Solidarische Prozessbegleitung: Nicht angemeldeter Protest gegen Querdenken

Es geht weiter! Am 13.12. steht ein weiterer Prozess an.
Kommt ans Amtsgerich und unterstützt die Angeklagten!

Im Jahr 2020 formierte sich in nahezu allen bundesdeutschen Städten eine rechtsoffene Protestbewegung als Antwort auf die kapitalistische Krise: „Querdenken“. Im Vordergrund der Bewegung steht eine chauvinistische Kritik an den Corona-Maßnahmen, verschwörungsmythische Erzählungen und selbstsüchtige Forderungen nach Freiheit. Die Pandemie wird zum Ursprung allen Übels und Personen, die gerade an der Macht sind, zum Hauptgegenstand des Protests. Schnell zeichnete sich ab: unorganisierte bis organisierte Rechte und Faschisten, über die „AfD“, die „Identitäre Bewegung“, „Zentrum Automobil“ oder dem „Dritten Weg“ beteiligen sich – mal mehr, mal weniger in organisatorischer Funktion – an den Demos der „Querdenker“ und versuchen sich in der Bewegung zu verankern. In Sachsen kam es bspw. aus Demos der „freien Sachsen“ zu Angriffen auf Andersdenkende, Migrant*innen und Journalist*innen.

In Tübingen wurde „Querdenken“ Woche um Woche blockiert. Dafür werden jetzt Antifaschist*innen kriminalisiert. Konkret geht es dabei u.a. um das Abhalten von nicht angemeldetem Protest gegen ihre sog. Lichterspaziergänge.

Staatliche Versuche, der komplexen Pandemie-Lage beizukommen, äußerten sich zu oft schwer verstehbar, pauschal und zeitlich verzögert. Das ist erst mal nicht verwunderlich bei einem System, das akut auf eine weltweite Pandemie reagieren muss, aber in erster Linie nicht auf eine gute Versorgung der Menschen, sondern den Profit ausgerichtet ist. Das führte zur Schließung der Kultur, sinnlosen Ausgangssperren, teilweise undurchschaubaren Maskenregelungen und Rettungspaketen in Milliardenhöhe für Konzerne wie die Lufthansa. Währenddessen bangten Menschen um ihr Kurzarbeiter*innengeld und ihre Arbeitsplätze.

Auch das begünstigte eine rechte Antwort auf die Krise. Anstatt die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ganzes zu kritisieren, stürzt sich die „Querdenken-Bewegung“ auf die Corona-Maßnahmen, kratz an der Oberfläche des Problems und bleibt damit anschlussfähig nach Rechts.

Aber warum wurde blockiert?

Auch aus einer Position der linken Schwäche heraus, war das Credo in erster Linie: Im Interesse der lohnabhängigen Klasse rechte Krisenantworten klein zu halten und pseudosoziale Versprechungen von „AfD“ und Co als Lüge zu entlarven.

Ganz praktisch hieß und heißt das aber auch: Eine rechte Hegemonie auf der Straße zu verhindern und die Spaziergänge der „Querdenker“ zu blockieren. Denn, eine potenzielle Massenbewegung unter Führung von rechten oder faschistischen Kräften ist nicht nur eine unmittelbare Gefahr für viele Menschen, sondern hat auch langfristig Auswirkungen: Die organisierte Rechte erweitert mit einer Beteiligung am „Corona-Widerstand“ nicht nur ihren politischen Einfluss; sie lernt und stärkt sich organisatorisch. Die Protest-Welle wird irgendwann verebben. Politische Ideologie, praktischer Einfluss, aktive Mitstreiter:innen und gesponnene Netzwerke bleiben.

Es spielt keine Rolle, ob antifaschistischer Protest dagegen angemeldet ist oder nicht. Wichtig ist, was er bewirkt. Und in Tübingen hat er dazu beigetragen, „Querdenken“ zu stoppen und eine Dynamik zu verhindern, in der sich, wie in vielen anderen Städten, Rechte und Nazis im Schutz der Masse selbstbewusst in Tübingen bewegen können.

Solidarität in der Krise heißt jetzt: Solidarität mit denen, die vor Gericht stehen!

Kommt zu den Prozessen und unterstützt die Angeklagten.

Alles vorbei?

Dass die aktuelle Lage beschissen ist, steht fest! Mit der Krise 2008 wurden auch in wohlhabenden Industriestaaten gesellschaftliche Widersprüche deutlicher. Corona schien dabei wie ein Brandbeschleuniger zu wirken und legte die Missstände des Kapitalismus für alle sichtbar auf den Tisch. Durch Eingriffe des Staates wurden die heftigsten Auswirkungen zwar abgemildert bzw. kurzfristig verschoben, doch es geht schon weiter: Mit den aktuellen Teuerungen, besonders bei Energie und Gas, steuern wir auf eine Verarmung großer Teile der Bevölkerung zu. Dagegen regt sich linker Protest. Aber auch die Rechten, die innerhalb der Corona-Proteste Erfahrungen gemacht haben, versuchen daran mit eigenen „Krisen-Protesten“ anzuknüpfen.

Mehr denn je heißt es deshalb:

Wir müssen jetzt auf die Straße gehen….
gegen steigende Heiz- und Lebenshaltungskosten, das kaputtgesparte Gesundheitssystem, eine unsoziale Verteilung der Krisenlasten auf unserem Rücken und womöglich auch wieder gegen sinnlose Corona-Maßnahmen (wie die zeitweise geltende Ausgangssperre).

….Aber mit klarer Kante gegen Rechts!
> Denn dort, wo die Rechten in die Regierung gewählt werden, bröckelt ihre „soziale“ Fassade und sie machen Politik für die Reichen, statt in unserem Interesse.

> Ihre Hetze spaltet dort, wo ein gemeinsames Interesse an einer Gesellschaft besteht, in der es um die Bedürfnisse der Menschen geht: bezahlbarer Wohnraum und sichere Arbeitsplätze für alle, eine gute gesundheitliche Versorgung im Sinne der Menschen und nicht für den Profit, kein Krieg und keine Flucht!

…Und: ohne Verschwörungserzählungen, sondern einer klaren Benennung der Profiteure des Systems, samt seiner Krisen.
> Die Profiteure, das sind u.a. die Waffenexporteure und Konzerne, die sich aktuell durch Spekulation – bspw. bei Lebensmitteln und Öl – bereichern, während wir alle uns Sorgen machen, wie wir durch den Winter kommen sollen.

Für uns Antifas heißt das:

V.a. bei uns im Süden sind die Krisen-Mobilisierungen noch klar zuordenbar. Auch als Antifas müssen wir uns an den aktuellen Versuchen des antikapitalistischen Protests gegen die Preiserhöhungen beteiligen und den linken Protest vor rechten Angriffen schützen. Zukünftig sind auch Proteste vorstellbar, die zu Beginn weder klar rechts noch links sind. Dann muss es darum gehen, die Rechten gemeinsam mit anderen aus diesen Protesten zu drängen. Denn: Der Kampf um die Ausrichtung von Protesten kann nur in und mit diesen Bewegungen gewonnen werden, nicht von außen.