Bei den anstehenden Nationalratswahlen in Österreich will Herbert Kickl, Obmann der rechtsradikalen »Freiheitlichen Partei Österreichs«, der kommende Regierungschef werden.
Im Juli 2024 veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch ein fast 100-seitiges Dossier, in dem die Verstrickungen der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) mit der rechten Szene beleuchtet werden. 200 Fälle werden im kurzen Zeitraum von zehn Jahren akribisch aufgelistet. Die NGO kritisiert, dass »die ersten fünf Plätze auf der FPÖ-Bundesliste für die Nationalratswahl (…) ausnahmslos Personen mit nachweislichen rechtsextremen Verstrickungen« einnehmen und kommt zu dem Schluss, die FPÖ sei »eine reale Gefahr für die Demokratie«.
Und tatsächlich muss man nicht weit zurückschauen, um das aktuelle Näheverhältnis der Partei zur organisierten extremen Rechten zu erkennen. Ende Mai 2024 lud die »Burschenschaft Aldania Wien«, der mit Obmann Dominik Nepp, Klubobmann Maximilian Krauss und Landesgeschäftsführer Andreas Guggenberger gleich drei der zentralen Figuren der Wiener Landesgruppe der FPÖ angehören, den AfD-Politiker Matthias Helferich nach Wien ein. Helferich hatte sich selbst süffisant als »das freundliche Gesicht des NS« bezeichnet und war aufgrund dieser Aussage kritisiert worden. Doch auch anderen bekannten deutschen Rechten gibt die FPÖ gerne ein Podium. So folgte Götz Kubitschek, der als Förderer der »Identitären« gelten kann, einer Einladung der FPÖ in das Parlament, nachdem dessen geplanter Vortrag an der Universität Wien Mitte November 2023 von der Universitätsleitung untersagt worden war. Zwischen der »Freiheitlichen Jugend« und der »Identitären Bewegung« passt personell wie inhaltlich schon längst kein Blatt Papier mehr und so beteiligte sich der FPÖ-Nachwuchs auch dieses Jahr im Sommer an der sogenannten »Remigrations-Demo« der »Identitären« durch die Wiener Innenstadt, an der auch zahlreiche Neonazis teilnahmen. Auch mit Medien mit Ursprüngen im Neonazismus hat die FPÖ kein Problem. So gaben zahlreiche FPÖ-Politiker wie zum Beispiel der Generalsekretär Christian Hafenecker dem Sender »AUF1« von Stefan Magnet oder dem Magazin »Info-Direkt« von Michael Scharfmüller gerne Interviews. Magnet und Scharfmüller begannen ihre politische Karriere im neonazistischen »Bund freier Jugend« und stehen heute den »Identitären« nahe. Doch die FPÖ belässt es nicht dabei, diese antisemitischen und rechten Hetzmedien mit Wortspenden zu unterstützen. Immer wieder werden großzügige Inserate geschaltet. Zuletzt fand sich in der aktuellen Ausgabe von »Info-Direkt« ein ganzseitiges Inserat der FPÖ. In derselben Ausgabe wird der kürzlich verstorbenen Neonazi-Größe Konrad Windisch ein huldigender Nachruf gewidmet. Die FPÖ finanziert mit diesen Inseraten offen die extreme Rechte. Als Herbert Kickl unter der FPÖ-Regierungsbeteiligung ab 2017 kurzzeitig Innenminister wurde, warb man in »Info-Direkt« sogar um Polizeinachwuchs.
Strategie: Attacke
Je unverfrorener und offener die Kickl-FPÖ ihr Näheverhältnis und Bekenntnis zur außerparlamentarischen extremen Rechten unter Beweis stellt, umso weniger öffentliche Kritik gibt es daran. Es scheint, als würde die Normalisierung des Rechtsradikalismus in Österreich noch stärker voranschreiten als es davor schon der Fall war. Beim ORF-Sommergespräch mit Herbert Kickl am 19. August 2024 war der Moderator die gesamten 50 Minuten nicht dazu im Stande, eine Frage zu formulieren, welche die rechten Positionen der Partei oder ihre Verbindung mit den »Identitären« zum Thema hatte. Dieser Umstand stellt auch die antifaschistische Linke vor eine große Herausforderung, denn es scheint nicht mehr möglich zu sein, rechte Inhalte zu skandalisieren, vielmehr sind sie akzeptierter Teil der politischen Debatte. Teil der österreichischen Normalität waren sie immer schon.
Wie weit vorangeschritten diese Normalisierung in Österreich ist, zeigt sich nicht nur daran, dass die FPÖ aktuell in Umfragen an erster Stelle liegt. Sie führt auch wegen und nicht trotz ihrer Positionen: »Projekt Volkskanzler« nennt die FPÖ ihren Plan, welcher der Partei den Weg zum Wahlsieg und ins Kanzleramt bereiten soll. Der Begriff hat eine eindeutige Geschichte, handelt es sich dabei doch um eine genuin nationalsozialistische Wortkreation: Er wurde von den Nazis, allen voran von Joseph Goebbels erfunden und war maßgeblicher Teil der nationalsozialistischen Propaganda für Adolf Hitler in den Jahren 1933/1934, bis er durch die Begriffe »Reichskanzler« und »Führer« zunehmend verdrängt wurde.
Setzen der Kampfbegriffe
Es ist schon seit jeher Strategie der FPÖ, mit Tabubrüchen zu arbeiten. So erhält man Aufmerksamkeit, macht von sich reden und verschiebt die Grenze des Sagbaren Stück für Stück nach rechts. Das ist sicherlich auch hier der Fall. Aber hinter dem Begriff »Volkskanzler« stecken auch ideologische Implikationen, die auf ein rechtsradikales und völkisches Verständnis von »Demokratie« verweisen. Der Begriff hat damit nicht nur eine Signalwirkung an die Faschist*innen innerhalb und außerhalb der Partei.
In der Rede von Herbert Kickl am 1. Mai 2023 findet der Begriff »Volkskanzler« zum ersten Mal verstärkt Verwendung. Die Rede beinhaltet annähernd alle Charakteristika rechtsradikaler Agitation und veranschaulicht den ideologischen Gehalt des »Volkskanzler«-Begriffs. Sie fasst darüber hinaus das aktuelle Wahlprogramm der FPÖ zusammen und liest sich wie ein Lehrstück aus Leo Löwenthals »Falsche Propheten«. Zentral ist das Denken und Handeln in Völkern, in scheinbar natürlich gewachsenen, homogenen Gemeinschaften. Diese (Volks-)Gemeinschaften werden der offenen, pluralistischen Gesellschaft gegenübergestellt. Das einzelne Individuum hat sich dem großen Ganzen unterzuordnen. Die Staatsauffassung bleibt diesem Freund-Feind-Denken ebenso verhaftet wie sie mit offenen Drohungen an politische Gegner*innen und Gewaltapologien rechtsstaatliche Prinzipien auszuhöhlen sucht.
In der Rede Kickls ist das »Volk« der zentrale Bezugspunkt der Agitation. Gemeint sind damit die »einfachen«, die »normalen« Leute, die von der Politik »verraten und verkauft« wurden. Die Welt wird in Schwarz-Weiß, in Freund-Feind, in Gut und Böse eingeteilt. Auf der einen Seite stehen die »linkslinken Gutmenschen«, die »internationale Mafia«, die »Elite und die Schickeria«, die »Mondgesichter« und »Degenerierten«, die »Scheinopposition«, die »Freimaurer« und die »Einheitsparteien«. Auf der anderen Seite stehen die »Bodenständigen«, die »Geerdeten«, »Normalen«, die »schweigende Mehrheit«. Ihren politischen Ausdruck findet diese Seite einzig in der Freiheitlichen Partei. Hier zeigt sich eine zutiefst antidemokratische Rhetorik, die alle Individuen zu einer Masse (»Volk«) verrührt und ihnen ein homogenes Interesse unterstellt. Dieses Interesse kann nur eine Partei zum Ausdruck bringen. Jedes andere gesellschaftliche oder individuelle Interesse, das sich in anderen Parteien, Gewerkschaften oder Organisationen artikuliert, gilt als Verrat am »Volk«, als Eigennutz ohne Gemeinschaftssinn. In einer Werteparanoia »Kult um die Regenbogenfahne«, »Degeneration«, »Weltuntergangssekten«, »Klimakommunismus« wird ein Untergangs- und Katastrophenszenario herbeigeredet, aber auch ein Erlöser, ein bescheidener Retter präsentiert, der aus der Mitte des »Volkes« emporkommt – »Ich bin einer von euch« – sich aber über dieses erhebt: der »Volkskanzler« eben. Er symbolisiert den starken Mann, der sich durchsetzt und seine Legitimität aus viel tiefer gehenden Quellen speist als parlamentarische Wahlen. Gerade diese fast schon mystische Verbundenheit mit dem »Volk« macht ihn zum unkorrumpierbaren Streiter für die gerechte Sache, dem sich alle anderen gesellschaftlichen Kräfte entgegenstellten, um seinen Aufstieg zu verhindern.
In der Pseudo-Kritik an den vermeintlichen Eliten artikuliert sich ein antisemitisches Ressentiment, das sich aufgrund gesellschaftlicher Tabuisierung nur mehr codiert äußern »darf«. Im antisemitischen Weltbild war jedoch die Vorstellung eines entwurzelten Bösen, von globalagierenden Eliten, welche die nationalen Regierungen an der Nase herumführen, um dem »Volk« zu schaden und sich zu bereichern, schon seit jeher das zentrale Element, das sich auch im Verschwörungsdenken äußert. Die FPÖ ist hier die verfolgte Unschuld, die, von »Ausgrenzung« bedroht ist, weil sie gegen diese Eliten aufbegehrt.
Sogwirkung
Als Nachfolgepartei der Völkischen und Deutschnationalen, gegründet von ehemaligen Nazi-Funktionären, ist das Spielen mit derlei Nazi-Jargon nichts Unbeabsichtigtes, sondern bewusster Tabubruch und strategisches Mittel zum Transport antidemokratischer Inhalte.
Dass sich immer weniger Menschen an diesen Inhalten zu stören scheinen, sondern es ein breites Bedürfnis gibt, diese anzunehmen, zeigt sich nicht nur an den aktuellen Wahlumfragen. Auch der journalistische Umgang weist eine gefährliche Gewöhnung auf. Ganz zu schweigen von den zwei anderen größeren wahlwerbenden Parteien. Die konservative ÖVP versucht mit ihrem rassistischen Migrationsdiskurs auf diesem Feld die FPÖ rechts zu überholen und koaliert in mehreren Bundesländern mit den Rechtsradikalen. Und auch der situationselastische Antifaschismus der Sozialdemokratischen Partei bietet keine rosigen Aussichten, so können sich auch dort einige Funktionär*innen eine Koalition mit der FPÖ vorstellen, wie die burgenländische SPÖ auch ganz praktisch unter Beweis gestellt hat.
Eine drohende Regierungsbeteiligung der FPÖ bedeutet nicht nur einen Umbau des Staates und das Schleifen seiner zivilen Institutionen, Vorbild ist hier das benachbarte Ungarn und die mittlerweile dauerregierende »Fidesz« von Viktor Orbán. Sie bedeutet die verschärfte Gängelung von Geflüchteten, Arbeitslosen und von Armut Betroffenen. Diese autoritäre Form der Krisenbearbeitung hat nicht nur in Österreich Hochkonjunktur – Kritik aus der Europäischen Union ist nicht zu erwarten, vielmehr ist zu befürchten, dass es Beifall und Unterstützung durch die Europäische Rechte geben wird.
Dieser Artikel stammt vom antifaschistischen Magazin der rechte rand. Dort werden tiefgreifende Recherchen und Analysen sowohl über historische Ereignisse als auch über aktuelle Themen veröffentlicht. Alle zwei Monate erscheint das Magazin, einzelne Artikel daraus werden auf der Website veröffentlicht.