»Wir dürfen vor Faschisten nicht zurückweichen«
Antifaschisten trotzen bundesweit erstem AfD-Oberbürgermeister in Pirna. Ein Gespräch mit Ina Richter
Die AfD konnte mit Tim Lochner erstmals einen Oberbürgermeister stellen, so geschehen in der sächsischen Stadt Pirna »mit katastrophalem Ergebnis für die Demokratie« aus Ihrer Sicht. Welche Probleme kommen auf die VVN-BdA sowie die Bewohnerinnen und Bewohner zu?
Wir sehen die antifaschistische Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Gefahr. Wie kann ein Oberbürgermeister einer faschistischen Partei glaubhaft Schirmherr für Aktionen am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945, oder am 9. November, Beginn der Novemberpogrome 1938, sein? Diese Frage treibt mehrere für die Geschichtsaufarbeitung, Aufklärung und Erinnerungskultur in Pirna tätige Vereine um, so etwa den des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums, der sich aktiv mit Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzt. Oder die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, wo die Nazis eine Gaskammer betrieben und Menschen umbrachten, deren Leben als lebensunwert bezeichnet wurde. Auch der CSD Pirna e. V., der alljährlich den Christopher Street Day organisiert, wird Abstriche bei seiner Arbeit machen müssen.
Wie wird der Umgang mit dem AfD-Oberbürgermeister sein?
Für uns schließt es sich aufgrund unserer Geschichte, Haltung und politischen Inhalte aus, einen OB aus einem faschistischen Umfeld einzuladen. Sind wir Teil einer Veranstaltung oder als Gäste eingeladen, müssen wir uns dazu verständigen und positionieren. Vieles wird schwieriger: Etwa wenn es um die Unterbringung von Asylsuchenden geht oder aber um die Finanzierung von Vereinen. Wo die AfD Zugewinne verzeichnen konnte, gibt es mehr rechtsextreme Angriffe. Für den Tourismus bedeutet es ein schlechtes Image. Menschen mit nicht typisch deutschem Aussehen, die einen Besuch in Pirna planen, fragen an, ob sie bei uns überhaupt noch sicher sind. Schon in der Vergangenheit hatten wir das Thema wegen der neonazistischen »Kameradschaften« in der Sächsischen Schweiz. Wenn Lochner jetzt extremistisch rechts geprägte Parolen voranbringt, wird es erst recht bitter.
Der neue Amtsinhaber hat angekündigt, die Loyalität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltung prüfen zu wollen. Was bezweckt er damit?
Hier geht es darum, zu überprüfen, ob die Gesinnung der Verwaltungsbeschäftigten mit der AfD harmoniert. Das ist hochproblematisch. Wir werden uns an die Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen, uns mit dem DGB abstimmen, wie wir damit umgehen. Und da sind auch noch die Personalräte. Der neue Oberbürgermeister will mit solch einer Machtdemonstration noch vor Amtsantritt zeigen, dass er mit harter Hand regieren will.
Gibt er den Wolf im Schafspelz, oder verdeutlichte er, wie weit rechts er steht?
Bemerkenswert an seinem Wahlerfolg in Pirna ist ja, dass dieser nur wenige Tage nach der Einstufung des AfD-Landesverbandes als »erwiesen rechtsextremistisch« eingefahren wurde. Der 53jährige Tischlermeister und Unternehmer war bis Herbst 2016 in der CDU, trat zunächst als fraktionsloser Einzelkandidat zur Oberbürgermeisterwahl in Pirna an. Er organisierte und beteiligte sich an mehreren rechten Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Coronamaßnahmen.
Wie ist dem Rechtsruck entgegenzuwirken?
Das Erstarken der AfD beschäftigt mich, solange es sie gibt. Wir müssen deren Gerüchten und problematischen Haltungen entschieden entgegentreten, um sie zu entkräften; antifaschistisches und linkes Engagement in der Stadtgesellschaft hochhalten. Selbst wenn rechte Gruppen drohen oder gar das eigene Auto anzünden, so wie ich es erlebt habe, müssen wir weiter gemeinsam auf die Straße gehen und Veranstaltungen organisieren. 2024 werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt, in ostdeutschen Bundesländern gibt es Kommunalwahlen. Wir dürfen vor den Faschisten nicht zurückweichen.
Ina Richter ist in Sachsen Mitglied des Landesvorstandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN–BdA)
Interview von Gitta Düperthal; veröffentlicht in der Jungen Welt-Ausgabe vom 29.12.2023
Von rechts bis ganz rechts
Pirna: Erstmals gewinnt ein AfD-Kandidat eine Oberbürgermeisterwahl. Landeschef sieht »Steilvorlage« für Landtagswahl
Pirna, an der Elbe direkt südöstlich der sächsischen Landeshauptstadt Dresden gelegen, ist die erste deutsche Stadt mit einem hauptamtlichen Oberbürgermeister, der als Kandidat der AfD gewählt wurde. Der 53jährige Tim Lochner, der nach eigenen Angaben keiner Partei angehört, setzte sich am Sonntag im zweiten Wahlgang mit 38,5 Prozent der Stimmen gegen zwei Mitbewerber durch. Die Wahlbeteiligung lag mit 53,8 Prozent geringfügig über der des ersten Wahlgangs (50,4 Prozent).
Die AfD hatte zuletzt mehrfach versucht, in Ostdeutschland nach kommunalen Spitzenämtern zu greifen. Im südthüringischen Landkreis Sonneberg stellt sie mit Robert Sesselmann ihren ersten Landrat. In Nordhausen, wo der AfD-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt nach dem ersten Wahlgang schon wie der sichere Sieger aussah, war die Partei auf den letzten Metern noch gescheitert. Pirna, das zum Stammland der rechtskonservativen sächsischen CDU gehört und seit den 1990er Jahren außerdem eine überdurchschnittlich aktive Neonaziszene aufweist, bot für die AfD allerdings ein noch weitaus günstigeres Umfeld als Nordhausen.
Aufschlussreich ist, dass im zweiten Wahlgang nur noch ein Kandidat der AfD, einer der CDU und einer der Freien Wähler zur Verfügung stand – und damit drei Varianten rechter Politik. Bezeichnend für die politische Monokultur ist auch, dass sowohl Lochner als auch der Kandidat der Freien Wähler, Ralf Thiele, früher in der CDU waren. Thiele erhielt 30,1 Prozent, die CDU-Kandidatin Kathrin Dollinger-Knuth 31,4 Prozent der Stimmen.
Lochner ist Tischler und Restaurator, aber kein Neuling in der Lokalpolitik. Er sitzt seit mehreren Jahren im Stadtrat der Stadt mit nicht ganz 40.000 Einwohnern. 2017 war er bei der OB-Wahl bereits angetreten, unterlag aber dem Amtsinhaber Klaus-Peter Hanke. Den Kontakt zur AfD habe deren Stadtratsfraktion vermittelt, sagte Lochner vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister: »Man ist auf mich zugekommen, es hat gepasst, und man hat mich einstimmig aufgestellt.« Mitglied der AfD will er nach eigenem Bekunden allerdings nicht werden.
Im ersten Wahlgang am 26. November kam Lochner auf 32,9 Prozent; mit deutlichem Abstand liefen hinter ihm Dollinger-Knuth und Thiele ein. Der noch weiter abgeschlagene Kandidat von SPD und Grünen und ein parteiloser, von der Linkspartei unterstützter Bewerber zogen sich nach dem ersten Wahlgang zurück und riefen zur Wahl der CDU-Kandidatin auf. Dass die drei Parteien, die die Landesregierung stellen, und dazu die Linkspartei an einem Strang ziehen, reicht aber offensichtlich nicht mehr.
Lochner sagte am Sonntag abend, er wolle die siebenjährige Amtszeit »durchziehen«. Weitaus enthusiasmierter zeigte sich AfD-Landeschef Jörg Urban, der mit Blick auf das Wahlergebnis von Pirna von einer Steilvorlage für die Landtagswahl im September 2024 sprach. Dann wolle die AfD an die 40-Prozent-Marke herankommen, so Urban. Die Wahl in Pirna habe gezeigt, »dass es geht«.
Während die Wahl Sesselmanns im Juni noch für zahlreiche bundespolitische Reaktionen gesorgt hatte, blieben die am Montag nach der Wahl in Pirna weitgehend aus. In der sächsischen Landespolitik dominierten gegenseitige Schuldzuweisungen. Die Freien Wähler, die den scheidenden OB Hanke gestellt hatten, warfen der CDU am Montag vor, durch das Festhalten an ihrer Kandidatin den »Steigbügelhalter« der AfD gegeben zu haben. Der sächsische Ableger des Vereins »Mehr Demokratie« machte das sächsische »Steinzeitwahlrecht« für das Ergebnis verantwortlich und forderte die Einführung von Stichwahlen.