Über 40 Personen fanden sich heute [26.10.2022] vor dem Amtsgericht Stuttgart ein, um das Urteil im zweiten Krawallnachtprozess solidarisch zu begleiten. Verschiedene Redebeiträge, welche migrantische Perspektive auf die Krawallnacht, den Ausbau der Überwachung und Repression, sowie strömungsübergreifende Solidarität in der linken Bewegung thematisierten. Bereits von Beginn an, wurde die Kundgebung und ihre Teilnehmer*innen von den Cops schikaniert und schlussendlich hinter eine Kette aus Hamburger Gittern verfrachtet. Zusätzlich kam es zu verschiedenen Anzeigen wegen vermeintlichen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Mit den Urteilen vor dem Amtsgericht ist die juristische Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen. Klar ist aber auch, dass wir von den bürgerlichen Gerichten nichts erwarten dürfen. Vielmehr muss es darum gehen, nun trotz und gerade wegen Repression unsere Seite aufzubauen und solidarisch zusammenzustehen. Solidarität ist dabei mehr als nur eine leere Worthülse. Sie bedeutet ganz praktisch, für einander einzustehen und den Kampf für eine bessere Zukunft weiterzuführen.
Auch die Krawallnachtprozesse konkret sind noch nicht vorbei. Im Januar 2023 folgt der vorerst letzte Prozess vor dem Amtsgericht. Haltet euch die Tage frei und achtet auf weitere Ankündigungen:
Di, 17. & Di, 24. Januar 2023
Weitere Bilder und die Redebeiträge findet ihr auf der Seite der Stuttgarter Roten Hilfe.
Bericht zum 2. Verhandlungstag im Prozess #1:
Am zweiten Tag des ersten Prozesses gegen einen Genossen wegen einer Beteiligung an der „Krawallnacht“ sammelten sich etwa 40 solidarische Prozessbeobachter*innen vor dem Amtsgericht Stuttgart.
Während dem Prozess fand eine Kundgebung mit drei Redebeiträgen statt, welche eine migrantische Perspektive auf die Krawallnacht, den Ausbau der Überwachung und Repression, sowie Solidarität in der linken Bewegung thematisierten. Währenddessen schikanierten die Cops wieder einmal die Teilnehmer*innen mit verschiedensten Vorwänden, schlussendlich stellten sie Hamburger Gitter auf und erstatteten mehrere Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Beide Mitbewohner des Angeklagten wurden als Zeugen vor Gericht geladen. Wozu genau sie aussagen sollten blieb unklar: beide erschienen einfach nicht und verweigerten auf diese Art und Weise konsequent jede Aussage. Zwar räumte der Richter im Prozess dann selbst ein, die Zeugenaussage der beiden nicht wirklich für das Verfahren zu benötigen; die Staatsanwaltschaft beantragte nichts desto trotz die Verhängung eines Ordnungsgeldes über jeweils 300€.
Der restliche Vormittag war dem anthropologischen Gutachter Dr. Andreas Düring gewidmet. Wie schon im Prozess vor 2 Tagen erzählte er ausführlich wie er die, ihm vom Staatsschutz zur Verfügung gestellten, ca. 20 Vergleichsvideos potenzieller, linker Straftäter mit einer Auswahl der 6000 Tatvideos abgeglichen hat. Er selbst gab zu, dass letztere meist sehr undeutlich sind und er vor allem nur die Körperhaltung, Bewegungsabläufe und Kleidung vergleichen konnte. Des Weiteren seien noch sehr undeutliche Aufnahmen von vermummten Köpfen zu sehen, aus denen er trotzdem Kopfform, Augenbrauen, Nase und deren Stellung zueinander erkennen wollte.
Dadurch kam er zum gewagten Schluss, dass der Angeklagte mit der dritthöchsten Wahrscheinlichkeitsstufe „Identität hoch wahrscheinlich“ identisch mit der Person auf den Videos aus der Nacht sei. Beleg hierfür sind für den Gutachter Düring mehr als acht vergleichbare Merkmale; bei über 200 möglichen, zu vergleichenden Merkmalen, zu denen er schlichtweg keine Aussage treffen konnte. Er gestand zwar ein, dass die Wahrscheinlichkeit bei einer größeren Menge von Verdächtigen deutlich niedriger wäre, jedoch ist er sich mit Gericht und Repressionsbehörden einig, dass nur diese Vorauswahl von 20 Personen in den Vergleichsvideos in Frage kommen. Daran änderte auch die umfangreiche Befragung und das Aufzeigen von Widersprüchen der Verteidigung nichts, die in ihrem Schlussplädoyer Freispruch forderte. Denn weder das anthropologische Gutachten noch die gezeigten Videos identifizieren den Angeklagten zweifelsfrei.
Den absoluten Verfolgungswillen der Behörden demonstrierte auch das Urteil von insgesamt 3 Jahren und 2 Monaten. Für die vermeintliche Teilnahme an der „Krawallnacht“ wurde der Angeklagte zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt, die aufgrund einer parallel laufenden Bewährungsstrafe um weitere 8 Monate verlängert wurde.
In der Begründung wurde auch nochmal wie schon im vorherigen Urteil vor 2 Tagen hervorgehoben, dass der Angeklagte im vollen (politischen!) Bewusstsein diese Handlungen begangen habe im Gegensatz zu den Anderen beteiligten.
Denn hinter der „Krawallnacht“ liegt nicht nur ein bloßer Zerstörungswille, sondern soziale Widersprüche einer kapitalistischen Gesellschaft. In denen es um soziale und kulturelle Teilhabe und rassistischen Schikanen seitens der Polizei geht. Es geht auch um beengte Wohnverhältnisse, soziale Missstände und was man sich leisten kann oder eben nicht. Es gilt diese politisch zu thematisieren und praktische Solidarität zu zeigen.
Es wird deutlich worum es hier wieder geht, es soll ganz klar Angst vor Repression geschaffen werden. Die Repressionsbehörden wollen demonstrieren, was es heißt politisch aktiver Teil gesellschaftlicher Widersprüche zu sein.