Auf der Seite des eigenen Imperialismus sind Nazis OK

Selenskij-Besuch: SS-Soldat in Kanada geehrt

Von Susann Witt-Stahl

Ottawa. Wolodimir Selenskij, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Abgeordnete haben im Rahmen eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten im Parlament in Ottawa am Freitag (Ortszeit) einen ehemaligen SS-Angehörigen geehrt. Jaroslaw Hunka sei ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, der »für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen kämpfte und heute weiterhin die Truppen unterstützt«, sagte der Sprecher des kanadischen Parlaments. »Er ist ein ukrainischer Held, ein kanadischer Held, und wir danken ihm für seinen Wehrdienst.« Der heute 98jährige Hunka, der aus Bereschany bei Ternopil stammt, war 1943 als Freiwilliger in die für Massenmorde an Juden und Polen sowie andere schwere Kriegsverbrechen verantwortliche Waffen-SS-Division »Galizien« eingetreten und hatte sich nach der Niederlage Hitlerdeutschlands nach Kanada abgesetzt.


Banderas weiße Weste

»Geschichtspolitischer Super-GAU«: Bundesregierung gibt sich mit Blick auf historischen ukrainischen Faschismus ahnungslos

Von Susann Witt-Stahl

Gerngesehene Gäste im Auswärtigen Amt sind Mitglieder der neonazistischen »Asow«-Bewegung (Kiew, 2020)

Wo sich einst ein lückenhaftes kollektives Gedächtnis fand, tut sich bei der Bundesregierung ein dunkeldeutscher Abgrund auf. Ob es um ihre Haltung zur vom Nazismus durchwirkten Ideologie der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) oder um die Geschichtsklitterungen des Ukrainischen Instituts des nationalen Gedächtnisses der Kiewer Regierung geht: Sie hat eine Kleine Anfrage mit dem Titel »Rechtsextreme Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik« der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Fraktion Die Linke mit einem großen Nichts beantwortet.

Fast alle der insgesamt 25 Fragen, von denen sich einige auf jW-Recherchen stützen, werden vom Auswärtigen Amt mit der Floskel »Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse vor« abgebügelt. Man mache sich die »rechtlichen Wertungen und Tatsachenbehauptungen« der Fragesteller, die sich vorwiegend auf die OUN und den Banderismus beziehen, »insbesondere hinsichtlich der pauschalen Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen«, heißt es in der Vorbemerkung der Bundesregierung – eine Aussage, auf die sie in ihren weiteren (Nicht-)Antworten insgesamt siebenmal verweist.

Damit widerspricht die deutsche Regierung objektiv der weltweit anerkannten Historiographie des ukrainischen Faschismus und dessen Kollaboration mit Hitlerdeutschland. »Die OUN kämpfte nicht einfach nur für eine unabhängige Staatlichkeit. Sie kämpfte für das, was sie eine ›Ukraine für die Ukrainer‹ nannte, in der Juden und die meisten Polen und Russen eliminiert« würden, schreibt etwa der US-amerikanisch-kanadische Historiker John-Paul Himka, einer der renommiertesten Experten der Geschichte der OUN und ihrer Rolle in der Schoah und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Das faktische Bestreiten wissenschaftlicher Erkenntnisse der internationalen Holocaustforschung durch vorgebliches Nichtwissen« reihe sich ein in Vorfälle wie »die unsägliche Ehrung des SS-Manns Jaroslaw Hunka im Parlament des NATO-Mitglieds Kanada als ›ukrainischer Held‹«, kommentierte Sevim Dagdelen das Verhalten der Bundesregierung gegenüber junge Welt.

Die »Wiederschlechtmachung«, wie der Dichter Erich Fried die Restauration des deutschen Imperialismus in der postnazistischen BRD genannt hatte, erreicht mit der »Zeitenwende« offenbar einen neuen schaurigen Höhepunkt. »Es ist ein geschichtspolitischer Super-GAU, wie die Ampel hier den seit 1945 bestehenden Konsens aufbricht«, meint Dagdelen. Dass die deutsche Regierung nicht einmal der in der Anfrage der Linksfraktion enthaltenen Aussage zur fortschreitenden Rehabilitierung Stepan Banderas und anderer ukrainischer Faschisten – »eine positive Sichtweise auf historische Organisationen und Persönlichkeiten, die sich mitschuldig am Holocaust und an NS-Verbrechen gemacht haben, kann in keiner Weise hingenommen werden« – zugestimmt hat, untermauert diesen Vorwurf. Ebenso die unappetitliche Tatsache, dass Annalena Baerbocks Ministerium vor einigen Monaten Vertreter der in der Tradition der OUN stehenden »Asow«-Bewegung empfangen hat. Dagdelen warnt vor brandgefährlichen Folgen: »Wer wie das von den Grünen geführte Außenministerium die Nazikollaborateure der Ukraine aus bloßem antirussischen Reflex weißzuwaschen versucht, hat wirklich jeden politischen Kompass verloren und rollt den Rechtsextremisten den roten Teppich aus.«