Reflexion nach Veranstaltung über Pogrome in Rostock

Die Antwort auf Rostock kann nur sein: Es braucht mehr Organisierung – nicht weniger!

Am vergangenen Samstag, 26. August haben wir in Gedenken an die rassistischen Pogrome vor 31 Jahren in Rostock-Lichtenhagen den Film „The Truth Lies in Rostock“ gezeigt. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Lage, der sich verschärfenden Hetze gegen Geflüchtete und den Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016, stellt sich einmal mehr die Frage nach den Lehren aus Rostock-Lichtenhagen. Deshalb sind wir im Anschluss an den Film in eine Diskussion mit einem Antifaschisten gegangen, der sich damals an den antifaschistischen Protesten in Rostock beteiligte und wie viele andere danach beschloss, sich antifaschistisch zu organisieren. Die Diskussion hat sich schnell zu einem spannenden Gespräch mit dem Publikum entwickelt, von dem wir im Folgenden kurz berichten wollen.

Unser Gast beschrieb die Pogrome in Lichtenhagen u.a. als größte Niederlage der antifaschistischen Bewegung nach 1945 – denn, das hätte verhindert werden können. Die Frage ist nur: Wie?

Laut unserem Gast hat damals keiner die historische Bedeutung des Pogroms erkannt. Heute müssen wir besser darin werden, solche Moment zu erkennen, dementsprechend zu reagieren oder präventiv tätig werden. Denn in Rostock, wie überall in Ostdeutschland, war die Arbeitslosigkeit nach dem Ende der DDR sehr hoch. Soziale Abstiegsängste und Sorgen waren Alltag. Viele Menschen beantworteten ihre Lage fälschlicherweise mit rassistische Hetze und traten nach unten, anstatt das neue System, den Kapitalismus gemeinsam mit den Gastarbeiter:innen und den Geflüchteten, als Gegner auszumachen. Dagegen können wir u.a. über Aufklärung und Verankerung innerhalb unserer Klasse angehen.

Rostock-Lichtenhagen war nicht neu in der Qualität – aber in der Quantität, so unser Gast. Denn dem Pogrom gingen viele weitere voraus, im Übrigen nicht nur im Osten der Bundesrepublik, auch in Mannheim-Schönau griffen im Sommer 1992 Rechte eine Geflüchtetenunterkunft an. Über Tage hinweg versammelte sich in Lichtenhagen der rassistische Mob – darunter Nazikader aus der gesamten Bundesrepublik und dem Ausland – , er wurde immer größer und ging jeden Tag einen Schritt weiter, bis das Haus dann am 25. August 1992 in Flammen stand. Seine Bewohner*innen flüchteten sich aufs Dach, um sich in Sicherheit zu bringen – von Hilfe durch den Staat war nichts zu sehen. Mit im Haus waren neben dem Kamerateam, das später den Film „The Truth Lies in Rostock“ produzierte, einige wenige Antifaschist*innen und Unterstützer*innen. Zwischen dem 22. und 26. August gab es nur eine, eher kleine antifaschistische Demo, die versuchte, sich dem Mob entgegenzustellen. Auf die Frage, warum es keine weiteren, auch bundesweiten Versuche gab, die Menschen zu schützen und sich vor das Haus zu stellen, erzählte unser Gast, dass die antifaschistische Bewegung im Osten weniger gut aufgestellt war als im Westen und die bundesweite Vernetzung nicht weit fortgeschritten war. In Rostock gab es zwar eine kleine Antifa-Gruppe, alleine war sie aber nicht in der Lage etwas auszusetzen. Von Antifas aus dem Westen wurde die Übermacht des rassistischen Mobs als riesig eingeschätzt. „Aber nicht nur das, offensichtlich war bei vielen von uns auch die Angst um den eigenen, weißen Arsch größer als der Wille, zu helfen.“, erzählte unser Gast. Auch die Fahrt zur Großdemo habe sie viel Mut gekostet. Das Fehlen einer bundesweite Vernetzung, dem Austausch zwischen Antifas im Osten und Westen, von verlässlichen Kontakte und gemeinsamen Erfahrungen hatten diese Angst umso mehr befeuert.

Die Antifaschistische Bewegung war auch in den 90ern überwiegend weiß und die Antifa-Arbeit meistens von der Antirassismus-Arbeit entkoppelt. Es gab zwar Kontakte zu türkischen und kurdischen Genoss*innen, neben der Antifa Genclik gab es aber fast nur weiße Antifa-Gruppen und wenig Austausch untereinander. Damals wie heute ist es unsere Aufgabe, die Kämpfe unserer migrantischen Genoss*innen als unser aller Kämpfe zu verstehen, verlässliche Bündnisse aufzubauen und unsere Antifa-Arbeit für viele Menschen zu öffnen.

Bei der Bündnis-Demo, zu der in der Woche nach dem Pogrom aufgerufen wurde, kamen 25.000 Menschen nach Rostock. Das war ein starkes Zeichen gegen Rechts und gegen die Ambition der Regierung, das Pogrom zu nutzen für eine Verschärfung des Asylrechts. Gleichzeitig hat die Demo aber nur noch deutlicher gemacht, dass es zwar Menschen gab, die sich antirassistisch positionierten, aber als es darum ging, sich den Rechten und Faschist:innen entgegenzustellen, sie aufzuhalten und direkt zu bekämpfen, kam fast niemand nach Rostock. „Wir brauchten damals und brauchen auch heute mehr Menschen, die die Parole „Den antifaschistischen Selbstschutz“ aufbauen ernst meinen und in die Praxis umsetzen“, sagte unser Gast. Aus den Kontakten, die bei der Großdemo geknüpft wurden, sind bspw. regelmäßige nächtliche Antifa-Streifen vor Geflüchtetenunterkünften entstanden.

Spätestens nach den rassistischen Brandanschlägen in Rostock-Lichtenhagen lag die Notwendigkeit von mehr antifaschistischer Organisierung auf der Hand, sagte unser Gast. Wenig später gründete sich die Antifaschistische Aktion Bundesweite Organisation (AABO), die sich im Jahr 2001 u.a. anhand innerer Widersprüche auflöste. Weiter gründeten sich offene Antifa-Cafes und Schüler*innen-Vernetzungen. Eine weitere Konsequenz aus Rostock war der kontinuierliche Support ländlicher Regionen, wie bspw. mit der „Am Rande des Wahnsinns“-Kampagne: Konzerttour, Flugblätter und Unterstützung fürs Berliner Umland. Die Strukturen, in denen unser Gast aktiv war, legten außerdem viel Wert auf gute Bündnisarbeit, vor allem mit Gewerkschaften. Teil dieser Bündnisarbeit war immer auch ein Ringen um die eigenen roten Haltelinien oder Diskussionen um die Notwendigkeit direkter Gegenwehr.

Manches lässt sich zwar heute mit der Situation in den 90er Jahren vergleichen. Was aber definitiv neu ist, ist die AfD, die im Bundestag sitzt und bei aktuellen Umfragen 20 % ergattern kann.

Am Ende des Abends waren wir uns in den Lehren aus Rostock-Lichtenhagen einig: Um dagegen anzukommen, braucht es eine überregionale und bundesweite antifaschistische Organisation, die auf einem soliden inhaltlichen Fundament steht und sich vor der Repression des Staates schützen kann. Weiter braucht es Offene Angebote, wie wir es als OTFR organisieren. Darüber können wir viele Menschen für den Kampf gegen Rechts gewinnen. Und weiter bleibt auch die Bündnisarbeit ein wichtiger Pfeiler im Kampf gegen Rechts. Alle diese Ebenen sind mit ihren eigenen Aufgaben notwendiger Teil der antifaschistischen Bewegung und können bei einer guten Zusammenarbeit ineinander wirken, sich ergänzen und voneinander profitieren. Außerdem müssen wir Antifa-Arbeit überall generationsübergreifend denken und organisieren – nur dann können wir Erfolg haben.

Grundlegend bleibt neben der überregionalen Vernetzung die lokale Verankerung um den Nazis vor der eigenen Haustüre das Leben schwer zu machen!