Neonazis obenauf

Das Attentat von Magdeburg bringt die rechte Szene weit über die BRD hinaus in Aufstandsstimmung. AfD mobilisiert mit Wahnbehauptungen

Am Freitag abend fuhr ein schwarzer BMW mit hoher Geschwindigkeit auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg – fünf Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Der Fahrer Taleb Al-Abdulmohsen, ein in Bernburg arbeitender Psychiater saudiarabischer Herkunft, wurde kurz darauf neben dem Tatfahrzeug festgenommen. Nach einer Vernehmung am Sonnabend sitzt er seit der Nacht zum Sonntag in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Polizei hatte er schon vor Jahren mit einem Anschlag gedroht. Motiv: Deutschland sei schuld an der vermeintlichen Islamisierung Europas. Er sah sich offenbar als Parteigänger der AfD.

Obwohl der Attentäter sich als islamophober AfD-Fan zu erkennen gab, nutzten Faschisten am Sonnabend in Magdeburg den Anschlag für ihre Zwecke

In den »sozialen Medien« wurde unmittelbar nach der Tat insbesondere von AfD-Politikern eine Welle von Fremdenhass und Hetze gegen Migranten losgetreten, insbesondere auf der Plattform X des sich als rechter Einpeitscher betätigenden Multimilliardärs Elon Musk. Musk nimmt bereits vor dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump als dessen wichtigster Berater Einfluss auf die Regierungsgeschäfte in Washington; inzwischen orchestriert er über X rechte Bewegungen in verschiedenen Ländern. Er hatte am Freitag vor dem Attentat zu einem Video der rechten deutschen »Influencerin« Naomi Seibt geschrieben: »Nur die AfD kann Deutschland retten«, was ihm den Dank der AfD-Kovorsitzenden Alice Weidel einbrachte. Nach dem Anschlag erklärte Musk, die AfD sei die »einzige Hoffnung«. Er schrieb in einer Serie von Postings: »Scholz sollte sofort zurücktreten«, und fügte hinzu: »Incompetent fool« (etwa: unfähiger Narr). Die Aufenthaltsgenehmigung für Al-Abdulmohsen statt dessen Abschiebung, wie von Saudi-Arabien mehrfach verlangt, nannte er »suizidale Empathie der deutschen Regierung«.

In diesem Tenor überschwemmten Hassbekundungen das Netz. Der österreichische Neofaschist Martin Sellner, Kopf der sogenannten Identitären Bewegung, fabulierte zum Beispiel von elf Toten in Magdeburg, von Sprengstoff in Autos, von mehreren Tätern auf der Flucht und erklärte den Attentäter für einen Syrer. Die »sozialen Medien«, insbesondere X, wirkten offenbar in dieser Dimension erstmals als Organisator. Bereits am Sonnabend abend versammelten sich laut dem Bericht eines FAZ-Reporters am Magdeburger Hauptbahnhof mehrere hundert Neonazis, die Passanten anpöbelten und Parolen wie »Nationaler Sozialismus!« skandierten. Aufgerufen hatte die Splitterpartei »Die Heimat«, ehemals NPD. Laut MDR versammelten sich die Demonstranten auf dem nahegelegenen Hasselbachplatz und forderten vor allem »Remigration« und »Widerstand«.

Magdeburg, 21. Dezember: Einsatzkräfte nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt

Das Bündnis gegen rechts »Miteinander« und der DGB Sachsen-Anhalt kritisierten die Versuche, den Anschlag politisch auszunutzen. In einer Erklärung hieß es am Sonntag: »Jetzt ist nicht die Zeit für Polarisierung oder gar politische Indienstnahme.« Die Menschen der Stadt Magdeburg und alle brauchten »eine Atempause, eine Zeit der Besinnung, um das Geschehen zu verarbeiten«.

Die AfD verweigert sich dem. Sie hat für Montag (17 Uhr) zu einer Kundgebung auf dem Magdeburger Domplatz mit anschließendem Trauermarsch eingeladen. Dazu werden Weidel sowie mehrere AfD-Landespolitiker erwartet. In der Einladung heißt es, die schreckliche Tat zeige auf dramatische Weise die Gefahren der derzeitigen Einwanderungspolitik. Parallel zur AfD-Veranstaltung hat eine Initiative namens »Gib Hass keine Chance« zu einer Menschenkette um den Alten Markt aufgerufen.


Zum politischen Geschehen in den Medien und öffentlicher Wahrnehmung veröffentlichte die junge Welt am 24.12.2024 zudem einen Kommentar von Nico Popp:

Wahnhafter Zirkel

Wenige Tage nach dem Anschlag von Magdeburg ist klar, dass in diesem Fall die Ablösung der politischen Verwertung vom konkreten Sachverhalt ungewöhnlich rasch erfolgt ist. Tatsache ist, dass sich der Täter, dessen intellektuelle Kapazität aus dem von ihm verbreiteten Befund ersichtlich wird, der deutsche Staat wolle Europa »islamisieren«, seit vielen Jahren in Netzwerken bewegt hat, deren wesentliche Funktion es ist, mit »Islamkritik« imperialistischen Kriegen und der Spaltung der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Hauptländern zuzuarbeiten, indem etwa die Flucht- und Migrationsbewegungen aus dem globalen Süden zur lebensweltlichen Bedrohung stilisiert werden.

Der Mann, der sich vor fünf Jahren in der FAZ als »aggressivster Kritiker des Islams in der Geschichte« vorstellen durfte, hat noch wenige Tage vor dem Anschlag einer rechten US-Plattform, die ihr Publikum mit den »schädlichen Auswirkungen des Kommunismus und der islamischen Vorherrschaft auf die Zivilisation« vertraut machen will, ein Interview gegeben. Da ist also jemand ziemlich dicht dran gewesen an Debatten, die die ideologische Überbauarbeit im »Westen« strukturieren.

Buden des geschlossenen Magdeburger Weihnachtsmarktes am Montag

Auf diesen Umstand ist von den Akteuren dieser Ideologieproduktion in den vergangenen zwei Tagen nicht ungeschickt reagiert worden. Zunächst hat, als am Sonnabend nach und nach ersichtlich wurde, dass der Täter kein Islamist, sondern ein »Kritiker« des Islams, ein Bejubler von Elon Musk, Geert Wilders und der AfD ist, eine Bewegung eingesetzt, den Facharzt für Psychiatrie zu einem klinischen Fall von Verrücktheit zu erklären – vorneweg in jenem Ökosystem aus »libertären«, neoliberalen und halbfaschistischen Multiplikatoren mit globaler Reichweite, das sich beim Kurznachrichtendienst X um den Account von Musk gebildet hat. Hektische Versuche, den Täter als besonders raffiniert getarnten Islamisten zu enttarnen, sind dort unterdessen eingestellt worden.

Mit der Pathologisierung von politischem Wahn ist das so eine Sache: Sie wird vorzugsweise von Leuten vorgenommen, denen die Verrücktheiten im Einzelfall gar nicht so fremd, aber in ihrem konkreten Resultat unangenehm sind. Im Magdeburger Fall hat der Schachzug, das politische Profil des Täters für belanglos zu erklären – und hierhin gehört auch die aktuelle Konzentration auf das »Versagen« behördlicher Stellen –, die unmittelbar praktische Folge, dass ein Effekt noch verstärkt wird, mit dem ohnehin zu rechnen ist: Bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ist in Hinsicht auf den Magdeburger Anschlag lediglich angekommen, dass ein Mann aus Saudi-Arabien mit der Absicht über den Weihnachtsmarkt gerast ist, Menschen zu töten. Mit diesem Reduktionismus taugt auch noch der »aggressivste Kritiker des Islams« als Belegmaterial für die Gefahren einer eingebildeten »Islamisierung«. Der wahnhafte Zirkel ist komplett: Kurzfristig wird es die politische Rechte sein, auf deren Konto dieser Anschlag eines Rechten einzahlt.