Seit einigen Wochen finden Demonstrationen von Landwirt:innen in ganz Deutschland statt. Der Grund: Die Regierung hat umfängliche Sparmaßnahmen beschlossen und Mitte Dezember 2023 vorgelegt. Geplant sind Kürzungen und Einsparungen, mit denen das Finanzloch im Bundeshaushalt gestopft werden soll. Neben Kürzungen im Gesundheitssektor, dem Verkehrswesen und der Rentenversicherung, sollen finanzielle Krisenlasten auf die Landwirtschaft abgewälzt werden.
Konkret plant die Ampel-Regierung Einsparungen von 935 Millionen Euro durch die Streichung von Steuerprivilegien für Fahrzeuge in Land- und Forstwirtschaft, sowie ein Ende der Steuerbegünstigung für Agrardiesel.
Zwar ist die Regierung zwischenzeitlich zumindest teilweise zurückgerudert, dennoch ist die Wut der Landwirt:innen groß! Der deutsche Bauernverband (DBV) hat deshalb im Rahmen einer Aktionswoche zu deutschlandweiten Demonstrationen aufgerufen. Am 8. Januar 2024 rollten bundesweit Aktionen, Traktor- und LKW-Korsos durch die Städte und legten diese lahm. Autobahnen und Zufahrtsstraßen wurden blockiert. Teilweise beteiligten sich Handwerker:innen und Spediteur:innen an den Protesten. Die Sparpläne scheinen der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, auch über die Landwirtschaft hinaus.
Geld ist genug da!
Dass die geplanten Streichungen bei den Landwirt:innen auf Empörung stoßen, ist verständlich. Für viele, gerade kleine Betriebe, haben sie fatale Folgen. Neben der permanenten Abhängigkeit von Subventionen bewegen sich diese sowieso am Rande des Überlebens. Mit weiteren Kürzungen stünden diese Betriebe vor dem Aus.
Entsprechend groß ist die Wut über die Ampel-Regierung und die von ihr fortgesetzte neoliberale Kürzungspolitik.
Denn: Während Teile der Landwirtschaft am Hungertuch nagen, werden Großkonzerne und Banken weiter geschont und begünstigt, die Bundeswehr erhält 100 Milliarden Sondervermögen.
Die Krisengewinner der letzten Jahre, die Milliarden mit Lebensmitteln und Energie gemacht haben, bleiben unangetastet. Der Spitzensatz bei der Einkommenssteuer ist seit Jahren gesunken – gleichzeitig steigt die Mehrwertsteuer und die Inflation frisst das Geld derjenigen, die sowieso schon wenig haben, auf. Eine aus Steuergeldern finanzierte Unternehmensrettung reiht sich nahtlos an die nächste. Geld ist also genug da.
Beteiligung von Rechts?
Bundesweit versuchen verschiedene Rechte auf den Protestzug aufzuspringen und diese für sich zu nutzen. Ein Vorgehen, das sich bereits bei Bäuer:innen-Protesten in den vergangenen Jahren beobachten ließ. So riefen die „AfD“ und ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“, die faschistischen Partei „Der Dritte Weg“, „Freie Sachsen“ und „Die Heimat“, sowie die Neurechten der „Identitären Bewegung“, „Ein Prozent“ und das rechte Betriebsprojekt „Zentrum“ zur Beteiligung an den Demos auf. Auch in sämtlichen Chatgruppen des Querdenken-Spektrums wurde fleißig mobilisiert.
Die rechte Beteiligung an den aufgeflammten Protesten ist beliebtes und viel genutztes Totschlagargument auf der einen und reale Gefahr auf der anderen Seite.
Indem die Regierung und bürgerliche Medien sich stark auf die rechten Umtriebe fokussieren und diese in den Mittelpunkt der Proteste stellen, versuchen sie den Protest an sich zu delegitimieren und ihn so zu schwächen.
Gleichzeitig haben zuletzt die Demos am Montag in Stuttgart gezeigt, dass die Organisator:innen offensichtlich ein Problem mit der Abgrenzung nach rechts haben.
Nur halbherzig wurden die ca. 20 spalierbildenden AfDler:innen mit ihren Bannern und Fahnen ein paar Meter weiter geschickt.
Die zuvor vom Veranstalter viel beschworene „politische Neutralität“ (auf einem politischen Protest gegen die Regierung?) blieb eine leere Floskel, denn nur kurze Zeit später ließ das Orga-Team trotz mehrfacher Hinweise den AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel und eine „Zentrum“-Sprecherin am offenen Mikrofon Worte an die Menge richten.
Neben den teilnehmenden Landwirt:innen, Handwerker:innen und Spediteur:innen war das Publikum der Proteste in Stuttgart außerdem geprägt von zahlreichen Demonstrierenden aus dem Querdenken-Spektrum. So zum Beispiel dem Reitschuster-Blog und weiteren rechten Streamer:innen und Blogger:innen.
Teilweise hatten sich diese nicht mal die Mühe gemacht, ihre Slogans und Plakate entsprechend dem Anlass anzupassen. So waren „Impflicht stoppen“ und „Gegen den Corona-Wahn“ auf zahlreichen Kleidungsstücken der Teilnehmer:innen wiederzufinden. Ein paar von ihnen waren, wie Dirk Spaniel, im Laufe der Veranstaltung am Mikrofon zu finden.
Auch wenn es den Organisator:innen in erster Linie um ihre Anliegen und die Proteste geht, ist ihnen in Stuttgart kein glaubwürdiges Entgegenwirken gegen rechte Vereinnahmungsversuche gelungen. So gingen sie nicht gegen eine Beteiligung von rechten Kräften vor und ließen sie unter dem Motto der „Meinungsfreiheit und Unparteilichkeit“ sogar auf die Bühne.
Dass ein ehemaliges Mitglied der IG-Metall, das sich als solches am offenen Mikrofon vorstellte, ausgebuht wurde und in diesem Zuge aus der Menge gegen links geschimpft wurde, zeigt das durchaus reaktionäre Potenzial eines größeren Teils der Mobilisierten.
Dass es auch ohne rechte Hetze Protest geben kann, zeigt zum Beispiel die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“(ABL) und ihre Jugendorganisation Junge ABL. Sie stellen konkrete Forderungen auf und distanzieren sich sowohl im Vorhinein, als auch auf der Straße von Rechts. Dabei weisen sie die scheinheiligen Vereinnahmungsversuche der AfD und anderen Rechten zurück und zeigen deren wahren Absichten auf.
Nach wie vor sind Krisenzeiten Auftriebsphasen für Rechte- besonders die vergangenen Jahre haben sie genetzwerkt, sind gewachsen und haben in sämtlichen Protestbewegungen Erfahrungen gesammelt. Die realen Existenzängste der arbeitenden Bevölkerung sind dabei Anknüpfungspunkt ihrer Agitation. Sie schaffen es aktuell, die Verunsicherung und Wut für sich zu kanalisieren. Daneben hat die Politik der vergangenen Jahrzehnte, maßgeblich geprägt von CDU und SPD, einen fruchtbaren Boden für reaktionäres Gedankengut geschaffen.
Da die aktuelle Ampel-Regierung von der breiten Masse fälschlicherweise als „linke“ Regierung angesehen wird, scheint eine Alternative von Rechts schlüssig und folgerichtig. Die Rechten mimen den Kümmerer und Helfer der „kleinen Leute“. Mit dem erklärten Ansinnen von CDU und AfD, die Regierung abzusetzen, können sie sich aktuell eines Stimmenzuwachses gewiss sein.
Die Rechten sind nicht die Lösung!
Dass hinter der angeblichen Unterstützung der Rechten vor allem eine Instrumentalisierung steht, wird offensichtlich, wenn man sich die eigentlichen Interessen genauer anschaut:
So fordert die AfD eine weitere finanzielle Förderung des Agrardiesels, hat aber in ihrem Grundsatzprogramm eine vollständige Abschaffung sämtlicher Subventionen verankert und wirbt für mehr Wettbewerb auf dem freien Markt.1AfD Grundsatzprogramm Mai 2023, Seite 88: „Landwirtschaft: Mehr Wettbewerb, weniger Subventionen“
Diese neoliberale Politik steht in einem klaren Widerspruch zu den Forderungen eines Großteils der Landwirt:innen.
Auch CDU/CSU behaupten solidarisch mit den Landwirt:innen zu sein und sprechen sich gegen die Kürzungen aus. Tatsächlich haben sie mit ihrer jahrzehntelangen Regierungspolitik aber maßgeblich zu der Entwicklung beigetragen, dass immer mehr kleine Betriebe untergehen oder aufgekauft werden, die Folge ist das sogenannte „Höfe-Sterben“. Die Landwirtschaft ist schon seit Jahrzehnten von Kürzungen und wirtschaftlichen Sparmaßnahmen betroffen.
Im Übrigen hat der Rechnungsprüfausschuss, besetzt u.a. mit CDU/CSU, AfD und Ampel-Politiker:innen, dem Bundesfinanzministerium empfohlen, die Dieselsubventionen schnellstmöglich abzuschaffen.
Diese verlogene Doppelmoral zeugt einmal mehr davon, in wessen Interesse sowohl CDU/CSU, als auch AfD Politik machen – und dass sie keineswegs für die „kleinen Landwirt:innen“ einstehen.
Die Antworten, die sie und die anderen rechten Gruppen liefern, sind populistisch und zielen darauf ab, die Not der Landwirt:innen für sich zu nutzen und so auf Stimmenfang zu gehen.
Solidarische Landwirtschaft statt kapitalistischer Konkurrenzkampf!
Wir sehen unseren Beitrag darin, die legitimen Proteste zu unterstützen und die Politik der Rechten zu demaskieren. Auch mit einer Rücknahme der Maßnahmen ist die Situation für viele Landwirt:innen prekär. Arbeitszeiten von über 60 Stunden pro Woche und ständige Existenzängste dürfen kein Zustand bleiben, sondern müssen dringend geändert werden. Sonst geht die lokale Landwirtschaft auch ohne Ampel-Regierung langfristig zugrunde.
Eine ökologische und solidarische Landwirtschaft ist nur in einem System möglich, welches nicht Profitzwängen unterliegt und nicht auf Basis von Konkurrenz und Wettbewerb wirtschaften muss.
Die Proteste der arbeitenden Bevölkerung gegen eine Verschlechterung ist legitim und in Anbetracht der aktuellen Situation bitter notwendig – genauso wie eine ernsthafte Zurückweisung der Versuche von Rechten, sich vor ihren Karren spannen zu lassen.
Solidarität mit den Protesten der Landwirt:innen!
Gegen eine rechte Instrumentalisierung!
Wir bezahlen nicht für ihre Krise!
Die AbL – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. bzw deren Jugendverband (junge AbL) veröffentlichte auf Instagram folgenden Post, den wir an der Stelle gerne der Einschätzung anhängen möchten:
Aus gegebenem Anlass sagen wir noch einmal ganz deutlich: NEIN zu Hass und Hetze!! Wir distanzieren uns von jeglicher Form von Gewalt und Umsturzfantasien, von persönlichen Angriffen und pauschalen Verurteilungen.
Wir treten aktiv ein für Demokratie und bürgerliche Freiheitsrechte. Demonstrieren JA, aber NICHT mit Rechtsextremen oder Rechtspopulisten, die die Proteste kapern, um ihre menschenverachtenden Ideologien zu verbreiten. Wir zeigen klare Kante gegen Rechts! Schaut genau hin und lasst euch nicht vereinnahmen!
Ein riesiges Dankeschön geht an die @junge_abl, deren Text & Share Pics wir hier verwenden – und dem wir uns zu 100 Prozent anschließen!
✊ Wir wollen für die Zukunft unserer Höfe demonstrieren. Auch wir sind wütend und frustriert. Aber ohne menschenverachtende Sprüche und rechte Hetze – denn zukunftsfähige Landwirtschaft ist bunt statt braun! 🚨 Die gezielte Vereinnahmung der Bauern*demos von rechten Akteuren ist eine brandgefährliche Realität, die nur noch wenig mit bäuerlichen Forderungen zu tun hat und den Protest für eigene Ziele instrumentalisiert. 🚜 Unser Berufsstand steht seit Jahrzehnten unter zunehmendem Preis- und Leistungsdruck. Diese verletzliche Situation und die damit verbundene Frustration geben rechten Parolen einen geeigneten Nährboden. 🌈 Wir distanzieren uns klar von jeglicher Form von Rassismus und Menschenfeindlichkeit, denn nur gemeinsam und solidarisch mit Bäuer*innen auf der ganzen Welt ist unser Protest wirksam. 💚 Wir brauchen konstruktive Lösungsvorschläge, die wirklich etwas verändern, statt blindem Hass und gewaltvollen Umsturzfantasien. Bitte schaut hin, redet miteinander, protestiert mit Haltung!
- 1AfD Grundsatzprogramm Mai 2023, Seite 88: „Landwirtschaft: Mehr Wettbewerb, weniger Subventionen“