilten erstrebte Wirkung in einem solchen Maße eingetreten ist, dass ein straffreies Verhalten außerhalb des Strafvollzuges als hinreichend wahrscheinlich prognostiziert werden kann“. Gesetz und Justiz lassen also keinen Zweifel daran, dass es Erleichterungen nur geben soll, wenn die Gefangenen sich entsprechend geläutert zeigen.
Unser Genosse und Freund Findus hatte im ersten Halbjahr 2023 mehr als 2/3 seiner Haftzeit abgesessen. Findus hat sich im Knast durchgängig politisch engagiert. Innerhalb der Mauern, indem er sich für Verbesserungen im Knast stark gemacht hat, aber auch nach außen z.B. durch Grußwörter, Beiträge u.ä. Beispielhaft seien hier nur die kollektiven Proteste innerhalb und außerhalb des Knastes gegen die miserablen Haftbedingungen im zweiten Quartal 2022 erwähnt.
Nun ist, zumindest juristisch-formal betrachtet, politisches Engagement keine Begründung, eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung zu verweigern. Zumal die Verteidigung von Findus viele Argumente, die eine „positive Prognose“ stützen, vortragen konnte, sowohl in Bezug auf das Verhalten im Knast, als auch Rahmenbedingungen, wie Job und Wohnort nach der Entlassung.
Als Solikreis hatten wir, genauso wie Findus, die Hoffnung, dass sich die Knasttore zeitnah öffnen könnten. Dieser zarten Hoffnung erteilte das Gericht Mitte Juli eine harte Abfuhr. In der Ablehnung zielte das Gericht unter Anderem auf die mangelnde Distanzierung von seinen „Taten“ ab. Auch wenn das OLG Karlsruhe diesen Beschluss inzwischen abgeändert hat, zeigt der Fall, wie fragil die Hoffnung ist.
Was ganz generell für das Knastsystem gilt, potenziert sich in der Frage der vorzeitigen Haftentlassung. Es geht vordergründig darum, den politischen Willen der inhaftierten Genoss:innen zu brechen. Da das formal unzulässig ist – Stichwort „Meinungsfreiheit“ – sind die Formulierungen in den Gesetzestexten und Gerichtsurteilen blumig gefasst. Auf der Tonspur, sei es vor der Haftricher:in oder den Knastbeamt:innen, werden die Kriterien klar benannt.
Genauso im Fokus, wie die Inhaftierten, stehen diejenigen, die sich draußen in ihrem Sinne weiter engagieren. Die nachvollziehbare Sehnsucht der Gefangenen nach Freiheit und jedes Zugeständnis, das sie bereit sind zu geben, sollen bewirken, dass die Aktiven „den steinigen Weg“ aufgeben. Die politische Bewegung „draußen“ kann sich nicht von den politischen Gefangenen „drinnen“ loslösen. Die Hoffnung auf (im wahrsten Sinne des Wortes) „Gnade“, also unsere Hoffnung auf Hafterleichterung, ist auf der einen Seite verständlich und ein Stück weit einfach nur menschlich. Gleichzeitig ist sie aber auch Ausdruck von Naivität im Umgang mit dem bestehenden System.
Im Fall von Findus ist die Klassenjustiz anfangs stur geblieben, hat später dann aber eingelenkt. Ganz egal, wie die Entscheidung nun letztlich ausfiel, dass es überhaupt den Entscheidungsspielraum gibt, wirkt im Sinne der Repression. Die Hoffnung auf frühere Freilassung soll die Gefangenen und die Bewegung draußen dazu bringen, sich zu mäßigen, anzubiedern, zu integrieren.
Wir wollen damit nicht sagen, dass dieser Spielraum nicht genutzt werden kann und soll.
Der Knast ist ein Terrain, das es gar nicht zulässt, dass ausnahmslos jeder Konflikt antagonistisch beantwortet wird. Auch auf juristischem Weg können Verbesserungen erkämpft werden, diese Gelegenheit sollten wir nicht verstreichen lassen. Wer aber auf diesen Entscheidungsspielraum setzt und dem leichtfertig nachgibt, konkret, sein politisches Verhalten modifiziert, um Vorteile zu bekommen, läuft Gefahr, letztlich seine politische Identität zu verlieren.
Und dieses Nachgeben bekommen die Gefangenen vom ersten Tag der Haft an nahegelegt. So wird permanent dahingehend orientiert, dass der Strafzweck frühestmöglich erreicht wird.
Für Findus bedeutete die erstinstanzliche Ablehnung der Haftaussetzung ein weiteres Jahr Knast.
Das war beschissen. Beschissen für ihn, beschissen für uns hier draußen, beschissen für die antifaschistische Bewegung, die derzeit jede Hand, die mit anpackt, so dringend brauchen kann. Andersherum betrachtet, wäre es aber um ein vielfaches beschissener, wenn dort, wo sich Konfliktlinien zuspitzen, Haltung aufgegeben und letztlich verraten werden würde.
Findus hat zu jedem Zeitpunkt seiner Haftstrafe klargestellt, dass er hierzu nicht bereit ist. Dass er im Zweifel nicht seinen individuellen Vorteil, sondern das Vorankommen in der Sache zur Prämisse seines Handelns macht. Durch die Brille bürgerlicher Jurist:innen mag das ein riskanter, ein nicht nachvollziehbarer Weg sein. Durch die Brille eines politischen Gefangenen ist es unseres Erachtens der einzig gangbare.
Letzten Endes haben weder diejenigen, die ihre politische Identität aufgeben, noch diejenigen, die politisch standhaft bleiben, einen Garant auf Hafterleichterungen durch die Klassenjustiz. Auch wenn kurzfristig der gebeugte Weg die „sicherere Bank“ zu sein scheint, ist sie auf lange Sicht die sichere Sackgasse.
Denn „Niemand auf dem Planeten, niemand in der Geschichte, hat durch das Appellieren an das moralische Gewissen seiner Unterdrücker jemals seine Freiheit gewonnen.“ [Assata Shakur, aus der Broschüre „Prozesse politisch führen“ der Roten Hilfe, Sommer 2023]
In diesem Sinne: Schön, dass du endlich aus dem Knast draußen bist, Findus!
Wir kämpfen weiter für die Freiheit aller politischen Gefangenen!
[Solikreis „Antifa heißt zusammenstehen“ im August 2023]