Antimilitarismus als Überlebensfrage
Deutschland soll „kriegstüchtig“ werden. Dafür sind die beschlossenen billionenschweren Kriegsinvestitionen nur eine Ebene – mindestens genauso wichtig ist die gesellschaftliche Mobilmachung: Politiker:innen und Medien stimmen uns ein, indem sie uns bei jeder Gelegenheit aufzeigen, wer uns als Nation bedroht, welche Länder unsere Freunde bzw. Feinde sind, was sie uns alles wegnehmen wollen, wie grundsätzlich anders als wir sie sind, wie wir uns gegen sie verteidigen können und zu welchen Opfern wir bereit sein müssen. Der sich anbahnende Rückzug der USA aus der Ukraine und dem Militärbündnis NATO stellt für europäische Mächte eine günstige Gelegenheit dar: Der russische Angriff auf die Ukraine und die damit einhergehende Unsicherheit in der Bevölkerung wird genutzt, um ohne großen gesellschaftlichen Widerstand selbst im großen Stil aufzurüsten. Deutschland und seine europäischen Verbündeten wollen weiterhin in der Lage sein, ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen – falls notwendig auch mit militärischer Gewalt – und sich damit als konkurrenzfähige Großmacht in Stellung bringen.
Antimilitarismus, der Widerstand gegen imperialistische Kriege, fußt auf mehr als der bloßen Ansicht, dass Krieg moralisch verwerflich ist. Wer imperialistische Kriege bekämpft, muss ihre Logik begreifen und ihr entgegenwirken. Hierbei müssen antifaschistische Kräfte mitwirken und der nationalistischen Kriegspropaganda von Beginn an eine Absage erteilen. Gerade weil die Herrschenden uns vom Gegenteil überzeugen wollen, müssen wir aufzeigen, die ausgebeutete Klasse in ihren Kriegen nichts gewinnen kann, sondern immer nur verliert.
Vom Elend des Alltags in den Krieg
Für das nächste Milliardenpaket für das Militär wird die Schuldenbremse gelockert, doch für Soziales nicht, stattdessen soll dort noch mehr eingespart werden.
Während Kriege und deren Vorbereitung zu den Ursachen unserer Notlagen zählen, präsentieren die Herrschenden uns mit der Teilnahme daran ein Angebot, wie wir damit umgehen können: Die Bundeswehr spricht deshalb unter anderem gezielt Menschen aus armen Schichten an. In der angeblichen Leistungsgesellschaft halten sie damit der Masse an Menschen, die nicht viele Optionen haben, die Tür auf. Daher werben sie auch mit „Kein Schulabschluss? Kein Problem bei der Bundeswehr!“. Ein großes Problem wäre es dagegen, Befehle zu hinterfragen, sie zu missachten oder sogar zu widersprechen, doch wer ohne Widerspruch bereit ist, „seinem Land zu dienen“, soll nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Nicht nur für Menschen mit wenig Einkommen sind die Gehälter beim Bund ein Argument, diesen speziellen „Arbeitgeber“ in Betracht zu ziehen. Auch denen, die im kapitalistischen Wohnungsmarkt nicht von Zuhause ausziehen können, wird bei der Bundeswehr eine Lösung angeboten. Und in einer durch Konkurrenz vereinzelten Gesellschaft bietet „die Truppe“ ein Gemeinschaftsgefühl mit einer höheren Bestimmung – die angebliche Verteidigung der eigenen Familie, der Freund:innen und des ganzen Landes gegen alles Feindliche. Es ist das gleiche Muster, das uns auch in Migrationsfragen von den Herrschenden vorgesetzt wird: Wir sollen die Klassenunterschiede hierzulande ausblenden und gegen Ausgebeutete anderer Länder aufgestachelt werden, mit denen wir aber eigentlich so viel mehr gemeinsam haben, als mit den Mächtigen hier. Es ist Nationalismus, der die Vorbereitung und Durchführung von imperialistischen Kriegen erst möglich macht. Für die Kapitalist:innen ist er wie jede andere rechte Ideologie nützlich, um ihre Herrschaft zu sichern.
Wir sollten davon ausgehen, dass die Bundeswehr finanziell in Zukunft noch reizvoller gemacht wird – entweder unmittelbar durch tatsächliche Anhebungen der Solde oder indirekt durch weiter steigende Lebenshaltungskosten in Deutschland. Im Ukraine-Krieg zeigte sich besonders drastisch, wie extrem arme, lebenslang verschuldete und inhaftierte Menschen in Russland mit der Aussicht auf etwas Geld für ihre Familien „freiwillig“ zu Kanonenfutter gemacht wurden. Die Mechanismen dahinter sind jedoch im Kern in jedem Land dieselben. Und wenn Anreize nicht reichen, wird Zwang angewendet: die Auslieferung von ukrainischen Kriegsdienstverweigerern durch Deutschland zeigt, wie Nationen ihren Anspruch auf ihr Staatsvolk als Verfügungsmasse duchsetzen. Machen wir uns auch dabei keine Illusionen, dass dies in Deutschland im „Ernstfall“ anders wäre.
Militarisierung der Gesellschaft
Scheinbare Freiwilligkeit und staatlicher Zwang schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht zeigt die Übergänge vom „freiwilligen“ zum „verpflichtenden“ Jahr. Dass die Bundeswehr eine Berufsarmee bleibt, wie sie es seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 faktisch ist, ist unwahrscheinlich. Dabei sollten wir auch nicht vergessen, dass auch die „zivile“ Seite des Zwangsdienstes, also die Arbeit in Einrichtungen wie Altenheimen und Krankenhäusern, einen indirekten Beitrag zum Militarismus bringt: Wenn durch Aufrüstung im Sozialen noch stärker gespart wird, sind die quasi kostenlosen Arbeitskräfte in diesen Bereichen dringend notwendig, um einen Kollaps zu vermeiden.
Freiwilligkeit ist in den Augen der Herrschenden dann gut, wenn dabei das gewünschte Ergebnis eintritt. Die Unsummen für Werbekampagnen zeigen, dass sie durchaus bereit sind, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Insgesamt wird die Werbung für die Unterstützung von Kriegen weiter und mit noch mehr Anreizen in alle Bereiche der Gesellschaft eindringen – es sei denn, wir verhindern das. Wie empfindlich schon jetzt auf Proteste gegen die Bundeswehr reagiert wird, zeigt, wie wichtig und gleichzeitig fragil dieses Anliegen für die Herrschenden ist. Karl Liebknecht schrieb dazu 1907 in Militarismus und Antimilitarismus: „Natürlich ist diese Empfindlichkeit gegen den Antimilitarismus ebenso international wie der Kapitalismus und wie der Militarismus; und die Reaktionen gegen die antimilitaristische Betätigung sind allenthalben (…) schroff und brutal“. Bei jungen Menschen bedarf es dagegen auch pädagogischer Repression, wie ein aktuelles Beispiel der internationalen Jugend in Leipzig zeigt: Nach erfolgreichen Protestaktionen gegen den Besuch der Bundeswehr an einer Schule überzog die Schulleitung Aktivist:innen und andere Schüler:innen mit Einzelgesprächen, Schulverweis-Androhungen, Akteneinträgen und Elterngesprächen. Die Schule versucht damit ihren Auftrag zu erfüllen, junge Menschen als „mündige Bürger:innen“ im Sinne der Herrschenden zu erziehen. Wer denkt, dass die Bundeswehr erst ab 18 Jahren wirklich ein Thema wird, täuscht sich: Bereits ab 15 Jahren ist ein Schülerpraktikum bei der Bundeswehr möglich, ab dem 17. Lebensjahr kann man sich mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten für den Wehrdienst verpflichten – zwischen mindestens 7 bis maximal 23 Monaten. Die Bundeswehr hat seit 2011 knapp 20.000 Minderjährige als Soldat:innen rekrutiert. Und wen sie erstmal haben, lassen sie nur ungern gehen.
„Eine Lebensfrage für den politischen Emanzipationskampf“
Krieg nach außen hängt von der Organisation und Absicherung nach innen ab: Wenn die Produktion der Waffen oder Rekrutierung neuer Soldat:innen ins Stocken gerät, weil die Unterdrückung der Kriegsgegner:innen an der Heimatfront nicht gelingt, gerät die gesamte Kriegsmaschinerie ins Wanken. Die Aufstellung der „Heimatschutzdivision“ zeigt, wie Herrschenden sich schon längst auf antimilitaristische Proteste und dabei potentiell eingesetzte Streiks vorbereiten. Diese Angst offenbart eine mögliche Chance für unsere Stärke. Denn es stimmt: Aufstände und Revolutionen können Kriege beenden. Umgekehrt bedeutet Krieg aber auch die Niederschlagung aller progressiven Bewegungen im Inneren: „Die Beseitigung oder möglichste Schwächung des Militarismus ist eine Lebensfrage für den politischen Emanzipationskampf“, schrieb Karl Liebknecht 1907 in Militarismus und Antimilitarismus, wofür er im selben Jahr wegen Hochverrats ins Gefängnis gesteckt wurde. Wer als Antifaschist:in in das Kriegsgeschrei der Herrschenden mit einstimmt, verrät sich und die Bewegung in ihrer gesamten Geschichte.
Während die Kriegspropaganda so unablässig in allen Medien ausgestrahlt wird, können wir davon auszugehen, dass ein großer Teil der Bevölkerung eigentlich keinen Krieg will. Manche halten ihn vielleicht abstrakt für notwendig, aber sie werden sich gegen ihn wehren, wenn sie die Verheerungen erkennen, die er für die eigene Lebenswelt mit sich bringt. Historisch gesehen ist die Kriegsmaschinerie dann aber bereits so stark, dass ein Anhalten kaum noch möglich ist. Deshalb müssen wir jetzt handeln und auf allen Ebenen Sand ins Getriebe streuen. Die schwache antifaschistische Bewegung kann dabei vielleicht neue Stärke gewinnen, wenn sie sich in den nächsten Jahren glaubwürdig und ohne moralische Erhöhung für einen Antimilitarismus stark macht, der Aufrüstung, Ausbeutung und nationalistische Propaganda ins Verhältnis zueinander setzt.
Im Kern hat sich nichts daran verändert, seit Karl Liebknecht vor über 100 Jahren schrieb: „Das Proletariat der gesamten Welt hat von jener Politik, die den Militarismus nach außen notwendig macht, keinen Nutzen zu erwarten, seine Interessen widersprechen ihr sogar auf das Allerschärfste. Jene Politik dient mittelbar oder unmittelbar den Ausbeutungsinteressen der herrschenden Klassen des Kapitalismus.“
Daher haben wir als Antifaschist:innen und als ausgebeutete Klasse auch heute „die vornehmste Aufgabe, den Militarismus auch in dieser Funktion bis aufs Messer zu bekämpfen“.