Zwischen 1919 und 1923 kam es zu hunderten von rechten Morden in Deutschland. Circa 30 waren „Fememorde“ – und richteten sich gegen die eigenen Reihen.
Der historische Hintergrund
Als die Novemberrevolution im Jahr 1918 in Deutschland die Monarchie und den Krieg beendete, entstand über Nacht eine extrem rechte und gewaltbereite Subkultur, die es zuvor in Deutschland nicht gegeben hatte. Innerhalb weniger Wochen wurde die Reichswehr demobilisiert und zehntausende junger Männer, die eben noch unter Waffen an der Front gestanden hatten, fanden sich in einem neuen Staat und vielfach ohne Perspektive wieder. Während die Revolution auch von revolutionären Soldaten getragen worden war, entstand parallel eine breite Subkultur von ehemaligen Soldaten, die als Freikorps die Kämpfe weiterführen wollten. Der Feind: die Arbeiterbewegung, Juden und demokratische Politiker, welche für die Niederlage im Weltkrieg verantwortlich gemacht wurden.
Tausende setzten so den Krieg weiter fort. So kämpften z.B. im Baltikum Freikorps gegen die Rote Armee und wuchsen auf eine Armee von 40.000 Mann an. Als diese schließlich auf Druck der „Entente“1Das dreifache Staatenbündnis („Triple Entente“) zwischen Frankreich, England und Russland entstand im Ersten Weltkrieg. Später schlossen sich noch weitere Staaten als Kriegsverbündete an. Dieser Zusammenschluss wurde vereinfachend „Entente“ genannt. von der Deutschen Regierung aufgelöst wurden, empfanden sie dies als Verrat. Sie schlossen sich Geheimbünden, völkischen Organisationen oder der illegalen „Schwarzen Reichswehr“ innerhalb des Deutschen Reichs an – und bildeten den Grundstock für die spätere SA der Nationalsozialisten. Diese schnell gewachsene rechtsterroristische Subkultur sah Gewalt als ein normales Mittel an – so wie man während des Weltkrieges gegen äußere Feinde vorgegangen war, ging man jetzt auch innerhalb des Landes vor.
Die Opfer
Zwischen 1919 und 1922 gab es circa 376 politisch motivierte Morde. Davon wurden 354 durch rechte Täter durchgeführt, jedoch nur 22 durch Linke. Während sich ein Teil der Attentate gegen prominente politische Gegner richtete – zu den bekanntesten Opfern zählen Politiker wie Matthias Erzberger, Walther Rathenau und Kurt Eisner – trafen die sogenannten „Fememorde“ Leute aus den eigenen Reihen. Ungefähr 30 Fememorde sind heute bekannt, die sich gegen „Verräter“ richteten und ein Akt der Selbstjustiz waren. Der Begriff „Feme“ stammt dabei aus dem Mittelalter und bezeichnete geheime Todesurteile, die in Abwesenheit des Angeklagten und ohne ein reguläres Gericht gefällt wurden.
So wurde 1920 bei München die 19-jährige Maria Sandmayer erdrosselt, weil diese ein geheimes Waffenlager der Einwohnerwehr verraten wollte. Neben der Leiche ein Zettel: „Du Schandweib hast verraten Dein Vaterland Du wurdest gerichtet von der Schwarzen Hand“. Im gleichen Jahr wurde in der Nähe von Greifenhagen, südlich von Stettin, dem 20-jährigen Willi Schmidt mehrmals in den Kopf geschossen, danach noch auf ihn eingeschlagen. Anschließend vergrub man ihn im Wald. Der Vorwurf: Er habe einen Transport von Waffen an die Polizei verraten wollen. Später vor Gericht konnte keiner der Angeklagten sich mehr erinnern, was der „Beweis“ für den angeblich geplanten Verrat gewesen sei.
Auch Menschen, die über die rechten Täter berichteten und Informationen sammelten, lebten gefährlich. Am 9. Juni 1921 wurde der linke Landtagsabgeordnete (USPD) Karl Gareis in Schwabingen vor seiner Haustür erschossen, da er über die Taten der Einwohnerwehren berichtet und deren Auflösungen verlangt hatte. Die Täter wurden nie gefasst, werden aber aus den Reihen der „Organisation Consul“ vermutet.
Auch der spätere Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, war Teil dieser Geheimstrukturen und Täter in einem Fememord. Im Mai 1923 machten er und seine Kameraden den 23-jährigen Walter Kadow in Parchim betrunken, misshandelten ihn in einem Waldstück, schnitten ihm dann die Kehle durch und schossen ihm in den Kopf. Der Vorwurf: Er sei Kommunist gewesen und würde „mit den Franzosen“ zusammenarbeiten. Tatsächlich war Kadow ebenfalls Mitglied einer rechten Organisation gewesen. Kurz zuvor, an Ostern 1923, hatten Mitglieder der „Schwarzen Reichswehr“ einen „Verräter“ in Küstrin ermordet. Dieser habe angeblich ebenfalls für die „Entente“ gearbeitet.
Die Organisation
Sowohl die politischen Attentate als auch die Fememorde wurden nicht durch Einzeltäter begangen. Immer waren die Täter Teil einer größeren Organisation und eines Sympathisanten-Umfelds, auch wenn dieses nur teilweise zentral gesteuert wurde. Eine der bekanntesten Organisationen, aus denen Attentäter und Fememörder kamen, war die „Organisation Consul“ (OC). Schon in ihrer Satzung war festgehalten: „Verräter verfallen der Feme“.
Wichtiger als dieser relativ kleine Geheimbund war jedoch die „Schwarze Reichswehr“. Der Versailler Vertrag hatte die Armee der Weimarer Republik auf eine Größe von 100.000 Mann begrenzt (vor dem Krieg: circa 800.000 Mann) und verbat schwere Waffen wie Panzer oder Flugzeuge. Um diese Beschränkungen zu umgehen entstand eine „Schattenarmee“ – die „Schwarze Reichswehr“. Diese unterhielt Waffenlager und arbeite im geheimen an einer erneuten Aufrüstung und der Ausbildung von Soldaten. Sie sollte sowohl den Kampf nach innen, z.B. gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung führen, als auch für eine Auseinandersetzung mit den Armeen anderer Länder bereitstehen.
Das Besondere der „Schwarzen Reichswehr“ war, dass diese tausende Männer verschiedener rechtsradikaler Organisationen anzog – und gleichzeitig von staatlichen Instanzen, wie der Reichswehr, geführt, unterstützt und gedeckt wurde. Vieler dieser Männer nahmen wenige Jahre später Führungspositionen in der NSDAP ein. Die fast unkontrollierte Waffenabgabe an Mitglieder der „Schwarzen Reichswehr“ befeuerten die Bürgerkriegsstimmung von Rechts und führte schließlich sogar zu Putschversuchen seitens einzelner Verbände der „Schwarzen Reichswehr“ („Küstriner Putsch“) – die aber scheiterten. Journalisten die über die heimliche Aufrüstung durch die „Schwarze Reichswehr“ berichteten, wurden vor Gericht gestellt und wegen „Verrat militärischer Geheimnisse“ verurteilt.
Neben der „Schwarzen Reichswehr“ und zahlreichen Geheimorganisationen gab es, besonders in Bayern, eine Vielzahl von offen agierenden „Einwohnerwehren“, auf deren Konto ebenfalls eine Vielzahl an Erschießungen und Fememorden ging.
Die Mischung aus ehemaligen Soldaten, Freikorpskämpfern, illegaler Reichswehr und terroristischen Geheimbünden wurde auch durch die Schaffung von sogenannten „Landwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaften“, besonders im Norden und Osten Deutschlands, gefördert. Die Reichswehr entzog sich den Waffenkontrollen der Entente auch durch zahlreiche Waffenverstecke in Schlössern, stillgelegten Fabriken und Höfen. Die Gutsbesitzer beschäftigen die ehemaligen Soldaten und Freikorps-Leute – die dafür als Streikbrecher gegen Landarbeiter zur Verfügung standen.
In dieser Atmosphäre konnten Straftaten fast ungestört vorbereitet – und Fememorde kaum verfolgt werden. Das ständige Agieren mit Waffen und die Bereitschaft, diese ohne viel Nachdenken gegen „Verräter“ und Feinde einzusetzen – gepaart mit einer „Spitzelpsychose“ und ständigen Aufstandsplänen, bildeten einen tödlichen Cocktail, der sich, zumindest teilweise, auch gegen die eigenen Leute entlud.
Die Urteile
Die Fememorde wurden nur unzureichend gerichtlich geahndet, da eine zu tiefe Ermittlung die Verstrickung der Fememörder mit Reichswehrkreisen zu Tage gefördert hätte. So wurde zwar der spätere Auschwitz-Kommandant Höß zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt – konnte dieses aber nach Amnestie nach vier Jahren schon wieder verlassen.
Während die Mörder aus dem linken Lager mit äußerster Härte bestraft wurden, konnten Mörder aus dem rechten Lager mit großer Nachsicht rechnen. Bei allen 354 rechten Morden zwischen den Jahren 1919 und 1922 kam es bei Gerichtsprozessen zu keiner einzigen Hinrichtung. Die durchschnittliche Haftdauer betrug nur vier Monate pro Mord.
Die Verfolgung und Ermordung von Gegnern durch rechte Terrorkommandos begann also nicht erst 1933: Eigentlich begannen diese sofort nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg 1918 – und endeten erst mit der totalen Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und der Teilung in zwei Staaten.
Das rechte militärische Untergrundstrukturen kein Relikt einer fernen Vergangenheit sind, zeigt nicht zuletzt der „Reichsbürgerprozess“ gegen Heinrich Prinz Reuß in Stuttgart. In allen Bundesländern sollten „Heimatschutzkompanien“ aufgestellt werden, die „Säuberungen“ durchführen sollten.
Dieser Artikel stammt vom Antifaschistischen Info-Blatt. Schaut gerne mal dort vorbei! Dort gibt es immer wieder gute Rechercheartikel über die rechte Szene, aber auch politische Analysen und Berichte rund um das Thema Anitfa und darüber hinaus.
- 1Das dreifache Staatenbündnis („Triple Entente“) zwischen Frankreich, England und Russland entstand im Ersten Weltkrieg. Später schlossen sich noch weitere Staaten als Kriegsverbündete an. Dieser Zusammenschluss wurde vereinfachend „Entente“ genannt.