Die kürzlich als rechtsextrem eingestufte sächsische AfD stellt in Pirna erstmals einen Oberbürgermeister
Im Pirnaer Schloss Sonnenstein gibt es eine Gedenkstätte. Sie erinnert daran, dass die Stadt im Elbtal in der NS-Zeit ein Ort des Todes war. In den Jahren 1940 und 1941 wurden im Keller einer damaligen Heilanstalt 13 720 geistig und körperlich Behinderte ermordet, dazu 1031 KZ-Häftlinge. An Gedenktagen und mit Projekten wird an die Verbrechen erinnert; Pirnas Rathauschef übernahm dafür immer wieder die Schirmherrschaft.
Bei der NS-Opfervereinigung VVN-BdA fragt man sich, wie derlei Veranstaltungen künftig glaubhaft durchgeführt werden können. Der Grund: Die Bürger von Pirna haben am Sonntag mit Tim Lochner mehrheitlich einen AfD-Mann zum Oberbürgermeister der 39 000 Einwohner zählenden Stadt gewählt. Der 53-jährige Tischlermeister setzte sich im zweiten Wahlgang mit gut 6500 Stimmen und 38,5 Prozent gegen die CDU-Politikerin Kathrin Dollinger-Knuth (31,4 Prozent) und Ralf Thiele von den Freien Wählern (30,1 Prozent) durch. Er sehe nun »antifaschistische Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Gefahr«, sagt Silvio Lang, Landeschef des VVN-BdA, der sich »schockiert, traurig und wütend« über den Ausgang der Wahl zeigte.
Dieser kam freilich alles andere als überraschend. Lochner, der einst bei der CDU und den Freien Wählern aktiv war und auch jetzt kein Parteibuch der AfD hat, aber deren Stadtratsfraktion angehört, war bereits aus dem ersten Wahlgang klar als Führender hervorgegangen. Zwar zogen danach zwei schlechter platzierte der fünf Bewerber zurück. Zudem kam es zu ungewöhnlichen politischen Allianzen, indem etwa die örtliche Linke die CDU-Bewerberin unterstützte. Doch anders als 2019 in Görlitz, als die AfD sich bereits einmal auf dem sicheren Sprung ins Rathaus wähnte und durch den Rückzug einer Grünen-Politikerin zugunsten eines CDU-Mannes noch ausgebremst werden konnte, gelang es diesmal nicht, eine Allianz gegen die AfD zu bilden.
Lochner ist nun erster Oberbürgermeister der Partei in der Bundesrepublik. Der Titel ist zwar nicht mit besonderen Kompetenzen verbunden; in Sachsen gibt es allein 53 Oberbürgermeister in aktuellen und ehemaligen Kreisstädten sowie Städten mit mehr als 17 500 Einwohnern. Für die AfD handelt es sich dennoch um einen Prestigeerfolg zum Auftakt eines Wahljahres, in dem in Sachsen zunächst im Juni die Stadt- und Gemeinderäte sowie Kreistage gewählt werden und am 1. September auch der Landtag. Landeschef Jörg Urban sprach von einer »Steilvorlage« für das nächste Jahr. Die AfD, die in Umfragen derzeit vor der bisher stets siegreichen CDU liegt, hatte als Ziel schon länger ausgegeben, erstmals stärkste Kraft zu werden. Nun tönte Urban, man wolle bei der Landtagswahl »deutlich gewinnen« und »an die 40 Prozent rankommen«.
Bemerkenswert an dem Wahlerfolg in Pirna ist, dass dieser nur wenige Tage nach der Einstufung des AfD-Landesverbandes als »erwiesen rechtsextremistisch« eingefahren wurde. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) fällte dieses Verdikt nach mehrjähriger Prüfung in einem 134-seitigen Gutachten, in dem es zum Schluss kommt, die AfD verfolge »unzweifelhaft verfassungsfeindliche Ziele«. Verwiesen wird auf völkische Positionen in der Migrationsdebatte, verbreitete Islamfeindlichkeit, Antisemitismus und »fortdauernde Agitation … gegen die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland«. Das LfV attestiert der AfD im Freistaat zudem, mit »fast sämtlichen relevanten rechtsextremistischen Akteuren eng vernetzt« zu sein.
Teils wurden diese sogar zu Aushängeschildern der AfD. Jüngst sorgte der Fall von Arthur Österle für Aufsehen, der bei der Landtagswahl als Direktkandidat im Erzgebirge antreten wird. Österle war ein Gesicht der flüchtlingsfeindlichen Proteste im Chemnitzer Stadtteil Einsiedel ab 2015, trat als Ordner beim rechtsextremen »Trauermarsch« in Chemnitz im September 2018 in Erscheinung, war auf Kundgebungen der rechtsextremen Kleinpartei »Dritter Weg« ebenso anwesend wie beim Sturm auf den Reichstag 2020. Als AfD-Direktkandidat setzte er sich intern gegen einen gemäßigten Landtagsabgeordneten durch. Im Wahlkreis Chemnitz 1 zieht die AfD mit ihrem Stadtrat Lars Franke in die Landtagswahl, der einst auf der »100er-Liste« der Kontaktpersonen des rechtsextremen Terrortrios NSU geführt wurde und dem noch heute Verbindungen in die Chemnitzer Neonazi-Szene attestiert werden.
Der neue Pirnaer OB Lochner gilt im Vergleich als moderat. Doch auch er sagte nach seiner Wahl dem MDR, er wolle Rathausmitarbeiter »auf Loyalität prüfen« lassen. Zudem habe er sich gegen Regenbogenfahnen am Rathaus ausgesprochen, erinnert das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz). Der Pirnaer Verein betont, man sei von Wahl des AfD-Mannes »enttäuscht, und es empört uns«. Man wolle sich aber »nicht entmutigen oder einschüchtern lassen«. Auch das im September gegründete Bündnis »SOE gegen Rechts« bekundete, man wolle dem »Rechtsruck in der Gesellschaft« trotzen. Zudem hegt es einen Rest an Zuversicht: Weil es der AfD an Inhalten fehle, werde Lochner am herausfordernden OB-Amt »haushoch scheitern«. Zunächst einmal ist er allerdings für sieben Jahre gewählt.