Mord an Thomas und rechte Instrumentalisierung

Wir halten eine Auseinandersetzung mit rechten Entwicklungen und faschistischen Strukturen auch in anderen Ländern und Regionen für wichtig. Gerade das Vorgehen der gewaltbereiten Nationalist:innen in Frankreich sollte uns zu Denken geben, die aktuell den Mord an Thomas – und der Fall erinnert in Teilen an Chemnitz 2018 – für ihre Zwecke nutzen.

Auch wenn die Eskalation in Frankreich auf einem anderen Level spielt, so werden auch hierzulande militante Faschist:innen wie der Dritte Weg dreister – und Dynamiken greifen über, Strategien und Taktiken werden übernommen. Es ist also angemessen, uns die Beobachtungen und Einschätzungen unserer französischen Genoss:innen anzuschauen und darüberhinaus aus ihren Gegenstrategien und Erfahrungen zu lernen. Deshalb haben wir einen längeren Recherche- und Analysebeitrag von La Horde für euch übersetzt1möglichst nah am Original und an einigen Stellen um Erklärungen zu Personen und Abkürzungen mit Fußnoten ergänzt, der die aktuelle Situation auf Frankreichs Straßen greifbar machen soll:

In der extremen Rechten wird nichts geschaffen, geht nichts verloren, bleibt alles erhalten.2Zitat des berühmten französischen Chemikers Antoine Laurent de Lavoisier, meistens als “Nichts geht verloren, nichts wird erschaffen, alles wird verwandelt” übersetzt.

Revision der fatalen Mechanismen nationalistischer Mobilisierungen in Frankreich und Blick auf das Scheitern der rassistischen Strafexpedition von Romans-sur-Isère.

Thomas wurde am 19. November auf einem Dorffest in Crépol erstochen.3Eine Gruppe junger Männer wurde am Eingang abgewiesen. Einer davon (ein 20-jähriger Franzose) verletzte einen Türsteher mit einem Messer. Einige Gäste, darunter der 16-jährige Thomas, eilten dem Verletzten zu Hilfe. Der Angreifer verletze mehrere dieser Gäste, Thomas tödlich. In einem perfiden Ausschlachtungsmechanismus, der inzwischen gut etabliert ist, instrumentalisiert die extreme Rechte diese dramatische Nachricht, um aus einem Einzelfall einen gesellschaftlichen Alltag zu machen. Völlig gleichgültig gegenüber der Umstände der Ereignisse, benutzt sie sie als Hebel, um die Gesellschaft weiter zu spalten und auch, und das ist nicht nebensächlich, um ihrer Gewalt freien Lauf zu lassen. Aus offensichtlichen Gründen lassen wir an dieser Stelle den Trauermarsch mit der Familie außen vor und betrachten nur die Kundgebungen, die von der extremen Rechten initiiert wurden, sowie die Mechanik ihres Handelns. Obwohl sie relativ zahlreich waren (Reims, Laval, Aix, Lyon, Romans-sur-Isère, Toulouse, Albi, Colmar, Angers, Annecy, Grenoble, Paris), zogen sie kaum mehr als tausend Menschen an. Aber sie führten manchmal zu den üblichen Szenen rassistischer Gewalt und Menschenjagden, die in Romans-sur-Isère ihren erbärmlichen Höhepunkt erreichten und ein deutliches Gefühl der Straffreiheit von radikalen Nationalisten offenbarten.

Ausbruch aus der nationalistischen Zwangsjacke

Es ist inzwischen ein redundantes Muster, in dem nationalistische „Influencer“ wie Damien Rieu4französischer Rechter, dessen politische Karriere bei der (inzwischen verbotenen) Identitären Bewegung in Frankreich begann, später zur Identitären Partei, dann dem „Rassemblement National“ und nun zur „Reconquête“-Partei führte.eine zentrale Rolle spielt, nämlich die der Verzerrung der Realität, um sie ihrer ideologischen Vision anzupassen. Jede Nachricht wird aufgebauscht und dient als Katalysator, um eine Kontroverse in den sozialen Netzwerken auszulösen, in der Hoffnung, mit Unterstützung lokaler faschistischer Gruppen ein Ventil dafür auf der Straße zu finden. Es geht darum, aus der nationalistischen Blase herauszukommen, um Kontakte zur breiten Öffentlichkeit zu knüpfen und so ihre Ideen in die Gesellschaft einzubringen. Typischerweise, oder besser gesagt zwangsweise, indem man Vermischungen, Verkürzungen und grobe Lügen verbreitet. Das Internet vergisst nichts, aber die Flut an Informationen führt dazu, dass die Wahrheit selten in diesem Wirrwarr erkenntlich bleibt. Und in jedem Fall gibt es eine wiederkehrende Antwort, wenn wir den Fantasien der extremen Rechten Fakten entgegensetzen: „Das hätte passieren können“. Wenn es nicht stimmt, ist es zumindest plausibel und das reicht für ihr fiktives mentales Universum. Das Bedingte bedingt ihre Schädlichkeit. Das Trump-Modell hat die schädliche Wirksamkeit dieser Methode bewiesen.

Wie bei Lola haben wir gesehen, wie die gesamte extreme Rechte daran gearbeitet hat, Hashtags über den Mord an Thomas zu sammeln. Wie bei Lola betonen die meisten Illustrationen und Grafiken rund um Thomas die Jugend des Opfers und heben sein Gesicht hervor, um eine stärkere Empathie oder sogar eine Form der Identifikation bei jüngeren zu ermöglichen. Ein von Argos, der Wiederbelebung der Génération Identitaire5Ursprung der Identitäre Bewegung in Frankreich, verboten, produziertes Plakat diente als Vorlage für viele Plakatierungen in Frankreich. Andere, stumpfere, verkündeten: „Im Angesicht der Mörder, keine Trauermärsche mehr, legitime Selbstverteidigung.“ In den meisten Fällen versuchen diese Kampagnen visuell, den kritischen Geist des/der Betrachters/in zu entwaffnen und versuchen nur, Emotionen und Mitgefühl zu wecken. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um so dürftige Konzepte wie den von „Barbaren“ durchgeführten „Frankozid“ voranzutreiben, der angeblich im Gange ist.

Beispiel eines Plakats, das in nationalistischen Kreisen umgeht

Die unmögliche Verbindung mit dem „wirklichen Land“

Unter den Mobilisierungen konnten wir nächtliche Strafexpeditionen wie in Reims, Rennes, Romans-sur-Isère oder in ambivalenterer Weise in Lyon beobachten. Ein Beispiel: In Reims posierte eine Gruppe von etwa fünfzig FAFs6französischer Slang für Nazis, Akronym für „Frankreich den Französ:innen“ vor der Kathedrale hinter einer schwarzen Fahne mit keltischen Kreuz7Zeichen der „White Pride“/„White Supremacy“-Bewegung.

Es ging natürlich nicht darum, Gefolgschaft zu gewinnen. Wir werden darauf zurückkommen, aber in den meisten Fällen sind es „unpolitische“ Appelle, die sich durchgesetzt haben. Denn wie bei den Wirren um den Mord an Lola ermöglicht es diese Fassade der Apolitizität, unter falscher Fassade8Im Original: „den Fisch ertränken“, französische Redewendung dafür, dass man von sich / vom Wesentlichen ablenkt, falsche Tatsachen vortäuscht mit unbekannten Namen Kundgebungen und Demonstrationen anzumelden. Dadurch konnten präventive Verbote oft umgangen werden und in den meisten Fällen konnten solche Demonstrationen sogar unter Polizeischutz stattfinden.

Wir halten diese verschiedenen Formen der öffentlichen Intervention nicht für widersprüchlich. Wie üblich spiegeln sie eine Spannung wider, die der Dynamik der radikalen extremen Rechten eigen ist, die immer zwischen der unversöhnlichen Suche nach Seriosität und dem Wunsch nach Befriedigung einer als befreiend empfundenen Gewalt oszilliert. Im Anschluss an unsere Rezension werden wir feststellen, dass die eine Form nicht unbedingt zu einer breiteren Mobilisierung führt als die andere. Es ist unbestreitbar, dass die minderbemittelten Schläger freie Hand haben, oft ungestraft, gemeinsam mit den politisch Herrschenden die ihnen bereitwillig entgegenkommen. Auf der anderen Seite sind die Nationalisten nicht in der Lage, eine Verbindung zu ihrer Fata Morgana eines „wirklichen Landes“ herzustellen, von dem phantasiert wurde und das sich dennoch weiterhin gegen ihr politisches Projekt wehrt.

Überblick über lokale Mobilisierungen…

In Aix-en-Provence findet am Freitag, den 24. November, vor dem Gerichtsgebäude auf dem Place des Prêcheurs eine Kundgebung mit vielleicht 70 bis 80 Personen statt. Unter den bekannten Gesichtern war auch Stéphane Ravier von Reconquête9Extrem Rechte französische Partei anwesend und ergriff das Wort. „Le Maquis“10französische extreme Rechte, die sich auf den Widerstand gegen die deutsche Besatzung im zweiten Weltkrieg beziehen behauptete, mit etwa zehn Aktivist.innen gekommen zu sein. Andere repräsentieren „Némésis“11rassistisch-identitäre Frauenbewegung, die „Action Française“12nationalistische Gruppierung, die „Cocarde Provence“13lokal-patriotische, nationalistische Bewegung, „die Gewerkschaft des nationalen Lagers“. Zu guter Letzt gibt es noch Raphaël Ayma und ein paar andere von Tenesoun14identitäre Gruppierung, der Gruppe, die die Veranstaltung initiiert hat. Wie wir sehen können, setzt sich die Bewegung hierarchisch seltsam zusammen15Im Original: „Eine Armee mexikanischer Generäle“, französische Redewendung für „mehr Befehlshaber:innen als Befehls-Ausführer:innen“: viele Führer.innen, aber dürftige Truppen.

Im Westen, in Angers, ist es die RED (Kundgebung der rechten Studenten), die an diesem Samstag, dem 25. November, an der Spitze steht, obwohl sie in den sozialen Netzwerken lediglich angekündigt hat, sich der Kundgebung anzuschließen. Eine Kundgebung die, ebenso knapp wie die Rede von Jean-Eudes Gannat16Gründer von „L’Alvarium“, identitäre / national-katholische Gruppierung, gerade so die 70 Teilnehmer.innen erreicht, obwohl die Nachbarn von „Des Tours et des Lys17Identitäre / Nationalist:innen mit starkem historischem Bezug als Verstärkung anwesend sind und auch die lokalen Aktivist.innen von „les Patriotes“18nationalistische Gruppierungdabei sind. Unterdessen findet laut der lokalen Presse eine feministische Demonstration von 600 Menschen in der Stadt statt.

Wieder am nächsten Tag, in Laval. Wir nehmen die gleichen und fangen wieder von vorne an. Hinter dem Banner, das am Vortag in Angers entrollt wurde, wird ein Spaziergang von der Kathedrale zur Präfektur laut Ouest France nur 100 Menschen mobilisieren. Neben den Truppen der RED, der „Mouvement Chouan19nationalistische / traditionalistische Bewegung für „die kleinen Leute“ und gegen Gewerkschaften und Lokale von Meduana Noctua20Identitäre in Mayenne nahm jedoch eine große Delegation (wie üblich vermummt) aus Rennes der Oriflamme21faschistische Gruppe den Weg auf sich. Es gibt auch Mitglieder des RN22“Rassemblement Nationale“, größte extrem rechte französische Partei, darunter Jean-Michel Cadenas, der für Mayenne verantwortlich ist, denen es nicht peinlich ist sich in dieser kleinen neofaschistischen Welt herumzutreiben. Schließlich ist die extreme Rechte eine große (dysfunktionale) Familie. Am Abend, zurück in der Heimat, erhält die Oriflamme die Unterstützung von Fans aus den Stadien von Reims und Rennes, um durch die Stadt zu schlendern, den strammen Max zu markieren und sich gemeinsam abzuhängen.

Was wie eine Machtdemonstration aussieht, täuscht nicht darüber hinweg, dass die Oriflamme nicht in der Lage ist, eine öffentliche Versammlung in der Stadt zu organisieren und dass sie auf der Hut sein muss, um sich vor Vergeltung zu schützen. Apropos Schutz: Ihre geheimen Räumlichkeiten wurden kürzlich von Antifaschist*innen geleakt (Insta und Facebook @ag.antifa.rennes). Lange und quälende Nächte der Nachtwache stehen bevor.

In Annecy marschieren am 26. November 130 Menschen, organisiert von der Reconquête. Unter den Demonstrant.innen ist die Anwesenheit des Antisemiten Alexandre Gabriac zu bemerken und vor allem, dass die Veranstaltung mit dem sehr gewalttätigen Angriff gegen Gérard Fumex, einem Journalisten der lokalen Presse, unter dem gleichgültigen, um nicht zu sagen bullenartigen23Im tatsächlichen Bezug auf das Tier, also „Stieren“ Blick der Polizei, endete.

In Grenoble werden am Montag, den 27., trotz der Größe der Stadt nicht einmal 100 Menschen dem Aufruf des Bündnisses von Reconquête im Departement Isère folgen. Eine klare Niederlage.

In Colmar werden etwa dreißig Menschen dem Aufruf von Action Française folgen.

In Albi war es natürlich Patria Albiges, die mit Hilfe von Mitgliedern der Furie Française24“französischer Zorn“ gegen „Invasion“ und Woke-Kultur, angereist aus Toulouse, die Initiative zu einer mageren Kundgebung ins Leben rief (im Gegenzug werden die Albiner.innen in Toulouse anwesend sein). Es gab zwar gewählte Vertreter des RN, aber sie zogen es vor, das Angebot, Reden zu halten abzulehnen. Es ist davon auszugehen, dass der Fall, der am 12. Dezember verhandelt wird und in dem der Sohn des RN-Abgeordneten von Tarn, Frédéric Cabrolier, und zwei weitere Personen wegen „öffentlicher Provokation zu Hass oder Gewalt aufgrund von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Nation, Rasse oder Religion“ verwickelt sind, nicht umsonst ist.25Alle drei wurden zu je drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt

Am Montag, den 27., war es die Hauptstadt der FAFs, in der 150 von ihnen aufliefen. Die Demo ist für 19 Uhr auf dem Place du Maréchal-Lyautey im 6. Arrondissement von Lyon geplant, aber weil sie verboten wird, findet sie stattdessen auf der Halbinsel statt, auf der anderen Seite der Rhône, um das Rathaus zu erreichen. Ohne polizeiliche Hindernisse, wie es vor Ort üblich ist. Später am Abend folgten acht Verhaftungen, als die Nationalisten während einer Plakatierung/Graffiti-Aktion in der Stadt kontrolliert wurden. Im Auto wurden Eisenstangen und andere „demokratische Materialien“ gefunden. Bei der anschließenden Durchsuchung wurde in einem Tresor eine größere Summe Bargeld gefunden. Das Ergebnis von „vier Jahren Einsparungen“ für die „Renovierung [ihres] Hauses“, werden die als identitär eingestuften sich verteidigen. Es sieht aus wie der Beginn eines schlechten Bahnhofsromans, was für die FAFs in Lyon da treiben.

…und einige Demonstrationsverbote

In Lille ist die für Mittwoch, den 28. November, geplante Kundgebung verboten. Die Präfektur des Nordens erklärt, dass „Botschaften der Aufstachelung zur Gewalt oder sogar zum Hass“ geäußert werden könnten und stützt sich auf die Geschehnisse in Lyon, um ihre Anordnung zu begründen. Nichtsdestotrotz können wir annehmen, dass das „Risiko einer gewaltsamen Reaktion der antagonistischen Gruppen der Ultralinken von Lille“ für eine Stadt, die seit Jahren unter der Präsenz von La Citadelle26ultrarechte Gruppierung in Lyon, gegen die inzwischen ein Verbotsverfahren läuft und deren Ignoranz des Staates leidet, schwer auf der Waagschale wiegt.

Die Antifaschisten von Bordeaux griffen das Beispiel von Lille auf und die OAB rief „alle Organisationen von Bordeaux und diejenigen, die sich angesichts dieser Bedrohung betroffen fühlen, auf, sich bereit zu halten“. Am Ende wird die Versammlung der extremen Rechten verboten. Das Gleiche gilt für Valence27identitäre Gruppierung in Drôme (veröffentlicht von Action Française und Valence Patriote), wo das Dekret den Anführer von Valence Patriote, Endy Thivolle, namentlich erwähnt.

Demonstrationsverbot auch in Montpellier für die Ligue du Midi28lokalpatriotische identitäre Gruppierung von Richard Roudiers, siehe dazu den Artikel in Le Poing.

Ein weiteres Verbot einer Veranstaltung in Nizza, die von einem ehemaligen Mitglied der Génération Identitaire angemeldet wurde. Schließlich wurde die von den Natifs29identitäre Gruppierung angemeldete Demonstration in Paris, die zeitweise verboten war, nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts in letzter Minute genehmigt. Weit entfernt von den Erwartungen der Identitären mobilisiert sie laut Le Parisien nur 200 Menschen auf dem Place du Panthéon, mit Aktivisten von Argos, der GUD30“Groupe Union Défense“, extrem rechte Student:innengruppe und der gesamten lokalen Faschoszene. Einige im Publikum konnten es sich nicht verkneifen, ein paar Hitlergrüße zu zeigen, angeheizt von folgenden Reden: Jean-Yves Le Gallou31Theoretiker mit einer Laufbahn als hoher Funktionär in diversen rechten Parteien in Frankreich, am prominentesten beim „Rassemblement Nationale“ (damals noch „Front Nationale“) und dem „Mouvement Nationale Républicain“und die vehemente Liselotte Dutreuil von Radio Courtoisie32selbstbezeichnend rechter Radiosender. Kurz davor, vor Journalisten die Kontrolle zu verlieren, mussten die Führer ihre Truppen drastisch zurechtweisen. Aber es ist zu spät und das ist schlecht für die Außendarstellung. Es sollte angemerkt werden, dass der RN seine Anhänger.innen „aufgerufen“ hatte, die Veranstaltung zu meiden, aus Angst vor Ausrutschern, die die Seriosität der Partei beeinträchtigen könnten.

Ständiges Treiben

Ein bemerkenswertes Merkmal dieser Mobilisierungen betrifft die Mobilität des radikalen Randes der extremen Rechten. Seit den Mobilisierungen von Callac und Saint-Brévin haben die Nationalisten ihre zahlenmäßige Schwäche durch ausschweifende Reisen kompensiert, indem sie sich gegenseitig von Stadt zu Stadt unter die Arme gegriffen haben. So lebt laut Libération von den 20 in Romans-sur-Isère Verhafteten kein einziger in der Drôme. Eine behelfsmäßige Methode, die den Vorteil hat, ein größeres Bild ihrer Schlagkraft zu vermitteln und die Verbindungen der „InterFAFs“33Slang-Mischwort: die Verbindungen der extremen Rechten zwischen den Städten zu stärken. Diese Strategie ist kostspielig, wenn Repression gegen nationalistische Aktivist*innen verhängt wird, und sie ist auch deshalb begrenzt, weil die damit einhergehende Eskalation der Gewalt keine Garantie dafür ist, dass die Reihen anwachsen. Treten sie geschlossen auf, weil sie den Anschluss verloren haben, oder haben sie den Anschluss verloren, weil sie geschlossen auftreten?

Irland als schlechtes Vorbild

Bei den erschwerenden Faktoren, die zu diesem Köcheln im eigenen Sud in den FAFs geführt haben, darf der globale Kontext nicht vernachlässigt werden. Die irische extreme Rechte hatte am Donnerstagabend, dem 23. November, bei der Gelegenheit das Pulverfass gezündet und rassistische Ausschreitungen provoziert. Diese Bilder (und in geringerem Maße auch die extrem rechte Agitation in Spanien) sind in nationalistischen Köpfen präsent, die Sturmhauben und Stöcke den Trauermärschen vorziehen. Da sie die sozialen Netzwerke satt haben, hat dieses Vorbild bei ihnen den Blaseneffekt und die Vorstellung einer bevorstehenden europäischen nationalistischen Welle verstärkt.

Geschmack der eigenen Medizin

Und wahrscheinlich war es dieses Beispiel, das sie dazu brachte, zu glauben, dass sie das Arbeiterviertel La Monnaie in Romans-sur-Isère angreifen könnten, den Wohnort einiger der Angeklagten im Mord an dem jungen Thomas. Ein reines akzelerationistisches Delirium, um den „zivilisatorischen Schock“ herbeizuführen. Die Operation ist für Samstagabend, 25. November, geplant. Die nur 80 mit Stöcken und Feuerwerkskörpern bewaffneten Faschisten, die aus ganz Frankreich (Dijon, Besançon, Montpellier, Nantes, Normandie, Mayenne) kommen, unter dem Befehl von Léo Rivière-Prost, alias Gros Lardon von der Division Martel34ultrarechte Gruppierung, am 6. Dezember nicht zuletzt wegen eben dieser Aktion verboten, mit einem großen Kontingent von Aktivisten aus Lyon, stoßen mit der CRS35Sondereinheit der französischen Polizei zusammen, die zwischen ihnen und den Anwohner.innen platziert worden war, und gut vorbereitet war sich zu verteidigen.

Die Martel-Division auf einer Reise in die Region Besançon im Mai 2023 mit Aktivisten aus verschiedenen Regionen.

Letztere werden sie am Abend buchstäblich demütigen. Die ersten martialischen Bilder eines Aufmarschs junger Männer mit Masken, Rauchbomben und Fäusten, die sich hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Gerechtigkeit für Thomas“ versammelten, wurden oft mit dem Nationalisten aus Mayenne Samy Fouchard in Verbindung gebracht, der sich nackt auf offener Straße wiederfand36er hatte beim Versuch einer rassistischen Aktion den Zorn einiger Anwohner:innen auf sich gezogen. Ironischerweise verdankt er seine Rettung laut einer Polizeiquelle, die von Le Monde zitiert wird, „den Ältesten des Viertels, darunter mindestens zwei Personen, die für ihre früheren Verbindungen zum radikalen Islamismus bekannt sind, die ihre Autorität nutzten, um das Schlimmste zu verhindern“. Zur Erinnerung: Die Gruppe Meduana Noctua, der Samy Fouchard angehört (zusammen mit Hector Pezé, der auch während des Debakels in Romans anwesend war), hat bei ihrer Gründung ein Manifest verfasst, in dem sie vom „verwurzelten Menschen, der sich seiner Pflichten gegenüber seiner Rasse bewusst ist“, spricht. Ein typischer völkischer „Gedanke“, der klingt wie aus einem Nazi-Flugblatt aus den 1930er Jahren.

Ein Fall wie aus dem Lehrbuch (der Polizei)

Ein Fiasko, wie es die extreme Rechte schon lange nicht mehr erlebt hat. Um den Punkt zu verdeutlichen, scheiterte am Sonntag ein weiterer Versuch, sich in Romans-sur-Isère zu versammeln, und führte zu weiteren Verhaftungen. Gros Lardon und seiner Bande gelang ein Scherz, der ganz Frankreich zum Lachen bringt. Sechs von ihnen wurden in Valence vor Gericht gestellt. Die Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren wurden zu 6 bis 10 Monaten Gefängnis verurteilt und bei Hausdurchsuchungen wurden Klingenwaffen, Schlagringe, Softair-Ausrüstung, Literatur über das Dritte Reich und das unverzichtbare Exemplar von „Mein Kampf“ gefunden. Um den Schlag wiedergutzumachen, stammelten die Faschisten, dass es sich um eine freiwillige Opferaktion gehandelt habe, um einen Weckruf zu tätigen, bevor es zu spät sei. Aber diese Operation ist gescheitert, es ist schwer, „300“ mit 80 im Zeitalter der sozialen Netzwerke nachzuspielen.

Allein die Tatsache, dass sie dachten, dass ihr Plan durchführbar sei, sollte uns jedoch dazu veranlassen, sehr wachsam zu sein (siehe den Artikel von Rapports de Force zu diesem Thema37zusammengefasst geht es in dem Artikel darum, dass, auch wenn diese militanten Angriffe von Faschist:innen bisher erfolglos waren, die neue Dreistigkeit die sie an den Tag legen allerdings künftig gefährlich werden kann.), und angesichts der Psychologie der Faschisten werden sie auf Rache aus sein.

Und dann gibt es noch die eindeutigen Anzeichen für rechtsextreme Absprachen mit Teilen der Polizei, die allmählich zu häufig werden, um sie zu ignorieren. Der von Médiapart aufgedeckte (Polizei-)Lehrbuchfall der Oriflamme ist in dieser Hinsicht erhellend (Artikel über die Verbindungen zwischen der Polizei und einem rechtsextremen Aktivisten in Rennes). In Bezug auf die rassistische Expedition von Romans-sur-Isère hatten die Aktivisten laut France Bleue eine Liste mit 31 Namen der Verdächtigen, die im Fall um den Tod von Thomas gehört wurden. Diese Liste wurde im Telefon eines Einwohners von Rouen gefunden. Abgesehen von der wieder aufgewärmten Frage des Wählens scheint die Durchlässigkeit zwischen faschistischen Kreisen und der Polizei in der Gesellschaft jedoch nicht die Aufmerksamkeit zu finden, die diese Gefahr verdient.

Den RN rechts überholt

Fast die gesamte politische Klasse ignorierte diesen Aspekt der Expedition in Romans. Es überrascht nicht, dass Darmanin38französischer Innenminister, der oberste Polizist Frankreichs, seine Lieblings-Nebelwand benutzt: Die administrative Auflösung (wir hatten hier einen Artikel über die Folgen früherer Auflösungen geschrieben) der Division Martel und zweier anderer kleiner Gruppen, die nicht kommuniziert wurden (wir schätzen Vandal Besak und Lyon Populaire?). Aber das täuscht wenig über sein tägliches Wohlwollen gegenüber der extremen Rechten und ihrer Ideen hinweg, die er sich längst zu eigen gemacht hat. Das Gleiche gilt für die Nationalversammlung.

Wie könnte es auch anders sein an diesem hohen Ort der Normalisierung des RN, wo die nicht-präsidiale Mehrheit ihnen Vizepräsidentenposten anbot und sie in den „republikanischen Bogen“ brachte39sprich, sie als „normale“ demokratische Partei anerkannte, die so weit geht, sie bei ihrer Demonstration gegen Antisemitismus zu akzeptieren. Braun liegt im Trend und wir werden sogar Zeugen eines Überholmanövers des RN von rechts durch den LR40“Les Républicain“-Chef41Éric Ciotti. Während Bardella (RN) sich schnell von der Strafexpedition von Romans-sur-Isère distanzierte, um ein wenig mehr Gunst der Demokrat.innen zu bekommen, verurteilte der am Sonntag auf BFMTV geladene Eric Ciotti (LR) die faschistische Gewalt nicht und ruderte erst am nächsten Tag aus Angst vor einem Shitstorm zurück. Verzockt.42Im Original: Sprichwort „wenn der Sprenkler sich selbst nass macht“

Gegenseitige Hilfe und Solidarität pflegen

Angesichts des Rassismus – lasst uns uns organisieren

Es liegt an uns, einen Grundwert des Antifaschismus zu kultivieren. Solidarität. Von Stadt zu Stadt, von Gruppe zu Gruppe müssen wir bestehende Verbindungen stärken, Informationen verbreiten, uns gegenseitig helfen und gemeinsame Perspektiven entwickeln, um einer radikalen extremen rechten Bewegung entgegenzutreten, die in ihrer grundlosen, aber umso gefährlicheren Gewalt stecken geblieben ist. Wenn aus offensichtlichen Sicherheitsgründen die Pflege von Affinitätsbindungen entscheidend bleibt, müssen wir mit der Straße43Im Original “mit dem Terrain” und der Gesellschaft in Kontakt bleiben, damit Antifaschismus (wieder) zur Angelegenheit aller wird und diese Perspektive an Stärke gewinnt.

  • 1
    möglichst nah am Original und an einigen Stellen um Erklärungen zu Personen und Abkürzungen mit Fußnoten ergänzt
  • 2
    Zitat des berühmten französischen Chemikers Antoine Laurent de Lavoisier, meistens als “Nichts geht verloren, nichts wird erschaffen, alles wird verwandelt” übersetzt.
  • 3
    Eine Gruppe junger Männer wurde am Eingang abgewiesen. Einer davon (ein 20-jähriger Franzose) verletzte einen Türsteher mit einem Messer. Einige Gäste, darunter der 16-jährige Thomas, eilten dem Verletzten zu Hilfe. Der Angreifer verletze mehrere dieser Gäste, Thomas tödlich.
  • 4
    französischer Rechter, dessen politische Karriere bei der (inzwischen verbotenen) Identitären Bewegung in Frankreich begann, später zur Identitären Partei, dann dem „Rassemblement National“ und nun zur „Reconquête“-Partei führte.
  • 5
    Ursprung der Identitäre Bewegung in Frankreich, verboten
  • 6
    französischer Slang für Nazis, Akronym für „Frankreich den Französ:innen“
  • 7
    Zeichen der „White Pride“/„White Supremacy“-Bewegung
  • 8
    Im Original: „den Fisch ertränken“, französische Redewendung dafür, dass man von sich / vom Wesentlichen ablenkt, falsche Tatsachen vortäuscht
  • 9
    Extrem Rechte französische Partei
  • 10
    französische extreme Rechte, die sich auf den Widerstand gegen die deutsche Besatzung im zweiten Weltkrieg beziehen
  • 11
    rassistisch-identitäre Frauenbewegung
  • 12
    nationalistische Gruppierung
  • 13
    lokal-patriotische, nationalistische Bewegung, „die Gewerkschaft des nationalen Lagers“
  • 14
    identitäre Gruppierung
  • 15
    Im Original: „Eine Armee mexikanischer Generäle“, französische Redewendung für „mehr Befehlshaber:innen als Befehls-Ausführer:innen“
  • 16
    Gründer von „L’Alvarium“, identitäre / national-katholische Gruppierung
  • 17
    Identitäre / Nationalist:innen mit starkem historischem Bezug
  • 18
    nationalistische Gruppierung
  • 19
    nationalistische / traditionalistische Bewegung für „die kleinen Leute“ und gegen Gewerkschaften
  • 20
    Identitäre in Mayenne
  • 21
    faschistische Gruppe
  • 22
    “Rassemblement Nationale“, größte extrem rechte französische Partei
  • 23
    Im tatsächlichen Bezug auf das Tier, also „Stieren“
  • 24
    “französischer Zorn“ gegen „Invasion“ und Woke-Kultur
  • 25
  • 26
    ultrarechte Gruppierung in Lyon, gegen die inzwischen ein Verbotsverfahren läuft
  • 27
    identitäre Gruppierung
  • 28
    lokalpatriotische identitäre Gruppierung
  • 29
    identitäre Gruppierung
  • 30
    “Groupe Union Défense“, extrem rechte Student:innengruppe
  • 31
    Theoretiker mit einer Laufbahn als hoher Funktionär in diversen rechten Parteien in Frankreich, am prominentesten beim „Rassemblement Nationale“ (damals noch „Front Nationale“) und dem „Mouvement Nationale Républicain“
  • 32
    selbstbezeichnend rechter Radiosender
  • 33
    Slang-Mischwort: die Verbindungen der extremen Rechten zwischen den Städten
  • 34
    ultrarechte Gruppierung, am 6. Dezember nicht zuletzt wegen eben dieser Aktion verboten
  • 35
    Sondereinheit der französischen Polizei
  • 36
    er hatte beim Versuch einer rassistischen Aktion den Zorn einiger Anwohner:innen auf sich gezogen
  • 37
    zusammengefasst geht es in dem Artikel darum, dass, auch wenn diese militanten Angriffe von Faschist:innen bisher erfolglos waren, die neue Dreistigkeit die sie an den Tag legen allerdings künftig gefährlich werden kann.
  • 38
    französischer Innenminister
  • 39
    sprich, sie als „normale“ demokratische Partei anerkannte
  • 40
    “Les Républicain“
  • 41
    Éric Ciotti
  • 42
    Im Original: Sprichwort „wenn der Sprenkler sich selbst nass macht“
  • 43
    Im Original “mit dem Terrain”