Seit einigen Wochen gibt es in den Gemeinden Tamm und Asperg bei Ludwigsburg Protest gegen den geplanten Bau einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Geflüchtete auf dem sogenannten „Schanzacker“.Eine „LEA“ ist eine zentrale und abgeschottete Unterkunft für mehrere hundert Geflüchtete zur Registrierung in Baden-Württemberg. Das Land BaWü versucht gerade an mehreren Stellen, solche Einrichtungen zu planen und bauen.
Ähnlich wie aktuell in anderen Städten, gibt es auch in Tamm/ Asperg Proteste gegen diesen geplanten Bau. In Tamm/ Asperg gab es mittlerweile drei Kundgebungen gegen die geplante LEA, an denen bis zu 1500 Personen teilnahmen. Darüberhinaus tauchten Sticker und Banner im örtlichen Stadtbild auf, eine Unterschriften-Sammlung mit über 3000 Unterschriften wurde gestartet, Vereine und zivilgesellschaftliche Gruppen aus der Region arbeiten zu dem Thema, die lokale Presse berichtete fast täglich und auch überregional schaltete sich die Landesregierung, insbesondere Ministerpräsident Kretschmann, in die Debatte ein.
Im folgenden Text versuchen wir eine erste Einschätzung zur Lage vor Ort (insbesondere der Kundgebung am 7.5.23), den verschiedenen politischen Akteuren und den ersten Ansätzen für eine antifaschistische Praxis zu geben
Situation in Tamm/Asperg:
Der Schanzacker liegt im Gebiet der Stadt Ludwigsburg zwischen den Gemeinden Tamm und Asperg im Landkreis Ludwigsburg – circa 25 km von Stuttgart entfernt. Der Schanzacker ist eine bis jetzt unbebaute Grünfläche mit, für die Region, ökologisch wichtigen Eigenschaften. Er gilt als Frischluftschneise, bietet Platz für Streuobstwiesen und kann große Mengen an Wasser aufnehmen und speichern.
Der Schanzacker gehört zur Stadt Ludwigsburg, liegt geografisch aber deutlich näher an den Gemeinden Tamm und Asperg und ist infrastrukturell vor allem an diese Städte angebunden (die Anbindung ist aber grundsätzlich schwach ausgebaut). Dadurch profitiert Ludwigsburg von Grund- und Gewerbesteuern eines potenziellen Bauprojekts, während viele Konsequenzen eines Projektes auf die Nachbargemeinden abgewälzt werden können.
Bereits in der Vergangenheit gab es zwei Versuche den Schanzacker zu bebauen – durch den geplanten Bau eines Justizkrankenhauses und die Ansiedlung mehrerer Speditionen. Beide Vorhaben sind durch örtlichen Protest gescheitert. Aus dieser Ausgangssituation bilden sich für die aktuelle Situation verschiedene Interessengruppen, mit verschiedenen Zielen und Motiven:
Die Aktuere und ihre Interessen:
Maßgeblicher Akteur rund um die Proteste ist die „Bürgerinitiative Gegen die LEA Tamm/Asperg“ – kurz „GGLTA“, die das Ziel hat, die Bebauung auf dem Schanzacker zu verhindern. Die Bürgerinitiative organisiert die Kundgebungen, wie die Unterschriftensammlungen und betreibt die Öffentlichkeitsarbeit z. B. durch Pressegespräche. Getragen und gegründet wird sie laut eigener Website von Bürgern aus Tamm, Asperg und Umgebung.
Die Bürgerinitiative stellt sich selbst als politisch neutral dar und will sich nicht von Parteien oder anderen politischen Akteuren vereinnahmen lassen und gibt sich auch bemüht, diese Neutralität auf den Kundgebungen umzusetzen. So sind Parteisymbolik, Banner oder Fahnen auf ihren Protesten verboten. Aus dieser Argumentation heraus distanzieren sie sich auch von parteipolitisch rechten Akteuren und haben in der Vergangenheit die „Junge Alternative“ von ihrer Kundgebung verwiesen.
Stattdessen fordern sie den Erhalt des Schanzackers aus verschiedener Motivation, wie „der mangelnden Infrastruktur und Belastung der Kommunen, den „Sorgen“ der Bürger, fehlenden Bürgerbeteiligung bei der Entscheidung und Umweltschutzaspekte“.
Neben der Bürgerinitiative sprechen sich auch die Gemeinden Tamm und Asperg, sowie deren Bürgermeister und verschiedenen Initiativen aus der Umgebung gegen die Bebauung aus:
Die Beweggründe der Gemeinden Tamm und Asperg deckt sich weitestgehend mit denen der Bürgerinitiative. So haben die beiden Bürgermeister auch als Redner bei vergangenen Kundgebungen teilgenommen. Sie tragen den Konflikt vor allem innerhalb des Verwaltungs- und Regierungsapparat aus. Zu den Initiativen gehört u.a. der „Förderverein Hohenasperg“, sowie die Initiative „Ländle leben lassen,aus Umwelt-, Naturschutz- und Landwirtschaftsverbände. Beide argumentieren aus spezifsichen Perspektiven: während der Förderverein für den Erhalt der historischen Bedeutung und Geschichte des Hohenasperg einsteht, steht die Initiative „Ländle leben lassen“ für die Reduzierung von Flächenverbrauch in Baden-Württemberg.
Demgegenüber steht der Landkreis Ludwigsburg und die Landesregierung von Baden Württemberg. Die Stadt und der Landkreis Ludwigsburg sprechen sich für den Bau aus. Zwar werden einzelne Kritikpunkte wie die mangelnde Infrastruktur als korrekt anerkannt, dennoch profitiert der Landkreis potenziell durch den Bau einer LEA auf eigenem Gebiet durch Fördermittel und Grundsteuer.
Auch die Landesregierung spricht sich für den Bau aus und will diesen auch durchsetzen. Die Landesregierung ist aktuell im Handlungszwang, da die momentan in Ellwangen genutzte LEA bis 2025 geschlossen werden soll und eine neue gebaut werden muss. Im Zuge dessen hat Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, angekündigt, den Bau von Geflüchteteunterkünften im Zweifel auch ohne Zustimmung der Kommunen durchzusetzen.
Der Konflikt zwischen Landes-/ Bundesregierung und Kommunen ist eine weitere Konfliktlinie innerhalb des Gesamtkomplexes. Das Auftreten der Landesregierung (Entscheidungen ohne Beteiligung der Menschen vor Ort durchzusetzen) gegenüber der Gemeinde befeuert den Widerstand der Bürgerinitiative weiter.
Einschätzung/ Bewertung
Wir beobachten die Entwicklungen in Tamm und Asperg mit Sorge,gerade weil die Situation komplex ist. Deshalb sind wir am 7.5. nach Tamm gefahren, um die Proteste anzuschauen.
Circa 1500 Personen, vor allem aus der Region, folgten dem Aufruf der Bürgerinitaitive auf das Lehenfeld, in unmittelbarer Nähe zum Schanzacker. Neben Familien mit kleinen Kindern, älteren Paaren und dem örtlichen Sicherheitsdienst waren auch vereinzelt Personen mit klar faschistischen Symbolen: z.B. Wolfsangel- und Hakenkreuztattoos, Blood and Honoure Tattos, rechte Shirts der Marke „Isegrimm Streetwear“ präsent. Teileweise glich die Kundgebung wie ein großes Wiedersehen und hatte einen Evencharakter.
Auf der Kundgebung sprachen verschiedenen Redner, die in unterschiedlicher Gewichtung die oben genannten Argumente wiedergaben. Aber auch offen rassistische Positionen wurden vor allem bei der Kundgebung hörbar und prägen den Protest. So bediente sich vor allem der Hauptredner der „Bürgerinitative“ rassistischer Klischees und schürte bewusst Ängste, um den Protest anzuheizen, z. B. fürchtet er eine zunehmende Kriminalität und sorgt sich um den „Schutz der Mütter, Frauen und Kinder“.
In diesem Kontext scheinen auch die hervorgebrachten Umweltschutzaspekte der „Bürgerinitiative“ eher als vorgeschoben, um die Dynamik der Proteste zu intensivieren und eine breitere Ansprechbarkeit zu erlangen. Eine klare Position gegen die Bebauung aus umwelttechnischen Aspekten kann und darf sich nicht auf rassistische Ressentiments berufen, sondern muss in klarer Abgrenzung von diesen Positionen stehen. Andernfalls werden genau diese rassistischen Positionen zugestimmt und stärkt diese.
Dennoch ist der Protest gegen den Bau der LEA noch nicht von klar rechten Akteuren übernommen und nicht vollständig von rassistischen Positionen durchdrungen, auch wenn man Tendenzen in den Reden und in den Reaktionen der Kundgebungsteilnehmer eine rassistische Grundstimmung wahrnehmen kann. So sind Teile der Argumente nicht von der Hand zu weisen, beispielsweise die Bedeutung der Grünfläche für die Umwelt oder die Kritik an fehlender finanzieller und infrastruktureller Unterstützung, die auch negative Auswirkungen auf die Menschen haben wird, die in der LEA unter widrigsten Bedingungen leben müssen.
Noch hat die „Bürgerinitiative“ die Überhand über die Proteste und verhindert das offene Auftreten von Parteien wie der AfD. Aber es kann nur eine Frage der Zeit werden, bis sich rechte Organisationen dem Protesten widmen oder eigene Proteste anstoßen werden. Schon jetzt gab es einzelne Versuche von der AfD und der JA mit Flyern und Infoständen zum Bau der LEA zu beziehen – noch nicht erfolgreich, aber das muss nicht so bleiben.
Und auch das Potenzial dafür ist da: neben der AfD und vereinzelten Aktivitäten der „Neuen Stärke Partei“, ist der Kreis Ludwigsburg in der Vergangenheit immer wieder im Kontext des NSU, als auch im Zusammenhang mit Aktivitäten des militanten Nazi-Netzwerks Blood & Honour genannt worden.
Mittlerweile hat die „GGLTA“ angekündigt nicht von „Demo zu Demo hüpfen“ zu wollen, sondern den Fokus auf die Unterschriftensammlung zu legen. Das macht den Platz frei für all jene, die den Protest in eine klar rechte Ecke rücken möchten.
Ansätzen für eine antifaschistische Praxis in einer komplizierten Gemengelage:
Wenn 1500 Menschen gegen den Bau einer Unterkunft für Geflüchtete auf die Straße gehen, sollten alle Alarmglocken schrillen. Trotzdem – denken wir – wäre es aktuell falsch als antifaschistische Bewegung zu klassischen Gegenprotesten aufzurufen. Nichts zu tun wäre aber genauso falsch. Wie also handeln in einer solch komplexen Gemengelage?
Wir denken, als antifaschistische Bewegung ist es unsere Aufgabe einen Überblick über die Entwicklungen zu bekommen, die unterschiedlichen Akteure und Gründe zu berücksichtigen und einen angemessenen Umgang mit und gegen die Proteste zu entwickeln.
Dazu gehört auf der einen Seite, die Proteste genau im Auge zu behalten, um frühstmöglich auf Veränderungen reagieren zu können.
Dazu gehört aber auch, all denjenigen, die die Proteste mit rassistischen Parolen und Positionen aufladen wollen, eine Absage zu erteilen und die vorgeschobenen Argumente der „Bürgerinitiative“ und ihren „unpolitischen“ Anstrich zu entlarven.
Auf der anderen Seiten muss es uns darum gehen, diejenigen, die aus berechtigtem Ärger (Umweltaspekte, Ablehnung menschenunwürdigen Unterbringungen etc.) bei den Protesten teilnehmen zu erreichen und den aktuellen Diskurs von Links mitzuprägen. Ein Teil davon muss auch sein, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, deren Politik unter anderem Krieg und Flucht (mit)verursachen. Auch ist es wichtig, das unmenschlichen System-LEA (https://leawatch.noblogs.org/) zu kritisieren und ihm eine gelebte Solidarität von unten entgegen zu setzen.
Und in letzter Konsequenz müssen wir der potenziellen Vereinnahmung von Rechts und der Entstehung von rassistischer Dynamik, wenn nötig auch auf der Straße, entschieden entgegentreten!