Im Griff des antikurdischen Rassismus

Die gewaltsamen Angriffe auf die kurdische Gemeinschaft in Belgien dürften der Öffentlichkeit wohl kaum entgangen sein.

Ende März 2024 wurden Kurd:innen auf dem Heimweg von einem Newroz-Fest angegriffen. Es spielten sich brutale Szenen ab, bei denen Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Die Täter selbst sind es, die Videos des Angriffs online stellen, die eine unverhohlene Jagd auf Kurd:innen zeigen. Wie so oft sahen sich Kurd:innen schnell mit einer Umkehrung der Täter-Opfer-Rolle konfrontiert. Kurdisches Leben wird mitten in Europa bedroht und es stellt sich die Frage: Steckt Belgien tief im Griff des antikurdischen Rassismus?

Was war geschehen?

Am 24. März feierten mehrere tausend Menschen in Belgien das kurdische Newroz-Fest. Für Kurd:innen symbolisiert dieses Fest eines der wichtigsten und bedeutsamsten Ereignisse des Jahres. Offenbar über den Rückweg der Feiernden informiert, verabredeten sich mehrere hundert türkische Rechtsextreme zu einem Lynchangriff auf Kurd:innen. Dass sich der türkische Außenminister Hakan Fidan wenige Tage zuvor in Belgien aufhielt, könnte kein Zufall gewesen sein. Fidan ist ehemaliger Chef des türkischen Geheimdienstes „Millî İstihbarat Teşkilâtı“ (MIT), der für zahlreiche Verbrechen wie Folter, Mord, Entführungen im In- und Ausland, Unterstützung islamistischer Milizen und Bespitzelung von Oppositionellen verantwortlich gemacht wird.

In Belgisch-Limburg warten die Angreifer auf heimkehrende kurdische Familien, die herbeigeeilten Täter umstellen die Wohnungen, zerren Menschen aus ihren Autos, hissen die türkische Nationalflagge, treten auf leblos am Boden liegende Menschen ein, verbrennen kurdische Symbole, bejubeln ihre Taten, versuchen die Wohnungen kurdischer Familien zu stürmen und drohen, die Wohnungen anzuzünden. Dabei zeigen die Täter mehrfach den Wolfsgruß, das Handzeichen der neonazistischen „Grauen Wölfe“ (Bozkurtlar) und skandieren islamistische, rassistische und antikurdische Parolen.

(Bild: Screenshot von X / twitter)

Die Szenen, die von den Tätern selbst in Sekundenschnelle im Netz verbreitet werden, erinnern an das Massaker von Sivas (Südosttürkei) im Jahr 1993, als türkische Nationalisten und Islamisten das Hotel Madimak vorsätzlich in Brand steckten und 33 Menschen, überwiegend alevitischen Glaubens, qualvoll ermordeten. Auch damals jubelten die Täter und skandierten identische islamistische und rassistische Parolen. Die Szenen aus Sivas brannten sich tief in das kollektive Gedächtnis von Kurd:innen und Alevit:innen ein, die Bilder aus Belgien schockierten auch deshalb.

Eine Menschenjagd auf Kurd:innen mitten in Europa, eine überforderte und handlungsunfähige Polizei und Kurd:innen, die sich selbst überlassen waren. Während der Brandanschlag auf die Wohnung der Kurd:innen knapp abgewendet werden konnte, folgten in den nächsten Stunden weitere Szenen brutaler Menschenjagden. Am Ende des Tages kann nur von Glück gesprochen werden, dass niemand getötet wurde.

Der Angriff war gut organisiert. Innerhalb kürzester Zeit ist die türkische Presse am Tatort und filmt. Aus der Tötungsabsicht der Täter wird kein Hehl gemacht, sie hätten das Recht dazu „Terroristen zu neutralisieren“, heißt es. Die türkischen Medien zeichnen das Bild glorreicher Helden. Die Täter agieren mit Klarnamen, sie zeigen ihr Gesicht und veröffentlichen Selfies aus der Menge heraus. Sie zögern nicht, denn sie handeln in dem Wissen, keine Konsequenzen befürchten zu müssen. Viele der Täter sind Jugendliche.

Deutlich werden hier rechte und islamistische Dynamiken, die an der Radikalisierung junger türkischer Menschen arbeiten. Nach dem ersten Übergriff mobilisieren die Jugendlichen über Whatsapp- und Signalgruppen die nächsten Angriffe, posieren mit Macheten, Messern und Schusswaffen und bedrohen Kurd:innen im Netz.

Innerhalb weniger Stunden sehen sich kurdische Aktivist:innen in Deutschland ebenfalls mit Drohungen gegen ihr Leben konfrontiert. In den folgenden Tagen und Wochen mobilisiert die türkische extreme Rechte, es folgen explizite Drohungen gegen kurdische Menschen, Vereine, Lokale, Wohnungen in Belgien, Deutschland und weiteren europäischen Ländern. Die Angriffswelle nimmt unkontrollierbare Formen an, kurdisches Leben wird zur Zielscheibe, die Mittel zur Zielerreichung liegen frei in den Händen der Täter.

Bei der Tat in Belgisch-Limburg fällt der Wolfsgruß auf, das Handzeichen der „Grauen Wölfe“ auf, er ist Ausdruck kollektiven Hasses. Das Milieu der „Grauen Wölfe“ wird in Deutschland durch drei Dachverbände (ADÜTDF, ATIB, ATB) vertreten, denen bundesweit rund 303 Vereine mit mehr als 18.500 Mitgliedern angehören. Ihr Symbol ist der „Graue Wolf“ (Bozkurt), der aus einem alttürkischen Mythos stammt soll die Stärke und Aggressivität der Bewegung symbolisieren. Propagiert wird ein „ethnischer Nationalismus“, ihr Ideal ist „Turan“, ein großtürkisches Reich und die Eliminierung politischen Gegner:innen.

Handschellen für kurdisches Engagement, Organisationsfreiheit für türkische Rechte

Die organisierte türkische Rechte stellt eine Bedrohung für das gesellschaftliche Zusammenleben dar. Trotz ihrer zahlreichen Übergriffe und ihrer extrem rassistischen und antisemitischen Haltung sind die „Grauen Wölfe“ bis heute weder in Belgien noch in Deutschland verboten.

Mehr als drei Jahre sind vergangen, seit die Bundestagsfraktionen 2020 gemeinsam den Antrag „Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurück drängen“ verabschiedeten. Das Thema wird verschleppt, während Menschen weiterhin um ihr Leben fürchten müssen.

Wer glaubt, die belgischen Behörden hätten die Täter zur Rechenschaft gezogen, wird enttäuscht. Belgien antwortete auf die rassistische Lynchjagd einen Monat später mit einer Polizeirazzia gegen die in Belgien ansässigen kurdischen TV-Sender STERK TV und Medya Haber TV. STERK TV war noch im März explizit als Angriffsziel in Chatgruppen und Postings aufgetaucht.

Parallel zu den Angriffen auf die kurdische Presse in Belgien schauten Kurd:innen weltweit in die Türkei, wo nach einer Welle von Razzien zahlreiche kurdische Journalist:innen festgenommen und inhaftiert wurden. Die Aufmerksamkeit richtete sich auch auf Metina (Südkurdistan), wo das türkische Militär nach dem Irak-Besuch Erdogans eine neue Offensive startete. Eine Angriffswelle gegen die kurdische Freiheitsbewegung und gegen kurdisches Leben, sei es in der Diaspora oder in Kurdistan.

Auch diejenigen, die eine solidarische Reaktion auf diese Angriffe gegen Kurd:innen erwartet hatten, wurden enttäuscht. Was folgte, war eine Täter-Opfer-Umkehr. Die kurdischen Opfer der Angriffe in Belgien wurden beschuldigt, mit ihren Symbolen und Feiern provoziert zu haben. Es wurde das altbekannte Narrativ der gewaltbereiten Kurd:innen gesponnen. Neben der rassistischen Motivation, kurdische Menschen anzugreifen und zu verletzen, kam das strategische Interesse der Angreifer hinzu, die kurdische Gesellschaft durch Provokationen in eine neue Ära der Kriminalisierung zu treiben.

Als in den türkischen Medien schnell von gewaltbereiten kurdischen „Terroristen“ und Angreifern die Rede war, wurde diese Medienrhetorik auch unkritisch in Europa übernommen. So forderte der belgische Premierminister Alexander De Croo die kurdische und türkische Gemeinschaft in Belgien auf, „Provokationen und Gewalt” zu unterlassen. Von welcher Seite die Gewalt und die Tötungsabsichten ausgingen, lässt er dabei außer Acht.

Es scheint, dass Kurd:innen mit rassistischen Übergriffen zu rechnen haben, wenn sie an Feierlichkeiten teilnehmen und ihre Symbolik und Farben verwenden. Dies ist eine Realität, die ihren Ursprung im antikurdischen Rassismus1Antikurdischer Rassismus kennzeichnet sich durch eine systematische Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt gegenüber Personen kurdischer Herkunft. Sie kann sich in vielfältigen Ausprägungen manifestieren, von struktureller Unterdrückung und politischer Marginalisierung bis hin zu sozialer Stigmatisierung und kultureller Negation. Sie fußt auf historisch gewachsenen Vorurteilen sowie politisch und sozial konstruierten Feindbildern, die kurdische Identitäten entwerten und delegitimieren. Informationsstelle Antikurdischer Rassismus – IAKR (antikurdischer-rassismus.de) hat.

Die politischen Verflechtungen europäischer Staaten mit der Türkei sind komplex und doch leicht zu durchschauen. Die türkische extreme Rechte wird sich in Form der DAVA-Partei2DAVA steht für „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“. im Europaparlament etablieren. Die DAVA gilt als verlängerter Arm des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP und geht in Deutschland mit bekannten türkischen Islamisten, extremen Rechten und Antisemiten ins Rennen.

Während kurdisches Leben, kurdische Selbstorganisation, Engagement für die Überwindung menschenverachtender Verhältnisse weiterhin kriminalisiert und verfolgt werden, können islamistische und rechte türkische Strukturen sowohl in Belgien als auch in Deutschland ungehindert agieren.


Dieser Artikel stammt vom Antifaschistischen Info-Blatt. Schaut gerne mal dort vorbei! Dort gibt es immer wieder gute Rechercheartikel über die rechte Szene, aber auch politische Analysen und Berichte rund um das Thema Anitfa und darüber hinaus.

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    Antikurdischer Rassismus kennzeichnet sich durch eine systematische Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt gegenüber Personen kurdischer Herkunft. Sie kann sich in vielfältigen Ausprägungen manifestieren, von struktureller Unterdrückung und politischer Marginalisierung bis hin zu sozialer Stigmatisierung und kultureller Negation. Sie fußt auf historisch gewachsenen Vorurteilen sowie politisch und sozial konstruierten Feindbildern, die kurdische Identitäten entwerten und delegitimieren. Informationsstelle Antikurdischer Rassismus – IAKR (antikurdischer-rassismus.de)
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    DAVA steht für „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“.