Am 8. Juni, dem zweiten Tag des RACT!-Festivals in Tübingen – einem umsonst & draußen-Festival mit erklärtem linken Anspruch – wurden mehrere Personen von Securities für das Tragen einer Keffiyeh (Palästinensertuch) zunächst angegangen und danach, als sie sich weigerten, diese abzulegen, vom Festival verwiesen.
Nachdem das Tragen noch am ersten Tag scheinbar kein Problem darstellte, schoben die Securities am zweiten Abend mehrere Leute in Richtung Ausgang und leuchteten ihnen aggressiv mit der Taschenlampe ins Gesicht. Eine Person, die das Verhalten der Securities gefilmt hatte, wurde gezwungen, diese Aufnahmen wieder zu löschen. Das RACT! rief nach dem Rausschmiss das Ordnungsamt, das wenige Zeit später mit 6-7 Leuten auftauchte. Offensichtlich vom Ordnungsamt verständigt tauchten zwei Bullenwägen auf, die bis auf Einschüchterungsversuche aus der Ferne nichts unternahmen.
Als Offenes Treffen gegen Faschismus und Rassismus hatten wir selbst einen Infostand auf dem RACT!-Festival und haben dort einen Workshop gegeben. Als Antifaschist:innen kämpfen wir gegen Rassismus und Antisemitismus. Wer das ernst meint, kann sich weder auf die Seite des israelischen Staates noch auf die Seite der Hamas schlagen. Wir stehen an der Seite der palästinensischen Zivilbevölkerung und der fortschrittlichen Kräfte, die Widerstand gegen die rassistische Besatzung leisten. Und wir stehen an der Seite der Zivilbevölkerung in Israel und denen, die bspw. den Kriegsdienst verweigern oder Widerstand gegen die rechte Regierung unter Netanyahu organisieren. Das behauptet übrigens auch das RACT! in seinem Statement. Wir denken, dass wir uns nicht aussuchen können, wann wir solidarisch sind und wann nicht. Manchmal sind das dann eben auch Momente, in denen diese Solidarität angegriffen wird und verteidigt werden muss. Wenn wir von Solidarität sprechen, müssen wir Konflikte aushalten und klare Haltung beziehen. Das hat das RACT! leider nicht!
Deshalb kritisieren wir das vom Orga-Team des RACT!-Festivals ausgesprochene, rassistische Keffiyeh-Verbot und beziehen hiermit dagegen Stellung.
Das RACT!-Festival surft mit dem Verbot, ob bewusst oder nicht, auf der selben rassistischen Welle, wie es leider auch ein Konglomerat aus bürgerlichen Parteien, Medien und Teilen der Zivilgesellschaft tut. Das Verbot suggeriert, es gäbe legitime Gründe dafür die Solidarität mit Palästina zu verbieten. Ganze Gesellschaftsgruppen, welche die „deutsche Staatsräson“ von der vorbehaltlosen Unterstützung des Staates Israels nicht teilen, geraten aktuell unter Terror-Generalverdacht. Es wird versucht, die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung und ihrem Kampf um Befreiung zu unterdrücken – trotz der Kriegsverbrechen, die jeden Tag in Gaza begangen werden, trotz der jahrelangen rassistischen Besatzung.
In Deutschland werden, die, die ihre Solidarität mit der Bevölkerung in Palästina bekunden, mit staatlicher Repression überzogen. Ganze Bezirke, wie Neukölln werden kriminalisiert, Palästina-solidarische Demonstrationen werden verboten und massiv von der Polizei angegriffen, migrantische Jugendliche werden auf der Sonnenallee zusammengeprügelt und Studierenden wird aufgrund ihrer Solidarität mit Palästina die Exmatrikulation angedroht. Ein antiarabischer und antimuslimischer Rassismus greift um sich und die Rede vom ‚importierten Antisemitismus‘ macht wieder groß die Runde. Damit soll jede Kritik am israelischen Staat delegitimiert werden, tatsächlich aber wird der „Antisemitismus-Begriff“ dadurch verfälscht und entwertet. Juden und Jüdinnen, die sich gegen den Krieg Israels gegen die palästinensische Bevölkerung stellen, wird allen Ernstes Antisemitismus vorgeworfen. Damit wird ihnen abgesprochen, eine von der deutsch-israelischen Staatsräson abweichende Meinung haben zu dürfen. Das ist Antisemitismus. Anzunehmen, alle Jüd*innen hätten eine einheitliche Meinung, das ist Antisemitismus. Den vermeintlichen Schutz von Juden und Jüdinnen als Grund für Unterdrückung, Zerstörung und Krieg zu instrumentalisieren, ist Antisemitismus.
Wir wollen explizt darauf hinweisen, dass sich das RACT!-Festival der Argumentation des „importierten Antisemitismus“ nicht öffentlich bedient hat. An dieser Stelle trotzdem einige Worte zu dieser verbreiteten Argumentation. Wer Antisemitismus als importiertes Problem bezeichnet, verschließt die Augen vor der Realität, denn Antisemitismus hat auch nach 1945 Kontinuität in Deutschland: Antisemiten sitzen noch immer unbescholten in den Parlamenten – so wie Hubert Aiwanger, der ein antisemitisches Flugblatt seinem Bruder in die Schuhe schob, um im Amt bleiben zu können. Antisemitismus ist noch immer tief verwurzelt in der deutschen Gesellschaft, das führten uns erst kürzlich zwei Jugendliche aus Sachsen-Anhalt vor, die das „Tagebuch der Anne Frank“ verbrannten. Antisemiten bewaffnen sich und begehen rechte Anschläge, wie der Angriff auf die Synagoge in Halle 2019 schmerzlich zeigte.
Teil des antiarabischen Rassismus ist auch die das Verbot des Tragens der Keffiyeh – einem Symbol für die palästinensische Freiheitsbewegung, für antiimperialistische und antikoloniale Kämpfe auf der ganzen Welt. Das Verbots dieser Solidarität ist schlichtweg rassistisch.
In ihrem Statement verstecken sich die RACT!-Organisator:innen hinter dem Argument, „nationale Symbole“ seien verboten. Die Keffiyeh ist ein Symbol des nationalen Freiheitskampfes in Palästina, auf das sich Linke auf der ganzen Welt beziehen – das macht sie aber noch lange nicht zum Symbol eines Nationalstaates. Sie wurde populär während des Aufstandes gegen die britische Kolonialmacht von 1936-39. Abgesehen davon wurden unserer Kenntnis nach Festival-Besucher:innen, die z.B. Katalonien-Flagge oder Fanartikel in Deutschlandfarben trugen, nicht „gebeten“, diese abzulegen.Auch in der Erklärung des RACT! auf Instagram wird klar, dass es nicht um irgendwelche Nationalsymbole geht, sondern konkret um die Keffiyeh, die nicht getragen werden sollte.
Ein solches Verbot der Keffiyeh hat nirgendwo einen Platz. Besonders nicht auf einem Festival, das sich als links bezeichnet!