Pogromnachtgedenken 2025

Erinnern heißt Kämpfen

Anlässlich der Pogromnacht am 9. November 1938 fanden dieses Jahr wieder vielfältige Gedenkaktionen statt. Wir riefen dazu auf, sich an den unterschiedlichen Aktionen zu beteiligen. Für uns ist klar, dass wir die Opfer der November-Pogrome nicht vergessen werden und solche Gedenktage nicht tradiert, sondern mit ernsthafter Auseinandersetzung unserer Geschichte begangen werden sollten – um letztlich dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Vielerorts waren Antifaschist:innen auf der Straße um an die Pogromnacht zu erinnern. Hier im Beitrag findet ihr einige Gedenkaktionen, die in Süddeutschland stattgefunden haben:

Landau

Kundgebung & Stadtrundgang

Heute vor 87 Jahren, am Abend des 9. November 1938, wurden in ganz Deutschland, ebenso wie in Österreich und der Tschechoslowakei, Jüdinnen und Juden, ihre Geschäfte, Wohnhäuser, Kulturstätten und Synagogen von den Nationalsozialisten angegriffen und zerstört. Allein in dieser Nacht wurden etwa 2000 jüdische Menschen ermordet. Der ohnehin schon weit verbreitete Antisemitismus schlägt der jüdischen Bevölkerung in dieser Nacht mit einer neuen Eskalationsstufe entgegen und gipfelte in der systematischen Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Europa, der Shoah.

Um an diese Ereignisse zu erinnern, fand in Landau ein zweistündiger Stadtspaziergang mit rund 40 Teilnehmenden statt, der an Häusern und Orten jüdischen Lebens vorbeiführte. An den verschiedenen Stationen wurden Hinweisschilder angebracht, um auf das jüdische Leben aufmerksam zu machen, das einst an diesen Orten stattfand. Die erste Station war am Mahnmal für die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten Jüdinnen und Juden. Eine zentrale Station im Laufe des Rundgangs war das ehemalige Café Central an dem die Schikane gegenüber jüdischen Menschen in Landau bereits früh ein neues Ausmaß annahm. Am 20. Juni 1933 wurden Besucher:innen des Cafés von Nationalsozialisten in einen Nebenraum gesperrt und brutal verprügelt. Zwar bot die Polizei im Nachhinein an, Anzeige zu erstatten, doch blieb dies ein scheinheiliger Versuch, Konsequenzen zu suggerieren. Die Streifenpolizisten waren bereits am Vorabend anwesend, um tatenlos zuzuschauen. Damals wie heute zeigt sich, dass man sich im Kampf gegen Nazis nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen kann.

Der Stadtrundgang endete am Elias-Grünebaum-Platz, dem Standort der ehemaligen Synagoge. Diese wurde am 9. November 1938 von vier Nationalsozialisten in Brand gesetzt und anschließend aus „Sicherheitsbedenken“ gesprengt. Zum Abschluss legten die Teilnehmenden dort Nelken und Kerzen nieder. Zum Abschluss des Rundgangs kamen wir im Linken Zentrum Kätche Brunner zusammen, um bei Kaffee und Kuchen über die Bedeutung des Gedenkens ins Gespräch zu kommen.

Damit die Gewalt des faschistischen Staates nicht in Vergessenheit gerät, braucht es eine aktive Erinnerungskultur. Bereits im Vorfeld des Stadtspaziergangs hatten wir daher gemeinsam mit den Linken Händen, dem Ofemi*, der Linkspartei und der DKP in ganz Landau die Stolpersteine geputzt. Angesichts der sich zuspitzenden Rechtsentwicklung und der zunehmenden Verbreitung antisemitischen Gedankenguts bleibt diese Arbeit unerlässlich, denn Faschismus wirkt fort, wenn wir ihn nicht aktiv bekämpfen.


Pforzheim

Stolpersteine-Putzen im Vorfeld

Am Sonntag, den 9. November, jährt sich zum 87. mal die Reichspogromnacht. In dieser Nacht wurden mehrere hundert Jüd:innen ermordet sowie jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe gestürmt und zerstört. Um an diese Opfer und den Opfern der folgenden Jahre unter dem NS-Regime zu gedenken waren wir heute Abend in Pforzheim unterwegs und haben Stolpersteine geputzt.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Werdet aktiv!


Stuttgart

Stolpersteine-Putzen im Vorfeld

Rede des AABS bei der Gedenkkundgebung in Cannstatt am 9. November 2025

Liebe Antifaschist:innen, liebe Freund:innen, liebe Genoss:innen,

heute wollen wir gemeinsam der Reichspogromnacht, einer neuen, organisierten Stufe der antisemitischen Verfolgung und Vernichtung, gedenken. Gedenken heißt aus der Vergangenheit lernen, aus ihr Schlüsse ziehen. Nicht losgelöst von der Gegenwart, routiniert und abgeschmackt, sondern mit Blick nach Vorne, mit dem Wissen was war und sein kann. Erinnern heißt kämpfen. Eine Parole, die wir mit Leben füllen müssen, wenn wir dem Ziel, dass sich die Geschichte nicht wiederholen soll, gerecht werden wollen. Denn es muss mit aller Klarheit gesagt werden: Die Lage ist ernst. Letztes Jahr haben wir davon gesprochen,dass „es nicht Vergangenheit ist, dass sich Faschist:innen offen und selbstbewusst auf die Straßen trauen, sondern bittere Gegenwart.“ Dieses Jahr müssen wir Bilanz ziehen und feststellen, dass sich die Situation weiter verschärft hat. Im März diesen Jahres fand der ersten Nazi-Aufmarsch seit langer Zeit in Stuttgart statt, Rechte greifen verstärkt linke, alternative Räume an und eine neue, rechte Jugendkultur drängt weiterhin auf die Straßen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein sichtbares „Nazi Problem“ gibt es mittlerweile auch hier bei uns vor Ort. Dabei sprechen wir nicht losgelöst von dem Anwachsen einer gewalttätigen, rechtsradikalen Jugendkultur, sondern nehmen die gesellschaftliche Entwicklung in den Blick: Denn rechte Übergriffe auf Migrant*innen, vermeintlich linke oder queere Personen und der massive Anstieg von antisemitischen An- und Übergriffen passieren nicht einfach so, sondern müssen im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Rechtsentwicklung betrachtet werden. In der aktuellen Regierung unter Kanzler Merz nimmt die Diskursverschiebung nach Rechts neues Tempo auf: Es gibt kaum öffentliche Debatten, in denen die zunehmende Diskriminierung von Bürgergeldempfänger*innen, Migrant*innen oder Geflüchteten nicht als vermeintliche Lösung für die aktuellen Krisen benannt wird – mal ist der dahinterliegende Rassimus eindeutiger, mal versteckter. Die sog. „Stadtbild-Debatte“ ist nur ein Beispiel dafür.

Und natürlich gibt es auch heute noch ein Antisemitismus-Problem in diesem Land. Man denke nur an Roland Kochs „jüdische Vermächtnisse“, an Oettingers Grabrede auf den Nazi Filbinger, an Aiwangers Flugblätter und vieles andere mehr. Antisemitismus ist seit ihrer Gründung Teil bundesdeutscher bürgerlicher Politik, von FDP bis zur Union. Dort, tief in der bürgerlichen Mitte sitzt der Antisemitismus. Und es sind maßgeblich diese Kreise, die heute den Begriff des Antisemitismus als politische Waffe gegen den legitimen und notwendigen Widerstand gegen den Völkermord an den Palästinenser:innen nutzen. Wer heute von „importiertem Antisemitismus“ spricht, dessen Ziel ist es, die rassistische Spaltung der Gesellschaft zu vertiefen. Während also eine neue Härte der Politik des Nach-unten-Tretens an den Tag gelegt wird und gesellschaftliche Gruppen immer mehr gegeneinander ausgespielt werden, sitzen die Milliarden für Krieg und Aufrüstung locker. Das hat seine Gründe. In Zeiten der tiefen wirtschaftlichen Krise steht nicht etwa das Wohl der Menschen im Vordergrund der Politik, sondern die Sicherung der Unternehmensprofite und der deutschen Interessen weltweit. Dafür braucht es rechte Realpolitik – momentan in Form von Union und SPD, vielleicht demnächst in einer schwarz-blauen Koalition. Eine AfD in Regierungsverantwortung wäre eine qualitative Steigerung und eine unmittelbare Gefahr für alle Andersdenkenden, für gesellschaftliche Minderheiten und für diejenigen, die sie bekämpfen. Für uns. Wir wollen keine Schwarzmalerei betreiben, wohl aber ein Bewusstsein über den Ernst der Lage schaffen.

Welche Konsequenzen sollten wir ziehen?

Zu allererst: Wir sollten in Anbetracht der Entwicklungen nicht resignieren. Wir sollten handeln. Jede und jeder von uns, alle gemeinsam.

In Anbetracht der Stärke und des Zuspruchs, den die AfD mittlerweile erfährt, erfordert unser Kampf mehr als jemals zuvor die ehrliche Zusammenarbeit aller, die es ernst meinen und die bereit sind, mit den politischen und praktischen Konsequenzen, die der Kampf erfordert, zu leben. Auch und gerade über Lager- und Strömungsgrenzen hinweg. Nicht jedoch ohne zu vergessen, dass wir dabei selbst eine Perspektive aufzeigen müssen, die nicht zahnlos den Status Quo verteidigt, sondern eine eigene Antwort formuliert, auf kapitalistische Krisen, neoliberale Elendsverwaltung und den Aufstieg der Rechten. Dabei spielt der Kampf um die Straße, um den öffentlichen Raum für uns eine zentrale Rolle. Hier entscheidet sich maßgeblich, ob Nazis ihre Politik umsetzen können oder nicht.

Die Gegendemonstrationen gegen den Nazi-Aufmarsch am 22. März in Stuttgart sind ein gutes Beispiel: Wenn wir mit vielen Menschen die Straßen blockieren, Nazis auch direkt konfrontieren und unsere Aktionen politisch verteidigen, dann können wir damit auch einen (wenn auch begrenzten) Erfolg gegen die Nazis einfahren. Der Kampf um die Straße ist nicht einfach, er fordert von uns, über Grenzen zu gehen. Er ist unangenehm. Aber es ist eben eine zentrale Lehre der deutschen Geschichte, dass es konkreten und handfesten Widerstand gegen den faschistischen Straßenterror braucht. Ohne wenn und aber. Gerade deswegen gilt unsere Solidarität alldenjenigen, die bereit sind, diese Auseinandersetzung zu führen. Wir wollen an dieser Stelle zur uneingeschränkten Solidarität mit allen Antifaschist:innen aufrufen, die wegen ihres Handelns ins Fadenkreuz der Behörden gekommen sind.

Wir denken an Maja in Ungarn und alle anderen inhaftierten und untergetauchen Nazi-Gegner:innen und senden solidarische Grüße. Die AfD ist die parteipolitische Spitze der Rechtsentwicklung und des autoritären Staatsumbaus. Beides geht Hand in Hand. Umso notwendiger, dass auch wir nicht bei der moralischen Kritik der Rechten stehen bleiben, sondern die Dinge beim Namen nennen.

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“

In der Konsequenz ist Antifaschismus heute weit mehr als der Abwehrkampf gegen Rechts. Antifaschismus ist ein wichtiger Teil unserer eigenen Antwort auf die aktuelle Misere. Gerade jetzt sind wir gefordert, den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse, den Widerstand gegen Sozialabbau, gegen den neuen deutschen Kriegskurs, gegen Aufrüstung und Abschottung mit dem Kampf gegen Rechts zu verbinden – für eine allgemeine linke Perspektive. Die bürgerlichen Partein können dabei kein Adressat unser Forderungen sein. Wer ohne Ende abschiebt, wer im Wahlkampf links blinkt und dann rechts abbiegt, wer jede rassistische Scheiße aufgreift und wer mit dafür verantwortlich ist, dass die soziale Spaltung in diesem Land so groß ist wie nie, wie soll der Teil einer Lösung sein?

Aber halt. Eine Lehre der Geschichte ist es, zu unterscheiden: Zwischen denjenigen an der Parteispitze, einem Klingbeil oder einem Hofreiter, die neoliberale Elendsverwaltung und rechte Realpolitik betreiben. Und denjenigen, die an der Basis aufrichtig gegen den aufkommenden Faschismus kämpfen. Letzteren, den Vielen, sollten wir unsere Hand austrecken. Zum gemeinsamen Kampf gegen die faschistische Gefahr, gegen die Kriegstreiberei, gegen Sozialabbau und für eine Perspektive jenseits der gesellschaftlichen Spaltung in Arm und Reich. Gemeinsam mit ihnen gilt es, den Kampf um die Köpfe Allderjenigen aufzunehmen, die der Überzeugung sind, rechte oder faschistische Politik sei eine Antwort auf die Probleme unserer Zeit. Es liegt an uns, ihnen eine andere Perspektive anzubieten. Und nur, dass wir uns da nicht falsch verstehen. Gemeint sind nicht die überzeugten Rassist:innen oder die AfD-Funktionär:innen. Mit Faschist:innen wird nicht diskutiert, Faschist:innen werden bekämpft. Auf allen Ebenen und mit allen Mitteln, die dafür notwendig sind. So wie die Dinge gerade liegen, werden wir den Kampf gegen die Rechtsentwicklung weder heute noch morgen gewinnen. Dafür werden wir einen langen Atem benötigen.

In allem was wir tun, müssen wir deshalb besonders für Kontinuität, Organisierung und Ansprechbarkeit sorgen. Nur so werden wir den Widrigkeiten der kommenden Zeit standhalten können. Nichts davon wird einfach. Aber an Gelegenheiten, diese Punkte umzusetzen, wird es in naher Zukunft nicht mangeln.

 

1933 sind wir gescheitert. Die Folgen waren einmalig in der Menschheitsgeschichte. Deswegen stehen wir heute hier. Wenn wir heute die Parole „Nie wieder“ in den Mund nehmen, dann haben wir nicht nur die Pflicht, aus den Fehlern von damals zu lernen, sondern dann ist das eine Aufforderung zum Handeln. Nicht an irgendwen, sondern an uns. An mich, an euch, an jede Einzelne.

Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.
Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.

Vielen Dank!