Die Bundesregierung höhlt mit der Aussetzung des Familiennachzugs nicht nur das Asylrecht weiter aus und erwägt sogar mit der Taliban zu verhandeln um schneller abschieben zu können, sondern will mit den Grenzkontrollen vermeintlich massenhafte illegale Migration verhindern. Das Dublin-Verfahren macht sie sich zu nutze um sich aus der Affäre zu ziehen, dabei ist doch die deutsche Außenpolitik mit Schuld daran, dass Menschen sich überhaupt auf die Flucht begeben. Dobrindts „harte Linie“ an den deutschen Grenzen ist nicht nur teuer und widerspricht dem Schengenabkommen, sondern ist dazu teuer und rassistische Diskursverschiebung: Uns geht es nicht wirtschaftlich schlecht, weil Geflüchtete zu uns kommen und die Kommunenkassen sind nicht leer, weil sie mit der Unterbringung von Geflüchteten beauftragt sind. Vielmehr sind es die Profitinteressen der Kapitalist:innen, die auch in wirtschaftlich schlecht laufenden Zeiten finanzielles Plus für sich aus der arbeitenden Gesellschaft pressen oder Sondervermögen für Aufrüstung und Krieg die locker gemacht werden, wo sie doch an anderer Stelle nötiger und richtiger wären.
Obendrauf hat nun Polen beschlossen, die Geflüchteten, die von Deutschland aus zurückgeschickt werden ebenfalls an der Grenze abzuweisen – zurück nach Deutschland. Dieses mögliche Ping-Pong-Spiel ließe sich als machtpolitische Trickserei abtun zwischen Politikern, die sich im nach-rechts-Rücken gegenseitig überbieten, doch es geht um Menschen(-leben)! Geflüchtete sind nun nicht nur gefährdet duch die Fluchtroute an sich, sondern werden zusätzlich an Grenzen drangsaliert und von rechten Bürgerwehren angegriffen.
Wie es dazu kam, war in der jungen Welt in den vergangenen Tagen zu verfolgen:
Vor Rechten eingeknickt
Polens Regierungschef Donald Tusk kündigt Kontrollen an Grenzen zu Deutschland und Litauen an. Reaktion auf Demos der vergangenen Tage
Polen wird ab kommenden Montag an seinen Grenzen zu Deutschland – und Litauen – Kontrollen einführen. Das kündigte Ministerpräsident Donald Tusk am Dienstag in Warschau an. Demnach soll die Maßnahme »vorübergehend« sein und die »illegale Migration von und nach Polen unterbinden«. Die Maßnahme ist laut der entsprechenden Verordnung des Innenministeriums in Warschau vorerst bis zum 5. September terminiert. Gegenüber den beiden anderen Nachbarländern innerhalb der Schengen-Zone, Tschechien und der Slowakei, sind offenbar keine Grenzkontrollen geplant.

Tusks Entscheidung hat einen Doppelcharakter. Einerseits ist sie die Konsequenz aus den von der Bundesregierung eingeführten Überprüfungen auf der deutschen Seite der Grenze. Als Folge waren nach Angaben des Innenministeriums gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom Mittwoch 250 abgewiesene Asylsuchende nach Polen zurückgeschickt worden. Die Bundespolizei nannte laut FAZ vom Mittwoch die Zahl von 284 Personen allein zwischen dem 8. Mai und dem 30. Juni. 2024 hatte es laut SZ insgesamt 690 Zurückweisungen gegeben. Das bedeutet, dass die Zahlen zwar nicht hoch, aber zuletzt stark angestiegen sind. Tusk hatte bereits im März gegenüber der Bundesregierung gegen die Grenzkontrollen protestiert. Offiziell, weil sie die knapp 100.000 Polen behinderten, die täglich über die Grenze zur Arbeit in Deutschland pendeln. Faktisch sicher auch, weil Warschau dadurch auf Menschen »sitzenbleibt«, die es gern an die BRD losgeworden wäre.
Im Zusammenhang damit warnte in Deutschland die sogenannte Gewerkschaft der Polizei vor einem »Pingpongspiel« an der Grenze. Der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, der CDU-Politiker Knut Abraham, äußerte die Sorge, dass die Kontrollen jetzt zum Dauerzustand werden könnten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zeigte dagegen Verständnis dafür.
Tusks Entscheidung ist aber auch eine Reaktion auf die Aktivitäten rechter Bürgerwehren. Erst am Sonntag hatten Hunderte solcher Aktivisten an mehreren Grenzübergängen demonstriert und erklärt, sie wollten »illegale Migranten« daran hindern, polnischen Boden zu betreten. Vereinzelt soll es auch Angriffe auf Schutzsuchende gegeben haben. Der Vorwurf der Untätigkeit angesichts der nur noch im Zusammenhang mit dem Adjektiv »illegal« beschriebenen Migration hat die Tusk-Regierung anscheinend in Zugzwang gebracht. Die Rechte dominiert eindeutig den Diskurs über das Thema. Humanitär oder auch nur rechtsstaatlich argumentierende Stimmen sind praktisch nicht mehr zu hören. Nachdem Geflüchtete seit drei Jahren als Instrumente der »hybriden Kriegführung« Russlands gegen Polen dargestellt worden sind, wundert es nicht, dass sich die menschliche Sympathie für sie jetzt in engen Grenzen hält.
Unterdessen steht der Amtseinführung des am 1. Juni gewählten neuen polnischen Staatspräsidenten Karol Nawrocki nichts mehr entgegen. Parlamentspräsident Szymon Hołownia kündigte an, er werde für den 6. August eine gemeinsame Sitzung beider Parlamentskammern einberufen, um Nawrocki zu vereidigen. Er setzte sich damit über Anregungen Tusks hinweg, diese Sitzung aus formalen Gründen nicht anzusetzen. Hołownia reagierte mit seiner Ansage darauf, dass der Oberste Gerichtshof am Dienstag abend die Wahl Nawrockis bestätigt hatte. Es habe zwar Unregelmäßigkeiten gegeben, aber die seien Folge einer Überlastung der Wahlhelfer, und ihr Ausmaß sei nicht so groß gewesen, dass sie das Ergebnis hätten umkehren können, sagte der Vorsitzende Richter. Drei Richter wiesen diese Argumentation allerdings in Sondervoten zurück.
Einwände von Justizminister Adam Bodnar, der mit der Wahlprüfung beauftragte Senat sei noch von der PiS-Regierung berufen und mit Vertrauenspersonen besetzt worden, wirkten eher wie hilflose Rückzugsgefechte. Insgesamt 5.000 Bürger hatten Einspruch gegen die Wahlergebnisse vom 1. Juni eingelegt. Weil das aber oft auf einem in der Kanzlei des Abgeordneten Roman Giertych von Tusks »Bürgerplattform« erstellten Formblatt und ohne genaue Schilderung geschehen war, welche Fehler passiert sein sollen, hatte der Oberste Gerichtshof nur 22 dieser Beschwerden zur Beratung angenommen.
Reinhard Lauterbach aus Poznań in der jungen Welt am 3.7.2025
Bürgerwehr auf Menschenjagd
Rechte Bewegung demonstriert an Grenzübergängen gegen Abschiebungen aus Deutschland
An mehreren deutsch-polnischen Grenzübergängen haben am Sonntag rechte Aktivisten für den »Schutz der polnischen Grenzen« demonstriert. Die Veranstalter der »Bewegung für den Schutz der Grenzen« sprachen von einigen tausend Teilnehmern, unabhängige Medien nannten Zahlen im oberen dreistelligen Bereich. Ein Schwerpunkt war der Übergang zwischen Görlitz und dem polnischen Zgorzelec. Dort blockierten einige hundert meist männliche Demonstranten eine Neißebrücke und riefen Parolen wie »Keine Migration, weder legale noch illegale«, »Neger raus« und »Sicherheit zuerst für Polen«. Auch T-Shirts mit Aufschriften wie »White Power« waren zu sehen. Die Demonstranten versuchten, auf deutsches Gebiet vorzudringen, wurden aber von einem Spalier der Bundespolizei daran gehindert. Nachdem sie die polnische Nationalhymne mehr gegrölt als gesungen hatten, zogen sie sich auf das polnische Ufer zurück. Der Verkehr war zeitweise unterbrochen.

Ähnliche Aktionen gab es auch auf der Brücke zwischen Słubice und Frankfurt (Oder) und an einem Übergang in der Nähe von Szczecin. Auf der Oderbrücke in Słubice versuchten die Demonstranten, die Passage von drei mutmaßlichen Afghanen auf polnisches Gebiet zu verhindern, die von zwei Beamten des polnischen Grenzschutzes eskortiert wurden. Ein Reporter lieferte sich mit den polnischen Beamten einen längeren Wortwechsel darüber, wie sie es fertigbrächten, »Migranten auf polnisches Gebiet zu begleiten«, anstatt sie gleich abzuweisen. »Deutsche, behaltet eure Migranten«, skandierte dazu die Menge.
Wie eine Sprecherin des polnischen Grenzschutzes dem mit den Protesten sympathisierenden rechten Fernsehsender TV Republika (TVR) erklärte, seien die Männer beim Versuch, ohne Dokumente auf die deutsche Seite zu gelangen, dort gestoppt und zurückgeschickt worden. TVR berichtete unter Berufung auf Teilnehmer an den Aktionen auch, dass in der Nacht zum Sonntag vier Eritreer daran gehindert worden seien, über eine Eisenbahnbrücke auf polnisches Gebiet zu kommen. Eine »Festnahme« der vier »auf frischer Tat« durch eine »Bürgerpatrouille« habe dies aber verhindert. Die Männer seien anschließend der polnischen Polizei übergeben worden.
Gegner der Aktionen ist die aktuelle polnische Regierung. Ihr werfen die Rechten vor, angesichts eines »hybriden deutschen Krieges gegen Polen« untätig zu bleiben. In Zgorzelec sagte einer der Redner, Polen werde heute »von Migranten überrannt wie 1939 von der Wehrmacht«. TV Republika, das den ganzen Tag live von den Protesten berichtete, blendete über längere Zeit eine Schrifttafel am unteren Bildschirmrand ein mit der Parole: »Polen im Zweifrontenkrieg: Der Iwan überschwemmt uns von Osten mit Migranten, der Deutsche von Westen.« Polens Innenminister Tomasz Siemoniak reagierte defensiv: Er verwies darauf, dass bei der Grenzbehörde – die an der Westgrenze angesichts der Zugehörigkeit Polens zur Schengenzone personell ausgedünnt ist und deren Kräfte heute an der Grenze zu Belarus konzentriert sind – 1.500 neue Stellen ausgeschrieben worden seien. Das Ministerium verwies gegenüber der Gazeta Wyborcza darauf, dass im ersten Halbjahr 2025 die Gesamtzahl der aus Deutschland nach Polen abgeschobenen Menschen 300 betragen habe – von einer »Flut« könne also keine Rede sein. Auch der Anteil von Migranten an der Kriminalität liege bei nur zwei Prozent, darunter überwiegend Alkoholfahrten von Ukrainern und Georgiern – die sich wiederum in der Regel legal in Polen aufhalten.
Die Rechten haben in den von deutscher Seite eingeführten Grenzkontrollen und den tatsächlich zunehmenden Zurückweisungen ein gefundenes Fressen entdeckt, Ängste der polnischen Bevölkerung zu schüren. Dabei spielen Gerüchte eine große Rolle. Etwa Meldungen, dass in einer westpolnischen Stadt zwei »Äthiopier« oder auch »Eritreer« splitterfasernackt durch die Stadt gelaufen seien. Wo sich dies zugetragen habe, wurde verschieden kolportiert: Mal soll es in Zielona Góra gewesen sein, mal in Legnica. Andere derartige Zeitungsenten besagen, dass angeblich Migranten, die vorübergehend in einem Kinderheim untergebracht worden seien, von den dort lebenden polnischen Mädchen verlangt hätten, sich islamisch zu kleiden. Wo dies geschehen sein soll, wird nicht gesagt. Dennoch wird es regelmäßig als Tatsache dargestellt.
Reinhard Lauterbach aus Poznań in der jungen Welt am 1.7.2025
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