Rechts um

Wenn am 29. September der österreichische Nationalrat neu gewählt wird, könnte die FPÖ erstmals stärkste Kraft werden. Die SPÖ liegt derweil selbstverschuldet im Koma

Drei Jahrzehnte, von 1970 bis 2000, war die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) die bestimmende politische Kraft im Land gewesen. Vor allem die zahlreichen sozialen Reformen der Ära Kreisky (1970–1983) machten die Sozialdemokraten populär. Allerdings schwenkten Bruno Kreiskys Nachfolger auf einen neoliberalen Kurs ein, der die SPÖ, die sich zwischenzeitlich in »Sozialdemokratische Partei Österreichs« umbenannt hatte, im Jahr 2000 in die Opposition zwang.

Sieben Jahre später folgte zunächst eine SPÖ-Rückkehr in Regierungsverantwortung. Die »großen Koalitionen« 2007–2017 mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter den sozialdemokratischen Kanzlerschaften Alfred Gusenbauers, Werner Faymanns und Christian Kerns wurden jedoch 2017 durch eine Rechtskoalition aus ÖVP und der »blauen« Freiheitlichen Partei (FPÖ) unter Sebastian Kurz abgelöst. Diese schwarz-blaue Liasion platzte bereits eineinhalb Jahre später, weil der Parteichef der Blauen in einer Villa auf Ibiza unverblümt aus der Schule geplaudert hatte und sich dabei auch noch filmen ließ. Der extrem junge ÖVP-Vorsitzende Kurz, dessen politische Karriere aufgrund krimineller Machenschaften nun auch schon wieder beendet ist, wechselte flugs den Partner und fand in den Grünen einen neuen willfährigen Steigbügelhalter. Den Grünen, 2017 sang- und klanglos aus dem Parlament gewählt, war 2019 ein Comeback gelungen, das nicht nur in den Nationalrat, sondern auch gleich in den Ministerrat führte.

Geplatzte Hoffnung. Der SPÖ-Vorsitzende und Spitzenkandidat Andreas Babler bescherte der Sozialdemokratie kurzfristig einen Höhenflug. Doch davon ist nicht viel übrig geblieben – Babler beim Wahlkampfauftakt der SPÖ in Linz (29.8.2024)

Grüne Opportunisten

Doch wer nun geglaubt hatte, die neue Regierung würde eine progressive Handschrift aufweisen, sah sich rasch getäuscht. Die Grünen versuchten gar nicht erst, der rechten Politik der ÖVP etwas entgegenzuhalten, sondern verteidigten kritiklos jede Maßnahme, gegen die sie als Oppositionspartei noch entschlossen auf die Barrikaden gestiegen wären. Verschärfungen im Asylrecht, Aufrüstung und NATO-Integration, »Message Control« (die aktive Einflussnahme auf die Berichterstattung in den staatlichen Medien wie Rundfunk und Fernsehen) sowie die mutwillige Einstellung der ältesten Tageszeitung (die Wiener Zeitung erschien von 1703 bis 2023), nachdem diese kritisch über die ÖVP berichtet hatte, zeigte, dass aus der einstigen Friedens- und sozialen Gerechtigkeitspartei ein Sammelsurium aus Opportunisten und Karrieristen geworden war, von dem sich grüne Gründungsmitglieder wie Madeleine Petrovic, Peter Pilz oder Johannes Voggenhuber kopfschüttelnd abwandten.

Die schwarz-grüne Regierung war kaum ein paar Monate im Amt, als die Coronakrise die Welt erfasste. Und anders als in vielen anderen Staaten, etwa in Schweden, Dänemark oder den Niederlanden, erging sich die politische Führung in Österreich von Anfang in Härte. Ausgerechnet der grüne Sozialminister setzte eine ganze Reihe von Bürgerrechten außer Kraft und ließ Demonstrationen gegen seine rigide Politik polizeilich unterbinden. Die heimische Kultur wurde von einem Tag auf den anderen zum Stillstand gebracht, das Wirtschaftsleben durch »Lockdowns« auf null gestellt. Eine ganze Reihe von Maßnahmen wurde unmittelbar ergriffen – mit Beschlüssen, die in der Folge vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben werden mussten.

Zur »Abfederung« der Coronamaßnahmen gründete die Regierung eine private Finanzierungsgesellschaft, die der politischen Kontrolle durch die Opposition absichtlich entzogen wurde. Später ans Tageslicht tretende Fakten aus der Tätigkeit dieser »Covid-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH« (Cofag) belegten, wie Schwarz und Grün gezielt ihre politischen Freunde bedienten – darunter unter anderen den auch in Deutschland als Betrüger enttarnten René Benko –, während regierungskritische Instanzen bewusst in den Ruin getrieben wurden. Umwolkt wurde diese finanzielle Umverteilungsaktion von einer beispiellosen Kampagne gegen politisch Andersdenkende, denen Schwarz und Grün bedenkenlos Etiketten wie »Faschist«, »Gefährder« (ein Begriff, der zuvor für potentielle islamistische Terroristen verwendet worden war) und sogar »Mörder« umhängten. Als in weiterer Folge das Parlament versuchte, die zahlreichen Ungereimtheiten rund um die Coronapolitik der Regierung in eigenen Untersuchungsausschüssen zu klären, wurden Schwarz und Grün nicht müde, diese Aufklärung auf jede nur erdenkliche Weise zu torpedieren.

Und um von ihrem diesbezüglichen Tun abzulenken, begann die Regierung spätestens ab 2022 eine beinharte Sicherheitsstrategie zu fahren, wie sie bislang nur von der politischen Rechten gefordert worden war. Was zu der bizarren Situation führte, dass ausgerechnet die Grünen seit Jahren lückenlose Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums durchführen lassen, aber selbstverständlich nicht gegen die westlichen Nachbarn Deutschland, Schweiz und Italien, sondern ausnahmslos gegen die »bösen« Slawen und Ungarn, gegen die alte Ressentiments befeuert wurden, wie sie schon zu Zeiten des Kalten Kriegs existiert hatten. Der FPÖ blieb angesichts dieser Politik kaum noch ein ureigenes Thema für ihre populistische Propaganda.

Der Niedergang der SPÖ wiederum hatte real schon 1990 begonnen, als die Generation klassischer Reformisten durch weitgehend »ideologiefreie« Technokraten ersetzt worden war. Mit dem mehr oder weniger offensiven Abwürgen innerparteilicher Demokratie verlor die SPÖ rasch an Attraktivität für progressiv denkende Menschen, was zu einer rapiden Ausdünnung der politischen Kader der Partei führte. Wurzelten Kurzzeitkanzler Gusenbauer und sein Nachfolger Faymann noch in Kreiskys Hochzeiten, so war Faymanns Nachfolger Kern ein farbloser Karrierist, der seine Laufbahn als Apparatschik im (damals) staatsnahen Bereich mit dem Kanzleramt krönte. Mangels einer politisch ausgewiesenen Strategie und bar jeglichen Charismas verlor er die Wahl 2017 krachend gegen den neuen ÖVP-Superstar Kurz, woraufhin Kern sofort aus der Politik flüchtete.

SPÖ-Parteichefin wurde daraufhin Joy Pamela Rendi-Wagner, die wenige Monate zuvor als damals noch parteifreie Beamtin von Kern in die Regierung geholt worden war. Kaum der Partei beigetreten, sah sie sich auch schon zu deren Chefin gekürt. Rendi-Wagner mangelte es dabei an allem. Nicht nur, dass ihr der klassische Stallgeruch der Arbeiterbewegung fehlte, sie verfügte auch über keinerlei ideologische Überzeugungen und war in der Politik vollkommen fehl am Platz. Vor diesem Hintergrund gelang ihr das Kunststück, die vorgezogenen Wahlen 2019 zu verlieren, obwohl die ÖVP-FPÖ-Koalition durch krasse Skandale wie eben »Ibiza« zusammengebrochen war. Aus purem Trotz hielt das Parteiestablishment an Rendi-Wagner fest, obwohl diese zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, der neuen Regierungsmannschaft Paroli zu bieten, was sich besonders augenscheinlich in dem Umstand zeigte, dass sie als promovierte Epidemiologin dem grünen Sozial- und Gesundheitsminister, einem ehemaligen Volksschullehrer ohne jegliche medizinische Kenntnisse, nicht einmal auf ihrem ureigenen Feld der Epidemiologie etwas entgegenzusetzen hatte.

Niedergang der Sozialdemokratie

Nach etlichen regionalen Wahlniederlagen war schließlich die Geduld der Parteigranden aufgebraucht, und Rendi-Wagner musste gehen. In einem insgesamt turbulenten und teilweise absurden Findungsprozess (die Wahlkommission hatte es zuwege gebracht, die Stimmergebnisse der Kandidaten falsch bekanntzugeben, so dass der Unterlegene anfänglich als Sieger ausgerufen worden war) setzte sich Andreas Babler, Bürgermeister der niederösterreichischen Kleingemeinde Traiskirchen, als neuer Parteichef durch. Babler war es gelungen, nach Jahren der Stagnation und Frustration eine Art Aufbruchstimmung zu erzeugen. Die Partei registrierte erstmals seit Jahren zahlreiche Neubeitritte, und Bablers Berufen auf Kreiskys Zeiten erweckte bei vielen Sozialdemokraten nostalgische Erinnerungen. Er scheute sich nicht, sich als jemand zu präsentieren, für den Marx gerade heute viele Erklärungsansätze biete, und äußerte unverhohlen Kritik an der neoliberalen Ausrichtung der EU.

Doch kaum in sein Amt gewählt, verstummte Babler von einem Tag auf den anderen. Anstatt seinen Ankündigungen, er werde in einen aktiven Dialog mit den Werktätigen und den sozial Benachteiligten treten, Taten folgen zu lassen, vergrub sich Babler überaus rasch in der Parteizentrale und begab sich ohne Not in die Geiselhaft der Parteirechten, dafür zahlreiche Genossen opfernd, die ihm überhaupt erst den Weg in sein Amt geebnet hatten.

Mittlerweile strotzen die Wahllisten der SPÖ mehr denn je von gesichtslosen Apparatschiks, rechten Schwadroneuren und windigen Opportunisten. Linke Kandidaten finden sich hingegen kaum, und wenn, dann zumeist an unwählbarer Stelle. Die Enttäuschung über Bablers innerparteiliche Kapitulation zeigt sich denn auch in den aktuellen Umfragen. Erstmals überhaupt in ihrer Geschichte droht die SPÖ nur noch auf Platz drei zu landen, und mit Zustimmungswerten um die 20 Prozent schafft es Babler, sogar noch schlechter dazustehen als vor ihm die parteifremde Rendi-Wagner. Noch hoffen die Technokraten in Bablers Umfeld darauf, dass es nach den Wahlen möglich sein werde, als Juniorpartner in die Regierung zu kommen – und dort quasi die Grünen zu ersetzen –, um so die eigene Haut zu retten und nebenbei ein paar attraktive Posten zu ergattern, doch besonders realistisch erscheint das angesichts der Umfragen nicht zu sein. Vielmehr spricht einiges dafür, dass die Wiener SPÖ Bablers Scheitern sogar herbeisehnt, da in Wien in einem Jahr neu gewählt wird und die SPÖ dort immer dann besonders gut abschnitt, wenn sie im Bund in der Opposition schmachtete.

Junge Kommunisten

Links von der SPÖ war jahrzehntelang kein Platz gewesen. Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ), immerhin Mitbegründerin der Republik, war bereits 1959 aus dem Nationalrat gewählt worden und musste sich seitdem mit Stimmenanteilen zwischen ein und zwei Prozent bescheiden. Der Zusammenbruch des »realen Sozialismus« tat ein übriges, und im Jahr 1995 hätte wohl kaum ein Beobachter ein politisches Überleben der KPÖ prognostiziert.

Doch die Kommunisten entdeckten ein neues Betätigungsfeld für sich: klassische sozialdemokratische Klientelpolitik, wie sie jahrzehntelang von der SPÖ betrieben worden war, ehe diese sich dem neoliberalen Diktat unterwarf. Graz und in weiterer Folge die Steiermark wurden zur Modellregion für die neue KPÖ und alsbald zu einem Erfolg, den die KPÖ seitdem nach Salzburg, Innsbruck und Linz exportieren konnte. Erstmals seit einem halben Jahrhundert sitzt die KPÖ wieder in mehreren Landtagen und in zahlreichen Gemeinderäten und ist zu einem politischen Faktor geworden, dem viele zutrauen, demnächst auch in die Landtage von Oberösterreich und Wien einzuziehen. Bei den für diesen November anstehenden Neuwahlen zum Steiermärkischen Landtag rangiert die KPÖ in den Umfragen bei rund 12 Prozent, und mit der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr und dem Salzburger Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl verfügt die Partei erstmals seit langem wieder über landesweit bekannte Politgrößen, so dass ein Wiedereinzug in den Nationalrat nach 65 Jahren zumindest nicht mehr vollkommen unrealistisch erscheint.

Möglich wurde dieser Neustart durch einen gewagten Schritt des Langzeitparteichefs Štefan Miroslav Messner, der 2021 einen radikalen Schnitt setzte. Anstelle der in Ehren ergrauten altgedienten Funktionärskader wurde eine Führung gewählt, deren Durchschnittsalter einer Fußballmannschaft zur Ehre gereichen würde. Der aktuelle Spitzenkandidat für die Nationalratswahlen Tobias Schweiger zählt 34 Lenze und ist damit sogar einer der eher älteren auf den vorderen Listenplätzen. Sollte der KPÖ tatsächlich der Einzug ins Hohe Haus gelingen, stellten dort Mandatare von Mitte, Ende 20 die Mehrheit in der kommunistischen Fraktion.

Diese kühne Strategie hat allerdings einen Pferdefuß, der sich am 29. September rächen könnte. Die KPÖ führt nämlich einen ausgewiesenen Jugendwahlkampf. Zwar ist das Thema Wohnen auch für die ältere Generation ein sensibles, doch Forderungen wie die Gratisabgabe von Verhütungsmitteln oder kostenfreie Jugendtickets in den Verkehrsverbünden stoßen bei der breiten Masse der Bevölkerung wohl eher auf Gleichmut. Das Problem der KPÖ liegt dabei im »gänzlichen Fehlen« der Altersgruppe 30–60, so dass die meisten Wahlveranstaltungen der KPÖ Jugendevents gleichen. Und als wäre diese Schieflage angesichts der zugespitzten Lage – die Umfragewerte der KPÖ oszillieren seit Wochen stets knapp unter jenen vier Prozent, die für den Einzug in den Nationalrat überwunden werden müssen – nicht ohnehin schon problematisch, so ist es zudem wenig hilfreich, dass der KPÖ ausgerechnet im Jugendsegment mit der Mogelpackung »Bierpartei« ein unangenehmer Konkurrent erwachsen ist.

Die Bierpartei hat nichts. Kein Programm, kein Personal, keine Organisation. Real besteht sie aus einer Ein-Mann-Show. Dominik Wlazny, der sich Marco Pogo nennt und zuvor ein bestenfalls mäßig erfolgreicher Sänger war, ehe er die Politik als Bühne für sich erkor. Um seine diversen Geschäfte zu promoten, präsentiert er sich als »Reformer«, erschöpft sich aber in seinen Reden in nichtssagenden Allgemeinplätzen, so dass völlig unverständlich erscheint, weshalb man ihn wählen sollte. Doch die Marke »Bier« ist in Österreich populär, viele unpolitische Menschen finden den Namen witzig und wollen, da sie von den »echten Parteien« enttäuscht sind, ihre Stimme einer Juxliste geben, um solcherart »gegen das System« zu protestieren. Und Wlazny weiß genau, welche Rolle er in diesem Wahlkampf zu erfüllen hat. Er gibt sich progressiv, um solcherart der KPÖ genau jene Summe an Stimmen abzujagen, die selbige unter die Vier-Prozent-Marke drücken könnte. Dass darüber hinaus auch die Linkspartei »Wandel – Partei für Mensch, Tier und Planet« landesweit antritt, spielt der KPÖ auch nicht gerade in die Karten, auch wenn der Partei kaum mehr als ein Prozent der Stimmen zugetraut wird.

Rechts und rechter

Auf der Rechten tobt seit Wochen ein harter Kampf zwischen FPÖ und ÖVP, der sich nach der Wahl nur allzu rasch als Scheingefecht herausstellen könnte, pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, dass die beiden bürgerlichen Parteien, so sie gemeinsam eine Mehrheit erreichen, »Schwarz-Blau III« (nach 2000–2007 und 2017–2019) anstreben. Erfolgreich fischt die ÖVP dabei im freiheitlichen Teich der Ausländerfeindlichkeit und der militaristischen Rhetorik, während sich die FPÖ seit der Covid-19-Pandemie und dem Ukraine-Krieg in einer für sie völlig ungewohnten Rolle befindet. Als vermeintliche Wahrer der österreichischen Neutralität und Verteidiger der von Schwarz-Grün ausgehöhlten Bürgerrechte erscheint die FPÖ nach außen hin als beinahe linkspopulistisch, ein Eindruck, der freilich schnell verblasst, wenn man sich mit der freiheitlichen Programmatik befasst. Die ist nach wie vor autoritär, unsozial und tendenziell antidemokratisch, was bei so mancher Rede von Kanzlerkandidat Herbert Kickl und seinen Mannen auch überdeutlich aufblitzt.

Unverhoffte Schützenhilfe erhält die FPÖ dabei ausgerechnet von der »Zivilgesellschaft«, die sich seit Wochen darin erschöpft, vor einer »blauen Machtübernahme« zu warnen. So ruft die SPÖ, anstatt eigene Programmpunkte zu propagieren, zur »Rettung der Demokratie« auf und postet dabei das Konterfei Kickls weitaus öfter als das des eigenen Kandidaten. Und Kickl versteht es perfekt, sich in den Schlagzeilen zu halten, was sich jüngst in seinem Vorschlag, Volksinitiativen Gesetzeskraft zuzubilligen, zeigte. Bewusst wählte er dabei das Thema »Todesstrafe« als Beispiel, woraufhin sich alle Mitbewerber bemüßigt fühlten, ihre Position zu diesem Thema darzulegen, was Kickls »Vorschlag« eine ganze Woche lang in den Schlagzeilen hielt. Hätte er als Beispiel eine Tempobegrenzung auf Autobahnen gewählt, ganz Österreich hätte sich darüber ausgeschwiegen.

Im Lichte der Auseinandersetzung zwischen ÖVP und FPÖ verblassen die beiden anderen bürgerlichen Parteien nachhaltig. Zwar gelingt es den marktliberalen »Neos« mit ihrer Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger, so etwas wie wirtschaftspolitischen Optimismus zu verbreiten, die Grünen allerdings sind nach dem Ausverkauf ihrer Kernkompetenz politisch nachhaltig geschwächt. Beide Parteien rangieren in den Umfragen bei etwa acht Prozent und hoffen darauf, in einer Dreierkoalition Zünglein an der Waage sein zu können. Bis dahin freilich wirken beide Gruppen eher im Verborgenen.

Prognosen

Vertraut man den Demoskopen, dann sind die Themenkomplexe Zuwanderung, Frieden und Zukunft des Sozialstaats die Hauptmotive für die Wählerschaft, sich für eine wahlwerbende Partei zu entscheiden. Ähnlich wie in Deutschland erweist sich die Bevölkerung dabei wesentlich weniger bellizistisch als ihr politisches Personal. Vier Fünftel halten die Neutralität nach wie vor als Eckstein der österreichischen Verfasstheit hoch, ein NATO-Beitritt wird daher ebenfalls von gut zwei Dritteln der Österreicherinnen und Österreicher abgelehnt. Dass selbiger ausgerechnet von der ehemaligen Friedenspartei »Die Grünen« propagiert und von der FPÖ heftig bekämpft wird, zeugt von der Umwertung aller Werte in einer Gesellschaft, in der jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen scheint.

Während in den Medien vor allem das Duell zwischen ÖVP-Kanzler Karl Nehammer und seinem FPÖ-Herausforderer Kickl wortreich verhandelt wird, findet die SPÖ nicht aus ihrer selbst gewählten Isolation heraus. Sollten nicht Bierpartei und KPÖ den Sprung in den Nationalrat schaffen, stehen die Chancen für ÖVP und FPÖ gut, nach dem Urnengang eine Zweierkoalition zu schmieden, in der, wie schon 2017, die ÖVP Finanzen und Wirtschaft, die FPÖ die Sicherheitsagenden führen wird. Der SPÖ wird dann nichts anderes übrig bleiben, als ein viertes Mal in acht Jahren den Vorsitzenden auszutauschen, wobei zu erwarten steht, dass auch die neue Person an der Spitze keine nennenswerten Akzente wird setzen können.

Für die Linke freilich ist es von großer Bedeutung, auf dem Wahlkampf 2024 aufzubauen. Auch wenn die KPÖ den Einzug ins Hohe Haus verpassen sollte, hat sie alle Chancen, sich als dauerhafte Kraft links von der SPÖ zu etablieren. Wichtig dafür wird der Einzug in den Wiener Landtag 2025 sein, aber auch die Verbreiterung des Parteiaktivs hin zur Generation 35 plus, womit die KPÖ dann hoffentlich auch ihre Expertise in der Arbeitswelt und in der Sozial- und Gesundheitspolitik verbessern kann. Und bedenkt man die zahlreich zu erwartenden Sollbruchstellen einer erneuten schwarz-blauen Koalition, könnte die KPÖ, aus dem heurigen Wahlkampf lernend, schon wesentlich früher als 2029 eine zweite Chance bekommen, auch im Hohen Haus für »mehr Druck von links« zu sorgen.