Über 850 Skandale mit Rechten in deutschen „Sicherheitsbehörden“

Von Einzelfällen kann keine Rede mehr sein: Mit ihrer nun vorliegenden Broschüre ziehen die Verantwortlichen hinter dem Onlineprojekt »Entnazifizierung jetzt« eine Art Zwischenfazit ihrer Arbeit zu Neonazis und rechten Umtrieben im Sicherheitsapparat der Bundesrepublik. Der Titel »Fünfundfünfzigtausend Schuss« verweist auf das rechtsterroristische »Nordkreuz«-Netzwerk. Dessen Chatadministrator habe 55.000 Schuss Munition gehortet. Sie sei dazu gedacht gewesen, »einen faschistischen Putsch durchzusetzen und Menschen zu töten«.

Herausgeberin der Broschüre ist die Antifa-AG der Interventionistischen Linken Berlin. Mit der Publikation wolle man anhand konkreter Beispiele Zusammenhänge und historische Kontinuitäten aufzeigen, wie es im Editorial heißt. Die Arbeit am Projekt begann demnach am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht. Das Ziel der bislang nur online abrufbaren Materialsammlung sei es, herauszufinden, »in welchem Zusammenhang die sogenannten Einzelfälle stehen«. Innerhalb von zweieinhalb Jahren habe man Informationen zu »mehr als 850 Skandalen« gesammelt und veröffentlicht. »Die große Zahl überraschte und alarmierte uns«, heißt es im Eingangstext zur Broschüre. Erst kurz vor deren Fertigstellung seien die Putschpläne einer Gruppe aus dem »Reichsbürger«-Spektrum mit Beteiligung von Angehörigen der »Sicherheitsbehörden« am 7. Dezember publik geworden, weshalb dieses Beispiel es nicht mehr in die Veröffentlichung geschafft habe. Durch den Fall sei die bisherige Analyse der Herausgeber aber »auf erschreckende Weise« bestätigt worden.

Die Broschüre stellt auch den Versuch dar, das gesamte Spektrum rechter Umtriebe in staatlichen Strukturen abzubilden. Das reicht von rechtsterroristischen Netzwerken wie dem »Nationalsozialistischen Untergrund« und dem »Nordkreuz«- bzw. »Hannibal«-Netz über rechte Chatgruppen von Polizei- oder Justizbeamten bis hin zu alltäglichem (institutionellen) Rassismus und Polizeigewalt. Letztere wird mitgezählt, da »es oft antirassistische und antifaschistische Proteste, aber auch Gedenkveranstaltungen« seien, bei denen »die Polizei und bestimmte Sondereinheiten besonders hart durchgreifen«. Rassistisch motivierte Gewalt von Beamten sei häufig »besonders brutal und folgenschwer«. Als Beispiele werden der in Polizeigewahrsam kollabierten und später gestorbenen Qosay Khalaf und der in einer Polizeizelle verbrannte Oury Jalloh genannt. Verwiesen wird dabei auf Zahlen der Kampagne »Death in Custody«, die bislang 223 Todesfälle nichtweißer Menschen in Polizeigewahrsam gezählt habe.

Die Herausgebenden stellen klar, dass das Problem ohne von außen erzwungene Veränderung bestehen bleiben werde. Es werde weiterhin Faschisten im Apparat geben, sollten »auf die zahlreichen rechten und rassistischen Vorfälle keine Konsequenzen folgen«. Entsprechend fordert die Antifa-AG unabhängige Beschwerdestellen und selbständige Ermittlungen von polizeifernen Beamten ebenso wie unabhängig durchgeführte Studien. Betroffene von Anschlägen, Übergriffen und dem offiziell verbotenen »Racial Profiling« sollen mehr Gehör finden. Außerdem müsse die Arbeit der Behörden vollständig transparent gemacht und diese deutlich entmachtet werden. Denn so, wie sie heute existieren, müsse man sie »nicht als Lösung«, sondern »als grundlegenden Teil des Problems« begreifen.


Unsere Broschüre „Fünfundfünfzigtausend Schuss“ ist da.

von der Antifa-AG der Interventionistischen Linken Berlin

Seit dem 8. Mai 2020 hat unsere Kampagne EntnazifizierungJetzt bereits über 850 Skandale mit Nazis und Rassist*innen in den deutschen „Sicherheitsbehörden“ gesammelt. Wie groß das Ausmaß ist, wollen wir mit der Veröffentlichung unserer Broschüre „Fünfundfünfzigtausend Schuss“ aufzeigen und anklagen.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass es sich nicht nur um „Einzelfälle“ handelt: Nazis und Rassist*innen in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Justiz bilden Netzwerke und nutzen diese Strukturen zur Unterwanderung unserer Gesellschaft. Das Problem ist deutlich größer als von öffentlicher Seite immer behauptet wird. In regelmäßigen Abständen wurden in den letzten Jahren Gruppen enttarnt, die einen Umsturz planten. Ihre Mitglieder waren u.a. Polizisten, Soldaten oder Richter, wie zuletzt im Reichsbürgernetzwerk. Wir sitzen auf einem Pulverfass.

Die Skandale reichen von rechter Propaganda, rassistischen Chatgruppen, Datenabfragen oder Geheimnisverrat bis hin zu illegalem Waffenbesitz, Körperverletzung und Mord in Gewahrsam. „Es geht bundesweit eine reale Bedrohung von Nazis, Rassist*innen und rechten Netzwerken in den „Sicherheitsbehörden“ aus. Die vielen Fälle, die wir beobachten und analysieren konnten, hatten dennoch so gut wie keine ernsthaften Konsequenzen zur Folge.

55.000 – diese Zahl ist für uns deshalb auch eine symbolische. Sie steht für die Gefahr, die von den Nazis, Rassist*innen und rechten Netzwerken in Polizei, Bundeswehr, VS oder Justiz ausgeht. Denn diese Munition war dazu gedacht, einen faschistischen Putsch durchzusetzen und Menschen zu töten.

Ein gedrucktes Exemplar könnt ihr unter info@entnazifizierungjetzt.de bestellen.