Die Eroberung der Fläche

Die Kommunalwahlen im Mai und Juni waren für die AfD ein großer Erfolg, vor allem in Ostdeutschland. Aus antifaschistischer Perspektive ist es fünf nach zwölf. Die AfD ist im Osten nun vielerorts stärkste Kraft. Im Verbund mit anderen Rechtsaußenparteien und Wählergemeinschaften existieren oft sogar klare rechte Mehrheiten. Mehr noch: Insgesamt gibt es kaum noch Kommunen mit Mehrheiten links von Union, FDP und Co. Selbst in Leipzig oder Halle ist das Geschichte. Nur wenige Städte wie Potsdam oder Jena konnten sich eine potenziell progressive Mehrheit erhalten. Gewählt wurde in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie in den Hamburger Bezirken.

Die Feinanalyse offenbart: Insgesamt konnten mindestens 12.231 Kandidierende der AfD nach den vorliegenden vorläufigen Ergebnissen mindestens 6.672 Mandate in 1.593 Gremien erlangen. Das entspricht nahezu einer Verdopplung der 3.368 Sitze von 2019 in den neun Bundesländern und einer Steigerung um gut die Hälfte der damals 1.008 Gremien mit AfD-Vertreter*innen. Bundesweit kam die Partei bei den jeweils letzten Wahlen damit auf mindestens 8.501 kommunale Sitze in 2.448 Gremien.

Auf allen Ebenen

Die Präsenz der AfD auf den Verwaltungsebenen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Bis auf die Stadt und Region Saarbrücken sowie den Kreistag im baden-württembergischen Sigmaringen stellt die Partei künftig in fast allen Gremien der Kreisebene Verordnete. In den Gemeindeverbänden sind etwa ein Viertel AfD-Verordnete, in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden jede*r Sechste und in den Gemeindeteilen nur gut sieben Prozent. In den Landkreisen und kreisfreien Städten der Bundesländer gehört nun jede*r fünfte Verordnete zur AfD. In den Bundesländern zeigen sich hierbei – auch aufgrund der teilweise sehr spezifischen Verwaltungsstrukturen und Wahlgesetzgebungen – große Unterschiede. In Rheinland-Pfalz ist die Partei nur in gut einem Prozent der Räte der kreisangehörigen Städte und Gemeinden vertreten. In Sachsen-Anhalt sind es dagegen rund 57 Prozent, in Sachsen rund 62 Prozent und im Saarland zwei Drittel. Bei den Vertretungen der Gemeindeteile stechen Sachsen und Sachsen-Anhalt mit 13 beziehungsweise 16 Prozent der Gremien hervor.

Von den insgesamt vergebenen Sitzen stellt die Partei in den Kreisen und kreisfreien Städten in Westdeutschland zwischen neun Prozent in Hamburg und fast 15 Prozent der Mandate in Rheinland-Pfalz. Im Osten liegt sie hier zwischen 26,5 Prozent in Thüringen und 29 Prozent in Sachsen. Bei den eigenständigen, kreisangehörigen Kommunen sind es in Rheinland-Pfalz 0,4 Prozent, in Sachsen und Sachsen-Anhalt jeweils mehr als jeder sechste Sitz.

»Strukturprobleme«

Durch die Presse ging in den letzten Tagen die Meldung, die AfD könne viele ihrer Mandate nicht besetzen, was für ihre strukturelle Schwäche spreche. Tatsächlich ist die Zahl der unbesetzten Mandate noch deutlich höher als medial und von der Partei selbst behauptet. So wurde die AfD Brandenburg mit der Angabe zitiert, sie könne 41 ihrer Sitze nicht ausfüllen – real sind es 97. In Sachsen sind es nicht 113, wie zu lesen war, sondern 252. Insgesamt sind es im Osten 599 Mandate, im Westen neun – alle im Saarland. Dass das Phänomen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht auftritt, liegt am dortigen Wahlsystem, in dem praktisch keine unbesetzten Mandate möglich sind. Dort ging die Partei in mehreren Städten und Gemeinden mit zu wenigen Kandidat*innen stattdessen komplett leer aus.

Mag es auch (noch) an Personal mangeln: Die unbesetzten Mandate sind kein Zeichen von Strukturproblemen, sondern im Gegenteil Ausdruck eines erfolgreichen Strukturaufbaus. Aktuell wird die AfD trotz des Rückgangs der letzten Monate von einem Umfragehoch getragen. Das führt auch zu mehr Mitgliedern und Kandidat*innen. Genau deshalb ist die Zahl der Gremien mit AfD-Kandidaturen im Vergleich zu vor fünf Jahren um gut die Hälfte gestiegen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden viele der aktuell noch »strukturschwachen« Ortsverbände bei den nächsten Wahlen genug Bewerber*innen aufbieten und zusätzlich in etlichen Kommunen Neuantritte mit wieder »zu wenigen« AfDler*innen zu beobachten sein.

Umgekehrt musste die AfD auch Rückschläge hinnehmen. So gab es mehr als 150 Gremien, zu denen die AfD 2019 antrat, in diesem Jahr aber nicht mehr. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: von altersbedingtem Rückzug oder Umzug über Austritte aufgrund der angeblich überraschenden Radikalisierung und/oder Angst um den Job im öffentlichen Dienst bis hin zu parteiinternen Machtkämpfen und persönlichen Querelen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Gremien, zu denen die AfD aus formalen Gründen nicht zugelassen wurde – etwa weil sie sich nicht auf eine einzige Liste einigen konnte.

Frauenanteil schwach, aber steigend

Nach bisherigem Stand (23.6.2024) gingen bei diesen Kommunalwahlen 1.080 oder 17,8 Prozent der 6.064 besetzten AfD-Mandate an Frauen. Damit liegt ihr Anteil rund vier Prozent höher als noch 2019. Gleichwohl ist der Frauenanteil 3,3 Prozent geringer als auf den Wahllisten, auch aufgrund der oft hinteren Platzierungen. Zwar fällt der Frauenanteil an Mandatsträger*innen gegenüber den Kandidierenden überall ab, im Westen aber viel deutlicher als in Ostdeutschland. Lag der Anteil der Bewerber*innen im Osten mit 19,4 Prozent noch deutlich unter dem Westniveau von 23,3 Prozent, dreht sich das Verhältnis auf einen Anteil von 18,4 Prozent an den realen Mandaten im Osten und nur noch 15,9 Prozent im Westen. Eine detaillierte Analyse, ob Frauen im Westen noch schlechtere Listenplätze bekommen und/oder im Osten eher gewählt werden, könnte interessant sein, ist aber an dieser Stelle nicht zu leisten.

Bei den bundesweiten Gremien mit AfD-Sitzen liegen Ost und West (jeweils ohne Berlin) nun gleichauf bei 1.236 zu 1.227. Bei den real besetzten Mandaten ist der Osten mit 4.655 zu 3.151 (59,6 zu 40,4 Prozent) deutlich vorn. Allerdings wird der Westen in den kommenden beiden Jahren bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Niedersachsen wieder auf- und überholen, falls der Aufschwung der AfD nicht gebrochen wird.

»Die Heimat« und »Freie Sachsen«

Die in »Die Heimat« umbenannte NPD und ihr nahestehende Listen wie das »Bündnis Zukunft Hildburghausen« um Tommy Frenck in Thüringen, die »Wählergemeinschaft Heimatliebe« um Sven Krüger oder die Wählergruppe »Heimat und Identität« um Andreas Theißen (beide Mecklenburg-Vorpommern) erreichten mindestens 104 Sitze. Davon gehen acht an Frauen, sechs Mandate bleiben unbesetzt. Die Liste der Mandatsträger*innen liest sich teilweise wie eine Auswahl der NPD-Landtagsfraktionen vor mehr als zehn Jahren: Jürgen Gansel, Johannes Müller, Mario Löffler (alle Sachsen), Michael Andrejewski und David Petereit (Mecklenburg-Vorpommern). Dazu kommen weitere bekannte Kader wie Andreas Karl (Sachsen-Anhalt), Klaus Beier und Manuela Kokott (Brandenburg), Peter Schreiber und Carmen Steglich (Sachsen). Einen besonderen Erfolg konnte »Die Heimat« im Ortsteil Gohrau von Oranienbaum-Wörlitz (Sachsen-Anhalt) verbuchen. Von der medialen Öffentlichkeit unbeachtet, wurde dort Benjamin Focke – als einziger Kandidat – zum Ortsvorsteher gewählt. Zwar verlor die Neonazipartei gegenüber 2019 über 30 Mandate. Neu hinzugekommen sind aber die »Freien Sachsen«, auf deren Listen zahlreiche bekannte »Die Heimat«-Funktionäre und andere Neonazis standen.

Insgesamt kommt die neue Partei auf mindestens 95 Mandate in 55 Gremien, darunter 32 in allen Kreisen und kreisfreien Städten. Zu den neuen Räten zählen neben Martin Kohlmann und Stefan Hartung auch zugezogene, altbekannte Neonazis wie der Ex-Dortmunder Michael Brück, Christian Fischer aus Niedersachsen, der ehemalige Berliner Lutz Giesen oder Thorsten Crämer, der aus Nordrhein-Westfalen nach Sachsen gekommen ist. Auch die schon genannten sächsischen »Die Heimat«-Kader haben für die »Freien Sachsen« Mandate geholt.

Kategorie »Sonstige«

Dagegen konnte die Konkurrenzpartei »Der III. Weg« nur im Kreistag der Prignitz (Brandenburg) einen Sitz verbuchen. Kleinstparteien wie das »Bündnis Deutschland« (6 Sitze), die »Deutsche Soziale Union« (zwei Sitze), die »Gerechtigkeitspartei – Team Todenhöfer« (ein Sitz) und wenige Listen christlicher Fundamentalist*innen sind kommunalpolitisch zumindest existent. Auch die »Deutsche Volksunion Rheinpfalz e.V.« oder »Pro Heilbronn« um den früheren »Die Republikaner«-Landtagsabgeordneten Alfred Dagenbach bringen es auf je einen Sitz. Punktuell erfolgreicher sind alte und neue Wählergruppen wie das »Bündnis Zukunft Gestalten« um Johannes Nitzsche (22 Sitze in Oßling, Sachsen) oder die »Konservative Mitte e. V.« (12 Sitze, Freital). In Dresden konnten die »Freien Wähler Dresden« um Susanne Dagen mit elf und das »Team Zastrow/Bündnis Sachsen 24« um den früheren FDP-Fraktionschef Holger Zastrow mit 21 Sitzen in Stadt und Ortsteilen punkten. In Westdeutschland konnten zudem einige türkisch-nationalistische Parteien und Listen wie das »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit« oder »Vision Aalen« Mandate erringen.

Rund 30 Sitze gingen an Vertreter*innen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum, darunter neben »dieBasis« unter anderem an die völkisch-antisemitischen »Anastasia«-Siedler*innen von »Schönes Wienrode« (Sachsen-Anhalt) und die »Mittelstandsinitiative« in Brandenburg (vier Sitze).

Zunehmende Bedrohung

Zukünftig werden – nicht nur im Osten – zivilgesellschaftliche Projekte, die sich klar gegen die extreme Rechte stellen oder sich nicht konform zu den sich rasant nach rechts entwickelnden Konservativen und Libertären verhalten, einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein. Rechte Mehrheiten werden reihenweise Gelder streichen oder zumindest auf ein Maß begrenzen, mit dem die Durchführung vieler Maßnahmen nicht mehr möglich sein wird. Aber auch Kinder- und Jugendhilfe, Soziokultur, Sportvereine, Museen und Theater werden zunehmendem Druck ausgesetzt sein. Besonders soziale Einrichtungen wie Beratungsstellen zur Schwangerschaftsberatung oder in der Suchthilfe, Gleichstellungsprojekte für Frauen, queere oder beeinträchtigte Menschen, Integrationsprojekte für Geflüchtete stehen im Fokus der Rechten. Auch in der Bildungspolitik mit den Feindbildern »Inklusion«, »Frühsexualisierung«, »Schweinefleischverbot«, »Neutralität« der Gedenkpolitik mit lokalen NS-Gedenkstätten und dem Umgang mit kolonialem Erbe wird sich der kommunale Rechtsruck niederschlagen. Ebenso werden Klima- und Umweltschutzkonzepte, ökologische Verkehrspolitik, sozialer Wohnungsbau oder kommunale Gesundheitseinrichtungen nicht mehr selbstverständlich sein. In den kommunalen Verwaltungen bekommt die extreme Rechte über ihr teilweise zustehende Dezernent*innenposten Zugang zu sensiblen Daten. In Verwaltungen und bei kommunalen Eigenbetrieben könnten zudem Gender-Verbote gesetzt werden und der Zugang zu öffentlichen Räumen ausgehebelt werden. Unter neuen Schwerpunktsetzungen für die Ordnungsämter werden wohl als erstes Obdachlose und unliebsame Kultureinrichtungen oder Gastronomiebetriebe leiden. Letztere sollten gezielt »unter Druck gesetzt werden«, wie der sachsen-anhaltische AfD-Landtagsabgeordnete, Ulrich Siegmund, beim Potsdamer Geheimtreffen vorgeschlagen haben soll.

Nicht zuletzt wird es zukünftig in vielen Fällen keine Zustimmung mehr zur Beantragung beziehungsweise Verlängerung von Projekten geben, die aus Bundes- oder Landesprogrammen zur Demokratieförderung finanziert werden. Dass die betreffenden Länder oder der Bund ihre Regularien entsprechend ändern, erscheint angesichts der grassierenden Kürzungsforderungen unwahrscheinlich. Stattdessen wird es vielleicht bald häufiger Meldungen von kommunaler Förderung für rechtskonservative bis extrem rechte Jugendprojekte geben. Entsprechende Vereine existieren teilweise bereits, etwa im Umfeld rechter Studierendenverbindungen oder der »Identitären«. Sie könnten bald auch in manchen der neu zu besetzenden Jugendhilfeausschüsse sitzen. Das meiste davon war punktuell schon in den letzten Jahren zu beobachten, droht nun aber flächendeckend und nicht nur im Osten der Republik.

Kommunalpolitik betrifft viele Bereiche. © Mark Mühlhaus / attenzione

Die selbst geschaffenen Leerstellen können dann von der extremen Rechten mit ihren Inhalten gefüllt werden. Und um auch das noch einmal zu wiederholen: Dazu stehen ihnen künftig viele neue, bezahlte Stellen in den Geschäftsstellen der Fraktionen größerer Kommunen und der Kreistage zur Verfügung. Nach den bevorstehenden Landtagswahlen könnte diese Entwicklung mit neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen noch einmal einen Schub bekommen. Beim derzeitigen Tempo der Auflösung zivilisatorischer Standards braucht es dazu wohl nicht einmal eine AfD-Regierungsbeteiligung. Diesen massiven Rückschritt zurückzudrehen, wird progressive Kräfte über viele Jahre beschäftigen. Doch zuerst muss er gestoppt werden.

Welche Rolle das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) dabei spielen möchte, hat die saarländische Co-Parteichefin Astrid Schramm am Tag nach den Wahlen klar gemacht, als sie eine kommunale Zusammenarbeit mit der AfD bei »inhaltlichen Überschneidungen« als denkbar bezeichnete. Solche Überschneidungen finden sich zwischen den beiden Parteien bekanntermaßen reichlich, was in vielen Kommunen zukünftig live beobachtet werden kann.


Dieser Artikel stammt vom antifaschistischen Magazin der rechte rand aus der Ausgabe Ausgabe 208 – Mai/Juni 2024 . Wir können euch nur wärmstens ans Herz legen dort einmal zu stöbern. „der rechte rand“ veröffentlicht Recherchen und Analysen sowohl über historische Ereignisse als auch über aktuelle Themen. Alle zwei Monate erscheint das Magazin, einzelne Artikel daraus werden auf der Website veröffentlicht.

Der Autor des Artikels Tilo Giesbers veröffentlichte gemeinsam mit Ulrich Peters (Teil des Redaktionskollektivs des Antifaschistischen Infoblatts) bei der Rosa Luxemburg-Stiftung die Analyse „Abstimmungsverhalten der AfD im Bundestag – Ein Blick auf den parlamentarischen Alltag entzaubert die Selbstinszenierung als «Alternative»

Außenseiterstellung, Opferinszenierung und Eliten-Bashing sind zentrale Elemente in der Eigendarstellung der AfD. Der Anspruch, einzige politische Alternative zu den von ihr häufig so genannten «Altparteien» zu sein, beruht vor allem auf dieser behaupteten prinzipiellen Unterscheidung zu allen anderen Parteien. Für die AfD ist diese Inszenierung von hoher Bedeutung, versucht sie doch, aus ihr einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit und des Zuspruchs ihrer Anhänger*innen zu ziehen. Nur wenn sie sich als völlig anders präsentiert und vom bestehenden politischen System abgrenzt, kann es ihr gelingen, als «Anti-System-Partei» viele Menschen mit ihrem Unmut und Zorn sowie unterschiedlich motivierter Kritik an herrschender Politik hinter sich zu sammeln. Als Partei einer modernisierten radikalen Rechten knüpft die AfD damit immer wieder an Formen der Demokratieverachtung an, wie sie seit der Weimarer Republik kennzeichnend für diese Richtung sind.