Wahlanalyse zu den Europa- und Kommunalwahlen

10 Jahre AfD: Ein Blick auf die Wahlen in der Region Ulm/Neu-Ulm

Wir haben uns die regionalen AfD- Wahlergebnisse der letzten 10 Jahre genauer angeguckt. Dabei blicken wir auf Ulm, den Alb-Donau-Kreis, die Stadt Neu-Ulm und der Landkreis Neu-Ulm: Der Vergleich zeigt ein übergreifendes Muster und führt uns zu mehreren Thesen.

Für diese Analyse haben wir eine Menge Daten zusammengetragen. Diese haben wir versucht graphisch darzustellen. Bitte achtete immer auf die Beschriftungen, dort sind die Abbildungen näher erläutert. Wir haben sowohl die Ergebnisse in Prozent, aber auch in absoluten Stimmen angeschaut und dargestellt.

Wir haben für die vier Gebiete alle Wahlergebnisse der letzten 10 Jahre angeschaut. Dabei haben wir die Zweitstimmen (also die Listenstimmen) bei den Bundestagswahlen, Landtagswahlen und Europawahlen verglichen. Aufgrund der unterschiedlichen Wahlsysteme in der Gemeinderats und Kreistagswahl, haben wir uns, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, dazu entschieden, diese außen vor zu lassen.

Unsere Thesen dazu, sind Deutungen und Erklärungsversuche dieser Ergebnisse.

Hard Facts

Bei den EU-Wahlen 2024…

  • … haben in Ulm 5.185 Menschen die AfD gewählt, 9,84%. Auf die insgesamt 130.276* in Ulm lebenden Menschen sind das knapp unter 3,9%.
  • … haben im Alb-Donau-Kreis 15.865 Menschen die AfD gewählt, 15,98%. Auf die insgesamt 202.476* im Kreis lebenden Menschen sind das 7,8%.
  • … haben 3.049 Menschen in der Stadt Neu-Ulm AfD gewählt, 12,6%. Auf die 61.262* insgesamt in der Stadt Neu-Ulm lebenden Menschen sind das 4,7%.
  • … haben im Landkreis Neu-Ulm 8.267 Personen die AfD gewählt, 15,8%. Auf die insgesamt 120.234* im Kreis lebenden Menschen sind das 6,8%.

*Insgesamte lebende Menschen ist die gesamte Bevölkerung, inklusive Nicht-Wahlberechtigter Menschen

These 1
Das übergreifende Muster ist ein Hufeisen

Hier dargestellt sind die prozentuellen Wahlergebnisse der AfD über die letzten 10 Jahre in Bundestag-, Europa- und Landtagswahlen (unterschiedliche Formen) in den Städten Ulm und Neu-Ulm und den umliegenden Landkreisen (unterschiedliche Farben). Die Verbindungslinien sind Interpolationen auf Basis der Wahlergebnisse.

Insgesamt ist klar erkennbar: Die prozentuellen AfD-Stimmen haben von 2016 bis 2021 abgenommen. Danach beginnt ein Aufschwung. Auffällig ist, dass es in Bayern im Vergleich zur Landtagswahl im Oktober 2023, ein Abfall in den AfD-Stimmanteile zur EU-Wahl 2024 sichtbar ist. Diesen Abfall sehen wir in Baden-Würtemberg nicht, hier sehen wir eine Steigung seit 2021. Allerdings fanden in BW zwischen 2021 und 2024 keine Wahlen statt. Daher ist es durchaus möglich, dass der AfD-Stimmanteil in einer hypothetischen Wahl 2023 ähnlich wie in Bayern einen (vorläufigen) Höhepunkt erreicht hätte und nun abfällt.

Aber warum sehen wir dieses Hufeisen-Muster in der Stimmvergabe? Hierfür gibt es sicherlich eine schier endlose Reihe an Faktoren. Wir halten den Strukturwandel in der AfD von 2016 bis 2020 in der ersten Phase der Entwicklung entscheidend:

Die AfD von Lucke als Anti-Euro Wirtschaftspartei vollzog einen strukturellen und teilweise personellen Wandel zu der völkisch-nationalistischen Partei von heute. Wenn man davon ausgeht, dass die Wähler*innenschaft sich zumindest teilweise verändert hat, könnte dies eine Erklärung für das Hufeisen-Muster sein. Der klare Aufschwung ab 2020 fällt in die Phase der Coronapandemie, des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die damit einhergehende Preissteigerungen sowie der zunehmenden Inflation. All diese Krisen haben mit Sicherheit zu einem verschärften Diskurs und einer Radikalisierung beigetragen. Der Rechtsruck ist vorangeschritten und das Resulat ist klar erkennbar: Mehr Prozente an die AfD.

Interessant ist, dass die AfD in Bayern nach der Landtagswahl 2023 prozentuell Stimmen verloren hat. Hier zeigt sich unserer Einschätzung nach die Auswirkung der bundesweit thematisierten Correctiv Recherche um das Geheimtreffen in Potsdam eine regionale Auswirkung – die AfD verliert an Prozentpunkten.

Es gibt konstante Unterschiede zwischen Stadt und Land.

In den Städten gibt es deutlich weniger AfD Stimmen und weniger Prozente als im umliegenden Landkreis. Das halten wir für einen Faktor, der weit über Ulm und Deutschland hinaus für den Rechtsruck relevant ist:

Das Land kippt zuerst.

Deutlich zu sehen war das auch an dem Ergebnis der Nationalratswahlen in Frankreich, der extrem rechte Rassemblement National hat die meisten Prozente auf dem Land geholt. Dasselbe Muster sehen wir hier lokal auch.

These 2
Spezialfall Ulm & Neu-Ulm bzw. Baden-Württemberg und Bayern

Hier dargestellt sind die absoluten Zweitstimmen für die AfD in den vier Gebieten. Gleiche Wahlen sind miteinander verbunden und farblich codiert.

Die besondere Lage in der Umgebung von Ulm führt dazu, dass es zwei Städte und zwei Landkreise in unmittelbarer Umgebung gibt. Ulm und Neu-Ulm sind ja ein Stadtgebiet, was nur durch die hier noch recht überschaubare Donau getrennt wird. Gleichzeitig ist diese Grenze auch die Landesgrenze der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg. Das alles führt zu einer speziellen Situation, wobei aber oft nur eine der beiden Seiten betrachtet wird: aus Blick von Behörden bis Politik und demfolgend Medien bis zur Gesellschaft.

Ein Vergleich findet selten statt, gerade deshalb haben wir diesen gemacht und damit doppelt so viel Arbeit gehabt (juhu).

Aus den Wahldaten zeichnet sich aber klar heraus ab: Neu-Ulm und der Landkreis Neu-Ulm haben ein deutlich größeres AfD Problem. Ulm und der Alb-Donau-Kreis sind beide deutlich größer als Neu-Ulm und der Kreis Neu-Ulm, dennoch wählen absolut zum Teil mehr Leute in Bayern AfD als in Baden-Württemberg.

Die Stadt Ulm hingegen gehört bundesweit zu einem der 32 Wahlkreise, wo die AfD in der letzten EU Wahl unter 10% der Stimmen hatte – was auch in vielen Medien so dargestellt wurde von Bild bis Katapult Magazin.

Vor dem Hintergrund, dass in Neu-Ulm einer der wenigen bekanntermaßen vom Verfassungsschutz beobachtete AfD Landtagsabgeordneter Franz Fucking Schmid tätig ist, ist ein Witz der sich selber schreibt.

So entsteht eine absurde Situation, in der man sich auf der einen Seite in Ulm auf die Schultern klopft für das niedrige AfD Wahlergebnis – während keine 250 Meter Luftline vom Rathaus Ulm entfernt die AfD in Neu-Ulmer Landkreis inklusive Stadtgebiet wiederholt zweitstärkste Kraft ist. Und das alles mit einem offenen völkischen Kreisverband, in dem man stolz darauf ist, bereits vor den Correcitv Recherchen sich offen für Remigration ausgesprochen zu haben.

Aus den Daten wird glasklar: Sowohl das prozentuale Wahlergebnis als auch die absoluten Stimmen sind in Neu-Ulm und Landkreis Neu-Ulm höher als in Baden-Württemberg.

Warum ist das so?

Wir können das pauschal nicht erklären und sind uns sicher, hier spielen mehrere Sachen rein. Was wir aber für zwei wichtige Faktoren halten:

  • der deutlich aktivere AfD-Verband Neu-Ulm um Franz Schmid, Marcel Patzke und Nick Steger. Dieser ist nun auch finanziell durch das Landtagsmandat von Franz Schmid deutlich besser aufgestellt ist und wirbt und wirkt unserer Einschätzung nach gezielt auf dem Land.
  • Die stärkere rechtskonservative Prägung Bayerns, allem voran durch die jahrzehntelange politische Dominanz der CSU.

These 3
Höhere Wahlbeteilgung löst den Rechtsruck nicht

Hier dargestellt sind die Wahlbeteiligung in Prozent in den vier Gebieten. Gleiche Wahlen sind miteinander verbunden und farblich codiert.

In der breiteren Öffentlichkeit war vor der EU-Wahl vorallem eine Handlungsrichtung wahrnehmbar: Wenn es eine hohe Wahlbeteiligung gibt, ist das schlecht für rechte Parteien. Diese Aussage, die fast schon mantraartig von Bildungseinrichtungen, großen gesellschaftlichen Organisationen, Journalist*innen und Parteien wiederholt wurde, können wir mit Blick auf die Datenauswertung so pauschal nicht bestätigen.

In den Wahlen, die wir ausgewertet haben, konnten wir keinen überzeugenden Zusammenhang zwischen höherer Wahlbeteiligung und niedrigen AfD-Wahlergebnissen sehen.

Selbstverständlich ist es einfacher für extrem rechte Parteien politische Macht zu gewinnen, wenn sie eine stabile Stimmbasis haben und andere Parteien nicht genügend mobilisieren können. Doch auch klar ist: ein Rechtsruck lässt sich nicht durch “Bitte, bitte geht bei dieser Entscheidungswahl wählen”- Aufrufe alle paar Jahre langfristig lösen.

Was deutlich ist: Es gibt eine etablierte AfD Kernwählerschaft.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung und Dekonstruktion von rechten Narrativen, eine Analyse der Entstehung von extrem rechten Stimmungen, Erkennung der Strategien der AfD & Co müssen die Basis werden, um als Antwort auf den Rechtsruck gesellschaftliche Alternativen und einen breiten Antifaschismus zu realisieren.

Das der Rechtsruck und die AfD als Teil davon nach nun 10 Jahren verschwindet wird auch nach einem Skandal nicht passieren. Die Wählerstimmen alle als vermeintliche Proteststimmen umzudeuten hilft auch nicht weiter. Und schlussendlich wird auch ein AfD-Verbotsverfahren den Rechtsruck nicht stoppen.

These 4
AfD Ulm: Spezialfähigkeit Unfähig

von rechts nach ganz rechts: Daniel Rottmann, Härtle und Nicolas Brickenstein bei einem Wahlkampfstand am Ulmer Wochenmarkt

Das die AfD in Ulm so schwach ist, liegt nicht an Reichtum, wenig Armut, hoher Migrationsquote oder sonstiger angeblich genialer Stadtpolitik. Auch wenn genau das die Analyse der Bildzeitung in ihrem Artikel vom 23.06.24 ist.

Die zwei zentralen Gründe sind unserer Meinung nach die schwache AfD-Struktur in Ulm und das System der Kommunalwahl in Baden-Württemberg, was sich in dem prozentualen Wahlergebnissen wiederspiegelt.

In Baden-Württemberg müssen die Kandidat*innenlisten für Kommunalwahlen im Vorraus namentlich besetzt werden. Auf ihrer Liste für die Ulmer Gemeinderatswahl 2024 hatte die lokale AfD nur 8 Personen zu stehen – statt der möglichen 40 Listenplätze. Da bei der Gemeinderatswahl jeder Wählende 40 Stimmen hat, ergibt sich für die Ulmer AfD die Situation dass, sie bei gleich bleibender Wähler*innenzahlen im Vergleich zur EU-Wahl in der Gemeinderatswahl deutlich weniger Prozent erreichen würden.

Ein Beispiel

Um das anschaulich zu machen hier ein kleines Rechenbeispiel:

  • Nehmen wir mal an, 1000 Leute wählen in der Gemeinderatswahl. Jede Person hat 40 Stimmen. Also gibt es 40 000 Stimmen insgesamt.
  • Von den 1000 Menschen wählen 10% AfD – das sind 100 Leute. Die 100 Leute geben der AfD alle ihre Stimmen.
  • Nach dem kommunalen Wahlrecht können Stimmen kumuliert werden und so maximal drei Stimmen an einen Kandidatin pro Wählerin vergeben werden. Hier heißt konkret, dass bei acht AfD-Kandidat*innen 2024 jeder Kandidat pro Wähler*in 3 Stimmen bekommen kann. Also maximal 24 Stimmen pro Wähler*in.
  • Das ergibt 24×100 = 2400 Stimmen für die AfD.
  • 2400 Stimmen von 40 000 Stimmen sind 6%.
  • Im Vergleich dazu, wählen bei der Europawahl auch 1000 Menschen. Diese haben 1000 Stimmen. 10% wär der Wähler*innen wählen auch hier AfD – damit hätte die AfD ein Wahlergebnis von 10%.

Spezialfähigkeit Unfähig.

Hinzu kommt, dass die AfD in der ganzen Region kaum Wahlkampf gemacht hat. Es gab in Ulm 3-4 Infostände, im Alb-Donau-Kreis waren keine Infostände angemeldet. Flyer wurden vereinzelt verteilt. Medienwirksame Aktionen oder gar Interviews sind uns nicht bekannt. Wahplakate haben wir im gesamten Umland nur in einer niedrigen zweistelligen Zahl überhaupt gesehen. Die AfD fand in der Stadt Ulm und Alb-Donau kaum statt im Wahlkampf.

Die AfD erreichte bei der Gemeinderatswahl in Ulm 5.13% und zieht damit nicht mal in Fraktionsstärke in den neuen Gemeinderat ein (Dafür braucht es drei Sitze, bekommen haben sie nur zwei). Das alles spiegelt sich unserer Meinung nach in den Wahlergebnissen der AfD hier wieder.

Gerade im Vergleich zur AfD in Neu-Ulm wird das deutlich. Nichtsdestotrotz sitzen nun für die AfD nach dem ehemals bewaffneten Neonazi Markus Mössle, Daniel Rottmann und Nicolas Brickenstein im Gemeinderat. Rottmann ist Teil der christlich fundamentalistischen Rechten und saß für die AfD schon im Landtag Baden-Württemberg.

Dort betrieb er durch seine zahlreichen Anfragen Anti-Antifa Politik, tauchte jedoch selten zu Abstimmungen auf. Nicolas Brickenstein war jahrelang Aktivist in der faschistischen Identitären Bewegung.

Dieser Zusammenschluss ist Teil der Normalisierung faschistischer Ideologie im Rechtsruck und auch trotz des vergleichsweise schlechten Abschneidens der Ulmer AfD in der Gemeinderatswahl keinesfalls zu unterschätzen.

Trotz dieser strukturschwachen und überspitzt gesagt bisher ziemlich unfähigen AfD in Ulm und dem Alb-Donau Kreis ist klar: Hier gibt es Tausende die AfD wählen, seit Jahren. Bei der EU-Wahl haben 9,84% / 5.185 Menschen die AfD gewählt, dass es in der Gemeinderatswahl am gleichen Tag nur 5,13% waren liegt vor allem am Kommunalwahlsystem.

Wir sind uns sicher, dass die Fraktionsstärke im Gemeinderat nur verpasst wurde, weil die AfD Ulm so wenig Personal auf die Liste setzen konnten. Vorallem das hat Ulm vor einer AfD-Fraktion bewahrt.

These 5
Die Falsche Darstellung von Wiblingen

In dieser Grafik sind die prozentuellen Wahlergebnisse der AfD in den jeweiligen Ulmer Stadtteilen dargestellt. Dort dargestellt sind absolute Stimmen im Verhältnis zu Gesamtwähler*innenanzahl. Die Stadtteile sind aufsteigend nach Einwohner*innenzahl von links nach rechts geordnet.
In dieser Grafik ist das theoretische prozentuelle Wahlergebnis der AfD, die sich aus den absoluten Stimmen im Verhältnis zur gesamten volljährigen Bevölkerung berechnet. Die Stadtteile sind aufsteigend nach Einwohner*innenzahl von links nach rechts geordnet. Hier ist wichtig anzumerken, dass keine Vorraussage über ein tatsächliches Wahlergebnis gegeben werden kann, sondern dies eher ein Ausdruck des Verhältnis von Wahlberechtigung/ Wahlbeteiligung zu AfD-Stimmen darstellt.

In nahezu allen Analysen der Wahlergebnisse, wird die Wahlbeteiligung nur am Rande betrachtet. Völlig außen vorgelassen wird der Fakt, dass es nicht nur sehr viele Menschen gibt die nicht wählen gehen, sondern es gerade in den Städten auch eine größere Menge an Personen gibt, die gar nicht Wahlberechtigt sind. Dazu zählen neben Kindern und Jugendlichen auch alle Personen, die Aufgrund Ihrer Nationalität nicht demokratisch mitbestimmen dürfen.

Das diese Unterschiede die Ergebnisse, zum Teil erheblich, völlig anders wirken lassen, lässt sich beispielhaft an dem Stadtteil Wiblingen zeigen. Wiblingen war in den letzten Monaten geprägt von einer Debatte über neue Unterkünfte für Geflüchtete – zur EU Wahl war Wiblingen mehrfach wegen der scheinbar besonders hohen AfD Wahlergebnisse in der Lokalpresse Thema. Der Tenor: In Wiblingen ist die AfD in Ulm am stärksten.

Das stimmt nur, wenn wir auf das prozentuale Ergebniss schauen. Faktisch völlig außen vor gelassen wird bei den Diskussionen über den Stadtteil, dass sich dort viele Menschen gegen das Wählen entschieden haben und ein hoher Teil der Bevölkerung gar nicht wählen darf.

Die Daten dazu sind:

  • 16.374 Menschen wohnen in Wiblingen
  • 9.902 davon waren in der EU-Wahl wahlberechtigt
  • 4.963 haben gewählt.
  • 923 haben die AfD gewählt

Ja, in Prozenten sind das zwar 18,6% AfD-Stimmen in Wiblingen, auf die Wahlberechtigten oder gar die Gesamtbevölkerung gerechnet ergeben sich jedoch ein völlig anderes Bild. Wir haben im gesamten Stadtgebiet nicht nur die prozentualen Ergebnisse angeschaut, sondern auch die Stimmenanzahl der AfD auf alle dort lebenden über 18 jährigen Personen. Dabei fällt auf: jede 10. Person hat in Gögglingen AfD gewählt. In Wiblingen ist es jede 13 Person.

Der Punkt ist, dass Wiblingen mehrfach als die AfD-Hochburg in Ulm dargestellt wurde und wird – das sehen wir anhand der Daten so nicht bestätigt. Wir glauben das der öffentliche Diskurs über Wiblingen oft ein Zerrbild dieses Stadtteils darstellt, da er sich deutlich von anderen Ulmer Stadtteilen unterscheidet.

Wiblingen wird als “sozialer Brennpunkt” diskutiert, statt als das was er ist: der arme Stadtteil mit einem hohem Anteil an migrantisierten Menschen. Geographisch weit draußen, mit mehr Plattenbau statt Wohneigentum. Die Falschbehauptung, dass die AfD in Wiblingen besonders stark sei, könnte unserer Meinung nach auch aus dem Vorurteil kommen, dass Armut und Unzufriedenheit mit dem sozialen Status angeblich mit mehr AfD wählen zusammenhängt. Dieser Erklärungsansatz des Rechtsrucks kann mit den Daten der EU-Wahl in Ulm nicht bestätigt werden – es ist unwahrscheinlicher in Wiblingen auf der Straße Leute zu treffen, die die AfD gewählt haben als in Gögglingen, Eggingen oder Ermingen.

Fazit

Am Anfang sind wir mit der Frage wo rechte Hochburgen in der Region sind in dieses tiefe Datenloch der Analyse gestartet. Die Erkenntnisse aus der Datenauswertung wollen wir allen in der Region nahelegen, die gegen Rechts engagieren oder es gerne machen wollen. Aber auch darüber hinaus denken wir sind einige Thesen dabei, die unserer Meinung nach kein regionales Phänomen sind und auch für andere relevant sein könnten:

  1. Es gibt ein Gefälle von Stadt zu Land beim Rechtsruck. Das ist eine der zentralen Punkte, die wir immer wieder wahrnehmen. Dieses Gefälle sehen wir nicht nur in Ulm sondern überregional, auch über Differenzen zwischen Ost und West und auch in mehreren anderen Ländern. Zum Beispiel vor kurzem bei den Nationalratswahlen in Frankreich. Wir glauben das diese Entwicklung anzuerkennen und mehr darüber zu diskutieren zentrales Thema ist für erfolgreichen Antifaschismus.
  2. Der Blinde Fleck: nicht nur Wahlbeteiligung, sondern wer darf überhaupt wählen. Apelle bitte dieses mal noch wählen zu gehen sind keine langfristige Strategie gegen den Rechtsruck. Der Fokus darauf die reine Wahlbeteiligung hochzukriegen, halten wir nicht für sinnvoll. Und bevor ganze Stadtteile als rechte Hochburgen deklariert werden, lohnt sich ein genauerer Blick. Es kommt nämlich immer auf den jeweiligen Wahlkreis und sehr stark auf das soziale Gefüge dort an.
  3. AfD Wahlkampf Weniger entscheidend ist zumindest in Ulm der eigentliche Wahlkampf (öffentliche Veranstaltungen etc.) sondern eher der Zustand der Partei. Wie viele Leute lassen sich aufstellen, wer agiert öffentlich im Namen der AfD. Wir denken, daraus lassen sich strategische Rückschlüsse für einen effektiven Antifaschismus ziehen.
  4. Gibt es ein Ende? Die AfD scheint eine Kernwählerschaft zu haben, die unbeeindruckt von Skandalen weiterhin AfD wählt. Wie groß diese unbeirrbare Kernwählerschaft ist, ist ortsabhängig und kann nicht immer klar beziffert werden.

Was wir hoffen ist, dass diese potentiale Wählerschaft ein Maximum hat, das irgendwann erreicht ist. In Frankreich haben wir gerade gesehen, dass es in einem Entweder Oder-Szenario (Nationalratswahl 2024) ein Maximum an extrem rechten Wähler*innenpotential gibt. Das Problem ist, dass dieses gebündelte Potential schon reichen kann um ein System zu verändern und einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck zu bewirken.

Lasst uns weiter dem Rechtsruck entgegen stehen!
Beteiligt euch und werdet aktiv gegen Rechts!