Vatikan erkennt Naziregime an

Am 20. Juli 1933 unterzeichneten der Kardinalstaatssekretär Pacelli und Vizekanzler von Papen das Reichskonkordat

Beten statt handeln

Die Bittbriefe, die den Papst ab 1933 aus Deutschland erreichten, blieben unbeantwortet. Eine Ausnahme bildete der Brief von Edith Stein. Sie war die erste Frau, die Hochschulassistentin wurde. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie die Universitätslaufbahn fortsetzen können. So lehrte sie ab 1932 am katholischen Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster.

Im April 1933 schreibt sie nach Rom: »Heiliger Vater! Als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es, vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt. (…) Jahre hindurch haben die nationalsozialistischen Führer den Judenhass gepredigt. Nachdem sie jetzt die Regierungsgewalt in ihre Hände gebracht und ihre Anhängerschaft – darunter nachweislich verbrecherische Elemente – bewaffnet hatten, ist die Saat des Hasses aufgegangen. Ich bin überzeugt, dass es sich um eine allgemeine Erscheinung handelt, die noch viele Opfer fordern wird.« Sie fordert, dass der Papst sprechen solle, denn die Verantwortung »fällt auch auf die, die dazu schweigen«.

Edith Stein lässt den Brief von einem hohen Würdenträger überbringen, so dass Pacelli, der für die Bearbeitung der Post zuständig ist, antwortet – aber nicht der Briefschreiberin, sondern dem Überbringer: »Ich stelle anheim, die Einsenderin in geeigneter Weise wissen zu lassen, dass ihre Zuschrift pflichtgemäß Sr. Heiligkeit vorgelegt worden ist. Mit Ihnen bete ich zu Gott, dass er in diesen schwierigen Zeiten Seine hl. Kirche in Seinen besonderen Schutz nehme.« Edith Stein wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Der vollständige Brief findet sich im Edith Stein-Jahrbuch 2004, S. 18–19

»Wenn ich bei Unterzeichnung des Konkordats Pacelli gewesen wäre, so hätte ich dem Papen eine runtergehauen«, soll ein katholischer deutscher Landesgeistlicher mit Blick auf die Verhandlungen zwischen Kirche und Nazideutschland geäußert haben. Eugenio Pacelli (1876–1958) tat das natürlich nicht, sondern war im Gegenteil hochzufrieden, als er am 20. Juli 1933 das Konkordat im Namen des Heiligen Stuhles unterzeichnete. Die Weimarer Republik hatte noch auf der Trennung von Staat und Kirche bestanden und Verhandlungen darüber abgelehnt. Auch mit dem Inhalt des Konkordats konnte Pacelli zufrieden sein, denn die »Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen« wurde ebenso gewährleistet wie die Seelsorge »in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand«. Sogar die Militärseelsorge gestand die neue deutsche Regierung unter Adolf Hitler zu.

Vizekanzler Franz von Papen war ebenfalls zufrieden, denn das Konkordat bedeutete den ersten außenpolitischen diplomatischen Erfolg für Nazideutschland. Und auch innenpolitisch war es hilfreich, schließlich verlangte es den Treueeid der Bischöfe auf Hitler und schrieb ansonsten die politische Neutralität des Klerus fest. An dem Verbot, sich parteipolitisch zu betätigen, bestand ein beiderseitiges Interesse. Die Nazis fürchteten eine Fortsetzung der gerade erst aufgelösten katholischen Zentrumspartei oder eine politische Opposition von Katholiken innerhalb und außerhalb der NSDAP, der Vatikan fürchtete eine katholische Gruppierung, die sich von ihm lossagen und sich der NSDAP annähern könnte, so wie die protestantischen »Deutschen Christen«.

Nachverhandlungen

Eugenio Pacelli war hochgebildet, sprach fließend Deutsch, kannte die deutsche Geschichte und Kultur. 1917 hatte Papst Benedikt XV. den Kirchenjuristen und Diplomaten zum Nuntius berufen, was dem Posten eines Botschafters entspricht. Der deutsche Priester und Kirchenjurist Ludwig Kaas wurde sein Berater, und mehr als das: Beide verband eine tiefe Freundschaft. Während der Weimarer Republik gehört Kaas dem Reichstag als Abgeordneter der Zentrumspartei an, ab 1928 war er deren Vorsitzender. Pacelli beriet sich mit Kaas über alle diplomatischen Schritte. 1930 berief Papst Pius XI. Pacelli zu seinem Kardinalstaatssekretär und damit zu seinem wichtigsten Mitarbeiter, von dem er sich vor allem in außenpolitischen Fragen beraten ließ. Während der Verhandlungen über das Konkordat und besonders während der Nachverhandlungen war Kaas oft anwesend.

Die Nachverhandlungen des Konkordats gestalteten sich als sehr schwierig, denn vieles war bei der Unterzeichnung im Unklaren geblieben. So nennt das Konkordat beispielsweise karikative, Jugend- und Erwachsenenarbeit, die ausschließlich religiös bestimmt ist, und andere Arbeitszweige, die »auch sozialen oder berufsständischen Aufgaben dienen«. Diese Arbeitszweige könnten, so heißt es im Konkordat, »einer etwaigen Einordnung in staatliche Verbände« unterliegen. Welche Einrichtungen in welche Kategorie gehörten, darüber feilschte Pacelli ab September 1933 angestrengt mit seinem Gegenüber, dem Ministerialdirektor Ludwig Buttmann.

Buttmann, seit 1925 NSDAP-Mitglied, war ein ebenso gewandter ­Diplomat wie Pacelli. Als der Kardinalstaatssekretär immer wieder Klagen deutscher Katholiken vorbrachte, dass die Regierung das Konkordat nicht respektiere, forderte Buttmann Namen, die Pacelli zum Schutz der Betroffenen nicht nennen wollte. Kaas beendete den formal höflich ausgetragenen Konflikt mit dem Hinweis, es sei besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Pacelli nahm das zum Anlass, konkrete Ausführungsbestimmungen zugunsten der katholischen Kirche zu fordern. Aber Buttmanns Antworten waren ausweichend. Stets wies er darauf hin, dass er keine Entscheidungsbefugnis habe, aber Pacellis Forderung bei der Reichsregierung vorbringen werde. Als Grund für die ausbleibenden Reaktionen seitens der Naziführung nannte Buttmann mal die deutschen Protestanten, auf die Rücksicht genommen werden müsse, weil sie nicht die Vorzüge eines Konkordats genießen könnten, mal verwies er auf wichtigere politische Anliegen, weshalb sich die Kurie gedulden solle. Schließlich wäre Europa ohne Adolf Hitler eine Beute des Bolschewismus geworden.

Es blieb nicht immer bei höflichen Verhandlungen. Als es wieder einmal um katholische Einrichtungen ging und Buttmann auf die Reichsregierung als die entscheidende Instanz verwies, verlor Pacelli die Beherrschung: »Er springt in höchstem Zorn auf, beruft sich auf das Völkerrecht«, so Buttmann, und warf der Reichsregierung dauernde Verletzung des Konkordats vor. Buttmann konterte den Vorwurf mit dem Hinweis auf Verfehlungen von katholischer Seite, denn ein Teil des Klerus sei »noch nicht mit vollem Herzen für den neuen Staat«, wie es der Ausspruch des eingangs zitierten Landesgeistlichen belege. Eine solche Gesinnung sei nicht hinnehmbar, schließlich müsse der »öffentliche Frieden« gewahrt werden.

Gültig bis heute

Als Pacelli die Konzentrationslager ansprach und darauf verwies, dass der Papst durchaus auch die »Flucht in die Öffentlichkeit« antreten könne, drohte Buttmann. Die »Flucht in die Öffentlichkeit« würde jeden Katholiken in Deutschland vor die Wahl stellen, ob er »zu dem von dem überwiegenden Teil des Volkes inbrünstig verehrten Adolf Hitler oder zum Papst stehe«. Und diese Wahl könnte Folgen auch für die Kinder derer haben, die gegen den »Volkskanzler« Stellung nähmen. Die Kirche aber könnte Mitglieder gewinnen oder wiedergewinnen, »indem sie auch nur den Anschein eines Konfliktes mit der nationalsozialistischen Staatsführung« vermeide. Pacelli versicherte daraufhin, dass er von offiziellen Protesten abgeraten habe, womit das gute Einvernehmen während der Verhandlungen wiederhergestellt war.

Und heute? Die Formulierung von Artikel 123 Grundgesetz, in dem von der Gültigkeit des Rechts »aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages« die Rede ist, soll das Konkordat einschließen, ohne es explizit zu nennen. Das Bundesverfassungsgericht stellte die Gültigkeit des Konkordats 1957 ausdrücklich fest. Und so wurde es dann auch den DDR-Bürgerinnen und -Bürgern 1990 oktroyiert. Die Internationale Vereinigung der Freidenker forderte zuletzt im April 2023 die Auflösung aller europäischen Konkordate.

Alle Zitate stammen aus Buttmanns Berichten, veröffentlicht in: Thomas Brechenmacher (Hrsg.): Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente, Paderborn (u. a.) 2007

Vertragsschluss. Sitzend: Papen, Pacelli und Buttmann (v. l. n. r.), Rom, 20. Juli 1933

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