Am 22. Juli 2011 wurden bei einem Attentat auf das Sommerzeltlager der norwegischen sozialistischen Jugendorganisation Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF) sowie bei einem Bombenanschlag im Regierungsviertel in Oslo insgesamt 77 Menschen von einem Rechtsradikalen ermordet. Wir, die Sozialistische Jugend – Die Falken Heidelberg und die Jusos Heidelberg wollen am 22. Juli 2023 gemeinsam unseren ermordeten Genoss*innen gedenken und ein Zeichen gegen rechten Terror setzen.
Dabei ist klar: Auch in Deutschland setzt sich die Gewalt von rechts seit Ende des zweiten Weltkriegs kontinuierlich fort. Das Attentat von München 2016 oder die rechten Terrorangriffe in Halle und Hanau sind dabei nur einige Beispiele. Diese Vorfälle sind keine vereinzelten Taten von Neonazis, sondern ergeben sich aus einem Rassismus und rechten Ideologien, die sich in breiten Teilen der Gesellschaft finden und den Diskurs über rechte Gewalt und rechten Terror prägen.
Als sozialistische Jugendverbände sind wir wütend über diese Zustände und kämpfen für eine andere Welt: Für demokratische Bildung, Gleichstellung und Vielfalt der Geschlechter, Koedukation, Antirassismus, Antifaschismus und Arbeiter*innenselbstorganisation. Darum veranstalten wir am 22. Juli um 19 Uhr am Marktplatz eine Kundgebung: Um unseren ermordeten Genoss*innen zu gedenken und unserer Wut über die Verhältnisse Ausdruck zu verleihen. Kommt vorbei – wir sehen uns auf der Straße
Veranstaltungshinweise findet ihr auf den Instagram-Profilen der Falken Heidelberg & Stuttgart
Im Antifa-Infoblatt wurden mehrere Artikel zum Thema veröffentlicht; unter anderem ein Interview mit einer Antifa-Aktivistin aus Oslo (Breiviks politischer Hintergrund), der Bericht Der Breivik-Prozess und eine Analyse zu den Parlamentswahlen und dem Rechtsruck 2013 in Norwegen (Trotz oder wegen Breivik?).
Zum Einstieg empfehlen wir euch den im Herbst 2011 (Ausgabe 92 / 3.2011 | 15.09.2011) erschienen Artikel von Mathias Wagst direkt zu den Anschlägen in Oslo und Utøya und den Hinter- und Beweggründen des Rechtsterroristen:
Terroranschläge in Norwegen
Es ist schrecklich. Das Massaker auf der Insel Utøya und im Regierungsviertel in Oslo sind die heftigsten Terroranschläge, die jemals gegen die skandinavische Arbeiter_innenbewegung gerichtet waren. Wie konnte das passieren? Die ersten offiziellen Reaktionen versuchten, den Anschlägen die politische Dimension zu nehmen und sie als Taten eines Wahnsinnigen zu isolieren. Um die Anschläge und deren Ursachen zu verstehen, muss aber festgestellt werden, dass es politische Taten waren. Politisch motiviert und gegen andere politische Überzeugungen gerichtet.
Die Gründe/Motive für die Terroranschläge liegen im Rechtspopulismus der extremen Rechten, welcher heutzutage als salonfähig angesehen wird. Selbst definiert sie sich beschönigend als »einwanderer- und islamkritisch«. Eine extreme Rechte, die mehr europäisch agiert als national, mehr pro-israelisch als antisemitisch auftritt und mehr antimuslimisch und kulturrassistisch argumentiert als rassenideologisch. Sie sehen den Kulturkampf als bedeutungsvolle Arena und verkleiden ihre Rhetorik (auf ihre Art) als »antirassistisch« und offen, um der Stigmatisierung als rechts zu entgehen.
Es besteht kein Zweifel mehr, dass Anders Breivik das Massaker lange Zeit geplant hatte. Das Jugendlager wählte er als Ziel, um den größtmöglichen Schock und die maximale Verbreitung seiner Theorien, zusammengefasst in seinem sogenannten Manifest »2083- A european Declaration of Independence«, zu gewährleisten. Ein Tagebuchteil des Manifestes beschreibt die detaillierte Planung der Terroraktionen und diese gehören somit zu den am besten dokumentierten Anschlägen überhaupt. Inspiration bekam Breivik unter anderem von einem wichtigen Flügel der neuen extremen Rechten, dem Counter Jihad. Sie vertreten, genau wie Breivik, die Theorie um Metapolitik und Kulturkampf. Die Counter Jihad Bewegung ist aus der islamfeindlichen Stimmung entstanden, welche durch die Anschläge vom 11. September 2001 noch weiter Anschub erhielt. In den folgenden fünf bis sechs Jahren bildete sich ein Netzwerk aus europäischen Bloggern, die sich unter dem Namen Counter Jihad zusammentaten. Die tonangebenden Blogger waren »Gates of Vienna«, »Brüssels Journal« aus Belgien und der »Norweger Fjordmann«. Im April 2007 traf sich das Netzwerk, unterstützt von dem dänischen Netzwerk SIAD (Stop the Islamisation of Denmark) unter dem Motto »UK and Scandinavia Counter Jihad Summit« in Kopenhagen. Mit Ted Ekeroth war ein Vertreter der rechtspopulistischen Partei Schwedendemokraten anwesend. Die nächsten Jahre gab es Folgetreffen in Wien, Brüssel, Zürich und noch einmal Kopenhagen. Mitorganisator »Gates of Vienna« fasst die Ziele der Bewegung zusammen:
- Der weiteren Islamisierung der westlichen Länder etwas entgegenzusetzen. Die muslimische Integration muss eliminiert und dem Islam in der Öffentlichkeit kein weiterer Platz eingeräumt werden.
- Den Islam auf die Nationen zu begrenzen, in denen Muslime in der Mehrheit sind. Kriminelle Muslime abzuschieben und die restlichen vollständig in die lokalen Kulturen zu assimilieren.
- Alle ausländische Unterstützung der betreffenden Nationen einzustellen
- Ein Basisnetzwerk zu entwickeln, das die politische Klasse in unseren Ländern ersetzt und die herrschende multikulturelle Ideologie, die die Islamisierung erst möglich macht, zu eliminieren. Wird diese Ideologie von uns in Ruhe gelassen, wird sie den Untergang der westlichen Zivilisation verursachen.
Der zentrale Organisator und Ideologe für das Netzwerk ist der norwegische Blogger, der unter dem Pseuonym Fjordmann schreibt. Der Attentäter Breivik erklärt Fjordmann zu seinem Lieblingsautor und den größten Teil seines Manifestes bilden direkte Kopien von Fjordmanns Texten. Nach dem Massaker wurde viel über eine Verbindung von Breivik zu Fjordmann spekuliert. Der antimuslimische Blogger Ted Ekeroth (Schweden), der selbst auf seinem Blog Fjordmann verteidigt, erklärt entgegen der Spekulationen, dass Fjordmann und Breivik nichts miteinander zu tun haben. Fjordmann selbst erklärt auf dem Blog »Gates of Vienna«, dass er Breivik nie persönlich getroffen habe.
Das Hauptaugenmerk von Counter Jihad liegt darauf, den sogenannten Kulturkampf voranzutreiben. Es sind aber auch weitere politische Initiativen aus dieser Bewegung entstanden. Die dänische Gruppe »Stop Islamiseringen af Danmark« (SIAD) von Anders Gravers Pederesens hat versucht, ihre Initiative auf Europa auszuweiten und die SIOE (Stop Islamisation of Europe) ins Leben gerufen. Counter Jihad und SIOE zeigen Interesse an der militanten English Defence League, die ihre Wurzeln in der britischen Hooligan-Szene hat. Eine Kombination aus Facebook und andere sozialen Medien sowie provozierenden gewalttätigen Demonstrationen vor Moscheen, ließ die Gruppe schnell zu einer bedeutenden Bewegung werden. Die britische Polizei bezeichnet die EDL als die größte Bedrohung der inneren Sicherheit in Großbritannien. Der EDL-Chefideologe Alan Lake wurde von dem Politiker der Sverigedemokraterna1vgl. AIB 90: »Rassismus in Bullerbü« Kent Ekeroth zu seinem Antiislamierungskongress im Jahr 2009 eingeladen. Nur ein Jahr später wird die schwedische Antwort auf die EDL, die Swedish Defence League, gegründet.
Auch Breivik interessierte die EDL und er sprach sich in dem norwegischen Forum »Document.no« für eine norwegische Ausgabe der EDL aus, um die norwegischen antirassistischen Organisationen, wie »rote Jugend, SOS Rassismus, Blitz« (Autonomes Zentrum in Oslo) in ihrer Arbeit zu behindern. Breivik und die EDL teilen die große Faszination und Identifikation für die Kreuzzugritter als Symbol für den Kampf gegen den Islam. Norwegens zentrales Forum für die antimuslimische Debatte ist »Document.no« des Journalisten Hans Rustads. In dem 2003 gegründeten Forum war Breivik ein aktiver Schreiber und nahm auch an den Seminaren teil. Er sprach sich dafür aus, dass die Seite von Rustads die Grundlage für eine kulturkonserative Zeitung bilden sollte. Desweiteren versuchte er, den Aufbau eines norwegischen Ablegers der EDL oder eine norwegische Version der amerikanischen Tea-Party-Bewegung2vgl. AIB 87: »It`s tea time?« voranzutreiben.
Die Zahl 2083, im Titel vom »Terrormanifest« Breiviks steht für das Jahr, in dem der Islam den Krieg gewonnen habe und es zu spät zum Agieren sei. Es ist eine Anspielung auf die Belagerung Wiens durch Truppen des Osmanischen Reiches, exakt 400 Jahre zuvor, die schon einmal die europäische Zivilisation bedroht hätten. Die Counter Jihad Bewegung tritt dafür ein, dass der Islam nicht als Religion angesehen wird, sondern als Ideologie. Der Islam wird mit dem Kommunismus und Nazismus verglichen und als totalitäre Ideologie gleichen Typs identifiziert. Der marxistischen Ideologie wird die Schuld gegeben, der Islamisierung die Tür geöffnet zu haben – mit dem Ziel, das westliche Vaterland zu zerstören.
Inspiriert ist diese Sicht von der französischen »Neuen Rechten« und deren Diskussion um den Kampf der Kulturen und Metapolitik. Demzufolge versuchte die Linke der 1968er den Kapitalismus abzuschaffen, verlor jedoch den Kampf um die politische und ökonomische Macht. In der Kultur konnte sich die Linke aber halten. Der Niedergang des ökonomisch »harten« Marxismus fiel zusammen mit dem Auseinanderbrechen des real existierenden Sozialismus. Der »weiche« Marxismus dagegen vermochte es, in den kunst- und ideologieproduzierenden Institutionen Einfluss zu nehmen: In Ausbildungswesen, Forschung, Kultur und in den Medien. Über diese Kontrolle der Ideologieproduktion gelang es der politischen Linken, eine kulturelle Hegemonie, ein Problemformulierungsprivilegium, zu errichten. Somit wurde der Rahmen für die Setzung der grundlegenden Werte und Normen, die seitdem die Politik bestimmen, geschaffen. Die Wurzeln für diesen weichen, infiltrierenden Marxismus, den Kulturmaxismus, der einen langen Marsch durch die Institutionen hinter sich habe, glaubt die »Neue Rechte« in Gramscis Theorien über Hegemonie und in der Frankfurter Schule zu finden.
Der metapolitische Kampf, der Kampf um Problemformulierung, Worte, Begriffe, Normen und Werte, wird als ein politisches Vorstadium, und die Blogger und Forumschreiber als die Vortruppen in diesem Kampf angesehen. Der Kampf gegen die politische Korrektheit, die Selbststilisierung als Underdog und der »Das darf man ja nicht sagen in der letzten Zeit«-Geist, der die gesamte extreme Rechte vereint, macht diese »Neue Rechte« Theorie zu einem zusammenhängenden politischen Projekt.
- 1vgl. AIB 90: »Rassismus in Bullerbü«
- 2vgl. AIB 87: »It`s tea time?«
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