Erneuter Fall von tödlicher Polizeigewalt

Wie viele noch?

Wieder betrauern wir in Mannheim einen Menschen, der Opfer von Polizeigewalt wurde. Am 23. Dezember wurde Ertekin von der Polizei in Mannheim-Schönau erschossen.

Der türkeistämmige Ertekin rief, nach immer wieder andauernden Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt die Polizei. Ertekin war psychisch erkrankt und lebte mit seinen drei Kindern bei seiner Mutter in Schönau. Am Oberkörper nicht bekleidet und mit einem Messer in der Hand, wurde Ertekin von der Polizei mitten auf der Straße gestellt. Seine Mutter und Tochter sahen dabei zu, als er aus Entfernung von der Polizei mit vier Schüssen auf den Brustkorb niedergeschossen wurde.

Nachdem am 2. Mai bereits mit A.P. und am 10. Mai 2022 zwei Menschen mit psychischer Erkrankung von der Polizei Mannheim getötet wurden und es in diesem Jahr zu noch einem Fall von Polizeigewalt kam, bei der der Betroffene allerdings überlebte, erkennen wir zusehends ein Muster. Ein Muster von einer eskalierenden Polizei, die nicht zögert die Schusswaffe gegen einen einzelnen Mann, der in Entfernung ist und offensichtlich psychische Probleme hat, anzuwenden. Die Verschärfung der Polizeigesetze, die sich immer mehr ausweitenden Befugnisse der Polizei, die stärkere Kontrolle und natürlich die fehlenden Konsequenzen: sie alle sorgen dafür, dass Polizist:innen das Gefühl bekommen, mit so einem Verhalten im Recht zu sein. Hinzu kommt, wie bereits auch im Fall von A.P., dass die Strukturen und Institutionen versagen und nicht funktionieren. Das Gesundheitssystem, das weder auf Prävention ausgelegt ist, noch die notwendigen Mittel hat, um Menschen mit psychischen Erkrankungen allumfassend zu versorgen. Das Jugendamt, das wegen Geld, den Druck aufbaut und ganze Familien auseinander reisst. Sie alles schaffen jeden Tag neue Fälle, wie den von Ertekin.

Über Mannheim hinaus zeigt sich in den Tötungen von Christy Schwundeck, Mareame Ndeye Sarr, Hussam Fadl, Matiullah J., William Tonou- Mbobda, Mohamed Idrisse, Sammy Baker und Mouhamed Dramé dieses Muster. Dies sind nur einige Namen. Die Liste ist länger. Menschen, die Unterstützung bräuchten, die von struktureller Gewalt und Armut betroffen und in migrantischen Vierteln leben, häusliche und sexualisierte Gewalt erfahren, werden als Täter:innen kriminalisiert, misshandelt und getötet. Das zieht sich von der Polizei bis in die Justiz!

Wir als zivilgesellschaftliche Gruppen, als Menschen, die in Mannheim leben, sagen: Wieviele noch? Wieviele sollen noch von der Polizei getötet werden? Unsere Antwort: Keine mehr!

Wir drücken der Familie von Ertekin unser Mitleid aus und fordern die Stadt Mannheim dazu auf, Konsequenzen aus diesem Fall zu ziehen!

Deshalb kommt mit uns zusammen gegen Polizeigewalt und im Gedenken an Ertekin!
Mahnwache am Mittwoch, 27. Dezember um 18 Uhr, Johann-Schütte-Straße, Schönau (Endhaltestelle der Linie 1, Schönau).
Kundgebung am Samstag, 30. Dezember um 15 Uhr, Plankenkopf

Informiert euch auf der Seite der Initiative, via Instagram oder Telegram und unterstützt die Menschen vor Ort durch eure Beteiligung. In zwei Wochen beginnt außerdem der Prozess gegen die beiden Polizisten, die A.P. 2022 getötet haben. Die Initiative 2. Mai begleitet den Prozess, um die Angehörigen in der Nebenklage zu unterstützen und kritisch zu verfolgen, was im Gerichtssaal stattfindet. Auch hier auf antifa-info.net werden dazu weitere Informationen folgen.


Die Badische Zeitung schreibt am 27.12.2023 dazu:

Hunderte bei Mahnwache nach tödlichem Polizeieinsatz in Mannheim

Einen Tag vor Heiligabend stirbt in Mannheim ein Mann durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe. Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Viele Menschen wollen deshalb ein Zeichen setzen.

Nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen 49-Jährigen in Mannheim haben Hunderte Menschen des Toten bei einer Mahnwache gedacht. Einem Polizeisprecher zufolge kamen geschätzt rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – deutlich mehr als gedacht.

Nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen 49-Jährigen in Mannheim haben Hunderte Menschen des Toten bei einer Mahnwache gedacht. Foto: Dieter Leder (dpa)

Die Organisatoren selbst sprachen von etwas mehr als 500 Personen. Ferner sollte die Leiche des Mannes obduziert werden, den Polizisten am Samstag bei einem Einsatz erschossen hatten. Ein Sprecher des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg (LKA) sagte am Abend, ein Obduktionsergebnis liege ihm noch nicht vor. Eventuell solle es an diesem Donnerstag weitere Informationen zu dem Fall geben.

Polizisten dürfen Dienstwaffen nur als Ultima Ratio einsetzen

Polizisten hatten den Mann erschossen, nachdem er mit einem Küchenmesser auf sie losgegangen war. Zuvor hatte er selbst den Notruf gewählt und angegeben, eine Straftat begangen zu haben. Was er damit meinte, war auch am Mittwoch noch unklar. Hinweise auf ein Verbrechen gebe es „eher nicht“, meinte ein LKA-Sprecher auf Anfrage.

Wie es zu den tödlichen Schüssen kam, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Nach dpa-Informationen waren zuvor Versuche fehlgeschlagen, auf den Mann deeskalierend einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, das Messer abzulegen. Als er erneut auf die drei Polizisten zugegangen sei, soll ein Beamter vier Schüsse auf den Mann abgegeben haben. Dadurch wurde der 49-Jährige tödlich verletzt. Er starb in einem Krankenhaus. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

In der Folge rief die „Initiative 2. Mai“ zu der Mahnwache am Mittwochabend auf sowie zu einer Kundgebung am kommenden Samstag. Die Aktionen stehen unter der Überschrift „Wie viele noch?“.

Denn es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in Mannheim: Die Initiative ist nach einem Ereignis am 2. Mai 2022 benannt, bei dem ein psychisch kranker Mann infolge eines Polizeieinsatzes in der Mannheimer Innenstadt starb. Der Prozess gegen zwei beteiligte Beamte wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge beziehungsweise wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen soll am 12. Januar beginnen.

Nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen 49-Jährigen in Mannheim haben Hunderte Menschen des Toten bei einer Mahnwache gedacht. Foto: Dieter Leder (dpa)

Initiatoren prangern fehlende Finanzierung an

Die Initiative nennt auf ihrer Internetseite weitere Beispiele aus der Region und spricht von einem Muster eskalierender Polizei. Auch andere Strukturen funktionierten nicht in ausreichenden Maße. So fehle es etwa im Gesundheitssystem an Geld, um Menschen mit psychischen Erkrankungen allumfassend versorgen zu können.

Polizisten dürfen Dienstwaffen nur als sogenannte Ultima Ratio, also als äußerstes Mittel, einsetzen. Das LKA ermittelt, wie die Sachlage in dem aktuellen Fall war. Es sei in solchen Fällen „übliche Praxis“, dass zur Prüfung ein Strafverfahren eingeleitet wird.

Außerdem berichtete die Tagesschau.

Ausschnitt eines SWR-Beitrags.

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