Die Novemberpogrome 1938
Schon lange vor 1938 gab es systematische Gewalt gegen Jüd:innen in Deutschland. Die Novemberpogrome vom 7. bis 13. November, besonders die „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 stellten dabei allerdings eine neue Qualität der Gewalt gegen Jüd:innen dar. Den Anfang der Pogrome machten dabei organisierte Faschisten aus SA und SS in Zivil, die verschleiern wollten, dass es sich um von den Faschisten im Voraus geplante Angriffe auf Jüd:innen handelte. Es sollte stattdessen das Bild erzeugt werden, dass es sich bei den Pogromen um „spontane Volksaufstände“ handele. Insbesondere in der Reichspogromnacht, aber auch in den darauf folgenden Tagen, wurden Jüd:innen in Deutschland, in Österreich und in der Tschechoslowakei systematisch angegriffen. Sie wurden beraubt, ihre Geschäfte verwüstet und geplündert, Jüd:innen wurden aus ihren Häusern vertrieben, in Konzentrationslager verschleppt oder direkt ermordet. Über 1.400 Synagogen und Gemeindehäuser wurden während den Novemberpogromen angezündet und zerstört, mehr als 30.000 Jüd:innen verhaftet und in Konzentrationslage verbracht und über 1.300 Jüd:innen bereits in diesen Tagen ermordet.
Die politische Bedeutung der Reichspogromnacht
Die Reichspogromnacht war ein wichtiger Schritt für die Faschist:innen hin zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens und der industriellen Ermordung von Jüd:innen. Insgesamt ermordeten die Faschist:innen während der Schoah schätzungsweise 6,3 Millionen Jüd:innen in Europa. Die Verfolgung und Ermordung von Jüd:innen ist mit der Grausamkeit und Systematik eine Besonderheit des deutschen Faschismus, in dem Antisemitismus eine wichtige (ideologische) Bedeutung hat. Die Pogromnacht sollte dabei das Bild des „berechtigten Volkszorns“ gegen Jüd:innen erzeugen, um auch die zukünftigen Gräuel gegen diese als „Volkswillen“ zu rechtfertigen. Viele Menschen aus der Nachbarschaft beteiligten sich auch an den vom Staat organisierten Hetzjagden, die meisten nahmen die Geschehnisse schlicht hin. Doch klar ist: Spätestens mit der Pogromnacht war die Verfolgung und lebensbedrohliche Situation für jüdische Menschen allen offensichtlich.
Antisemitismus als Herrschaftsinstrument
Antisemitismus hat Kontinuität in der deutschen Gesellschaft; schon lange vor dem Entstehen der faschistischen Bewegung waren feindliche Einstellungen gegenüber Jüd:innen weit verbreitet. Eine Funktion von Antisemitismus ist es, einen Sündenbock für bestehende Probleme zu kreieren, damit unsere Klasse zu spalten und Klassengegensätze zu verschleiern.
Historisch behaupteten die Faschist:innen in ihrer Propaganda unter anderem, dass Jüd:innen Schuld an Inflation und Krieg seien. Auch diente Antisemitismus dazu, fortschrittliche Systemkritik als Teil einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung („jüdischer Bolschewismus“) zu darzustellen.
Heute ist in weiten Teilen der Bevölkerung die Erzählung von einer „jüdischen Weltverschwörung“ nicht mehr anschlussfähig. Neben offenem Antisemitismus bleiben aber vor allem Muster und antisemitische Andeutungen immer noch ein relevanter Teil rechter Ideologie und Rhetorik. So wissen Antisemit:innen sofort, wer in Verschwörungserzählungen mit Bezeichnungen wie „Deep State“, „neuer Weltordnung“ und ähnlich abstrakten Begriffen gemeint ist, gleichzeitig bleiben diese Verschwörungserzählungen aber wegen den vagen Formulierungen oft auch für andere Menschen anschlussfähig.
Wer schweigt, stimmt zu!
Die Gefahr von rechts ist in der BRD nicht gebannt und Antisemitismus auch heute noch in der Gesellschaft verwurzelt. Noch immer sind Jüd:innen in Deutschland mit Anfeindungen und körperlichen Angriffen konfrontiert. Ein Problem, das sich mit dem Erstarken verschwörungsmythischer und antisemitischer Erzählungen verschärft hat. In Teilen der extremen Rechten spielt Antisemitismus auch heute noch eine sehr zentrale Rolle. So wird die Shoah von prominenten rechten Persönlichkeiten wie Ursula Haverbeck oder Nikolai Nerling (auch als „Volkslehrer“ bekannt) geleugnet und beide erfahren dafür aus ihrem politischen Umfeld breite Unterstützung.
Auch lange nach der Zeit des Faschismus an der Macht besteht die Gefahr durch rechten Terror weiter. Sie war nie gebannt, sondern viele Täter konnten ihre Tätigkeiten, auch und gerade in staatlichen Institutionen fortsetzen und mussten von einem Staat, der in rechter Aktivität ein probates Mittel zur Spaltung der Gesellschaft und zum Zurückdrängen fortschrittlicher Kräfte sieht, nichts befürchten. Rechte Strukturen erstarken, die Rechtsentwicklung setzt sich aktuell fort, gerade auch in der Krise, und rechte Angriffe sind Alltag:
Erst dieses Jahr wurde an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, die Synagoge in Hannover angegriffen – das hat nicht nur symbolischen Charakter. Rechte Gefahr hört nicht bei zerbrochenen Scheiben auf, sondern geht weiter. Der Anschlag in Halle 2019 auf eine Synagoge und die Menschen die sich darin aufhielten, zeigt, dass Antisemitismus weiterhin eine reale Lebensgefahr für Jüd:innen darstellt. Der Attentäter Stephan Balliet war überzeugter Antisemit.
Rechte Angriffe und Terror richten sich auch gegen andere Minderheiten; gesellschaftliche Hetze fördert immer wieder den Tatendrang von Nazis, deren Aktionen dann auch gesellschaftlich getragen und von staatlichen Stellen mindestens geduldet werden.
Das zeigt sich z.B. am Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, bei dem die Polizei tatenlos zusah und die Politik schlussfolgerte, nicht Nazis seien konsequenter zu verfolgen, sondern Geflüchtete in größerer Zahl abzuschieben um die Situation zu befrieden.
Wir sehen diese Gefahr bei den verstärkten Angriffen ab 2015, bei denen Unterkünfte für Geflüchtete von rechten Mobs belagert, angegriffen und angezündet wurden. Wir sehen es beim rassistischen Attentat in Hanau. Wir sehen, dass der Staat rechten Terror nicht nur duldet, sondern selbst darin verstrickt ist. Sei es bei rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr, oder dem NSU.
Um so wichtiger, dass eine starke antifaschistische Bewegung mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung dem Einhalt gebietet. Dazu gehört nicht zuletzt eine eigene linke Gedenkkultur, die das Gedenken an die Verfolgten und Ermordeten vor dem Vergessen und auch die Erinnerung bewahrt, die im antifaschistischen Kampf ihr Leben ließen.
Im Gegensatz zu oberflächlichen, bürgerlichen Gedenken ist es uns hierbei ein Anliegen, beim Erinnern Lehren aus der Geschichte zu ziehen, sie in unser heutiges antifaschistisches Engagement einfließen zu lassen.
Antifaschistischen Selbstschutz aufbauen!
Wir dürfen uns unsere Handlungsspielräume nicht aus Angst davor einschränken lassen, dass wir uns durch konsequente Gegenwehr diskreditieren oder zur Zielscheibe (z.B. für Nazis und Repressionsbehörden) machen könnten.
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.”Martin Niemöller, Pastor im Dritten Reich
Die Lehre aus vergangenen gesellschaftlichen Rechtsentwicklungen und gewaltsamen Übergriffen von Rechten darf nicht sein, sich zurück zu ziehen, in der Hoffnung nicht zum Ziel zu werden. Sie muss sein, sich solidarisch zusammenzuschließen, kollektiv zu handeln und einen eigenen Selbstschutz aufzubauen. Nicht nur um dem nächsten Pogrom eine angemessene Antwort entgegenzusetzen, sondern auch weil es niemand sonst für uns tun wird und wir gut daran tun heute damit anzufangen!
Lasst uns deshalb den verfolgten und ermordeten Jüd:innen der Pogromnacht Gedenken – im Bewusstsein, dass Erinnern kämpfen heißt!
Hier einige Veranstaltungen anlässlich der Pogromnacht:





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