Berufungsprozess im Fall Normannia gestartet

Am 16.09. begann vor dem Heidelberger Landgericht der Berufungsprozess im Fall des antisemitischen Angriffs auf dem Haus der Burschenschaft Normannia vor 4 Jahren.

Auf den Aufruf von Antifaschist*innen, den Prozess kritisch zu begleiten, reagierte das Landgericht mit strengen Einlasskontrollen – so mussten alle Besucher*innen beim Einlass in den Verhandlungssaal ihren Personalausweis abgeben und durften keinerlei elektronische Geräte mit hinein nehmen. Mehrfach wurden darüber hinaus willkürlich Schlüssel, Bücher und Geldbeutel einbehalten, in mehreren Fällen wollten die anwesenden Polizist*innen sogar Notizbücher einbehalten, was abgewendet werden konnte. Die Demonstration von Macht und Einschüchterung von anwesenden Antifaschist*innen und anderer Besucher*innen war offensichtliches Ziel der Maßnahmen.

Vor Gericht erschienen nur noch zwei Angeklagte: Luis S. wurde von Max Bartusch begleitet, Maximilian Hunze hatte mit Andreas Schoemaker und Mattis Mayer gleich zwei rechte Szene-Anwälte dabei.

Lukas K. hatte die Berufung gegen sein Urteil kurz vor Prozessbeginn Ende letzter Woche noch zurückgezogen. Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren – allerdings wird die Öffentlichkeit und die Aussicht auf eine mediale Aufbereitung der Prozesse in seiner Entscheidung sicher eine Rolle gespielt haben. Lukas K. ist damit rechtskräftig wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Beleidung zu 8 Monaten Haft ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung verurteilt. Die anderen beiden versuchen weiterhin, dieses Urteil abzuwenden oder zu mindern

Während die Angeklagten im vorherigen Prozess im Winter 2022 schwiegen, begann der Berufungsprozess mit ausführlichen Erklärungen, die die Angeklagten bzw. ihre Vertretung vortrugen. Darin spielen sie den antisemitischen Vorfall herunter und leugnen ihre Beteiligung an den Angriffen auf den Verbindungsstudenten Philipp S. Ausgesprochen häufig geht es erneut um ein Ritual, das es in der Burschenschaft Normannia gegeben haben soll: das „Gürteln“, bei dem sich in beidseitigem Einverständnis mit Gürteln ausgepeitscht wird. So soll es nämlich auch beim Geschädigten gewesen sei, der dieses Ritual gekannt habe. Bei einigen Besucher*innen drängte sich das Gefühl auf, dass die Burschenschafter viele Aspekte ihrer Sexualität unterdrücken und anders kanalisieren müssen, um in das heteronormative Bild des „starken Mannes“ zu passen.

Auffallend war auch, dass beide Angeklagten zumindest nach außen auf Abstand zu ihren Verbindungen gehen. Luis S. erklärte für sich, dass er in keinem Verhältnis mehr zur Burschenschaft Normannia stehe, und wegen Komplikationen bei seinem Auszug aus der Burschen-Villa sogar kurz erwägt habe, rechtliche Schritte gegen sie einzuleiten. Dass Maximilian H. kürzlich aus der Burschenschaft Germania Köln ausgetreten sei, wurde durch den Vorsitzenden des Altherrenvereins, Markus K., berichtet. Als Wohnanschrift wurde für H. allerdings weiterhin die Burschenschaft Germania angegeben.

All diese Aussagen sind mit Vorsicht zu genießen: oft erhoffen sich Recht durch öffentliche Distanzierungen von ihren (ehemaligen) Strukturen ein milderes Urteil, was nicht selten funktioniert. Über die tatsächliche politische Aktivität der Angeklagten und ihre Verstrickungen in rechte Netzwerke sagt dies daher wenig aus.

Die geladenen Zeugen brachten insgesamt wenig Neues. Gunnar H., ehemaliger „Altherrenvorsitzender“ der Burschenschaft Normannia schwankte in seinen Aussagen stark hin und her, berief sich auf seinen Rausch am Tatabend und machte insgesamt nicht den Eindruck, etwas Neues zum Sachverhalt beitragen zu können oder zu wollen. Nach den Vorfällen habe er den „Convent“ einberufen, der die Auflösung der Aktivitas, die damals aus 7-8 Burschen bestanden haben soll, beschloss. Egon M. habe dieses Treffen geleitet – dieser berichtete dann im Zeugenstand dramatisch von den vielen Tränen, als die Burschen „ihr Couleur ablegen“ mussten. Egon M., CDU-Politiker und ehemaliger Polizeihauptkommissar berichtete, er habe damals umgehend den damaligen Polizeipräsidenten Baden-Württembergs kontaktiert – er beschwerte sich, nicht über die Ermittlungen informiert worden zu sein und gab an, er hätte gerne „selber ermittelt“. Das glauben wir tatsächlich gerne.

Laut Egon M. gibt es aktuell keine Aktivitas der in Cimbria umbenannten Burschenschaft – der Ruf der Struktur sei so nachhaltig zerstört, dass niemand dorthin kommen wolle. Auch die Erwartung, dass sich das öffentliche Interesse mit der Zeit lege und ein Neustart mit der Umbenennung so möglich werde, sei nicht eingetroffen.

Nachdem eine Polizeibeamtin, die bei der Hausdurchsuchung am 03.09.2020 anwesend war, ihre Aussage aus dem letzten Prozess wiederholte, saß daraufhin der Altherrenvorsitzende der Burschenschaft Germania Köln, Markus K., im Zeugenstand. Dieser bestätigte, dass Maximilian H. für den AfD-Politiker Klaus Esser im nordrhein-westfälischen Landtag gearbeitet habe. Wie wir seit einiger Zeit wissen, hat nicht nur Maximilian H. seinen Job dort verloren: auch Klaus Esser musste zurücktreten, nachdem aufflog, dass er seinen Jura-Abschluss gefälscht hatte. Um die rechte Burschenschaft Germania Köln scheint es ebenfalls nicht gut zu stehen: Lukas K., nun rechtskräftig verurteilt, belegte aus Personalmangel wohl zwischenzeitlich mehrere oder gar alle Ämter der Burschenschaft. Hoffentlich setzt sich dieser Trend fort.

Der letzte Zeuge für den ersten Prozesstag war Steffen K., ein Mitglied der „Alten Halleschen Burschenschaft Rhenania-Salingia“, der über Gunnar H. zur Feier am 28.08.2020 kam. Die Rhenania nimmt im rechtsradikalen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ eine tragende Rolle ein, während die Kontakte zur AfD bestens geknüpft sind. Steffen K. bezeichnete die Münzwürfe auf den Geschädigten als antisemitisch motiviert. Dass der Geschädigte laut Aussage von Luis S. einer der häufigsten Gäste auf dem Haus der Burschenschaft Normannia gewesen sein soll, ist durchaus denkbar. Die „Alte Leipziger Landsmannschaft Afrania“, in der der Geschädigte Mitglied war oder ist, kann durchaus auch als rechts bezeichnet werden. Dass der ehemalige Sprecher der Burschenschaft Normannia, Kilian D., nun im Sommersemester 2024 als Mitglied der Afrania gelistet wird, zeigt, dass dort keiner ein Problem mit Rechten hat. Demant war 2019 an einem Angriff auf Verbindungsstudenten der Rupertia beteiligt, und hat laut internen Emails mehrfach – unter anderem bei einem Treffen mit der Germania Köln 2019 – „Heil Hitler“ gerufen.

Der nächste Prozesstag ist am Donnerstag, 19.09., um 9 Uhr am Landgericht.

Wir rufen erneut dazu auf, auch diesen Prozesstag zu beobachten!

Stellt euch auch erneut auf Kontrollen ein und seid rechtzeitig am Landgericht.


Mit der Kampagne „Kein neues Kapitel“ stellen sich antifaschistische Kräfte und Organisationen in Heidelberg gegen den Wiederaufbau der Burschenschaft Normannia bzw. Cimbria und den Filz der Verbingung, der sich weit in bürgerliche Kreise und Behörden zieht.

Auf der Seite findet ihr nicht nur Infos rund um den Berufungsprozess, der gerade angelaufen ist, sondern auch ausführliche Hintergrundinformationen sowie ein Verbindungswörterbuch. Auch auf dem Instagram-Kanal der Kampagne könnt ihr euch auf dem aktuellen Stand halten; hier erschien kürzlich ein kleiner Rückblick auf die Vorfälle vor vier Jahren, weswegen sich nun einige Burschen vor dem Landgericht Heidelberg verantworten müssen:

„👉 Auch wenn die Burschenschaft Normannia Antifaschist:innen schon etliche Jahre als Nazi-Struktur bekannt war, geriet sie für viele erst mit dem antisemitischen Angriff 2020 in das öffentliche Bewusstsein.
⏳ Mittlerweile sind 4 Jahre vergangen – als Kampagne setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass die rechten Umtriebe nicht in Vergessenheit geraten und ein Wiederaufbau der Burschenschaft unter dem neuen Namen Cimbria nicht gelingt.“