EU mordet mit

Recherche zu Tunesien, Marokko und Mauretanien: Systematische Menschen- und Asylrechtsverbrechen mit Geld und Wissen Brüssels

In offiziellen Dokumenten hört es sich wohlwollend an: »Die EU setzt sich für den Schutz von Migranten und Flüchtlingen und die Unterstützung lokaler Gemeinschaften in Tunesien ein und ergreift gleichzeitig Maßnahmen, um legale Wege der Migration zu fördern und die irreguläre Ausreise zu verringern.« In der Realität sieht es jedoch so aus, dass das nordafrikanische Land die »mehr als 1,7 Milliarden Euro« (2014–2022) dafür verwendet, Asylsuchende systematisch aufzugreifen und in der Wüste auszusetzen. Die Vorwürfe sind nicht neu, wurden aber nun in einer umfassenden Recherche von der Plattform Lighthouse Reports gemeinsam mit verschiedenen europäischen Medien aufgearbeitet. Unter dem Titel »Desert Dump« (Wüstenhalde) kommt die ­Recherche zu dem Schluss, dass »Europa wissentlich die systematische Vertreibung von schwarzen Flüchtlingen und Migranten in Wüsten und abgelegene Gebiete in drei nordafrikanischen Ländern finanziert und manchmal sogar direkt daran beteiligt ist, um sie daran zu hindern, in die EU zu kommen«. Neben Tunesien sind das Marokko und Mauretanien.

Ausgesetzt in der Wüste: Asylsuchende an der libysch-tunesischen Grenze ohne jede Versorgung (Al-Assah, 5.8.2023)

Gesprochen haben die Journalisten mit Asylsuchenden selbst unter Zuhilfenahme von deren Videoaufnahmen, die geolokalisiert und damit bestätigt werden konnten, sowie Gesprächen mit früheren oder noch aktiven EU-Beamten, Vertretern der nationalen Polizeien und internationalen Organisationen. In Tunesien konnten so 13 Vorfälle zwischen Juli 2023 und Mai dieses Jahres nachgewiesen werden, »bei denen Gruppen Schwarzer Menschen in Städten oder an Häfen zusammengetrieben und viele Kilometer weit weggefahren wurden, in der Regel in die Nähe der libyschen oder algerischen Grenze, um sie dort abzuladen«. Die von Asylsuchenden selbst initiierte Protestbewegung Refugees in Libya, die seit 2021 öffentlichkeitswirksam gegen die dramatische Lage der Flüchtenden in dem Kriegsland aktiv ist, hatte am 10. Mai auf X ebenfalls von diesen Hetzjagden in Tunesien berichtet und Aufnahmen davon online gestellt: »In den vergangenen zwei Wochen wurden alle dunkelhäutigen Menschen, auch diejenigen, die als Tunesier identifiziert wurden, von Tür zu Tür und auf der Straße eingesammelt und in die östlichen Grenzregionen abgeschoben«, hieß es dort zu dem rassistischen Vorgehen der Einsatzkräfte.

Einer der EU-Töpfe, die zur Abwehr Asylsuchender eingesetzt werden, ist der EU-Treuhandfonds, aus dem in den vergangenen Jahren mehr als 400 Millionen Euro in die drei Länder geflossen sind. Ein Berater, der an einem dadurch finanzierten Projekt arbeitete, erklärte zu den Zielen dieses Fonds, dass den Flüchtenden damit das Leben schwergemacht werden solle: »Wenn Sie einen Migranten aus Guinea zweimal in der Sahara (in Marokko) zurücklassen, wird er Sie beim dritten Mal bitten, ihn freiwillig nach Hause zu bringen.« Oder sie sterben, wie nach UN-Angaben mindestens 29 Menschen, nachdem sie an der libyschen Grenze abgesetzt oder aus Tunesien vertrieben wurden. Ohnehin ist die Sahara mit offiziell seit 2014 6.204 registrierten die tödlichste Landmigrationsroute aller Zeiten.Interne Dokumente, die per Informationsfreiheitsgesetz erfragt wurden, belegen darüber hinaus, dass die EU direkt marokkanische paramilitärische Einheiten finanziert und dass das Königreich rassistische Profile erstellt und daran anknüpfend »vorwiegend schwarze Migranten zwangsumgesiedelt hat«. Die Verfolgung der Asylsuchenden geschah zudem mit direkter Beteiligung Spaniens. Eine Guineerin gab an, in der mauretanischen Hauptstadt Nouakschott von spanischen Polizeibeamten fotografiert worden zu sein, bevor sie in einem weißen Bus an die Grenze zu Mali verschleppt wurde.

 

Die junge Welt ist eine linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung mit einem hohen Anteil an Hintergrundberichten, umfassenden Analysen und immer mittwochs mit der Antifaschismus-Themenseite. Die Printausgabe erscheint werktäglich mit mindestens 16 Seiten, sie ist im Abonnement und am Kiosk erhältlich.

Hier kommt ihr zum Probeabo.