Haftstrafen für klandestinen Neonazi-Verlag „Der Schelm“

Ab dem 14. März 2024 verhandelt das Oberlandesgericht Dresden gegen drei Personen, die „unter dem Dach des Verlags ‚Der Schelm‘ antisemitische und nationalsozialistische Ideologie“ verbreitet haben sollen. Der Verlag vertreibt seit 2015 zahlreiche unkommentierte Nachdrucke von NS-Literatur sowie Bücher, in denen der Holocaust geleugnet wird.


Adrian Preißinger galt als Verlagsinhaber.

Vereinigung nach Paragraf 129 StGB zur Last, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten der Volksverhetzung gerichtet sei. Aus „prozessökonomischen Gründen“ ist dabei nur das Vorhalten volksverhetzender Bücher angeklagt.

Der wichtigste Protagonist fehlt: Adrian Preißinger (*1964), vorbestraft wegen der Produktion und des Vertriebs extrem rechter Tonträger um die Jahrtausendwende. Er sei Inhaber des Verlags und lebt seit einigen Jahren in Russland. Im August 2018 soll Preißinger sich mit Enrico Böhm und Annemarie K. und spätestens im Jahr 2019 mit Matthias B. zusammengeschlossen haben. Mit 46.576 verkauften Druckerzeugnissen habe man bis Ende 2020 mindestens 809.749 Euro Umsatz erzielt, so die Anklage. Weitere 53.617 Exemplare wurden bei einer Durchsuchung im Dezember 2020 in einer Lagerhalle in Bad Lausick sichergestellt. Davon sollen 47.660 Stück mit einem potenziellen Verkaufswert von 913.000 Euro volksverhetzende Inhalte oder Werbung für solche enthalten haben.

Die Anklage listet 82 Titel namentlich auf, neben „Mein Kampf“ etwa „Die jüdische Weltpest“ und „Der Giftpilz“. Ob sich etwa das Buch „Voll-Zionismus“ mit 960 beschlagnahmten Exemplaren besser oder schlechter verkauft hatte als „Die Auschwitz-Lüge“, von dem lediglich ein Exemplar sichergestellt wurde, bleibt dabei offen.

Alle Angeklagten geben Einlassungen ab. Matthias B. erzählt von seiner Ausbildung zum Mediengestalter im „Deutsche-Stimme“-Verlag (NPD), wo er Adrian Preißinger kennenlernte. Im Jahr 2010 habe er dort gekündigt, sei aus der NPD ausgetreten und habe seinen eigenen Verlag „Libergraphix“ eröffnet. Schnell habe Preißinger mit dem Manuskript von Wolfgang Hackerts Buch „Die jüdische Epoche“ angeklopft, dafür aber „50/50“ gewollt – Matthias B. habe die ganze Arbeit gehabt, es sei nicht gut gelaufen und habe zu einem „riesigen Schuldenberg“ geführt. Ein anderes Mal habe jemand 8.000 Euro im Tausch gegen 100 Belegexemplare geboten, um „Der internationale Jude“ von Henry Ford herauszugeben. Weil das Buch im Rahmen seines übrigen Verlagsangebots volksverhetzend sein könne, sein Geschäftspartner Preißinger aber das Geld einstreichen wollte, habe man dafür im Jahr 2014 einen eigenen Verlag gegründet – den „Schelm“. Dabei habe Preißinger gemerkt, dass in dieser Nische gutes Geld zu verdienen sei, und weitere Bücher herausgebracht. Zunächst deklariert als „wissenschaftliche Quellentexte“ mit einem Distanzierungsvermerk, der später polemischer geworden und schließlich ganz entfallen sei.

Von 2015 bis 2018 habe Margret Nickel, Betreiberin der extrem rechten „Klosterhaus-Versandbuchhandlung“1„Kloster-Buchhandlung und Klosterhaus-Versand Wahlsburg-Lippoldsberg Inh. Margret Nickel e.K“ aus Wesertal. (HRA 16727 AG Kassel) , die Versandtätigkeiten des „Schelm“ ausgeführt. Als ihr dies „zu heiß“ wurde, habe Preißinger in Böhm einen Nachfolger gefunden, der es „noch billiger als Margret“ mache. Matthias B. hatte zuvor abgelehnt, stieg im Januar 2019 aber dennoch ein. In der Lagerhalle habe er ein Warenwirtschaftssystem, Labeldrucker und Handscanner installiert. Bis Ende 2020 seien dort über 16.000 Bestellungen bearbeitet worden.

Die im Februar 2020 veröffentlichte Recherche des Videoformats „STRG_F“, das Enrico Böhm als Mitarbeiter des „Schelm“ enttarnt hatte, habe zu vielen Neukunden geführt. Nach der Razzia im Dezember 2020 sei B. aus dem „Schelm“ ausgestiegen und habe auf Preißingers Bitte alle Daten auf eine Festplatte kopiert und an einen „Kameraden“ in Estland gesendet. Im Juni 2022 wurde Matthias B. kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen. Dort habe er sich an das Aussteigerprogramm „EXIT-Deutschland“ gewendet, das seinen Ausstieg betreue. B. schildert, dass er dem Landeskriminalamt Sachsen alle Passwörter übergeben, die Datenbanken des Onlineshops und des Warenwirtschaftssystems beschafft und Preißingers Aufenthaltsort bestimmt habe. Er habe den Ermittlern auch dargelegt, wie der Verlag seit der Beschlagnahmung weiter ausliefere, habe die Druckerei in Ungarn benannt, Scheinfirmen, Konten und Namen aufgelistet.

So betreue Martin R., ein Schweizer, der in Thailand lebe, die IT des „Schelm“. Ein Deutsch-Australier namens Andrew W. sei für das Hosting verantwortlich gewesen, ein Dennis K. sei Grafiker. Die Verkaufspreise schätzt B. auf das Sechsfache der Druckkosten. Preißinger habe am Ende mehr als die Hälfte der Einnahmen erhalten, rechnet er vor, und zusätzlich „Buchpatenschaften“ und Spenden eingeworben. Von den „Schelm“-Konten, die teils über Strohmänner in mehreren europäischen Staaten eingerichtet wurden, habe Preißinger regelmäßig Gelder in die Ukraine oder nach Russland transferiert. Mehrmals im Jahr seien ihnen Konten gekündigt worden, meist habe er dann direkt ein neues in der Hinterhand gehabt. Matthias B. beschreibt Preißinger als „ordentlichen Antisemiten“, dem es „aber genauso ums Geld“ gehe.

Kürzer fallen die Einlassungen der Mitangeklagten aus, die sich von den rechten Szene-Anwälten Arndt Hohnstädter und Peter Richter verteidigen lassen. Böhm will lediglich Packlisten abgearbeitet haben. Ebenso wie Matthias B. habe er keines der Bücher gelesen. Dass er antisemitische Schriften verkaufe, sei ihm jedoch klar gewesen. Einen kleinen Teil der Lagerflächen habe er für seinen eigenen Onlineversand genutzt. Die sichergestellten schwarzen „Zaubertassen“, auf denen beim Einfüllen eines heißen Getränks ein Hakenkreuz erscheine, seien allerdings nicht frei verkauft worden. Die Angeklagten beantworten zahlreiche Rückfragen des Gerichts, etwa über ihre Aktivitäten in der NPD.

Ein Zeuge des LKA bestätigt die Inhalte der Geständnisse im Wesentlichen und ergänzt, dass Böhm bei der Identifizierung von „Gargamel“ geholfen habe, der dem „Schelm“ bei IT-Problemen geholfen habe. Dahinter stecke der ausgewanderte Deutsche Jerome D.

Erkenntnisse gebracht habe auch die Observation und Telekommunikationsüberwachung der Angeklagten. Zudem hatte das LKA eine Testbestellung getätigt und davon Fingerabdrücke und DNA gesichert. Der Ermittler deutet weiterhin an, wie der Verlag seit der Razzia weiter ausliefere. Er erwähnt Sendungen des britischen Verlags „Castle Hill Publishers“, eine Druckerei im polnischen Szczecin und einen Versandweg nach Wertheim am Main (Baden-Württemberg). Anschließend werden Teile der mit „Cellebrite“ erstellten Extraktionsprotokkolle der beschlagnahmten Mobiltelefone in Augenschein genommen. Von Annemarie K.s Smartphone werden Bilder mit Hakenkreuzen gezeigt, das „Schelm“-Logo und die Grafik „tasse2.png“, die ebenfalls ein Hakenkreuz enthält. Bei Böhm sind es Hitlerbilder, Hakenkreuze, SS-Runen und diverse Neonazi-Propagandamotive. Böhm bestätigt auch, dass ihm die E-Mail-Adresse „zeitzeugenvortrag“ bei gmail gehört. Mit dieser Adresse waren 2019 und 2020 mehrere NS-“Zeitzeugenvorträge“ in Leipzig und Umgebung beworben worden.

Matthias B. nutzt das letzte Wort, um sich für seinen Tatbeitrag „an diesem Wahnsinn und Irrsinn“ zu entschuldigen. Enrico Böhm beteuert, nie zum Hass anstacheln zu wollen und kein Antisemit zu sein. Annemarie K. betont, sie würde sich „rückblickend nicht noch einmal dazu drängen lassen, das mitzumachen“.

Nach neun Verhandlungstagen verurteilt das Gericht unter Vorsitz von Hans Schlüter-Staats die Angeklagten am 29. April 2024 wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Volksverhetzung. Enrico Böhm soll eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten absitzen. Matthias B. erhält eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, Annemarie K. ein Jahr und sechs Monate. Zudem seien die beschlagnahmten Druckwerke und große Teile der Einnahmen einzuziehen.

Für Antifaschist:innen bot der Prozess aufschlussreiche Einblicke in ein Neonazi-Netzwerk, aber auch in die prekären Lebensumstände mancher Akteure. So scheint Preißinger in Europa immer neue Handlanger für sein Versandgeschäft zu finden. Ohnehin ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen. Enrico Böhm, Annemarie K. und der Generalbundesanwalt haben Revision gegen das Urteil eingelegt.


Dieser Artikel stammt vom Antifaschistischen Info-Blatt. Schaut gerne mal dort vorbei! Dort gibt es immer wieder gute Rechercheartikel über die rechte Szene, aber auch politische Analysen und Berichte rund um das Thema Anitfa und darüber hinaus.

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    „Kloster-Buchhandlung und Klosterhaus-Versand Wahlsburg-Lippoldsberg Inh. Margret Nickel e.K“ aus Wesertal. (HRA 16727 AG Kassel)