Heute, am 19. September 2023, wurde die neonazistische Organisation «Hammerskin Nation» (HSN) als Vereinigung in Deutschland vom Bundesinnenministerium verboten sowie ihre Unterstützergruppe «Crew 38». Die Vereinigung – fälschlicherwiese als „Hammerskins Deutschland“ betitelt – und ihre mehr als ein dutzend deutsche Chapter, d.h. regionale Ableger richte sich laut Verbotsverfügung „gegen die verfassungsmäßige Ordnung, laufen nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung.“ In Zukunft ist damit in Deutschland jeder Zusammenschluss unter dem Namen „Hammerskins“ sowie das Zeigen ihrer Symbole strafbar.
Am Morgen fanden in 28 Objekten in zehn Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen) Durchsuchungen statt. Getroffen hat es u.a. Sven Krüger (Jamel) vom Chapter «Mecklenburg», Heiko Sauer (Anklam) und Robert Lange (Usedom) vom Chapter «Pommern», Oliver Schubert (Berlin), Martin Kühlich (Berlin) und David Eschrich (Wandlitz bei Berlin) vom Chapter «Berlin», Stephan Haidt (Rathenow) und Martin Erdmann (Walsleben) vom Chapter «Brandenburg», Andreas Steinbauer (Roden), Uwe Gebhardt (Haßfurt) und Roland Brechtl (Roßtal) vom Chapter «Franken», Andreas Koroschetz (Goch) vom Chapter «Rheinland», Thomas Gerlach (Altenburg) und Steffen Andrä (Altenburg) vom Chapter «Sachsen», Mario Garcia Barrenada (Bochum) und Martin Heise (Wetter an der Ruhr) vom Chapter «Westfalen», Malte Redeker (Schifferstadt) und Wolfgang Benkesser (Düsseldorf) vom Chapter «Westwall».
Durchsucht wurde auch bei Daniel Orlewicz im hessischen Petersberg. Er gehörte seit 2008 zum Chapter «Franken», scheint jedoch aktuell ein Chapter «Hessen» anzuführen. Ein solches Chapter wird in der Verbotsverfügung des Bundesinnenministerium allerdings nicht erwähnt. Alle anderen Chapter wurden in dem behördlichen Schreiben penibel mit jeweils einer eigenen Grafik versehen. Verwirrend ist das vorallem in Hinblick auf eine andere, ebenfalls in dieser Bekanntmachung abgebildete Grafik. Diese (siehe weiter unten) stammt aus dem Jahr 2022 und zeigt die Wappen aller international aktiven Chapter, auch die der 13 vom Bundesinnenministerium verbotenen Ableger und eben ein Wappen, das deutlich auf die Existenz der «Hammerskins Hessen» hinweist. Durchsucht wurden zudem weitere, aktuell nicht namhaft machbare Hammerskins im Raum Stuttgart und in Karlsruhe, vom Chapter «Württemberg» und «Westwall». Außerdem wurde in Ahrweiler mit Bezug zum Chapter «Rheinland» durchsucht, wie auch im Saarland, wo ab heute Morgen um 6 Uhr an sechs verschiedenen Adressen im Zusammenhang mit den Chaptern «Westwall» und «Sarregau» durchsucht wurde. Bundesweit waren von den Verbotsmaßnahmen zudem auch Objekte der Hammerskins betroffen, wie das (leerstehende) «Thinghaus» in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern und mutmaßlich ein Gartenhaus im brandenburgischen Rathenow. Der von Robert Kiefer betriebene Treffpunkt «Hate Bar» in Dillingen im Saarland wurde gar beschlagnahmt. Das Gebäude diente u.a. dem Chapter «Sarregau» als Konzert- und Vernetzungsort. Von den Durchsuchungen davongekommen zu sein scheinen die Mitglieder der Chapter «Bayern» und «Bremen». Zu keinem der beiden Chapter sind Maßnahmen bekannt. In der Verbotsverfügung tauchen sie allerdings auf. Neben Bargeld sei laut Presse u.a. „eine Panzersprenggranate, drei Dolche, eine Armbrust, zwei Karabiner, eine Schreckschusspistole“ sowie „sehr große Mengen an Kleidungsstücken mit Emblemen der ‚Hammerskins Deutschland‘, Bücher, u.a. „Mein Kampf“, große Mengen Tonträger, weiterhin Fahnen (u.a. mit Hakenkreuzen), Wimpel und Embleme“ sichergestellt worden.
Angesichts der Organisationsgröße von ca. 140 Vollmitgliedern und Anwärtern scheint die Zahl der Durchsuchungen gering. Zwar galt eine der polizeilichen Maßnahmen in den Morgenstunden dem „European Secretary“ der HSN, Malte Redeker, doch andere führende Personen blieben in manchen Regionen vollkommen verschont. Es wirkt gar so, als ob mehrheitlich nur bei Personen durchsucht wurde, die in den letzten Jahren in irgendeiner Art und Weise auffällig waren. Die Darstellungen der heutigen Maßnahmen wirken widersprüchlich. Denn bei den durchsuchten Hammerskins soll es sich um Führungsfiguren innerhalb der Organisation gehandelt haben. Einige der betroffenen Personen gehören der Bruderschaft allerdings erst wenige Jahre an. Es ist nicht glaubhaft, dass diese Personen in der Kürze der Zeit in der Hirarchie der HSN so schnell aufgestiegen sein können. Und auch das Vertriebsnetzwerk – und damit Vereinsvermögen – der Hammerskins blieb weitgehend unangetastet. Denn den Hammerskin Hendrik Stiewe aus Bochum und den Crew 38-Angehörigen Nils Budig aus Reinsdorf (Thüringen) hat es nach bisherigen Erkenntnissen nicht getroffen. Beide sind maßgeblich u.a. für den Vertrieb von neonazistischen Tonträgern verantwortlich – Stiewe innerhalb strafrechtlich relevanter Produktionen und Budig als Geschäftsführer mehrerer RechtsRock-Versände und Recordlabels.
Das Verbot der «Hammerskin Nation» in Deutschland trifft eine bedeutsame, international agierende Organisation, die in der rechten Subkultur verwurzelt ist. Zwei andere Organisationen, die etwa zur selben Zeit entstanden und teils in Konkurrenz zur HSN standen, wurden bereits verboten: «Blood & Honour» im Jahr 2000 und dessen „bewaffneter Arm“ «Combat 18» 2019. Doch was bedeutet ein Verbot der HSN in Deutschland? Ist es tatsächlich ein „harter Schlag“ gegen eine der am längsten in Deutschland existierenden Neonazi-Gruppen?
Über 30 Jahre hat das Innenministerium dieses Netzwerk in Deutschland gewähren lassen. So konnten Strukturen aufgebaut werden, denen es wohl gelingen wird, das Verbotsinstrument faktisch zur Formalie verkommen zu lassen. Wie die Verbote von «Blood & Honour» und «Combat 18» zeigten, werden Nachfolgestrukturen seitens Behörden häufig nicht benannt und schon gar nicht konsequent verfolgt. Die Neonazis wissen um diese Nachsicht und, kalkulieren dies in ihrem Handeln mit ein und führen die Behörden vor, wenn sie mit nahezu identischen Symbolen und Slogans erneut auftreten. So wird auch dieses Verbot letztlich als PR-Show im Wahlkampf verpuffen. Gerade deshalb wird ein genauer Blick in Zukunft und auf die jüngsten Entwicklungen notwendig bleiben.
Exif-Recherche hatte zwischen Juli 2021 und September 2022 insgesamt acht Artikel über das europäische Netzwerk der Hammerskins veröffentlicht. Es wurden hunderte aktive und ehemalige Mitglieder benannt, die Entstehungsgeschichte beleuchtet, die Organisation und Struktur analysiert und ihr rassistisches, antisemitisches und nationalsozialistisches Weltbild aufgezeigt. Es wird deutlich, dass Hammerskins mit vielen rechten Gewalttaten bis hin zu Morden und Anschlägen in Verbindung stehen und dass die Glorifizierung rechten Terrors ein wesentliches Element der Ideologie der HSN ist. Es konnten interne Bilder, Selbstdarstellungen und weiteres Material aus dem Innersten der HSN, wie etwa das nicht-öffentliche Regelwerk der Bruderschaft, präsentiert werden. Darüber bietet sich ein detaillierter Einblick in eine Struktur, die die deutschen Geheimdienste gern unerwähnt lassen oder wenn überhaupt nur mit wenigen, immer gleichlautenden Sätzen in ihren jährlichen Berichten beschreiben.
Nach den Veröffentlichungen von EXIF von 2021 und in Folge der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gingen die öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten der Hammerskins in Deutschland zurück. Die Hammerskins agierten seit dem noch konspirativer und schotteten sich noch stärker ab. Dennoch gelang es in den letzten zwei bis drei Jahren, Aktivitäten der HSN festzustellen. Um die Auswirkungen des Verbots einschätzen zu können, wird im Folgenden ein Überblick über die Entwicklungen seit diesen Veröffentlichungen gegeben. In Deutschland verfestigten sich etwa die jüngsten Chapter «Hessen» und «Sarregau». Einige der bereits bekannten Prospects wurden zu Fullmembern. Andere einst aktive Fullmember schlossen sich einem einflussreichen Motorradclub an. Ein Blick auf das internationale Geschehen offenbart Verstrickungen der finnischen Hammerskins zu einer Neonazi-Gruppe, deren Mitglieder verdächtigt werden, terroristische Pläne gehabt zu haben. Verbindungen der Gruppe zum finnischen Chapter erfolgten über die um 2021 eröffneten Treffpunkte der HSN in Finnland. In Schweden erschlossen sich die Hammerskins 2022 ein Rekrutierungsfeld, in dem sie sich an der Eröffnung einer Sportstätte beteiligten. Mitglieder der Organisation in den USA, in Kanada, in Frankreich und in Ungarn trieben den Ausbau rechter Kampfsportstrukturen voran und beteiligten sich an der Durchführung und Etablierung rechter Turniere. In Brasilien wurde im Herbst 2022 fast das gesamte Chapter «Southlands» inhaftiert. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer transnationalen, kriminellen Vereinigung, unter anderem wegen der Verbreitung von NS-Propaganda und des Aufstacheln zum Rassismus.
Kein Interesse an Öffentlichkeit – seit über 30 Jahren
Die Hammerskins sind eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich als eine Elite in der Szene versteht. Sie setzt auf „Klasse statt Masse“. Ihr Symbol – zwei gekreuzte Zimmermannshämmer auf einem Zahnrad – ist auf Aufmärschen und anderen öffentlichen Veranstaltungen nur selten zu sehen. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass auch dort vielfach Mitglieder und UnterstützerInnen der Hammerskins mitmischen. So zum Beispiel am 28. Oktober 2017 bei einem Konzert unter dem Titel «Rock gegen Links» im thüringischen Themar, zu den mehr als 1.000 Neonazis anreisten. Die HSN war Hauptorganisator dieses Konzertes, gab sich jedoch vor Ort nicht als solche zu erkennen und verzichtete auf das Zeigen ihrer Symbole. Intern jedoch gehört das Zurschaustellen der Symbole für die Hammerskins, die sich selbst gegenseitig als „Brüder“ betiteln, fest dazu. Das Präsentieren der Bomberjacke mit dem HSN-Aufnäher auf der Brust und dem Chapter-Wappen am Ärmel ist das stärkste und identitätsstiftende Merkmal der «Hammerskin Nation». Darauf in Zukunft zu verzichten, dürfte für die Mitglieder schmerzlich sein.
Wenngleich die Hammerskins konspirativ agieren, tun sie viel, um ihren elitären Anspruch gerecht zu werden und Führungsansprüche in der Szene zu behaupten. Die HSN ist eine treibende Kraft im RechtsRock-Geschäft und hat – wie schon erwähnt – in etlichen Ländern großen Einfluss in der extrem rechten Kampfsportszene. „Körperliche Fitness und Training sind ein Muss […] eine Elite ist körperlich fit und ist bereit körperliche Anstrengungen zu ertragen […]“. So steht es unter Punkt 3 des Regelwerks europäischer Hammerskins. Als im November 2018 ein Event unter Mitwirken des «Kampf der Nibelungen» stattfand, erklärte Malte Redeker aus Schifferstadt (Rheinland-Pfalz) – einer der einflussreichsten europäischen Hammerskins – vor versammeltem Publikum, weshalb der Sport für die Neonaziszene relevant ist:
„Es ist für die Psychologie wichtig, für den Mehrwert auf der Straße, fürs Selbstvertrauen, für die körperliche Verfassung und für die viel beschworene Stunde, Tag X, ist es von Nöten sich verteidigen zu können.“ (sic!)
Dass die HSN die Vorbereitung auf den sogenannten „Tag X“ ernst nimmt, belegen etlichen Bilder von Schießtrainings, an denen sich Hammerskins beteiligen oder die von Hammerskins ausgerichtet werden. Die Hammerskins betonen, dass es ihnen – in Abgrenzung zu anderen Gruppen – stets „um die Sache“ gehe. Gemeint ist damit der „White Power“-Gedanke, der Kampf um die Vorherrschaft einer „weißen Rasse“. Für ihre Überzeugung sind Hammerskins auch bereit zum Äußersten zu gehen. Rassistische Angriffe, Mord und Totschlag ziehen sich wie ein roter Faden durch die Organisation. Viele Mitglieder sind wegen Körperverletzung, unerlaubten Waffenbesitzes oder ähnlichen Delikten vorbestraft. Der daraus entstandene Ruf ist einer der Gründe, der den Hammerskins innerhalb der neonazistischen Szene weltweit Anerkennung und Achtung verschafft.
Das Spektrum, in dem sich die Mitglieder in der Szene bewegen, ist groß und gewährleistet, dass die Bruderschaft an vielen Stellen der extremen Rechten Einfluss hat. Jedes der Vollmitglieder und jeder Anwärter («Prospect») muss viel Zeit, Geld und Energie in die Bruderschaft stecken, beispielsweise um zu Veranstaltungen zu reisen und dort Aufgaben zu übernehmen. Der Kern der deutschen HSN gehört der Generation Ü40, bzw. gar Ü50 an. Die Erfahrungen und das Wissen, welches an die nächste Generation weiter gegeben werden kann, ist dadurch immens. Aufgrund der Unterschiede im Alter und der kulturellen Sozialisation vermischen sich in der HSN verschiedene Stile: der rechte Skin-Kult der 1990er Jahre, Facetten der „Autonomen Nationalisten“ der 2000er Jahre sowie ein modern erscheinendes Auftreten in den Bereichen Kampfsport, Fitness und Bodybuilding. Die Vorbildfunktion der Hammerskins für viele jüngere Neonazis wird auch ein Verbot nicht verhindern können.
Das finanzielle Vermögen der HSN
Aufgrund ihrer Professionalität, ihrer gewachsenen Netzwerke und ihrer langen Erfahrung wissen die Hammerskins, wie man Geschäfte und Finanzströme verschleiert. Mehrere bedeutende RechtsRock-Labels und Versände laufen auch deswegen nicht auf den Namen bekannter Hammerskins wie Malte Redeker oder Hendrik Stiewe die einst diese Firmen gegründet haben. Stattdessen wurden diese schon vor rund zehn Jahren an Personen aus dem engsten Kreis der Bruderschaft übergeben. Für die Labels «Front Records», «Gjallarhorn Klangschmiede» und «Wewelsburg Records», wie auch für die Zeitschrift «Frontmagazin» ist aktuell eine Firma mit Sitz im thüringischen Artern verantwortlich: die Kuesten Textil UG, vertreten durch Nils Budig. Dieser war um 2015/2016 aktiver Hammerskin, kann heute jedoch von Außenstehenden lediglich der «Crew 38» zugerechnet werden. Die Unterstützergruppe der HSN verzichtet auf einen allzu festen organisatorischen Rahmen, der Nachweis einer Mitgliedschaft einzelner in der «Crew 38» fällt schwerer. Budig fungiert faktisch als Vermögensverwalter der Geschäfte der Hammerskins im RechtsRock-Bereich.
Mit den Einnahmen aus dem Musik-Geschäft finanzieren nicht nur die Hammerskins einen Großteil ihrer Aktivitäten. Dieses Vermögen, etwa im Zuge eines Verbots einzuziehen, würde den Handlungsspielraum deutlich einengen. Darauf waren die Hammerskins schon länger gefasst. Hinzu kommen Gelder aus der „Deutschlandkasse“, in die neben monatlichen Mitgliedsbeiträgen auch u.a. Konzerterträge fließen. Zudem legte es die HSN in den letzten Jahren vermehrt darauf an, Gelder durch den Verkauf von „Untergrund“-Tonträgern zu erwirtschaften. Damit sind jene Tonträger gemeint, die bewusst gegen geltende Gesetze verstoßen – bspw. durch NS-Verherrlichung – und in Deutschland nicht gehandelt werden dürften. Diese Produktionen sind beliebt und lukrativ. Mit nur einer Produktion in üblicher Auflagenhöhe sind bis zu 10.000 € Gewinn zu erzielen, natürlich steuerfrei. Ob im Zuge des Verbots überhaupt ein relevanter Anteil des deutschen Hammerskin-Vermögens beschlagnahmt werden konnte, bleibt fraglich.
Kontrollverlust
Ein Verbot der HSN als Vereinigung, die in Deutschland seit 1992 besteht und aktuell 14 Chapter unterhält, dürfte die Organisation vor allem intern auf eine Belastungsprobe stellen. Fast wöchentliche Treffen innerhalb der Chapter, alle zwei bis drei Monate deutschlandweit sogenannte „National Officers Meetings“ (NOM) und 4-5 Mal im Jahr europaweit ein „European Officers Meeting“ (EOM) dürften nun um einiges aufwändiger zu organisieren sein. Auch regelmäßige Reisen zu „Brüdern“ in ganz Europa und darüber hinaus könnten nun erschwert werden. Eine „No-Flight“-Liste, die Unterbindung von Flugreisen deutscher Hammerskins ins Mutterland der HSN, die USA, wäre ein wirklich harter Schlag für die Bruderschaft. Vor allem für Personen wie Malte Redeker, den „European Secretary“ der HSN, würde dies einen organisatorischen Mehraufwand und sicher auch Kontrollverlust bedeuten. In seiner Position muss er in persönlichen Gesprächen zwischen den Chaptern weltweit vermitteln und Neuigkeiten und Entscheidungen der europäischen Struktur vortragen.
Interne Zusammenkünfte der HSN finden fernab der Öffentlichkeit statt. Auf Zusammenkünften der einzelnen Chapter, auf NOMs und EOMs werden im Kreis der Mitglieder Geschäfte, Strategien und andere Interna besprochen. Die Treffen werden unter konspirativen Umständen ausgerichtet, weshalb selten eine Dokumentation oder gar eine Verhinderung solcher Zusammenkünfte möglich ist. All diese Treffen müssten nun in Deutschland als Weiterführung einer verbotenen Vereinigung gewertet und strafrechtlich verfolgt werden, selbst wenn auf entsprechende Symbole verzichtet wird. Das Verbot der HSN in Deutschland könnte dazu führen, dass diese Treffen vermehrt nur noch im Ausland oder unter dem Deckmantel von Konzerten stattfinden.
Wie das Beispiel des Großkonzerts in Themar im Oktober 2017 zeigt, wurden RechtsRock-Konzerte in Deutschland schon seit vielen Jahren nicht mehr als „Hammerskin-Konzerte“ ausgewiesen. Für Eingeweihte war dies dennoch zu erkennen: an der Auswahl der Bands oder anhand der Kontakt-Adressen, die Hammerskins zuzuordnen waren. Oder weil am Ort des Geschehens Hammerskins zentrale Aufgaben inne hatten.
Ein Kristallisationspunkt war viele Jahre die «Erlebnisscheune» im thüringischen Kirchheim, wo sich u.a. die «Hammerskins Franken» einen sicheren Hafen für Konzerte geschaffen hatten, bis die Corona-Pandemie 2020 die Aktivitäten dort stoppte. 2021 entschied der Eigentümer des Objekts, in Zukunft keine rechten Events mehr stattfinden zu lassen. Nachdem Anfang 2023 außerdem der «Alte Gasthof» in Staupitz als Konzertort weggefallen ist, gibt es kaum noch „sichere“ Austragungsorte für rechte Konzerte. So entwickelte sich vor allem das «Flieder Volkshaus» der NPD-Nachfolgeorganisation «Die Heimat» in Eisenach zum neuen, zentralen Ort des wahrnehmbaren RechtsRock-Geschehens in Deutschland.
Die Konzerte – mehrheitlich von Liedermachern – können im Voraus öffentlich beworben werden und am Tag der Austragung ohne relevante Beschränkungen durch die Behörden stattfinden. Auch das Wetteifern vieler junger Neonazis aus dem Raum Eisenach um die Fortführung der brutalen Schlägerbande «Knockout 51» macht die Stadt für etablierte Neonazi-Strukturen wie die HSN attraktiv. Hier verspricht man sich entsprechend Nachwuchs zu rekrutieren. Die Präsenz von Nils Budig – der Vermögensverwalter diverser Hammerskin Geschäfte – beim derzeit laufendem Prozesses gegen «Knockout 51» vor dem Oberlandesgericht Jena, muss auch in diesen Kontext gesehen werden.
Erst 2020 ist Budig nach Reinsdorf bei Artern in Thüringen gezogen. Mutmaßlich auch aufgrund seiner Stellung bei den Hammerskins gelang es ihm sich schnell in Eisenach zu etablieren und an rechten Aktivitäten vor Ort u.a. mit «Knockout 51» Mitgliedern zu beteiligen. Zuvor war es der Hammerskin Daniel Arnold, der in Eisenach in Verbindung zu den jüngeren, gewaltbereiten Neonazis stand. Er betrieb dort noch vor wenigen Jahren die Kneipe «Bulls Eye», die er dann an Leon Ringl übergab, den Anführer von «Knockout 51». Budig ist heute nicht nur regelmäßig Gast im «Flieder Volkshaus», sondern schien am 8. Juli 2023 bei einem Konzert mit dem Liedermacher «Flatlander», so der Bühnenname des niederländischen Hammerskins Harm-Johan Smit, organisatorisch mitverantwortlich. Dort legten die «Hammerskins Franken» ein derartig auffälliges Gang-Gehabe an den Tag, dass allen Teilnehmenden demonstrieren sollte: Das ist unser Konzert!
Fast alle anwesenden Hammerskins trugen ihre Zugehörigkeit zur Bruderschaft zur Schau. Angereist waren die bekannten und langjährigen Hammerskins Frank Zunner, Heiko Stephan, Daniel Arnold, Daniel Orlewicz, Stefan Großhauser, Andreas Steinbauer und Dirk Breuer. Auch Oliver Besters und Uwe Gebhardt zeigten sich in Bekleidung, die Fullmembern der HSN vorbehalten ist. Noch 2021 waren die beiden Prospects, bzw. Angehörige der «Crew38 Franken».
Das Chapter «Hessen» und ein geplantes Konzert
Über viele Jahre waren die in Mittel- und Nordhessen wohnhaften Hammerskins dem Chapter «Franken» angeschlossen, die Hammerskins aus Südhessen gehören dem Chapter «Westwall» an. Zwischen 2016 und 2018 tauchten dann u.a. Bekleidungsartikel auf, bei denen ein Bezug zu einem möglicherweise neuen Chapter «Hessen» erkennbar war. Damals nutzte Daniel Orlewicz, der in Petersberg im Landkreis Fulda wohnt, innerhalb der Bruderschaft das Label «Hessen», um sich und seine Herkunft innerhalb der «Hammerskins Franken» herauszustellen. Dass es nun tatsächlich ein vollwertiges Chapter «Hessen» gibt, dass wahrscheinlich unter der Leitung von Orlewicz läuft, ist das Wissen um eine eigene Chapter-Flagge, sowie eine interne Grafik aus dem Jahr 2022. Diese wird in Hammerskin-Kreisen verbreitet und dient als Vorlage für Merchandise der Bruderschaft. Darauf sind alle Wappen der weltweit aktiven Chapter, insgesamt 36 an der Zahl, abgebildet.
Laut dieser eigenen Darstellung existieren allein in Deutschland aktuell 14 Chapter: «Berlin» (seit 1992), «Sachsen» (seit 1993), «Bremen» (seit 1993), «Mecklenburg» (seit 1995), «Pommern» (seit 1997), «Bayern» (seit 1999), «Franken» (seit 2000), «Württemberg» (seit 2011), «Westwall» (seit 2013/2014), «Westfalen» (seit 2014), «Brandenburg» (seit 2017), «Rheinland» (seit 2017/2018), «Sarregau» (seit 2019) und eben das Chapter «Hessen». Auf welches Gründungsjahr sich dieses bezieht, ist bisher unklar.
Daniel Orlewicz ist auch mitverantwortlich für ein Konzert, das in wenigen Wochen, am 28. Oktober 2023 in „Mitteldeutschland“ stattfinden soll. Als Headliner angekündigt ist die Band «Blue Eyed Devils», deren Sänger aus der USA stammt, während der Rest der Band aus Musikern aus Ostdeutschland besteht. Spielen soll zudem die Band «Flak» um Philipp Neumann, der seit knapp drei Jahren Fullmember im Chapter «Rheinland» ist sowie «Spreegeschwader» aus Berlin. «Blue Eyed Devils» und «Flak» teilten sich bereits beim internationalen Hammerskin-Treffen, dem „Hammerfest“, im November 2019 in Frankreich die Bühne. Der Bezug zu den Hammerskins beim geplanten Konzert im Oktober 2023 ist nur szeneintern bekannt und wird nicht öffentlich beworben. Auch das Datum des Konzerts ist nicht zufällig gewählt. In diesem Zeitraum im Oktober veranstalten auch die «Hammerskins Franken» stets Konzerte zu Ehren des 1994 verstorbenen US-Hammerskins Joe Rowan – sogenannte «Joe Rowan-Memorial»-Konzerte.
Fraglich ist nun, ob das Konzert wirklich in Deutschland stattfinden wird. Nicht nur weil die Behörden derzeit viele Neonazikonzerte untersagen oder auflösen. Vielmehr, weil das Konzert im Oktober – wie auch alle künftigen Konzerte, die im Zusammenhang mit Mitgliedern der HSN stehen – mit dem aktuellen Verbot der HSN in Deutschland als Wiederbetätigung gewertet werden müsste. Welchen Stellenwert Konzerte bei der Bruderschaft haben, machte Malte Redeker in einem internen Schriftverkehr 2018 deutlich: „Bei konzerten hab ich noch nie einen cent privatisiert. Ist gemeinschaftsarbeit und kommt bei uns immer in die gemeinsame kasse“ (sic!).
Versteckspiel
Die großen Konzerte, auf denen sich die HSN einer breiten Szene präsentiert, finden vor allem außerhalb Deutschlands statt. So konnten die deutschen Hammerskins immer wieder zusammen mit den «Hammerskins Lorraine» aus Frankreich im französischen Nordosten Groß-Konzerte ausrichten. Dass diese stets erfolgreich durchgeführt werden konnten, verschaffte der HSN innerhalb der Szene Anerkennung. Im Nachgang des Hammerfests am 2. November 2019 in Frankreich tauchte jedoch verdeckt gedrehtes Video-Material auf, sehr zum Ärger der Hammerskins. Es folgten detaillierte Recherchen zur Bruderschaft bei EXIF und in einer ARD-Doku, die viel aus dem Innenleben der Hammerskins zeigten. Es war vor allem den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschuldet, dass erst am 19. November 2022 in Italien wieder ein internationales Hammerskin-Konzert stattfinden konnte.
Symbole der HSN fand man auf dem Flyer zum Konzert nicht. Erst wenige Wochen vor der Austragung und nur durch intensive Recherche wurde deutlich, dass es sich bei dem Konzert in Mailand um das „European Hammerfest“ handelte. Erst einen Tag vor dem Konzert wurde bekannt gegeben, dass die deutschen Bands «Confident of Victory», «Blutzeugen» und «Flak» auftreten würden. Die Bands hielten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Mailand auf und konnten demzufolge nicht an der Ausreise aus Deutschland gehindert werden, wie aktuell bei anderen Bands üblich.
Fehlende Kontakt-Möglichkeiten auf Konzertankündigungen verwehrten es Nicht-Eingeweihten an dem Event teilzunehmen. Fast spöttisch wirkte ein Beitrag von «Flak» in den sozialen Medien einen Tag vor dem Konzert, dass die Band nun in Mailand sei und man „spontan sein“ soll, um zum Konzert in den Norden Italiens zu kommen. Dass am Ende nur knapp 300 Neonazis an diesem Konzert teilnahmen – im Gegensatz zu bis zu 2.500 Personen, wie etwa beim „Hammerfest“ 2015 in Mailand – war der Preis für die hohe Konspirativität.
Wesentlich mehr Öffentlichkeit – zumindest regional – erlangte hingegen ein Konzert am 5. August 2023 in Ostfriesland. Bereits zum zweiten Mal trat in einer Lagerhalle in Krummhörn bei Aurich die «Böhse Onkelz»-Coverband «Gehasst – Verdammt – Vergöttert» auf. Der Band gehört u.a. Neonazi Marco Eckert aus Grube an, der zugleich als Gitarrist in der «Combat 18»-Band «Oidoxie» spielt. Einer der Veranstalter des Konzerts war der Hammerskin Daniel Hintze aus Potsdam. Er zählt seit über zehn Jahren zum Chapter «Brandenburg» und verzog um 2017 nach Emden in Ostfriesland.
Es ist bei den Hammerskins üblich, weite Strecken in Kauf zu nehmen, um dem Leben innerhalb der Bruderschaft gerecht zu werden. Dazu gehört auch, seine „Brüder“ zu unterstützen. So bekam Hintze in Krummhörn nicht nur tatkräftige Unterstützung von Einzelpersonen aus der lokalen Neonaziszene, sondern auch von Hammerskins, die zum Teil hunderte Kilometer anreisten. Als Sicherheitsdienst des Konzertes traten u.a. Torsten Mols vom Chapter «Rheinland» und Martin Heise vom Chapter «Westfalen» in Erscheinung. Auch Dennis Kiebitz aus Schladen (bei Wolfenbüttel) war Mitarbeiter der Security. Noch im Frühjahr 2018 hatte Kiebitz vor dem Braunschweiger Arbeitsgericht versichert, kein Hammerskin mehr zu sein. Und wehrte sich erfolgreich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses seitens VW.
Hammerskins unter Druck
„Rechtsextremistische Freizeitaktivitäten sind kein Kündigungsgrund“, beschied das Braunschweiger Gericht in Bezug auf die Kündigung von Kiebitz. Auch das Gericht in Hamm in Westfalen urteilte im Dezember 2022, dass die Mitgliedschaft in einer neonazistischen Bruderschaft und Druck aus der Belegschaft für eine Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht ausreichten. Vorangegangen war die Kündigung der Hammerskins Mario Garcia Barrenada und Keith Klene aus Bochum, nachdem durch eine Veröffentlichung bei EXIF bekannt wurde, dass sie dem Chapter «Westfalen» angehören. Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt bei der Stadt Bochum. Mit der Zahlung einer Abfindung konnte die Stadt das Arbeitsverhältnis dennoch auflösen.
Auch ein weiteres Mitglied der «Hammerskins Westfalen» bekam die Konsequenzen für sein Wirken in der Bruderschaft zu spüren: Alexander Damm. Er und seine Partnerin Eva Damm verloren offensichtlich ihren Platz in der „Mitte der Gesellschaft“. Darauf verweist der Fußballverein LFC Laer 06 e.V. bereits kurz nach der Veröffentlichung der Informationen zu den Damms in einer Stellungnahme:
„Es gibt hier KEINEN (!!!) Raum für Rassismus und Diskriminierung in unserem Verein […] Einzig der Ausschluss aus dem LFC Laer 06 e.V. ist die logische und notwendige Konsequenz“.
Der Veröffentlichung zum Trotz ging das Leben im Chapter «Westfalen» aber weiter. Diverse Fotos zeugen von Feiern mit anderen Organisationen. So war der Hammerskin Dominik Damm im Herbst 2022 auf einer Feier zugegen, an der auch Mitglieder der neonazistischen Gruppierung «Brothers of Honour» (BoH) teilnahmen. Ein interessanter Aspekt, denn die BoH sind derzeit Repräsentant von «Combat 18» (C18) in Deutschland – einer Organisation, die seit 2019 in Deutschland eigentlich verboten ist. Ihr Gruppenlogo zeigt die Zahl 28, die nicht zufällig auch für die Initialen „BH“ («Blood & Honour») stehen und auf ihren Kutten prangt der C18-Leitspruch „Whatever it takes“ sowie der Szenecode „28FF28“ („Blood & Honour Forever, Forever Blood & Honour“). Es sind deutliche Bekenntnisse zu den in Deutschland verbotenen Netzwerken «Blood & Honour» und «Combat 18».
In einigen Ländern stand und steht C18 in Konkurrenz zur HSN, zeitweise bekämpfte man sich regelrecht. Doch in Deutschland hatten die beiden Gruppen bereits um 2010 Burgfrieden vereinbart. Damals teilte Redeker seinen „Brüdern“ in einem Newsletter mit, dass er sich diesbezüglich mit der Führungsfigur des deutschen C18-Ablegers – dem Dortmunder Marko Gottschalk – getroffen habe. Zudem machte Redeker klar, dass die deutschen Hammerskins „nie wirklich Probleme mit C18“ gehabt und C18 auch „nie ihr Maul über uns oder die HSN im Allgemeinen zerrissen“ hätten. Redeker kennt und schätzt Gottschalk schon fast zwei Jahrzehnte. Heute ist Gottschalk Präsident der «Brothers of Honour», die sich wie die HSN als eine „Bruderschaft“ versteht.
Jüngst konnte die BoH am 11. August 2023 auf einem Dortmunder Friedhof wahrgenommen werden, im Rahmen der Beisetzung eines Mitglieds. Etliche Neonazis erschienen dort in Lederkutten mit ihren Rangabzeichen und regionalen Zugehörigkeiten. Als Repräsentant der HSN war Dennis Roskos, langjähriger Hammerskin vom Chapter «Westfalen» unter den Trauernden.
Von den Hammerskins zu den Rockern
Einige Hammerskins haben ihre Aktivitäten seit der Veröffentlichung bei EXIF vor zwei Jahren in eine andere „Bruderschaft“ verlagert. Zu beobachten war das beim Chapter «Westwall». Marc Hoppe aus Karlsruhe hatte sich 2013 den Hammerskins angeschlossen. Er wurde Mitglied beim Chapter «Westwall» und nahm zuletzt 2020 an Aktivitäten der HSN teil. Zum Jahresende 2021 tauchte er immer häufiger auf Treffen der Rockergruppe Gremium MC auf. Im Frühjahr 2022 wurde ersichtlich, dass Marc Hoppe und sein (tatsächlicher) Bruder Dennis Hoppe das Charter «Karlsruhe City» des Gremium MC ins Leben gerufen hatten, wenn auch noch in Anwärterschaft, als sogenanntes «Probationary Charter».
In Lederkutte mit der „7“ im Emblem präsentierte sich als bald auch Christian Zauner, genannt „Dizzy“, der seit 2018 als Vollmitglied der «Westwall Hammerskins» festgestellt werden konnte. Im Sommer folgte dann Jan Ruprecht, der dem Chapter «Westwall» seit etwa 2019 als Vollmitglied angehörte. Damit verlor das südwestdeutsche Chapter der HSN drei Personen, die es offenbar nicht lange bei ihnen ausgehalten hatten und in eine „Bruderschaft“ weiterzogen, die noch mehr elitäres Gehabe – und wohl noch mehr einträgliche Geschäfte – zu bieten hat. Dass Marc Hoppe Kontakte in die sogenannte Organisierte Kriminalität pflegt, war schon zu seiner Zeit als Hammerskin erkennbar. Er arbeitet in der Firma seines Bruders, «Hoppe Sicherheitsdienst» als Türsteher in diversen Clubs. Hinlängst ist bekannt, dass verstärkt Personen etwa aus einflussreichen Motorradclubs als Türsteher tätig sind, um Einfluss auf den Drogenhandel nehmen zu können. In der eigenen Darstellung verweist die Security-Firma u.a. auf Tätigkeiten im Club «Freiraum» in Rastatt, dem Nachtclub «Rheingold» in Karlsruhe, das «Hasardeur»-Festival in Karlsruhe sowie im Stadion des Karlsruher SC.
Hoppe, Ruprecht und Zauner sind offensichtlich im „Good Standing“, d.h. „im Guten“, aus der HSN ausgetreten und pflegen vor allem über die rechte Fußballszene weiterhin Kontakte zu ihren ehemaligen Hammerskin-Brüdern. Etwa auf einer Feierlichkeit der Hooligangruppe «First Class Limburgerhof» des 1. FC Kaiserslautern im Juli 2023 in Speyer, an der u.a. Felix Wiotte und der Rechtsanwalt Thilo Seger, beide vom Chapter «Westwall», teilnahmen. Gänzlich ohne Symbole – weder von den Hammerskins noch vom Gremium MC – nahm Hoppe an der Beerdigung des bekannten Neonazis Christian Hehl am 10. Dezember 2022 teil – neben den Hammerskins Wolfgang Benkesser, Malte Redeker und Sebastian Kahlmann vom Chapter «Westwall».
Das Verbot als reine Formalie in Mecklenburg-Vorpommern
Neben dem Objekt in Kirchheim, dass für eigene Konzerte nun nicht mehr nutzbar ist, haben auch die «Hammerskins Mecklenburg» den Verlust einer wichtigen Räumlichkeit zu verschmerzen. Das von ihnen seit 2010 genutzte «Thinghaus» in Grevesmühlen steht seit Sommer 2022 zum Verkauf. Es diente den lokalen Hammerskins um Sven Krüger als Clubhaus, als Austragungsort für Konzerte und Partys, wie auch für regionale und bundesweite Strategietreffen der Organisation.
Was bleibt ist die von Krüger geführte „Nationale Dorfgemeinschaft“ in Jamel, keine zehn Kilometer von Grevesmühlen entfernt, mit ihren Festen und Zusammenkünften, an denen regelmäßig auch Hammerskins anderer Chapter teilnehmen. Das Verbot der HSN wird sich auf das Chapter «Mecklenburg» wenig auswirken. Das Leben in der „Nationalen Dorfgemeinschaft“ ist das einer Familienbande. Hier leben die Hammerskins zusammen mit einigen Verwandten, die ebenfalls der extremen Rechten angehören. Sie arbeiten mehrheitlich in eigenen Firmen, ihr gesamter Alltag ist um die Bruderschaft strukturiert. Die Hammerskins sind hier zum Lebensbund verwachsen, wie es dem eigenen Ideal entspricht. Dieses familiäre Gebilde wird kein Verbot zerschlagen können. Außerhalb der eigenen Gemeinschaft nahmen Mitglieder der «Hammerskins Mecklenburg» in den letzten Jahre immer wieder an rechten Aufzügen teil, wie beispielsweise Anfang 2022 an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen u.a. in Rostock. Neben Sven Krüger war dort regelmäßig auch Steffen Borchert aus Damshagen, nahe Grevesmühlen, auszumachen. Er hatte vor rund 10 Jahren das Chapter «Nordmark» kurzzeitig reaktiviert und gehört heute dem Chapter «Mecklenburg» an.
Ende Januar 2023 nahmen Hammerskins in der Region an den rassistischen Protesten gegen geplante Unterkünfte für Geflüchtete teil. Zu einem ersten Protest, der während einer Kreistagssitzung in Grevesmühlen eskalierte, hatte Sven Krüger mit aufgerufen. Wenig später reiste zu einem ähnlichen Protest gegen geplante Unterkünfte in Upahl auch Martin Kühlich von den «Hammerskins Berlin» an.
Auch international waren die Hammerskins in jüngerer Vergangenheit zahlreich auf Events vertreten. Etwa beim neonazistischen Gedenken zum „Tag der Ehre“ in Budapest im Februar 2023. Vor Ort waren neben deutschen Hammerskins aus den Chaptern «Berlin» und «Sachsen» auch Thorsten Wolff und seine Partnerin Tanja Steinhagen-Wolff aus Mölln sowie Sven Krügers Sohn Wilhelm Krüger. Der norddeutschen Reisegruppe gehörte auch Eric Herberg aus Wismar an, der wie der knapp 20-jährige Wilhelm Krüger aktuell Mitglied der «Crew 38» ist. Vermutlich hätte es bei Wilhelm Krüger nicht mehr lange gedauert, bis er sich als Anwärter der HSN versucht hätte. Zunächst muss er sich anderweitig bewähren.
Wegen Körperverletzungsdelikten in vier Fällen, einem Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust, das er in der Öffentlichkeit gezeigt hatte sowie wegen Fahren ohne Führerschein wurde er im November 2022 vom Amtsgericht Wismar zu zwei Jahren Jugendstrafe, ausgesetzt auf 3 Jahre Bewährung, verurteilt. Zuvor hatte er rund ein halbes Jahr in U-Haft gesessen. Die Körperverletzungen hatte er zwischen Juli und Oktober 2021 begangen, u.a. zusammen mit Hagen Mex von der «Crew 38», dem Sohn des Hammerskins Alexander Mex aus Jamel. Schon in den Jahren zuvor waren Wilhelm Krüger, Hagen Mex und dessen großer Bruder Tom Mex unter dem Namen «Skinheads Wismar» aufgetreten und versuchten in der Region durch Gewalt Angsträume zu schaffen. Tom Mex, der aktuell in der Firma «Estrichleger Sebastian Wien» arbeitet, trat noch 2021 als Prospect beim Chapter «Mecklenburg» auf. Im Laufe von 2022 scheint er jedoch dem Skinhead-Kult den Rücken gekehrt zu haben und ist stattdessen häufiger auf kleineren Trance und Goa-Veranstaltungen zu finden. Statt mit Bomberjacke, präsentiert er sich auf Social-Media nun in bunter, verspielter Drogen-Optik. Schwer vorstellbar, dass diese Entwicklung von der HSN langfristig geduldet wird.
Wo ist die Grenze?
Interessant wird sein, wie sich das Verbot bei grenzübergreifenden Chaptern bzw. Mitgliedschaften durchsetzen lässt. Etwa in Bezug auf das Chapter «Sarregau», das sich um 2019 von den «Westwall Hammerskins» losgelöst hatte und in dem Robert Kiefer aus Quierschied (Saarland) Hammerskins aus dem Saarland und aus dem französischen Grenzgebiet sammelt. Dürfen die französischen Mitglieder das Chapter in Frankreich weiterführen, wo die HSN nicht verboten ist? Und dürfen die deutschen (Ex-)Mitglieder an deren Treffen teilnehmen, ohne sich der Weiterführung einer verbotenen Organisation strafbar zu machen?
Jetzt, nach dem Verbot, werden bestehende französische Chapter wie «Lorraine» oder «North France» sowie der Schweizer Ableger für die südwestdeutschen Hammerskins wie Kiefer, aber auch für Angehörige des Chapters «Westwall» um Malte Redeker in Zukunft sicher eine noch größere Rolle spielen – um wie bisher Konzerte zu veranstalten und im internen Kreis die „Bruderschaft“ pflegen zu können. Das Clubhaus des Chapters «Sarregau», die «HateBar» in Dillingen, wird vermutlich nicht mehr genutzt werden können. Eine Ausweichmöglichkeit bietet ein Clubhaus französischer Hammerskins in Combres-sous-les-Côtes (Départment Meuse). Kiefer selbst dürfte außerdem noch Zugriff auf ein Grundstück im französischen Volmunster haben, wo vor Jahren noch Konzerte und Treffen der Organisation abgehalten werden konnten. Die Hammerskins «Sarregau» bewarben die Events der letzten Jahre lediglich intern. Zuletzt organisierten sie im April 2023 ein Konzert mit «Sick Society» und der bekannten, wieder aktiven Band «Wolfsfront» um Robert Kiefer in der «HateBar». Kiefer ist Eigentümer des Objekts und betreibt die Labels «Sarregau Music» und «H8Bar Productions».
Eine ähnliche Situation ergibt sich bei den «Hammerskins Bayern». Dem Chapter gehören demnach nicht nur die in Bayern wohnhaften langjährigen Hammerskins Thomas Irion, Stefan Birnböck, Franz Mejer und neuerdings als Fullmember auch Manuel Winkler an, sondern auch Alexander Werni in Österreich sowie Hans Jörg Felber und Pascal Zarka in der Schweiz. Die Hammerskins des Chapter «Bayern» im Ausland werden ihre Aktivitäten wie gewohnt fortsetzen können. Vor allem könnten die Treffpunkte in der Schweiz den deutschen Mitgliedern Zuflucht bieten. Auch in Österreich hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Treffen von deutschen Chaptern stattgefunden. So hatte der noch vor wenigen Jahren aktive bayerische Hammerskin Erich Kaiser über einige Jahre das Wintercamp der deutschen HSN in einer Hütte im österreichischen Mühlbach am Hochkönig organisiert. Auch diese Treffen waren stets ungestört verlaufen.
Ein Blick auf die internationalen Entwicklungen
Die «Hammerskin Nation» auf seine 14 deutschen Chapter zu beschränken wäre fatal, denn die Bruderschaft legt immensen Wert auf die Pflege und die Etablierung ihres Netzwerkes auf der ganzen Welt. Neben den deutschen Chaptern sind weltweit aktuell weitere 22 Chapter aktiv. In Europa zählen dazu die Chapter «Schweiz» (seit 1990), «Italia» (seit 1995), «Celtiberian/Espagna» (Spanien, seit 1999), «Portugal» (seit 2005), «Hungarian» (Ungarn, seit 2006), «Sweden» (seit 2009), «Lorraine» (Frankreich, seit 2014), «North France» (Frankreich, seit 2014), «South France» (seit 2014), «Asturias» (Spanien, seit 2014), «Finland» (seit 2018) und seit etwa 2021 das Chapter «Aquitaine», das im Südwesten Frankreichs beheimatet ist. In den USA sind zudem die Chapter «Confederate» (seit 1987/1988), «Northern» (seit 1988/1989), «Eastern» (seit 1989/1990), «Western» (seit 1990), «Northwestern» (seit 1999/2000) und «Midland» (seit 2000) immer noch aktiv. Darüber hinaus gibt es die «Southern Cross Hammerskins» in Australien (seit 1992), die «Vinland Hammerskins» in Kanada (seit 1993), die «New Zealand Hammerskins» in Neuseeland (seit 1998) und seit 2020 die «Southlands Hammerskins» in Brasilien. Bekannt ist außerdem, dass seit etwa 2018 in den Niederlanden eine handvoll vollwertige Hammerskins aktiv sind. Das Abbild eines Wappens, dass auf dieses Chapter hindeuten könnte, findet sich bisher nirgends. Auch nicht auf der bereits erwähnten Grafik der HSN, auf der alle aktuell aktiven Chapter – mit Stand 2021/2022 – mit ihren Symbolen zu sehen sind.
Der Vorteil einer weltweiten Organisierung der HSN ist grundlegend auch, dass die „Brüder“ ihre Bruderschaft theoretisch überall ausleben können: beim „Wintercamp“ in den Bergen Österreichs oder beim „Summercamp“ in den finnischen Wäldern, beim „European Officers Meeting“ an der Küste Portugals oder beim „Hammerfest“ der amerikanischen Hammerskins mitten im Nirgendwo. Es ist nämlich nicht die nationale Identität, die verbindet, sondern der Glaube an die „weiße Vorherrschaft“. Ein Verbot in Deutschland ist hinsichtlich der internationalen Bestrebungen sicher schmerzhaft und bedeutet eine Umstrukturierung. Tatsächlich Existenz bedrohend wäre hingegen, persönliche Treffen zwischen den Chaptern zu verunmöglichen. So könnten Chapter in anderen Ländern als Zuflucht zu Nichte gemacht werden. Und mit Zuflucht ist nicht nur der ungestörte Ort zur Auslebung der Bruderschaft gemeint. Alle aktiven, weltweiten Chapter können auch als Fluchtpunkt, etwa in Vorbereitung auf oder nach schweren Straftaten dienen. Kernelement der HSN ist nämlich auch: „Brüder schweigen“ – das Bekenntnis zu rechten Terror und der Verschwiegenheit darüber.
Expansion in den Norden
Mit den «Hammerskins Sweden» und dem Chapter «Finland» unterhält die HSN Ableger in Skandinavien. Trotz dem relativ kurzen Bestehen beider Chapter – vor allem in Finnland – sind die Aktivitäten bereits weitreichend.
Die bestehenden Treffpunkte etwa in Italien, Frankreich und Deutschland als Vorbild, betreiben die Schweden mit der «Hatbaren» seit 5 Jahren ein Clubhaus in Deje, nördlich von Karlstad. Seit Juli 2022 haben sie zudem Zugriff auf das «Gym XIV». Eine Sportstätte, die nur wenige Minuten vom Clubhaus entfernt vom Neonazi-Funktionär Ludvig Delin initiiert wurde. Die Hammerskins nutzen die Räume in dem ehemaligen Bürokomplex für Kampf-und Kraftsporttrainings und mischen bei den Events im Gym tatkräftig mit. Nach den Seminaren und Trainings im «Gym XIV» klingen die Abende wiederum gemeinsam mit den anderen rechten SportlerInnen häufig in der «Hatbaren» aus. Ganz nach dem Konzept Ludvigs Delins, der eine „Kontrakultur“ etablieren will, die Orte wie das Gym mit dem Clubhaus der Hammerskins vereinen soll. Eine Win-Win-Situation, denn für die Hammerskins in Deje bedeutet das eine Erweiterung ihrer Einflussnahme.
Eine ähnliche Dynamik ist auch im finnischen Chapter zu erkennen. So verschafften sich die Hammerskins Zugriff auf Gebäude und Grundstücke in Mittelfinnland und im Süden des Landes. Im Großraum Helsinki haben sie sich um 2021 sogar ein Clubhaus geschaffen: das «Hammer House», auf rund 200qm im Keller eines Gebäudekomplexes. Das Bestehen der Räume wurde im Juli 2023 mit einem zweitägigen „Hammerhouse Fest“ gefeiert, unter Mitwirken einiger ausländischer „Brüder“. Hammerskins aus ganz Europa waren schon Anfang August 2022 in Finnland zu Gast, als dort das „Summercamp“ der HSN ausgetragen wurde.
Das finnische Chapter und die «Crew 38 Finland» gerieten jüngst im Juli 2023 in den öffentlichen Fokus. Im Mai 2021 hatten fünf Männer aus der finnischen Stadt Kankaanpää Veranstaltungen der «Hammerskins Finland» besucht und sich dort mit diesen ausgetauscht. Die Kankaanpää-Gruppe steht seit 2020 unter Terrorverdacht. Die Mitglieder hatten sich illegal Schusswaffen, Munition und Sprengstoff besorgt, 2021 und 2022 folgten Verhaftungen. Die Gruppe soll sich weiter radikalisiert haben und laut Polizei sei nicht ausgeschlossen gewesen, dass Anschläge durchgeführt worden wären. Die Neonazis hätten damit das System destabilisieren wollen. Wie die Hammerskins sind auch die Mitglieder der Kankaanpää-Gruppe Anhänger der Strategien des „Führerlosen Widerstand“ und teilen mit ihnen rassistische und antisemitische Gewaltvorstellungen.
Mit dem Verbot der landesweit aktiven Organisation «Nordic Resistance Movement» 2020 in Finnland entstand ein Machtvakuum, das die «Hammerskins Finland» besetzt haben. Vor allem aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung und den Möglichkeiten, die die Bruderschaft bietet. Besonders im Bereich Kampfsport, der auch in der jüngeren finnischen Neonazi-Generation boomt, taten sich die Hammerskins hervor, in dem sie unterschiedlichen Gruppen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten. Gruppen wie «Veren Laki», die auch kleinere eigene Turniere veranstalten, wie zuletzt im Rahmen des zweiten „White Boy Summer Fest“ im Juni 2023 im Süden Finnlands. Auch auf diesen Veranstaltungen präsentierten sich die Hammerskins.
Impulsgeber
Mithilfe der extrem rechten russischen Kampfsport-Promotion «White Rex», waren es vorrangig deutsche Hammerskins, die den Kampfsport innerhalb der Neonazi-Szene prägten und festigten. Nicht wegzudenken aus dem Spektrum der Szene ist heute das Format «Kampf der Nibelungen» (KdN), dass sich ab 2013 mit Turnieren in Deutschland etablieren konnte. Maßgeblich geformt wurde der KdN von Hammerskins aus dem deutschen Chapter «Westwall» um den Kampfsportler Malte Redeker.
Überall in der extremen Rechten Europas findet man heute Kampfsport-Gruppen, eigene Turniere und Modemarken. In Deutschland selbst sind die Turniere des KdN seit 2019 behördlich untersagt. Auch deshalb weicht die Organisation ins Ausland aus, bzw. beteiligt sich an der Entwicklung neuer Formate. Die Hammerskins waren daran auch 2023 beteiligt und halfen maßgeblich bei der Umsetzung der Events. Mitglieder der HSN aus Deutschland, Ungarn, Spanien und Frankreich nahmen etwa auf die Durchführung der «European Fight Night» Einfluss, die am 6. Mai 2023 außerhalb von Budapest ausgetragen wurde.
Jérémy Flament, der im Nordosten Frankreich den «Lorraine Hammerskins» angehört und auch für die Anmietung deren Clubhaus zuständig ist, betreute in Ungarn Kämpfer. Jüngst fiel er auch als Mitorganisator eines neuen rechten Kampfsport-Formats in Frankreich auf, den «Radical Fight Club», kurz RFC. Bei einem ersten Event am Wochenende um den 2. September 2023, stand auch Steven Feldmann aus Dortmund im Ring, als Vertreter des KdN-Teams.
«Kampf der Nibelungen» prangte auch auf dem Shirt des Ringrichters auf einer neonazistischen Fightnight namens «Birth Of A New Frontier» am 20. August 2020 in San Diego, USA. Das Event, welches mit den Turnieren des KdN in seiner Anfangszeit vergleichbar ist, war das erste dieser Art in den Vereinigten Staaten. Die Jahre zuvor orientierte sich vor allem das «Rise Above Movement» um Robert Rundo an der europäischen extremen Rechten um den KdN. Rundo und weitere Abgesandte des RAM, darunter auch der Hammerskin-Anwärter Robert Smithson, holten sich auf ihrer Europareise im Frühjahr 2018 zahlreiche Inspirationen, auch durch die Teilnahme an einem Turnier des KdN im April 2018 in Ostritz, Sachsen.
Trotz Kriminalisierung, Inhaftierung und Flucht prägte RAM die Szene in den USA immens. Robert Smithson verschwand in die Ukraine, wo er sich heute auf Seiten ultra-nationalistischer Kräfte am Kampf gegen den Angriffskrieg Russlands beteiligt. Robert Rundo lebte die letzten Jahre in Serbien und Rumänien, bis er im August 2023 verhaftet und ausgeliefert wurde. Rundo gilt als Ikone der Gruppe und ist hauptverantwortlich für die Wegbereitung sogenannter «Active Clubs» – neonazistische Sportgruppen – die sich heute zahlreich in den USA, in Kanada, aber auch in Europa finden lassen. Die «Frontier»-Fightnight ist das Produkt von Rundo und der «Actice Clubs». Jüngste antifaschistische Recherchen lenkten den Blick zudem auf das Engagement der «Hammerskin Nation» innerhalb der «Active Clubs». So beschreibt Peter Smith vom «Canadian Antihate-Network» ausführlich, welchen Einfluss die «Vinland Hammerskins» um Ryan Marshall auf den 2021 gegründeten «Active Club Canada» haben. Smith kam zum Schluss, dass die HSN die Gruppierungen in Kanada nicht nur beeinflusste, sondern diese strategisch als Rekrutierungsfeld eröffnet wurden. Auch deutsche Hammerskins pflegen enge Kontakte zum Ableger der Bruderschaft in Nordamerika. Robert Kiefer vom Chapter «Sarregau» war dort um 2018 zu Besuch. Noch heute ist Kiefer – gemeinsam mit seinen kanadischen „Brüdern“ Jesse Rankin und Josh Bruce – Model für die Modemarke «Vinland Battlewear», die aus der Feder der «Vinland Hammerskins» stammt.
Im Mai 2023 folgten in den USA umfangreiche Veröffentlichungen des «Stumptown Research Collective» mit Details zu den ProtagonistInnen der «Active Clubs» und der «Frontier»-Fightnight. Dabei wurde auch auf das Event «Martyrs Day Rumble» eingegangen, das am 3. Dezember 2022 unter konspirativen Umständen in Pasco, im Bundesstaat Washington, abgehalten wurde. Den angekündigten Kämpfen im Ring folgten Auftritte bekannter Hammerskin-Bands wie «Beer Hall Putsch». Das Event stand im Zeichen des Andenkens an Robert J. Mathews, Mitglied der rechtsterroristischen Gruppe «The Order». Bisher waren es jährlich die «Northwestern Hammerskins» (NWHS), die das „Memorial“ veranstalteten und als Hammerskin-Event vermarkteten. Auf Bildern einer Hammerskin-Gruppe, die offenbar eine Gedenkzeremonie für Robert J. Mathews im Rahmen des „Memorial Day“ 2015 zeigen, sind auch die deutschen Hammerskins Malte Redeker und Erich Kaiser zu sehen.
Für das Gedenken im Dezember 2022 prangte nun aber das Logo des «Evergreen Active Clubs» auf dem Flyer. Trotz des Fehlens von Bezügen zur HSN bei der öffentlichen Bewerbung des «Martyrs Day Rumble» war die Bruderschaft auf dem Event allgegenwärtig. Patrick Mushaney und Robert Wheldon, die Schlüsselfiguren des ebenfalls anwesenden «SoCal Active Clubs» gehören schließlich der «Crew 38» an. Auch Daniel Rowe, der den «Evergreen Active Club» leitet, versteht sich als Unterstützer der HSN, wie er mittels entsprechender Grafiken in den sozialen Netzwerken zum Ausdruck bringt. Im Gefilde der «Active Clubs» wird aktiv um den Hammerskin-Nachwuchs gebuhlt, wie die Recherchen des «Stumptown Research Collective» in Bezug zu weiteren «Crew 38»-Anhängern und Prospects deutlich machen.
Damit kristallisiert sich der wohl wichtigste Aspekt heraus: die Hammerskins orchestrieren die Strukturierung, Ideologisierung und Rekrutierung eines großen Teils der Neonaziszene. Sie sind die Brücke zwischen den alten Netzwerken – die HSN eingeschlossen – und den neuen Playern.
Auch bei der zweiten «Frontier»-Fightnight, die am 19. August 2023 in Huntington Beach (Kalifornien) ausgetragen wurde, lassen sich zahlreiche Hammerskins innerhalb der Organisation finden. Mit den «Crew 38»-Angehörigen Mushaney und dem HSN-Unterstützer Rowe traten Personen aus der Bruderschaft in den Ring während in den Teams der Kämpfenden vor allem Fullmember zu finden waren. Rowe wurde schließlich von Matthew Richard Smoyer begleitet, der als Führungsfigur der «Northwestern Hammerskins» gilt. Auch Matt Branstetter war an der Organisation beteiligt. Die Flagge seines Chapters, der «Western Hammerskins», hing in unmittelbarer Nähe des Rings. Darüber hinaus zeigten weitere Mitglieder der HSN Symbole der Bruderschaft auf Merchandise und in Tattoos.
Der Ringrichter war dieses Mal – im Unterschied zum Debut von «Frontier» – vermummt. Seine Zugehörigkeit zur HSN wurde jedoch durch das Zurschaustellen von Merchandise der «Western Hammerskins» ersichtlich. Beim Ringrichter des ersten «Frontier»-Turniers 2022, der im KdN-Shirt die Kämpfe im Ring koordinierte, handelte es sich um Jason Baker, ebenfalls langjähriges Mitglied der «Western Hammerskins». Er war von Anbeginn als Hammerskin Teil des «Rise Above Movements» und zählte zum engen Kreis um Robert Rundo, genau wie die Hammerskins Matt Branstetter und Reilly DeVore. Bei letzterem wird vermutet, dass er den Ort für die erste «Frontier»-Fightnight 2022 an seinem Wohnort in San Diego organisiert hatte.
Die Hammerskins in den USA sind dabei etwas zu etablieren, was es lange nicht mehr in der Szene in den USA gegeben hat: Korpsgeist, realer Austausch und Rekrutierung fernab der RechtsRock-Konzerte.
Der seit Jahren stattfindende Austausch zwischen den Hammerskins aus Europa und den USA beeinflusste diese Entwicklung stark. Für europäische Hammerskins ist die Reise ins „Motherland“ USA bedeutend und die extreme Rechte in den USA lässt sich von erfolgreichen europäischen Strategien inspirieren. Auch deshalb ist es so wichtig den transnationalen Aspekt der HSN zu verstehen und nicht darin zu verfallen, die Chapter losgelöst von einander zu betrachten.
Verhaftungen und Verurteilungen
Stolz posiert der deutsche Hammerskin Robert Kiefer in voller Hammerskin-Kluft für ein Foto mit den frisch gebackenen brasilianischen Fullmembern der HSN. Das Bild ist in Gremado in Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens entstanden, während eines Besuchs von Kiefer um 2021. Gegen die Personen auf dem Foto, vor allem die Fullmember, Prospects und Angehörige der «Crew 38» wird aktuell intensiv ermittelt. Ihnen wird die Billigung des Nationalsozialismus und deren Verbrechen, Hassrede und Verschwörung vorgeworfen. Ihre Mitgliedschaft bei den «Southlands Hammerskins» wird von den Ermittler*innen als Mitgliedschaft in einer internationalen kriminellen Vereinigung gewertet. Im November 2022 hatte die Polizei acht Angehörige des brasilianischen Chapters in Rahmen einer Zusammenkunft im Großraum Florianópolis im Bundesstaat Santa Catarina verhaftet. Unter den Verhafteten befanden sich auch die Fullmember Miguel D’Almada (alias Miguel Angelo GasparPecheco), Saiuri Reolon und João Guilherme Correa, sowie der Prospect Laureano Vieira Toscani. Umfangreiche Razzien und weitere Festnahmen folgten im März 2023. Die Hammerskins sowie weitere Angehörige der «Crew 38» blieben bis April 2023 in Haft, kamen dann unter Auflagen frei. Wenige Wochen später wurden sie erneut verhaftet und sollen seit kurzem wieder auf freiem Fuß sein. Offenbar sind die Behörden in Brasilien bedacht, die «Southlands Hammerskins» nachhaltig zu zerschlagen. Man attestierte der Gruppe eine hochprofessionelle Organisierung, wie man sie von anderen Gruppen in Brasilien nicht kenne.
Das Chapter wird seit Oktober 2020 als vollwertiger Ableger der HSN anerkannt. Davor waren die Genannten, die in Brasilien durch schwere Straftaten wie Doppelmord und in zwei Fällen versuchten Mord an Jüd*innen und einem Schwarzen Mann auffielen, mehrfach nach Europa gereist. Miguel D’Almada nahm noch im November 2019 am „Hammerfest“ in Frankreich teil. Davor und danach hielt er sich kurz in Portugal auf. Das Land und die lokale Neonaziszene kennt er schon viele Jahre, denn bis vor wenigen Jahren lebte er selbst noch in Portugal. Dort stehen die «Portugal Hammerskins» aktuell gravierend unter Druck. Mitunter wird das personell stark aufgestellte und einst hoch-aktive Chapter seine Aktivitäten für die nächsten Jahren einstellen müssen. Schließlich werden einem Großteil des Chapters, wie auch dessen engstem Umfeld, etliche Straftaten vorgeworfen, für die um die 20 Personen im Juni 2022 verurteilt wurden. Sie haben laut Gericht als Zusammenhang gehandelt, als Hammerskins, und begangen so über mehrere Jahre diverse schwere Körperverletzungen, motiviert von Rassismus, Queerfeindlichkeit und Hass auf religiöse Gruppen. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Raub, versuchter Mord, Aufstachelung zur Gewalt, Drogenhandel, Besitz einer verbotenen Waffe und Körperverletzung. Aktuell warten die Verurteilten auf ein rechtskräftiges Urteil.
Die Aktivitäten des portugiesischen Chapters sind ein eindrückliches Beispiel dafür, wie massiv gewalttätig Hammerskins versuchen ihr Weltbild zu etablieren. Der Prozess in Portugal zeigt aber auch exemplarisch die Möglichkeiten der Hammerskins hinsichtlich einer Flucht vor Strafverfolgung. Denn der langjährige ebenfalls angeklagte portugiesische Hammerskin Tiago Leonel wohnt mittlerweile in Ungarn und hat dort geheiratet. Seine Aufenthalte in Ungarn nutzte er vor Gericht auch als Alibi für einige Anklagepunkte. In Ungarn fand er Zuflucht bei den «Hungarian Hammerskins» und betätigt sich aktuell auch an der Gitarre bei der RechtsRock-Band «Verszerzödes». Tiago Leonel ist eine umtriebige Figur in seinem Chapter «Portugal». Vor allem zu den «Hammerskins Sachsen» und speziell zu Thomas Gerlach aus Altenburg hält er seit vielen Jahren Kontakt. Über Gerlach als Mittelsmann lief vor einigen Jahren auch in Teilen die Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedern des Chapter «Portugal». Damals war es diesen aufgrund einer gerichtlichen Maßnahme untersagt worden, miteinander zu interagieren, um die Aktivitäten der Hammerskins am Laufen zu halten. Gerlach soll auch angeboten haben, Waffen für das Chapter «Portugal» besorgen zu können.