Aufstehen, Mund aufmachen

Vor drei Jahren starb die Hamburger Antifaschistin und Musikerin Esther Bejarano

Sieht man dieser Tage die Dokumentation »Der Schatten des Kommandanten« im Kino, in der die Auschwitz- sowie Bergen-Belsen-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch (*1925) auf den Sohn und den Enkel des Nazimassenmörders Rudolf Höß trifft, liegt die Erinnerung an Esther Bejarano nahe.

War Bejarano doch wie Wallfisch Teil des »Mädchenorchesters« des KZ Auschwitz-Birkenau, und konnten beide daher das Vernichtungslager überleben. Beiden gemeinsam ist zudem ihr lebenslanges Engagement gegen das Vergessen des Naziterrors, gegen Antisemitismus und Faschismus. Bestimmt hätte auch Esther Bejarano in der Dokumentation gesprochen, wäre sie nicht heute vor drei Jahren mit 96 Jahren in Hamburg verstorben.

Am 15. Dezember 1924 in die jüdische Musikerfamilie Loewy in Saarlouis geboren, 1939 interniert, am 20. April 1943 nach Auschwitz deportiert, im November 1943 ins KZ Ravensbrück verschleppt, wurde Esther Bejarano am 3. Mai 1945 in Lübz in Mecklenburg-Vorpommern von sowjetischen und US-amerikanischen Einheiten befreit. Nachdem sie Ende 1945 nach Palästina ausgewandert war, kehrte Bejarano 1960 ins Land der Täter zurück, um fortan bis zu ihrem Tod in Hamburg zu leben und sich als kämpferische Antifaschistin verdient zu machen. Nicht nur wurde die vielfach Ausgezeichnete Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e. V., Ehrenpräsidentin des Bundes der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) sowie Mitglied des Ehrenpräsidiums der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer, sie wusste ihre Stimme auch stets öffentlichkeitswirksam zu erheben, kämpfte gegen die Schill-Partei in Hamburg und natürlich später auch gegen die AfD. Da Bejarano an der immensen Bedeutung der Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand insbesondere für die Nachgeborenen nie zweifelte, lag ihr der Kontakt zu den jüngeren Generationen besonders am Herzen. Um sie zu erreichen, ging sie mit der Zeit, trat nicht nur im Bundestag, sondern auch im Fernsehen auf und war als Teil der Kölner Microphone Mafia das vielleicht älteste Mitglied einer Rap-Crew.

Und als solches um prägnante Formulierungen nicht verlegen. »Das Haus brennt, und Sie sperren die Feuerwehr aus!« adressierte ­Bejarano 2020 den damaligen Finanzminister Olaf Scholz per offenem Brief, als der VVN-BdA der Entzug der Gemeinnützigkeit drohte. Aufstehen und den Mund aufmachen, dafür stand sie bis zuletzt, die ob der grassierenden Neofaschisierung den Aufschrei aller Anständigen forderte. Sie jedenfalls schrie noch im höchsten Alter auf. Und wurde gehört – ihre Petition »Der 8. Mai muss Feiertag werden!« wurde 2020 immerhin 150.000 Mal unterzeichnet. Allein der Umstand, dass sich die BRD zu einem solchen Feiertag bis heute aber nicht durchringen kann, sollte Grund genug sein, im Sinne und Geiste Bejaranos weiterhin aufzubegehren.

Und so sollte am 10. Juli nicht nur einer großen Antifaschistin gedacht, sondern auch daran gemahnt werden, dass jederzeit wieder passieren könnte, was war, dass es also noch viel, wenn nicht gar stetig mehr zu tun gibt, um der Anständigen Aufschrei zu Gehör zu bringen. So wie es ihr langes Leben lang Esther Bejarano versuchte, der dafür zwar kein Feiertag beschert wurde, deren Lebenswerk man an diesem Tage aber trotzdem feiern kann. Oder wenigstens ein bisschen daraus zitieren, etwa »Ihr tragt keine Schuld für das, was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert«.

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