Eine Einordnung zum rechtsradikalen Parteitag in Ketsch

Am 16. und 17.11.2024 hielt der baden-württembergische Landesverband der rechtsradikalen AfD einen Parteitag in der Rheinhalle in Ketsch ab. Auf ihrem Parteitag will die AfD die Landessatzung „zukunftsfähig“ machen – das heißt, die Grundlagen ihrer radikal rechten Agenda weiter festigen und sich für Erfolge nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in ganz Deutschland rüsten. Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeigen schließlich, dass die AfD zunehmend gesellschaftliche Mehrheiten mobilisieren kann und immer stärker in staatliche Machtpositionen drängt. Es ist eine bittere Realität: Für einen wachsenden Teil der Gesellschaft stellt eine rechtsradikale Partei mit offen faschistischen Tendenzen eine ernsthafte politische Option dar.

Der Grund? Neben unverhohlenem Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit sind es auch Ängste, sozialer Abstieg und Perspektivlosigkeit, die die AfD für sich und ihre menschenfeindliche Ideologie zu nutzen weiß. Das Vertrauen vieler Menschen in die bestehenden Verhältnisse und etablierten politischen Kräfte ist zurecht erschüttert – daran versucht die AfD mit ihren Lügen und leeren Versprechungen anzuknüpfen.

Lösungen für die vielen Krisen unserer Zeit hat sie allerdings nicht: Anstatt die wahren Probleme anzugehen, schürt sie Ängste und Hass gegen Geflüchtete, Arbeitslose und Minderheiten. Kriege, soziale Verelendung, wirtschaftliche Ungleichheit, Klimakatastrophe … All das wird und will die AfD nicht stoppen – sie macht Politik zugunsten derer, die davon profitieren. Es liegt auch an den bürgerlichen Parteien, dass die AfD für viele Menschen trotzdem eine vermeintliche Alternative darstellt: Sie haben versagt, wenn es darum geht, Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit zu finden – und machen weiterhin vor allem Politik für die Herrschenden. Auch konsequente Reaktionen auf den dadurch bedingten Aufschwung der Rechten bleiben aus. Im Gegenteil: Etablierte politische Kräfte und mit ihnen große Teile der Bevölkerung rücken selbst konstant nach rechts und setzen Forderungen und Ideen der AfD auch ohne deren Beteiligung bereitwillig in die Tat um. Sie verhelfen ihr auch dadurch zur fortschreitenden Normalisierung und zu weiteren Erfolgen, verschieben die Grenze des Sagbaren und machen zur legitimen Meinung, was vor Jahren noch undenkbar schien.

Wir erleben die Folgen täglich – und das nicht nur in den Parlamenten: Militante Neonazis und andere rechtsradikale Gruppierungen treten zunehmend aggressiv und selbstbewusst auf, Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende ist Realität. Eine neue rechte Jugendkultur verfestigt sich, und die AfD sucht gezielt den Schulterschluss mit diesen Kreisen. Ihre Etablierung in Politik und Öffentlichkeit geht voran, und mit ihr die gefährliche Rechtsentwicklung, deren Speerspitze und Eisbrecher sie seit Jahren ist.

Rechtsradikaler Parteitag in Ketsch: Über die Wahl des Ortes

Erneut meidet die AfD für einen Parteitag die Großstädte und tagt dieses Mal in der Rheinhalle der Gemeinde Ketsch, die nicht mal 15.000 Einwohner:innen zählt. Der AfD-Kreisverband Kurpfalz, der unter anderem Ketsch umfasst, veranstaltete im Ort Ende Oktober noch einen Infostand mit seinen Gemeinderatsmitgliedern und ein paar Tage später einen Stammtisch – vermutlich auch, um kurz vor dem anstehenden Parteitag noch einmal Präsenz in der Gemeinde zu zeigen. Dass sich die baden-württembergische AfD samt Alice Weidel und Markus Frohnmaier gerade dort – im kleinen Ketsch – trifft, um über ihre menschenverachtende Politik zu beraten und an Strategien zu deren Umsetzung zu feilen, ist alles andere als ein Zufall:

Zunächst kann der AfD-Kreisverband Kurpfalz laut eigenen Angaben vorweisen, der mitgliederstärkste Ortsverband der Partei in Baden-Württemberg zu sein – ein für uns eher zweifelhafter Rekord, der Ketsch für die AfD aber zu einem vermeintlichen „Heimspiel“ machen soll.

Doch ein zweiter, überregionaler Aspekt spielt hier die viel spannendere Rolle: Die AfD verlagert ihre öffentlichen Auftritte und Veranstaltungen zunehmend und bundesweit aus den großen Städten ins vermeintlich ruhigere Umland. In urbanen Zentren sieht man die Partei immer seltener, wohingegen außerhalb dieser immer häufiger große Parteiveranstaltungen, Stammtische und Bürgerdialoge stattfinden. Das ist nichts Neues, hat jedoch in den letzten Jahren verstärkt an Dynamik gewonnen und lässt sich insbesondere in Wahlkampfphasen beobachten. Dieser Schritt ist der taktische Rückzug vor konstantem antifaschistischem Protest, der in den vergangenen Jahren immer wieder Erfolge in Form von: Verspätungen, erschwerten Anfahrten oder gar Absagen – von und bei AfD-Veranstaltungen erreichen konnte.

So hat die AfD beispielsweise auch in Mannheim mehrfach ihren Veranstaltungsort wechseln müssen, verlor durch Protest die Kulturhalle in Feudenheim und muss sich nach dem Feudenheimer Schützenhaus nun im Rheinauer Bürgersaal bei jeder Veranstaltung mit lautstarkem antifaschistischem Protest konfrontiert sehen. Auch ein internes und geheimes Treffen in den Mannheimer Quadraten wurde vergangenes Jahr noch am selben Tag offengelegt und kurzfristig mit entschlossenem Protest begleitet. In Heidelberg hielt die AfD den Veranstaltungsort für ihre „Stammtische“ lange geheim, sodass nur bereits überzeugtes Klientel den Weg dorthin fand – bis Antifaschist:innen auch diesen Treffpunkt im Stadtteil Kirchheim aufdeckten. Auch gegen die „Bürgersprechstunde“ in Heidelberg-Rohrbach und den „Bürgerdialog“ im Stadtteil Pfaffengrund formierten sich lautstarke antifaschistische Gegenaktionen.

Als Konsequenz meidet die AfD zusehends die Stadt und hat sich z.B. in Schwetzingen oder zu einer Schifffahrt auf dem Neckar zu ihren Veranstaltungen getroffen. Und obwohl auch hier Protest stattfand, gehört zur Wahrheit dazu, dass sie bei diesen Treffen deutlich ungestörter agieren konnte, als es in der Vergangenheit an anderen, zentraler gelegenen Orten der Fall gewesen ist.

Dass die AfD zusehends aus den Städten ins Umland ausweicht, ist dabei kein isoliertes Phänomen der Rhein-Neckar-Region, das Ziel jedoch meistens dasselbe: Protesten zu entgehen und ungestört ihre menschenverachtende Politik zu machen. So traf sich die AfD Schleswig-Holstein zu ihrem Landesparteitag Ende Oktober in der Gemeinde Henstedt-Ulzburg, der Berliner Landesverband wich gleich ganz ins benachbarte Brandenburg aus und tagte Mitte Oktober im kleinen Jüterbog. In Bayern traf sich die Partei Anfang des Jahres im 7.000 Einwohner:innen zählenden Greding, die AfD Rheinland-Pfalz in der Kleinstadt Simmern.

Zusammengezählt kamen bei allen diesen Parteitagen auf Gegenveranstaltungen insgesamt 1.300 Personen zusammen, die Zahlen bewegten sich vor Ort zwischen 50 und 600. Das ist aber keinesfalls auf eine mangelnde Motivation der Menschen zurückzuführen, sich Treffen der AfD entgegenzustellen: Als im Oktober ein baden-württembergischer AfD-Parteitag in Ulm stattfand, gingen über 4.000, beim AfD-Bundesparteitag in Essen im Juni sogar 70.000 Antifaschist:innen in breiten Bündnissen gegen die rechtsradikale Partei auf die Straße. Wodurch aber lässt sich dann das schwächere Mobilisierungspotential bei weiteren Parteitagen oder sonstigen Veranstaltungen erklären?

Anders als in Großstädten, wo oft seit Jahren oder Jahrzehnten gut vernetzte antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gruppen organisiert sind und regelmäßig Gegenproteste mobilisieren, findet die AfD in ländlichen Regionen deutlich weniger Widerstand. Diese Orte bieten nicht nur eine logistische Alternative zu städtischen Zentren, sondern auch Zugang zu potenziellen Wähler:innengruppen, die in Städten schwerer erreichbar sind. Ländliche Gebiete sind schon immer ein zentraler und strategisch wichtiger Raum der rechten Szene und ihrer Parteien. In solchen Gebieten, meistens mit wenig infrastruktureller Anbindung und vermehrter Abwanderung junger Menschen, wo viele Personen sich besonders abgehängt fühlen, kann die AfD mit vermeintlichen Lösungen punkten und an die gewonnene Aufmerksamkeit weiter anknüpfen.

Das Straßennetz ermöglicht der AfD, Veranstaltungen gezielt an Orten zu platzieren, die für Sympathisanten aus benachbarten Städten leicht erreichbar sind. Gleichzeitig erschwert dies antifaschistischen Gruppen den Zugang, da diese oft auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, der im ländlichen Raum häufig schlecht ausgebaut ist. Für die AfD ergibt sich daraus ein doppelter Vorteil: Sie kann ihre Anhänger mobilisieren, während antifaschistischer Protest logistisch vor größere Hürden gestellt wird.

In Städten gibt es mehr antifaschistische Gruppen als auf dem Land, was auf verschiedene strukturelle und gesellschaftliche Faktoren zurückzuführen ist. In urbanen Zentren ist die Bevölkerungsdichte höher, was die Vernetzung und Mobilisierung für Proteste und Organisationen erleichtert. Großstädte bieten oft eine aktivistische Kultur und Infrastrukturen, die antifaschistische Gruppen unterstützen – etwa alternative Kulturzentren und Infoläden, die als Treffpunkte dienen.

Zudem ziehen Großstädte aufgrund ihrer Vielfalt und offenen Kultur eher linke und progressive Personen an, während ländliche Gebiete häufiger konservativ geprägt sind. Dies kann die Akzeptanz antifaschistischer Aktivitäten und das allgemeine Engagement gegen rechte Ideologien auf dem Land einschränken. Auch das Phänomen der „Anti-Antifa“ spielt eine Rolle: In vielen ländlichen Regionen fanden und finden sich organisierte rechte Gruppen, die antifaschistische Akteur:innen mit gezielten Einschüchterungs- und Gewaltstrategien bekämpfen. Linker Aktivismus auf dem Land wird hier durch die geringere Anonymität erschwert: Im Vergleich zum städtischen Raum besteht ein erhöhtes Risiko rechter Anfeindungen oder Angriffe, da kleinere Gemeinschaften es erleichtern, einzelne Personen gezielt zu identifizieren und einzuschüchtern. Informationen über Wohnort, soziales Umfeld oder politische Aktivitäten verbreiten sich in ländlichen Gemeinden schnell, was die Gefahr erhöht, ins Visier rechter Akteure zu geraten und Widerstand frühzeitig zu unterdrücken.

Schließlich erfordert der ländliche Raum aufgrund der weiten Entfernungen andere Mobilisierungsstrategien und Planung sowie mehr finanzielle Ressourcen, um gegen rechte Umtriebe vorzugehen – Herausforderungen, die in Städten weniger stark spürbar sind.

Dennoch existieren in einigen ländlichen Regionen antifaschistische Gruppen oder bürgerliche und zivilgesellschaftliche Gegen-Rechts-Initiativen, doch diese sind oft weder so gut ausgestattet noch so vernetzt wie ihre städtischen Pendants. Die Unterstützung aus den umliegenden Städten ist also meistens unverzichtbar – und eine Herausforderung: Für viele Antifa-Gruppen aus den Städten stellen die Anreise und die damit verbundenen Kosten und Organisation eine hohe Belastung dar. Durch die gezielte Verlagerung ins Umland reduziert die AfD also die Wahrscheinlichkeit massiver Gegenproteste und schafft sich zugleich einen „Schutzraum“ vor Gegenwehr und unerwünschten „Gästen“, wodurch auch das öffentliche und mediale Interesse an den Protesten oft geringer ausfällt.

Was bedeutet das für uns und antifaschistischen Widerstand in ländlichen Gebieten?

Perspektivisch wird es die AfD so schnell nicht wieder regelmäßig in die Städte ziehen – zumindest nicht in die, in denen sie noch mit konstanter Gegenwehr zu rechnen hat. Wir müssen uns also fragen, wie unser Widerstand und Protest in Zukunft aussehen wird und mit dieser Entwicklung umgeht. Wichtig ist es dafür, dass auch in ländlicheren Gegenden eine antifaschistische Grundhaltung gesät wird. Diese kommt natürlich nicht von alleine – es braucht konstante Auseinandersetzung, Ansprechbarkeit und Präsenz. Aber keinesfalls wollen wir den Eindruck erwecken, dass es die „aufgeweckten Städter:innen“ von außen brauche, um dem „einfachen Dorfmenschen“ mal zu erklären, dass Rechte keine Lösung sind. Nein, uns ist klar, dass es viele engagierte und mutige Menschen gibt, die auch im Umland schon lange Kämpfe führen, oft unter wesentlich schwereren Bedingungen und mit deutlich weniger Unterstützung. Wir wollen in unserem gemeinsamen Kampf gegen rechts an der Seite genau dieser Menschen und Gruppen stehen. Wir wollen von ihnen lernen und gleichzeitig auch unsere Unterstützung und Erfahrung anbieten und einbringen. Wir wollen undmüssen Bündnisse eingehen mit Akteur:innen vor Ort, die sich stark machen gegen rechts und Teil von Vernetzungen werden, die vllt. schon bestehen, ohne Dinge vorzuschreiben oder engagierten Antifaschist:innen das Heft aus der Hand zu nehmen.

Zum Erreichen dieser Ziele müssen wir uns konsequent und öfter hinausbewegen aus unseren Vierteln und Antifaschismus machen über die Grenzen unserer Städte hinaus. Wir müssen uns zusammentun – und gemeinsam mit den örtlichen Akteur:innen Perspektiven erarbeiten, indem wir von den jeweils anderen Erfahrungen und Möglichkeiten lernen und profitieren. Uns allen muss dabei auch klar sein: Wir werden nicht immer einer Meinung sein und oft treffen nicht nur inhaltliche Differenzen, sondern auch ganz praktische Realitäten zusammen. Wo z.B. städtische antifaschistische Gruppen erst recht abseits ihrer bekannten Orte „freier“ agieren können, sind es zumeist ihre Bündnispartner:innen vor Ort, die dafür im Nachhinein die Konsequenzen zu tragen haben oder sich schnell für ihre Mitstreiter:innen verantworten müssen – was in der Dynamik eines kleinen Ortes besonders unangenehm sein kann. Gleichzeitig hemmt das, gemeinsam mit mangelnder Erfahrung, die örtlichen Akteur:innen oft, ein entschlossenes und kämpferisches Agieren von auswärtigen Gruppen zu akzeptieren und zu verteidigen, das im Kampf gegen rechte Kräfte aber unabdingbar ist, um längerfristig erfolgreich zu sein. Es wird daher die Aufgabe der kommenden Monate, wenn nicht sogar Jahre sein, diese Möglichkeiten inmitten unterschiedlicher Perspektiven auszuloten, Kompromisse einzugehen und gemeinsame Wege zu finden. Uns muss auch klar sein: Wir brauchen dabei alle einen langen Atem. Nicht nur gegen unseren Feind, sondern auch in der Zusammenarbeit, um uns ihm zu widersetzen – denn vermutlich wird nicht alles, was wir gemeinsam angehen, auf Anhieb klappen. Dass wir weitermachen, ist dem Fakt geschuldet, dass unser gemeinsamer Gegner, mag er nun AfD, NPD oder sonst wie heißen, nicht von allein verschwinden wird.

Es braucht uns alle an allen Orten, damit es hoffentlich eines Tages geschieht.

Alle zusammen gegen den Faschismus!

Packen wir es gemeinsam an.