Freispruch: Widerstand war Notwehr

Am 18.08. fand der Prozess gegen unseren Genossen statt. Hintergrund war eine Protestaktion gegen einen Infostand der AfD im Februar auf dem Bismarckplatz, bei der er von der Polizei zu Boden geworfen und festgenommen wurde. Im Nachhinein war die Begründung der Beamt:innen, dass er angeblich zu laut linke Parolen in Richtung zweier Polizist:innen gerufen hätte und diese dadurch kurzzeitig Schmerzen in den Ohren erlitten hätten. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg folgte dieser Darstellung klagte unseren Genossen wegen gefährlicher Körperverletzung, tätlichem Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte an. Dem Aufruf, unserem Genossen im Gericht den Rücken zu stärken, folgten 30 Antifaschist:innen, die den kleinen Gerichtsaal vollständig füllten.

Die geladenen Zeug:innen, ausschließlich Polizist:innen, machten zwar detailreiche Angaben zum angeblichen Tathergang, doch in der Sichtung des Beweismaterials, einem von der Polizei aufgenommenen Video, war nichts davon erkennbar. Die zwei angeblich geschädigten Polizist:innen verstrickten sich in widersprüchliche Aussagen: mal soll der Angeklagte aus zwei Metern Entfernung ins Megafon gerufen haben, mal sei er direkt am Ohr der Beamt:innen gewesen, mal sei er an der Polizeikette gestanden, mal sei eine Reihe Antifaschist:innen dazwischen gewesen. Auch bei erneuter Sichtung des Beweisvideos konnte keine Aussage der Beamt:innen belegt werden. Sicher waren sich jedoch beide, dass unser Genosse die gefährliche Körperverletzung mit voller Absicht an ihnen vollzogen hätte. Einer der beiden betonte, unser Genosse habe „mit voller Gewalt ins Megafon gerufen“. Die andere angeblich Geschädigte Polizistin gab versehentlich zu, sich das Beweisvideo als „Erinnerungsstütze“ vor dem Prozess angesehen zu haben.

Die Gewalt, die sie bei ihrer Festnahme angewendet hatten, umschrieben die Beamt:innen teils kreativ: Unser Genosse sei mit dem Polizeibeamten „zusammen hingefallen“, es habe „einen Zug nach unten gegeben“, der Angeklagte sei wohl „gestolpert“ und „vorbeugend“ habe sich danach eine weitere Beamtin auf den Angeklagten gekniet.

Zum Abschluss der Beweisaufnahme stellte der etwas zerknirschte Staatsanwalt fest, dass der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung nur schwer haltbar sei. Er sei jedoch mindestens von einer fahrlässigen Körperverletzung und dem Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte überzeugt. Er stellte deshalb in den Raum, dass die Staatswanwaltschaft sich auf den Vorwurf des Widerstand beschränken würde, sofern die Verteidigung nicht auf Freispruch plädieren und der Angeklagte somit den Widerstand einräumen würde. Der solidarische Anwalt lehnte dies selbstverständlich ab und hielt am Freispruch fest.

Der Beweisaufnahme folgten kurze Plädoyers, in denen die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Körperverletzung und Widerstand eine Geldstrafe von 60×50€ Tagessätzen forderte, wogegen die Verteidigung in der Forderung nach einem Freispruch die Angriffe auf die Versammlungsfreiheit, die Legitimität antifaschistischen Protests und die Rechtswidrigkeit der Handlungen der Polizei gegenüber unserem Genossen hervorhob.

Danach verlas der angeklagte Antifaschist eine Prozesserklärung, die wir am Ende dieses Beitrags spiegeln. Der bis auf den letzten Platz mit Antifaschist:innen gefüllte Zuschauer:innenraum reagierte darauf mit Applaus. Die Richterin urteilte schließlich, dass der Angeklagte von allen Vorwürfen freizusprechen sei, da keine der Handlungen nachweisbar gewesen sei. Er habe sich zwar gegen seine Festnahme gewehrt, was durch die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Handlung jedoch lediglich Notwehr gewesen sei.

Wir freuen uns selbstverständlich über dieses Urteil, zu dem eine konsequente politische Prozessführung und eine offensive Verteidigung durch den solidarischen Anwalt beigetragen haben. Dass so viele Genoss:innen sich gestern Zeit genommen haben, um den Angeklagten zu unterstützen, war ein starkes Zeichen der Solidarität.

Wir wissen, dass die Justiz im Kampf gegen rechte Strukturen nicht auf unserer Seite steht. Heute gab es zwar Zugestädnisse zu unserem Vorteil, der Staat wird jedoch weiter versuchen, konsequenten antifaschistischen Protest zu kriminalisieren und zu unterbinden. Sorgen wir also weiter dafür, dass niemand mit Repression alleine bleibt. Gemeinsam gegen ihre Angriffe – sie werden uns nicht brechen! Hoch die internationale Solidarität!

Wir spiegeln hier die Prozesserklärung, die unser Genosse im Gerichtssaal vorgetragen hat:

„Ich stehe heute als Antifaschist vor Gericht, weil unabhängiger, selbstbestimmter und widerständiger Protest dem bürgerlichen Staat ein Dorn im Auge ist. So sitze ich zwar alleine auf der Anklagebank, doch soll mit diesem Prozess der antifaschistische Protest allgemein und Aktionen gegen die AfD-Wahlkampfstände im Besonderen kriminalisiert werden. Der heutige Prozess ist einer von zahlreichen Versuchen des Staates, antifaschistischen Widerstand zu brechen.

Heute waren hier auch mehrere Vollstreckungsbeamte geladen. Damit ist die Polizei gemeint, welche nicht nur die AfD und ihre rassistische und arbeiter:innenfeindliche Hetze verteidigt, sondern die Funktion hat, die Eigentumsverhältnisse und die herrschende Ordnung zu schützen. In der Praxis bedeutet das, dass die Polizei auf Palästina-Demos Menschen reihenweise krankenhausreif schlägt, schlafende Obdachlose vertreibt und Menschen erschiessen kann, ohne dafür Konsequenzen fürchten zu müssen. Allein in dieser Jahreshälfte hat die Polizei schon mindestens 16 Menschen getötet.

Die Interessen der herrschenden Klasse, also die Ausbeutung und Unterdrückung unserer Klasse, werden von der Polizei durchgesetzt, seitdem es sie gibt. Konsequenter und klassenbewusster Antifaschismus bedeutet seit jeher, gegen rechte und arbeiter*innenfeindliche Standpunkte vorzugehen, die Gefahr, die von ihnen ausgeht aufzuzeigen und die Interessen der Herrschenden hinter alldem aufzudecken.

Auch die AfD vertritt mit als eine neoliberale, rassistische und mit Faschist:innen durchsetzte Partei diese Interessen und befindet sich momentan auf dem Weg in die Regierung. Sie ist nur eine weitere Partei des Kapitals, aber schafft es momentan am besten, sich in den unablässigen Krisen als scheinbare Alternative zu inszenieren. Deshalb ist der Kampf gegen sie für Antifaschist:innen von besonderer Bedeutung – zwar nicht nur, aber besonders im Wahlkampf, so wie auch dieses Jahr im Februar.

Staat und Polizei wollen uns in immer engerem Rahmen vorschreiben, wie unser Protest auszusehen hat. Sie wollen bestimmen wo, wann und wie wir protestieren, wie laut wir sein dürfen, wie lang unsere Fahnenstangen sind, welche Länge unsere Banner haben dürfen und welche Parolen wir rufen dürfen. Dieses Jahr haben sie – ganz im Sinne der AfD – sogar verboten, dass auf Demonstrationen arabische Parolen gerufen werden. Doch all das ist vergeblich: Unser Protest ist und bleibt selbstbestimmt.

Denn selbst wenn sie nicht sofort Gründe in ihren Auflagen finden, um uns anzugreifen, dann erfinden sie sich eben welche. Dass vor dem Wahlkampfstand der AfD zwei Beamt:innen wegen angeblicher Ohrenschmerzen durch gerufene Parolen Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung erstatten, ist nur mit einem Umstand zu erklären: das ist politisch motiviert, das hier ist ein politischer Prozess und unsere Bewegung wird ihn solidarisch beantworten.

Dass die Polizei die Rassist:innen schützt und ihn einen reibungslosen Ablauf garantieren will, ist nichts neues, genauso wenig wie die rohe Gewalt, die die Polizei dabei einsetzt. Uns und allen, die es wagen, den engen Rahmen des geduldeten Protests zu verlassen, soll klargemacht werden, dass es dafür entsprechende Antworten gibt. Dass die Repressionen gegen Antifaschist:innen stetig zunehmen, zeigt auch das Urteil gegen unseren Genossen Max, der in erster Instanz zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt wurde. Max und alle anderen Antifaschist:innen, die vor Gericht, in Haft oder untergetaucht sind, seien an dieser Stelle herzlich gegrüßt- volle Solidarität mit ihnen.

Wir kämpfen, während die Welt sich im Umbruch befindet. Die alleinige Vormachtstellung der Westlichen Staaten ist im Schwinden und ein weiterer großer imperialistischer Krieg bahnt sich an. Die kapitalistische Weltwirtschaft gerät ins Stocken, Gewinne und Produktion brechen ein, doch die Rüstungsindustrie boomt. Deutschland mit seinen Konzernen ist in den Kriegen und Massenmorden dieser Welt wieder vorne mit dabei, ob in der Ukraine, Kurdistan oder in Palästina.

Das kürzlich erlassene Verbot des „Rheinmetall Entwaffnen“-Camps gibt einen Ausblick darauf, dass im Umgang mit antimilitaristischen Protesten die Maskerade der bürgerlichen Demokratie endet – und offener ausgesprochen wird, dass es keinen Protest gegen die Kriege Deutschlands geben soll, der die Systemfrage stellt. Der Krieg nach außen braucht zwangsläufig Unterdrückung von antimilitaristischem Protest und noch stärkere Ausbeutung nach innen.

Auch deshalb stellt sich die Polizei schützend vor die AfD und greift Antifaschist:innen an. Letztlich liegt das an ihrer Rolle in diesem System: Die Polizei ist das wichtigste Instrument der Herrschenden, um die eigene Bevölkerung in Schach zu halten. Als Klasse haben wir von diesem kapitalistischen Staat und seiner Polizei nichts zu erwarten außer Lügen, Verachtung und Gewalt. Doch brechen werden sie uns nicht. Wir werden laut und widerständig bleiben und eine Gegenmacht aufbauen, die den Rechten etwas entgegensetzen kann.

Unsere stärkste Waffe ist dabei die Solidarität, die Solidarität mit allen Antifaschist:innen, mit Max und allen anderen. Solidarität mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten, mit allen die Widerstand leisten, mit allen Kämpfer:innen gegen Imperialismus und Krieg.

Hoch die internationale Solidarität!“